Titel:
Abschiebung, Abschiebungsandrohung, Asylantrag, Ausreise, Herkunftsland, Abschiebungsverbot, Asylverfahren, Asylanerkennung, Vollziehung, Bescheid, Einreise, Heimatland, Aufenthaltsverbot, Bundesamt, Anordnung der aufschiebenden Wirkung, aufschiebende Wirkung, aufschiebenden Wirkung
Normenketten:
AsylG § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 4
AsylG § 36 Abs. 4 S. 2
Leitsatz:
Das Kindswohl steht dem Erlass einer Abschiebungsandrohung nicht entgegen, wenn der Kindsvater keinen ernstzunehmenden Erziehungsbeitrag leistet.
Schlagworte:
Abschiebung, Abschiebungsandrohung, Asylantrag, Ausreise, Herkunftsland, Abschiebungsverbot, Asylverfahren, Asylanerkennung, Vollziehung, Bescheid, Einreise, Heimatland, Aufenthaltsverbot, Bundesamt, Anordnung der aufschiebenden Wirkung, aufschiebende Wirkung, aufschiebenden Wirkung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 13945
Tenor
1. Der Antrag wird abgewiesen.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
1
Der Antragsteller begehrt im Wege des Eilrechtsschutzes, die aufschiebende Wirkung seiner in der Hauptsache gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (kurz: Bundesamt) vom 4. März 2024 gerichteten Klage anzuordnen.
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Der am … 2000 geborene Antragsteller ist algerischer Staatsangehöriger mit arabischer Volkszugehörigkeit und muslimischer Konfession. Der Antragsteller verließ sein Herkunftsland nach eigenen Angaben im Oktober 2017 und reiste mit jeweils längerem Aufenthalt in Spanien und Frankreich am … Juni 2020 (nach anderen Angaben des Antragstellers im Jahr 2019) erstmals und illegal in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am … Juni 2023 einen Asylantrag.
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Mit dem Asylantrag wurde gemäß § 13 Abs. 2 Asylgesetz (AsylG) sowohl die Zuerkennung internationalen Schutzes (Flüchtlingseigenschaft und subsidiärer Schutzes) im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, als auch die Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16a des Grundgesetzes (GG) beantragt.
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Die persönliche Anhörung beim Bundesamt erfolgte am … 2024. Zur Begründung seines Antrags trug der Antragsteller beim Bundesamt trug vor, dass er sein Heimatland Algerien verlassen habe, da er seinerzeit von einem Nachbarn belästigt worden sei und er noch andere Probleme gehabt habe.
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Als der Antragsteller etwa 13 Jahre alt gewesen sei, habe ein Nachbar versucht, den Antragsteller zu vergewaltigen. Unter einem Vorwand sei der Antragsteller seinerzeit in die Wohnung des Nachbars gelockt worden. Der Nachbar habe dann mit einer seiner Hände den Mund des Antragstellers zugehalten und mit seiner anderen Hand die Kleidung des Antragstellers ausgezogen. Dann habe der Nachbar damit begonnen, den Antragsteller zu vergewaltigen. Der Antragsteller habe es dann geschafft, die Hand an seinem Mund zu entfernen und habe geschrien. Andere Nachbarn hätten dieses laute Schreien des Antragstellers gehört, sodass der Nachbar vom Antragsteller abgelassen habe. Später habe dieser Nachbar gedroht, dass er den Antragsteller töten werde, wenn er anderen von diesem Vorfall erzähle. Daraufhin sei der Antragsteller in eine andere Stadt umgezogen. Außerdem habe der Antragsteller Probleme mit seinen Eltern gehabt, da der Antragsteller im Alter von etwa zehn Jahren die Schule abgebrochen und stattdessen als Händler gearbeitet habe.
