Inhalt

VG Bayreuth, Urteil v. 17.01.2024 – B 6 K 22.967
Titel:

Feststellung des Verlustes des Freizügigkeitsrechts als Unionsbürger

Normenketten:
FreizügG/EU § 2 Abs. 2 Nr. 2, Nr. 5, Nr. 6, § 5 Abs. 4
VwGO § 86 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Zum Nachweis einer freizügigkeitsrechtlich relevanten Beteiligung an einer GbR müssen für das Gericht nachvollziehbare und nachprüfbare Umstände vorgebracht werden, die die konkrete Rolle und Tätigkeit im Rahmen des angemeldeten Gewerbes aufzeigen und den Schluss auf eine objektivierbar nach außen hin zum Ausdruck gebrachte wirtschaftlich relevanten Tätigkeit zulassen. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Ansehen als Familienangehöriger eines in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 genannten Unionsbürgers (§ 3 S. 1 FreizügG/EU) steht die bestandskräftige Verlustfeststellung entgegen, auch wenn die durch die Verlustfeststellung nach § 5 Abs. 4 S. 1 FreizügG/EU bewirkte Beseitigung der Freizügigkeitsvermutung das neuerliche Entstehen eines Aufenthaltsrechts und in der Folge den Wegfall der Ausreisepflicht nicht ausschließt, mithin erneut einen Freizügigkeitstatbestand auf neuer Tatsachengrundlage geltend gemacht werden kann. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Freizügigkeitsrecht, gewerbliche niedergelassene selbständige Tätigkeit, Gründung einer Gesellschaft, keine Ableitung des Freizügigkeitsrechts von einem Familienangehörigen, der behautet, ein neues Arbeitsverhältnis eingegangen zu sein, wenn für diesen eine bestandskräftige, Verlustfeststellung vorliegt, Familienangehörige, selbstständige Erwerbstätigkeit, Geschäftsführer, Gesellschafter, GbR, Krankenversicherungsschutz, prozessuale Mitwirkungspflicht
Fundstelle:
BeckRS 2024, 13944

Tenor

1.Die Klage wird abgewiesen.
2.Die Klägerinnen tragen die Kosten des Verfahrens.
3.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Klägerinnen wenden sich gegen die behördliche Feststellung des Verlustes ihres Freizügigkeitsrechts als Unionsbürgerinnen.
2
Die Klägerin zu 1, geboren am … in …, Syrien, ist schwedische Staatsangehörige. Die Klägerin zu 2, geboren am … in …, ist die Tochter der Klägerin zu 1 und ebenfalls schwedische Staatsangehörige.
3
Die Klägerin zu 1, die sich zuletzt in Schweden aufgehalten hat, meldete zum 18. Januar 2022 ihren Wohnsitz in … (Landkreis …*), …, an. Unter dieser Anschrift waren bereits und sind weiterhin die zwei weiteren gemeinsamen Kinder zusammen mit dem Kindsvater, mit dem die Klägerin zu 1 nach ihren Angaben nach syrischen Recht verheiratet ist, wohnhaft gemeldet.
4
Hinsichtlich des Kindsvaters und der bereits zuvor im Bundesgebiet aufhältigen zwei weiteren gemeinsamen Kinder, die ebenfalls alle schwedische Staatsangehörige sind, hatte das Landratsamt … mit Bescheid vom 20. Januar 2021 den Verlust des Freizügigkeitsrechts festgestellt. Die gegen diesen Bescheid erhobene Klage des Kindsvaters hat das Verwaltungsgericht Bayreuth mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 2. Februar 2022 (B 6 K 21.188) abgewiesen.
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In der Aufenthaltsanzeige gegenüber der Stadt … gab die Klägerin zu 1 am 19. Januar 2022 als Zweck ihres Aufenthalts im Bundesgebiet „Familienangehörige – Ehegatte“ an.