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Da der Antragsteller keine offizielle Lizenz als Verkäufer im Heimatland besessen habe, hätten algerische Sicherheitskräfte seine Waren beschlagnahmt. Bis zur Ausreise habe der Antragsteller in der anderen Stadt in einer Mietswohnung mit einem Freund zusammengewohnt. Die Eltern sowie ein Bruder des Antragstellers lebten noch in Algerien. Vor der Ausreise habe der Antragsteller als Verkäufer auf einem Markt gearbeitet. Bei einer Rückkehr nach Algerien befürchte der Antragsteller, dass er erneut vergewaltigt oder getötet würde.
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Außerdem trug der Antragsteller vor, dass er die Vaterschaft für ein am … 2023 geborenes Kind anerkannt habe. Dieses Kind lebe in Deutschland, habe aber – wie auch die Kindsmutter – die tschechische Staatsangehörigkeit. Ein gemeinsamer Aufenthalt in Algerien mit dem Kind und der Kindsmutter sei für den Antragsteller nicht möglich, da das Leben in Algerien sehr hart sei und er dort nichts habe. Der Antragsteller müsste dann zu seinen Eltern zurückkehren und würde wieder auf besagten Nachbarn treffen. Zum Nachweis der Vaterschaft legte der Antragsteller jeweils eine Kopie einer Geburtsurkunde, einer auf den … datierende Urkunde über die Anerkennung der Vaterschaft und einer ebenfalls auf den … datierende Urkunde über die Sorgeerklärung nach § 1626a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) vor. Hinsichtlich der Ausübung des Sorgerechts teilte der Antragsteller mit, dass es für ihn wegen der Residenzpflicht in der ANKER-Einrichtung …, welche ihren Standort in … hat, schwierig sei, das gemeinsame Kind, welches in … wohne, regelmäßig zu treffen. Er besuche das Kind öfters, warte aber schon lange auf eine Umverteilung in die Nähe des Kindes.
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Mit Bescheid des Bundesamts vom 4. März 2024 wurden die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung sowie auf Zuerkennung subsidiären Schutzes jeweils als offensichtlich unbegründet im Sinn von § 30 Abs. 1 AsylG abgelehnt (Nr. 1 – 3 des Bescheids). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 4 des Bescheids). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde ihm die Abschiebung nach Algerien angedroht. Die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und der Lauf der Ausreisefrist wurden bis zum Ablauf der einwöchigen Klagefrist und im Fall einer fristgerechten Stellung eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt (Nr. 5 des Bescheids). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6 des Bescheids).
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Gegen den am 7. März 2024 zugestellten Bescheid erhob der Prozessvertreter des Antragstellers am 14. März 2024 eine noch nicht erledigte Klage und beantragte ergänzend:
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die in Ziffer 5 enthaltenen Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung wird angeordnet.
Seitens des Antragstellers wurde zu diesem Antrag keine Begründung angegeben. Es wurden auch keine weiteren Unterlagen vorgelegt oder Ausführungen gemacht, ob und wie der Antragsteller an der Erziehung des Kindes Anteil hat.
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Mit Schreiben vom 18. März 2024 beantragte die Beklagte:
Der Antrag wird abgelehnt.
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Zur Begründung des Antrags auf Ablehnung bezog sich die Beklagte auf den Ausgangsbescheid. Der Ausgangsbescheid vom 4. März 2024 wurde im Wesentlichen darauf gestützt, dass der Antragsteller keinen asylerheblichen Verfolgungsgrund habe, der ihn bewogen habe, sein Herkunftsland zu verlassen. Der angegebene sexuelle Übergriff und die Bedrohungen in der Folgezeit stellten allein kriminelles Unrecht einer Einzelperson dar. Die beiden anderen Gründe (Probleme mit den Eltern wegen des Schulabbruchs sowie Beschlagnahmung von Waren durch algerische Sicherheitskräfte) hätten augenscheinlich zu keinerlei negativen Konsequenzen bis zur Ausreise geführt und knüpften außerdem an keinen Verfolgungsgrund gemäß § 3b AsylG an. Daher seien die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht gegeben. Hieraus ergebe sich auch, dass die enger gefassten Voraussetzungen der Asylanerkennung ebenfalls nicht gegeben seien. Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines subsidiären Schutzstatus lägen nicht vor. Gründe für ein Abschiebungsverbot seien nicht gegeben.
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Dagegen wären die Voraussetzungen für die Anordnung einer Abschiebungsandrohung gegeben. Selbst wenn der Antragsteller mittlerweile Vater eines Kindes mit tschechischer Staatsangehörigkeit sei, stelle dies kein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis dar. Dem Antragsteller sowie der Mutter des gemeinsamen Kindes und dem Kind sei nicht nur eine Wohnsitznahme in Algerien, sondern auch in der Tschechischen Republik möglich. Dem Antragssteller sei es zumutbar, einen rechtmäßigen Status mittels der Durchführung eines regulären Visumsverfahrens zu erlangen. Denn den individuellen Interessen am Familienleben stünden insoweit die in diesem Fall überwiegenden Interessen des Staats am Gesetzesvollzug entgegen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird gemäß § 117 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakte Bezug genommen.
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1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 14. März 2024 gegen die Abschiebungsandrohung der Ziffer 5 des Bescheids des Bundesamtes vom 4. März 2024, über den gemäß § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG der Berichterstatter als Einzelrichter entscheidet, ist zulässig, aber unbegründet und hat daher keinen Erfolg.
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a. Der Antrag ist zulässig.
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aa. Der Antragsteller begehrt mit seinem Antrag die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage in der Hauptsache. Dieser Antrag ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG statthaft. Denn gemäß § 75 Abs. 1 AsylG hat die Klage gegen Entscheidungen nach dem AsylG nur in den Fällen des § 38 Abs. 1 AsylG sowie des § 73b Abs. 7 Satz 1 AsylG aufschiebende Wirkung. Im vorliegenden Verfahren geht es weder um einen Widerruf oder eine Rücknahme (§ 73b Abs. 7 Satz 1 AsylG) noch liegt ein sonstiger Fall im Sinne des § 38 Abs. 1 AsylG vor, in dem die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist 30 Tage beträgt. Denn wegen der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet beträgt die Ausreisefrist gemäß § 36 Abs. 1 AsylG eine Woche.
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bb. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Abschiebungsandrohung wurde innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe – und damit fristgerecht – gestellt (§ 36 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG).
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cc. Das Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers entfällt vorliegend nicht. Zwar hat die Antragsgegnerin in Ziffer 5 des Bescheids vom 4. März 2024 die Vollziehung der Abschiebungsandrohung gemäß § 80 Abs. 4 Satz 1 VwGO ausgesetzt, allerdings erfolgte die Aussetzung lediglich bis zum Ablauf der einwöchigen Klagefrist bzw. bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht. Das Rechtsschutzziel des Antragstellers, nämlich eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung bis zu einer abschließenden Entscheidung in der Hauptsache, ist demnach bisher gerade noch nicht erreicht.
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b. Der Antrag ist unbegründet.
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Gemäß Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf in den Fällen der offensichtlichen Unbegründetheit des Asylantrags die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen nur ausgesetzt bzw. die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bzw. des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen.
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An der Rechtmäßigkeit der in Ziffer 5 des Bescheids des Bundesamtes vom 4. März 2024 ausgesprochenen Abschiebungsandrohung bestehen im vorliegend maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG) keine ernstlichen Zweifel. Das Gericht folgt den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Bescheids vom 4. März 2024 und sieht insoweit von einer ausführlichen Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 3 AsylG). Ergänzend bzw. hervorhebend sind die folgenden Ausführungen veranlasst:
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Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG erlässt das Bundesamt nach § 59 AufenthG eine schriftliche Abschiebungsandrohung, wenn der Ausländer weder als Asylberechtigter anerkannt noch ihm die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt noch subsidiärer Schutz gewährt wird, die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen, der Abschiebung weder das Kindswohl noch familiäre Bindungen noch der Gesundheitszustand des Ausländers entgegenstehen und der Ausländer keinen Aufenthaltstitel besitzt. Diese Voraussetzungen für die Anordnung einer Abschiebungsandrohung liegen vor.