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Nachdem das Landratsamt … hiervon am 3. März 2022 Kenntnis erlangt hatte, forderte es die Klägerin zu 1 mit Schreiben vom 22. April 2022 unter Bezugnahme auf § 5a Abs. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) und unter Angabe der möglichen Aufenthaltszwecke nach dem FreizügG/EU auf, nähere Angaben zu ihrem Aufenthaltszweck zu machen und hierfür geeignete Nachweise vorzulegen. Zugleich forderte das Landratsamt sie auf, eine Urkunde über die Eheschließung mit dem Vater der drei gemeinsamen Kinder nebst deutscher Übersetzung vorzulegen.
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Die Klägerin zu 1 legte daraufhin eine elektronische Kopie einer syrischen Personenstandsurkunde sowie ein Schreiben der Krankenkasse DAK-Gesundheit vom 22. Februar 2022 vor, dass sie im Rahmen der Familienversicherung, abgeleitet vom Vater der gemeinsamen Kinder, krankenversichert sei.
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Mit Schreiben vom 4. Mai 2022 forderte das Landratsamt … die Klägerin zu 1 auf, die Urkunde über die Eheschließung mit dem Kindsvater im Original und in deutscher Übersetzung vorzulegen.
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Mit Schreiben vom 1. Juni 2022 wies das Landratsamt … die Klägerin zu 1 darauf hin, dass ungeachtet der weiterhin nicht im Original vorliegenden Eheurkunde eine Ableitung eines Freizügigkeitsrechts von dem Vater der gemeinsamen Kinder nicht in Betracht komme, weil die Feststellung, dass dieser sein Freizügigkeitsrecht verloren hat, inzwischen bestandskräftig sei. Die Klägerin zu 1 könne daher nur aus eigenem Recht freizügigkeitsberechtigt sein. Zur Arbeitsplatzsuche dürfe sie sich im Bundesgebiet nur für sechs Monate, mithin bis 18. Juli 2022 aufhalten. Danach müsse sie mit einer Feststellung des Verlustes des Freizügigkeitsrechts rechnen.
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Mit E-Mail-Schreiben vom 10. Juni 2022 zeigte der Klägerbevollmächtigte gegenüber dem Landratsamt … die Vertretung der Klägerin zu 1 an und beantragte die Ausstellung einer „Freizügigkeitsbescheinigung“. Ein diesbezüglicher Anspruch ergebe sich daraus, dass die Klägerin zu 1 zusammen mit Herrn … – hierbei handelt es sich um den Bruder des Kindsvaters und den Onkel der drei gemeinsamen Kinder – eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) gegründet habe. Eine entsprechende Gewerbeanmeldung liege vor. Der Gesellschaftsvertrag, der bisher nur handschriftlich abgefasst sei, werde zeitnah übersandt. Ein Nachweis über die Liquidität der GbR sei als Anlage beigefügt. Da der Kindsvater sein Freizügigkeitsrecht ebenfalls von der Klägerin zu 1 ableite, werde auch für ihn die Ausstellung einer „Freizügigkeitsbescheinigung“ beantragt.
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Beigefügt war dem vorgenannten Schreiben eine Umsatzanzeige eines auf den Namen der Klägerin zu 1 und des Herrn … geführten Bankkontos bei der …-Bank …, welche für den 1. Juni 2022 ein Kontoguthaben von etwas unter 66.000 € ausweist. Weiter beigefügt waren dem Schreiben eine an den Markt … (Landkreis …*) gerichtete nicht unterschriebene, formularmäßige Gewerbeanmeldung vom 29. April 2022 im Namen der Klägerin zu 1 für einen Lastkraftwagen- und Autohandel. Als Betriebsinhaber werden dort die „… GbR“ benannt sowie als Beginn der angemeldeten Tätigkeit der 1. März 2022 und als Betriebsstätte die … in … angegeben. Weiter vorgelegt wurde ein einseitiger handgeschriebener, auf den 1. März 2022 datierender „GbR-Vertrag“ zwischen Herrn … und der Klägerin zu 1 über einen „Auto- und LKW Handel mit Vermittlung“, in dem Folgendes bestimmt wird:
„Herr … bringt sich zu 25 Prozent mit ein. Frau … bringt sich zu 75 Prozent mit ein.