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aa. Der Antragsteller hat offensichtlich weder einen Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigter i.S.d. Art. 16a GG noch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG noch auf die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG.
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(1) Das Vorbringen des Antragstellers im Rahmen seiner Anhörung gemäß § 25 AsylG am 16. Januar 2024 begründet weder politische Verfolgung i.S.d. Art. 16a GG noch eine begründete Furcht vor Verfolgung i.S.d. § 3 AsylG bzw. einen ihm im Heimatland drohenden ernsthaften Schaden i.S.d. § 4 AsylG. Der angegebene sexuelle Übergriff und die Bedrohungen in der Folgezeit stellen allein kriminelles Unrecht einer Einzelperson dar. Auch die Probleme mit seinen Eltern wegen des Schulabbruchs stellen keinen Grund für die Zuerkennung eines Schutzstatus dar, zumal der Antragsteller nach seinen Mitteilungen im Rahmen der persönlichen Anhörung beim Bundesamt am 16. Januar 2024 wieder Kontakt zu seinen Eltern hat und diese ihn ausdrücklich eingeladen haben, sie zu besuchen (elektronische Behördenakte S. 131). Dies spricht für eine zwischenzeitlich erfolgte Aussöhnung mit den Eltern.
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Auch die früheren Probleme mit den Sicherheitsbehörden Algeriens können die Zuerkennung eines Schutzstatus nicht tragen, denn die Probleme ergaben sich nicht, weil der Antragsteller sich politisch engagierte oder einer bestimmten Gruppe zugehörte, sondern weil er ohne die erforderliche Lizenz Waren verkaufte. Es ist nicht erkennbar, dass sich aufgrund der mehr als sechs Jahre zurückliegenden Vorfälle bei einer jetzt erfolgenden Rückkehr noch Schwierigkeiten mit den Sicherheitsbehörden ergeben könnten. Erst recht gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass diese das Ausmaß erreichen könnten, dass dem Antragsteller ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 AsylG droht.
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(2) Es ist mit dem Prüfungsmaßstab des einstweiligen Rechtsschutzes nicht erkennbar, dass die Entscheidung, die Anträge als offensichtlich unbegründet im Sinne des § 30 Abs. 1 AsylG – es ist im vorliegenden Fall nach § 87 Abs. 2 Nr. 6 AsylG die bis zum 27. Februar 2024 geltende Fassung anzuwenden – abzulehnen, rechtsfehlerhaft ist. Offensichtlich unbegründet ist der Asylantrag gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, wenn der Ausländer im Asylverfahren über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder diese Angaben verweigert oder gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 5 AsylG der Ausländer seine Mitwirkungspflichten nach § 13 Abs. 3 Satz 2, § 15 Abs. 2 Nr. 3 bis 5 oder § 25 Abs. 1 AsylG gröblich verletzt hat. Der Antragsteller hat die Behörden in diesem Sinn zu täuschen versucht. Dem Bescheid des Bundesamts kann entnommen werden, dass der Antragsteller neben dem zwischenzeitlich bestätigten Namen weitere 14 Alias-Namen verwandt hat, die sich teils auch im Geburtsdatum und im Geburtsort unterscheiden, so dass nicht – zu Gunsten des Antragstellers -angenommen werden kann, dass es sich lediglich um abweichende Schreibweisen infolge der Namenstransliteration handelt. Hierzu erklärte der Antragsteller im Termin zur persönlichen Anhörung durch das Bundesamt, er habe die Falschangaben vorsätzlich gemacht, weil er Angst vor einer Abschiebung gehabt hätte (elektronische Behördenakte S. 126). Im Übrigen räumte der Antragsteller ein, dass er auch in einer Zeit, in der er sich in Deutschland aufhielt, einen Reisepass gehabt hätte, diesen aber – entgegen der gesetzlichen Pflicht des § 15 Abs. 2 Nr. 4 AsylG – zur Aufbewahrung einem Freund übergab. Insofern täuschte er auch durch Zurückhalten von Dokumenten über seine Identität und es liegen die Voraussetzungen vor, um seinen Asylantrag als offensichtlich unbegründet ablehnen zu können.