Betriebsstätte: … …
Geschäftsführer: …
Bei Auflösung wird wieder Gewinn aufgeteilt. 25 Prozent Herr … 75 Prozent Frau …“
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Schließlich waren dem Schreiben vom 10. Juni 2022 Ablichtungen syrischer Eheschließungsdokumente nebst Übersetzung beigefügt.
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Mit einer „eiligen Beschwerde“ an den Bayerischen Landtag vom 7. Juni 2022 beschwerte sich die Klägerin zu 1 im Wesentlichen gegen das Vorgehen des Landratsamts … und erklärte, dass das Schreiben vom 1. Juni 2022 für sie hinfällig sei.
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Auf Anfrage des Landratsamts hin übermittelte die Polizeiinspektion … dem Landratsamt … mit Schreiben vom 21. Juni 2022 vom Anwesen …, …, gefertigte Lichtbilder und führte dazu aus, dass die Überprüfung des Anwesens vor Ort Folgendes ergeben habe: Bei dem Anwesen handele es sich um ein sehr altes Wohnhaus mit kleinem Hof und kleiner Grundstücksfläche. Auf dem Grundstück befinde sich ein überdachter Stellplatz, auf dem maximal ein Pkw Platz habe. Der Zustand des Anwesens könne nur als verwahrlost bezeichnet werden. Anzeichen für eine seriöse Geschäftstätigkeit wie Werbetafeln seien nicht sichtbar. Am Haus selbst befinde sich keine Möglichkeit, sich mit den beiden aktuell gemeldeten Bewohnerinnen, Frau … und Frau …, in Verbindung zu setzen (Türklingel o. ä.). Im Haus habe Licht gebrannt, den beiden anwesenden Polizeibeamten sei auf mehrmaliges Klopfen gegen die Haustür jedoch nicht geöffnet worden. Zusammenfassend sei festzustellen, dass am überprüften Anwesen mit hoher Wahrscheinlichkeit keinerlei Handel mit Kfz und schon gar nicht mit Lkw stattfinde.
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Mit Schreiben vom 22. August 2022 hörte das Landratsamt … die Klägerin zu 1 zur beabsichtigten Verlustfeststellung des Freizügigkeitsrechts unter Hinweis auf die Feststellungen der Polizeiinspektion … an. Für die Ausübung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU reiche eine Gewerbeanmeldung allein nicht aus. Das Gewerbe müsse auch tatsächlich ausgeübt werden.
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Dazu erfolgte keine Äußerung der Klägerinnen.
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Mit Bescheid vom 15. September 2022 stellte das Landratsamt … fest, dass die Klägerinnen ihr Recht auf Freizügigkeit verloren haben (Ziffer 1 und 2). Sie wurden aufgefordert, innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheids, im Falle der Klageerhebung innerhalb eines Monats nach rechtskräftigem Ende des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens aus der Bundesrepublik Deutschland auszureisen (Ziffer 3). Widrigenfalls wurde ihnen die Abschiebung nach Schweden angedroht (Ziffer 4).
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin zu 1 sei nicht als selbständig Erwerbstätige gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt. Hierfür reiche eine bloße Gewerbeanmeldung nicht. Vielmehr müsse das Gewerbe auch tatsächlich ausgeübt werden. Nach den dürftigen Angaben im Gesellschaftsvertrag solle sich die Klägerin zu 1 zwar zu 75 Prozent in den Kfz-Handel einbringen. Sie könne insofern jedoch nur als stille Teilhaberin der Gesellschaft betrachtet werden. Wenn der andere Gesellschafter, Herr …, Kfz verkaufe oder vermittle, sei nur dieser selbstständig erwerbstätig, nicht aber die Klägerin zu 1. Es könne davon ausgegangen werden, dass die Klägerin zu 1 über keinerlei Erfahrung im Kfz-Handelsgewerbe verfüge und auch über keinerlei entsprechende Büro- und Kommunikationsausstattung. Da das Gewerbe seit 1. März 2022 angemeldet sei, müssten seitdem entsprechende Verkaufsvorgänge zu verzeichnen sein, weshalb es der Klägerin zu 1 leicht möglich hätte sein müssen, entsprechende Nachweise vorzulegen. Außer der Gewerbeanmeldung und dem übersandten, eine Seite umfassenden „GbR-Vertrag“ habe sie aber keinerlei Nachweis über eine selbstständige Erwerbstätigkeit vorgelegt. Die Klägerin zu 1 sei nicht nach § 2 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt. Ebenso wenig könne sie sich auf § 2 Abs. 2 Nr. 5 FreizügG/EU berufen, weil sie keinen Nachweis über ausreichende Existenzmittel und über ausreichenden Krankenversicherungsschutz gemäß § 4 FreizügG/EU erbracht habe. Der vorgelegte Kontoauszug der …-Bank … sei kein geeigneter Nachweis, weil die Klägerin nicht alleinige Kontoinhaberin zu sein scheine. Zudem könne das dort ausgewiesene Guthaben nur kurzfristig auf dem Konto eingegangen sein. Die vorgelegte Bescheinigung der DAK könne als Nachweis ausreichenden Krankenversicherungsschutzes nicht akzeptiert werden. Die DAK sei dort offenbar noch von der Arbeitnehmereigenschaft des Vaters der gemeinsamen Kinder ausgegangen, was nach der diesen betreffenden bestandskräftigen Verlustfeststellung nicht mehr zutreffe. Zum Zwecke der Arbeitsplatzsuche sei die Klägerin zu 1 nicht freizügigkeitsberechtigt, weil der dafür gewährte Zeitraum verstrichen sei und sie im Übrigen auch keine Nachweise über eine tatsächliche Arbeitsplatzsuche vorgelegt habe. Die Klägerin zu 2 sei mangels Freizügigkeitsberechtigung ihrer Eltern nicht gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 6 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt. Die Verlustfeststellung erfolge nach pflichtgemäßem Ermessen und sei verhältnismäßig. Die Klägerin zu 1 halte sich erst seit dem Jahr 2022 in Deutschland auf. Die Familie habe bereits früher in Schweden gelebt und werde sich daher schnell wieder in die dortigen Lebensverhältnisse einfügen können. Das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts, welcher aufgrund der Erwerbslosigkeit der Klägerin zu 1 möglicherweise zu einer künftigen Inanspruchnahme von öffentlichen Leistungen führe, überwiege daher das private Interesse der Klägerinnen am Verbleib im Bundesgebiet.
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Hiergegen erhoben die Klägerinnen am 12. Oktober 2022 Klage zum Verwaltungsgericht Bayreuth mit dem Antrag,
den Bescheid des Landratsamts … vom 15. September 2022, AZ: …, aufzuheben.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgebracht: Es sei im Hinblick auf die vorgelegten Dokumente nicht nachvollziehbar, weshalb das Landratsamt von einem fehlenden Nachweis der Eheschließung zwischen der Klägerin zu 1 und dem Kindsvater ausgehe. Weiter sei nicht nachvollziehbar, weshalb die Polizeiinspektion … keinerlei Anzeichen für einen Kfz-Handel am Anwesen …, …, festgestellt haben wolle. Es handele sich hierbei um den Geschäftssitz der GbR. Von diesem aus würden die entsprechenden Anund Verkäufe getätigt, ohne dass es dort zwingend zu einem Warenaustausch komme, da die gehandelten Kfz nach einem Ankauf direkt vom Ankaufsort weiterverkauft würden und deshalb eine Verbringung zum Geschäftssitz nicht notwendig sei. Das Ermittlungsergebnis der Polizei am Sitz des Gewerbes sei insofern nicht von Belang, da das Anwesen lediglich von außen in Augenschein genommen worden sei. Die Klägerin zu 1 übe ihre Tätigkeit dahingehend aus, dass die entsprechend vorhandenen Kontakte zu Händlern im arabischen Raum genutzt würden, durch die Klägerin zu 1 entsprechende Telefonate „aus den Räumlichkeiten am Sitz der GbR getätigt“ würden, Verhandlungen geführt und bestehende Kontakte genutzt und neue Kontakte geknüpft würden. Nachdem die Klägerin zu 1 aufgrund ihrer gewerblichen Tätigkeit nicht auf Sozialleistungen angewiesen sei, darüber hinaus im Besitz einer Krankenversicherung sei und eine soziale Absicherung gegeben sei, stehe ihr ein Freizügigkeitsrecht zu.