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bb. Der Antragsteller kann sich schließlich auch nicht mit Erfolg auf das Bestehen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG berufen. Der 23-jährige Antragsteller gab im Rahmen seiner Anhörung nach § 25 AsylG am 16. Januar 2024 an, gesund zu sein und – obwohl er keine abgeschlossene Schulder Berufsausbildung habe – bereits über ausreichende berufliche Erfahrungen zu verfügen, die es ihm in der Vergangenheit ermöglicht hätten, selbst für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Auch hat der Antragsteller mitgeteilt, dass er wieder Kontakt zu seiner Familie in Algerien habe, so dass davon auszugehen ist, dass er von seiner Familie die gegebenenfalls notwendige Unterstützung erfahren wird, wenn er nach Algerien zurückkehrt. Insofern ist davon auszugehen, dass der Antragsteller auch bei einer Rückkehr nach Algerien in der Lage sein wird, sein Existenzminimum zu sichern.
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cc. Der Abschiebungsandrohung stehen auch nicht Aspekte des Kindswohl, der familiären Bindung oder des Gesundheitszustands des Antragstellers entgegen. Wiewohl diese Voraussetzung erst jüngst mit dem Rückkehrverbesserungsgesetz mittels der Bestimmung des § 34 Abs. 1 Nr. 4 AsylG einfachgesetzlich geregelt wurde, sind die Inhalte dieser Bestimmung als Ausfluss des Art. 6 GG und des Art. 8 EMRK schon ausreichend in der Rechtsprechung entwickelt.
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(1) Auch wenn Art. 6 GG unmittelbar keinen Aufenthaltsanspruch gewährt, müssen Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte gemäß der in Art. 6 GG enthaltenen Grundsatznorm bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des Ausländers an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen. Entscheidend für den Schutz des Art. 6 GG ist die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern, ohne dass es in diesem Zusammenhang zwingend darauf ankäme, ob eine Hausgemeinschaft vorliegt. Von einer familiären Gemeinschaft wird in der Regel im Falle eines regelmäßigen Umgangs des ausländischen Elternteils, der dem auch sonst Üblichen entspricht, auszugehen sein. Kann die Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und seinem Kind nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden, etwa weil das Kind deutscher Staatsangehörigkeit und ihm wegen der Beziehungen zu seiner Mutter das Verlassen der Bundesrepublik Deutschland nicht zumutbar ist, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück (BVerfG, B.v. 23.1.2006 – 2 BvR 1935/05 – und B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – jeweils juris; VG Sigmaringen, U.v. 7.2.2024 – A 14 K 3041/21 – juris Rn. 36).
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Bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen, die den Umgang mit einem Kind berühren, ist maßgeblich auch auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Dabei sind die Belange des Elternteils und des Kindes umfassend zu berücksichtigen. Dementsprechend ist im Einzelfall zu würdigen, in welcher Form die Elternverantwortung ausgeübt wird und welche Folgen eine endgültige oder vorübergehende Trennung für die gelebte Eltern-Kind-Beziehung und das Kindeswohl hätte. In diesem Zusammenhang ist davon auszugehen, dass der persönliche Kontakt des Kindes zu seinen Eltern und der damit verbundene Aufbau und die Kontinuität emotionaler Bindungen zu Vater und Mutter in der Regel der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes dienen. Ein hohes, gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechendes Gewicht haben die Folgen einer vorübergehenden Trennung insbesondere, wenn ein noch sehr kleines Kind betroffen ist, das den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung möglicherweise nicht begreifen kann und diese rasch als endgültigen Verlust erfährt (BVerfG, Beschluss vom 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – juris Rn. 13 f.; VG Sigmaringen, U.v. 7.2.2024 – A 14 K 3041/21 – juris Rn. 37).