21
Beigefügt war der Klageschrift ein maschinenschriftlich abgefasster Gesellschaftsvertrag zwischen Herrn … und der Klägerin zu 1, datiert auf den 1. März 2022, in dem in 11 Paragraphen unter anderem geregelt wird:
„§ 1 (…)
Zum gemeinsamen Betrieb eines Handels und Vermittlung von Autos und LKWs wird von den Unterzeichnern eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts unter der Bezeichnung … GbR. (…) Sitz der Gesellschaft ist …, … (…)
§ 4 Einbringen der Gesellschafter Frau … bringt sich zu 75 Prozent ein.
Herr … bringt sich zu 25 Prozent ein.
§ 5 Geschäftsführung und Vertretung Geschäfte werden von beiden Gesellschaftern gemeinschaftlich geführt. Jeder Gesellschafter ist zur Geschäftsführung alleine berechtigt (…).
(…)
§ 7 Gewinn- und Verlustrechnung/Entnahmerecht Gewinn und Verlust der Gesellschaft werden nach Maßgabe der Beteiligung der Gesellschafter aufgeteilt.“
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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
23
Zur Begründung wird unter Verweis auf die Gründe des angefochtenen Bescheids ausgeführt, dass der Abschluss eines Gesellschaftsvertrags mit einem anderen Gesellschafter, welcher möglicherweise das Gewerbe ausübe, der Klägerin zu 1 noch nicht die Eigenschaft einer als selbstständig Erwerbstätige freizügigkeitsberechtigten Person verleihe. Als Ehegattin eines Unionsbürgers sei die Klägerin zu 1 nicht freizügigkeitsberechtigt, da zum einen keine zuverlässigen Urkunden über die Eheschließung vorlägen und zum anderen die Bezugsperson selbst kein Freizügigkeitsrecht mehr besitze.
24
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten einschließlich der beigezogenen Gerichtsakte des Verfahrens B 6 K 21.188 sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

25
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg, weil der Bescheid des Landratsamts … vom 15. September 2022 rechtmäßig ist und die Klägerinnen nicht in ihren Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
26
Das Landratsamt hat die Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts der Klägerinnen in rechtmäßiger Weise auf § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU gestützt. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz (BVerwG, U.v. 16.7.2015 – 1 C 22/14 – NVwZ-RR 2015, 910 Rn. 11). Die Klägerin zu 1 ist nicht aufgrund einer selbstständigen Erwerbstätigkeit i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt (1.). Die Klägerinnen sind auch nicht als nicht erwerbstätige Unionsbürgerinnen gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 5 FreizügG/EU (2.) oder als Familienangehörige eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 6 FreizügG/EU (3.) freizügigkeitsberechtigt. Behördliche Ermessensfehler hinsichtlich der Verlustfeststellung sind nicht ersichtlich (4.).
27
1. Die Kammer konnte sich nicht davon überzeugen, dass die Klägerin zu 1 tatsächlich einer selbstständigen gewerblichen Tätigkeit i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU nachgeht.