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(2) Gemessen an diesen Grundsätzen steht das Kindswohl der Anordnung einer Abschiebungsandrohung nicht entgegen.
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(a) Streiterheblich ist nach Vorstehendem, ob und in welchem Umfang der Antragsteller Verantwortung für die Betreuung und Erziehung seines Kindes übernimmt. Nach § 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG gilt, dass Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, unberücksichtigt bleiben, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig.
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(aa) Der Prozessvertreter hat in seinem Schriftsatz nichts zum Umgang und der persönlichen Verbundenheit des Antragstellers zu seinem Kind vorgetragen. Er hat nur in Aussicht gestellt, mit gesondertem Schriftsatz die Klage zu begründen. Eine nähere Begründung des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz ist weder angekündigt noch bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Antrag eingegangen.
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(bb) Jedoch beinhaltet die Behördenakte des Bundesamts an verschiedenen Stellen Ausführungen zum tatsächlichen Umgang zwischen dem Antragsteller und seinem Kind. Diese Ausführungen sind mit der Vorlage der Behördenakte bei Gericht gerichtsbekannt und sind zu berücksichtigen. Der Behördenakte des Bundesamts kann entnommen werden, dass der Antragsteller am 5. Dezember 2022 am Hauptbahnhof … von der Bundespolizei aufgegriffen worden ist. In der sich anschließenden Befragung zum Anlass der Reise beziehungsweise der Beschuldigtenvernehmung gab der Antragsteller gegenüber der Bundespolizei als Grund für seinen Aufenthalt in Deutschland an, dass er in Deutschland Asyl beantragen möchte, weil seine Freundin im 6. Monat schwanger sei (elektronische Behördenakte S. 26). Auf die Frage, welche Gründe gegen eine Rückführung in seinen Heimatstaat sprächen, teilte der Antragsteller mit, dass er ein Problem damit hätte, seinen Sohn nicht aufwachsen zu sehen (elektronische Behördenakte S. 26). Im Rahmen seiner Anhörung durch das Bundesamt, welche am … 2024 stattfand, gab der Antragsteller auf die Frage, wie er sich derzeit um seinen Sohn kümmere, an, dass ihm dies wegen der Wohnsitzpflicht in der ANKER-Einrichtung …, welche ihren Standort in … hat, und dem Wohnsitz des Kindes und der Kindsmutter in … schwerfalle, er aber sein Kind öfter besuche. Auch hoffe er, dass er in die Nähe seines Kindes verlegt werde und in Deutschland arbeiten dürfe.
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(b) Auf der Grundlage dieser wenigen nach § 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG zu berücksichtigenden Angaben kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass der Beitrag des Antragstellers zur Erziehung und Betreuung des gemeinsamen Kindes von untergeordneter Bedeutung ist.
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Das Gericht kommt zu seiner Einschätzung, weil sich der Antragsteller bislang nicht um eine dauerhafte Legalisierung seines Aufenthalts bemüht hat. Dies ergibt sich schon daraus, dass er zwar schon im Dezember 2022 wusste, dass seine Freundin im 6. Monat schwanger war, er aber in Kontakt den Ausländerbehörden erst kam, nachdem er durch die Bundespolizei am … Hauptbahnhof aufgegriffen wurde. Diese Gleichgültigkeit gegenüber einem legalen Aufenthalt spricht nach Auffassung des Gerichts dafür, dass der Kläger zumindest damals im Dezember 20222 nicht daran interessiert war, sich um die Grundlagen für eine dauerhafte Beziehung zur Kindsmutter und dem noch nicht geborenen Kind zu bemühen.
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Im Termin zur persönlichen Anhörung beim Bundesamt am …2024 trug er nicht vor, sich um eine anderweitige Legalisierung des Aufenthalts bemüht zu haben, indem er beispielsweise ein Visumsverfahren eingeleitet hätte.
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Auch teilt er im Termin zur persönlichen Anhörung durch das Bundesamt mit, dass er sein Kind und die Kindsmutter öfter in … besuche, ihm der regelmäßige Kontakt aber wegen der Residenzpflicht im Gebiet der Stadt …, die sich aus seinem aufenthaltsrechtlichen Status ergebe, schwerfalle. Sollten aber der Antragsteller und die Kindsmutter einen ernstzunehmenden Erziehungsbeitrag des Antragstellers wünschen, so wäre es auch ein leichtes, dass der Antragsteller und die Kindsmutter regelmäßige Begegnungen in … durchführen. Zum einen ist es dem Antragsteller leicht möglich, dass er die ANKER-Einrichtung … verlässt, um sich im Gebiet der Stadt … frei zu bewegen und die Kindesmutter und das gemeinsame Kind dort zu treffen, und zum anderen ist es für die Kindsmutter auch leicht möglich, den Antragsteller in der ANKER-Einrichtung … täglich in der Zeit von 08:00 Uhr bis 20:00 Uhr zu besuchen. Die räumliche Entfernung zwischen … und … beträgt nur etwa 55 Kilometer und es ist ein regelmäßiger Öffentlicher Personennahverkehr zwischen diesen Städten vorhanden.
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Angesichts des Umstands, dass Antragsteller noch Bewohner der ANKER-Einrichtung … ist, ist davon auszugehen, dass er nur Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) bezieht und dabei wegen seines Aufenthalts in der ANKER-Einrichtung … und des dort herrschenden Vorrangs der Sachleistung monatlich nur die Geldbeträge des sogenannten notwendigen persönlichen Bedarfs (§ 3 Abs. 1 Satz 2 AsylbLG) erhält und somit nichts oder nur sehr wenig zum Barunterhalt des Kindes beiträgt.
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Das Gericht verkennt nicht, dass der am … 2023 geborene Sohn des Antragstellers noch sehr jung ist und dass die Eltern-Kind-Beziehung in seinem Alter wesentlich durch persönlichen Kontakt geprägt ist und nur in untergeordneter Weise durch Nutzung von Fernkommunikationsmitteln aufrechterhalten werden kann. Zeiten einer vorübergehenden Abwesenheit des Vaters sind für den Sohn des Antragstellers nach obigen Ausführen allerdings gerade nicht unbekannt, denn der Antragsteller besucht das Kind nur „öfter“, was dafürspricht, dass der Antragsteller keine feste Bezugsperson im Leben des einjährigen Kindes ist.
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(3) Es ist weder vorgetragen noch erkennbar, dass der Abschiebungsandrohung Aspekte der familiären Bindung, die über das oben Ausgeführte hinausgehen, entgegenstehen.
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(4) Es ist weder vorgetragen noch erkennbar, dass der Abschiebungsandrohung gesundheitliche Umstände des Antragstellers entgegenstehen.
43
dd. Der Abschiebungsandrohung steht auch nicht entgegen, dass der Antragsteller einen Aufenthaltstitel für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland hat. Es ist weder vorgetragen noch erkennbar, dass der Antragsteller einen solchen hat.
44
ee. Es sind – im Rahmen des durch § 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG vorgegebenen Prüfungsumfangs – keine weiteren Aspekte erkennbar, die im Sinne des § 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG ernstliche Zweifel an der Rechtsmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts begründen könnten, weshalb eine Aussetzung der Abschiebung nicht angezeigt war.
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2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der Antragsteller als unterliegender Teil die Kosten des Verfahrens trägt. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).