28
Eine selbstständige Erwerbstätigkeit in diesem Sinne setzt eine wirtschaftliche Tätigkeit auf unbestimmte Zeit mittels einer festen Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat voraus, die tatsächlich ausgeübt wird (EuGH, U.v. 25.7.1991 – C-211/89 – BeckRS 2004, 75196 Rn. 20). Erforderlich ist die Ausübung einer objektivierbar nach außen hin zum Ausdruck gebrachten wirtschaftlich relevanten Tätigkeit (BayVGH, B.v. 21.5.2015 – 10 C 15.797 – BeckRS 2015, 47039 Rn. 17). Nicht ausreichend sind daher bloß formelle Akte, wie etwa eine Gewerbeanmeldung (BSG, U.v. 19.10.2010 – B 14 AS 23/10 R – NJOZ 2011, 1104 Rn. 19; BayVGH, B.v. 29.6.2015 – 10 ZB 15.930 – BeckRS 2015, 48463 Rn. 6; OVG Bremen, B.v. 21.6.2010 – 1 B 137/10 – BeckRS 2010, 54964) oder die bloße Gründung einer Gesellschaft (BayVGH, B.v. 21.5.2015 – 10 C 15.797 – BeckRS 2015, 47039 Rn. 17). Unerheblich ist, ob die Tätigkeit einen bestimmten Gewinn abwirft und ob sie zur Erwirtschaftung des Lebensunterhalts ausreicht (BSG, a.a.O.; OVG Bremen, a.a.O.). Außer Betracht bleiben jedoch – entsprechend der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Arbeitnehmerfreizügigkeit – völlig untergeordnete und unwesentliche Tätigkeiten (OVG Bremen, a.a.O.; OVG NW, B.v. 3.11.1995 – 18 B 815/94 – NVwZ-RR 1996, 708; VG Hannover, B.v. 12.1.2022 – 5 B 1754/21 – BeckRS 2022, 654 Rn. 31).
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Hiervon ausgehend konnte sich die Kammer nicht davon überzeugen, dass die Klägerin zu 1 an dem von dem Zeugen … betriebenen Kfz-Handelsgewerbe in freizügigkeitsrechtlich relevanter Weise beteiligt ist. Die Klägerin zu 1 hat weder Unterlagen vorgelegt, die ihre tatsächliche Beteiligung an dem Gewerbe der gegründeten GbR belegen noch konnte sie in der mündlichen Verhandlung plausibel darstellen, welche Rolle ihr in diesem Geschäftsbetrieb zukommen soll. Die spärlichen Unterlagen, die auf die wiederholte, explizite gerichtliche Aufforderung hin vorgelegt wurden, mögen belegen, dass der Zeuge … mit Lkw handelt, sagen jedoch nichts über die hier relevante Beteiligung der Klägerin zu 1 an diesem Gewerbe aus. Die Klägerin zu 1 konnte bei ihrer eingehenden Befragung in der mündlichen Verhandlung keinerlei Einzelheiten zum Geschäftsbetrieb der GbR und – was noch gewichtiger ist – zu ihrer eigenen Tätigkeit für die Gesellschaft nennen. Das ist nicht nachvollziehbar, da sie nach dem mit der Klageschrift vorgelegten Gesellschaftsvertrag einer der beiden Geschäftsführer der Gesellschaft und zudem Mehrheitsgesellschafterin sein soll. Sie hat letztlich hinsichtlich aller wesentlichen Aspekte des Geschäftsbetriebs auf den Zeugen … und die „vorgelegten Unterlagen“, die, wie oben ausgeführt, hinsichtlich der Frage ihrer Beteiligung am tatsächlichen Geschäftsbetrieb nicht aussagekräftig sind, verwiesen. Was ihre konkrete Tätigkeit für die GbR angeht, hat die Klägerin zu 1 nur angegeben, dass diese einen Umfang von etwa drei Stunden täglich habe (nachfolgend im Übrigen relativiert, vgl. Seite 7 des Protokolls über die mündliche Verhandlung). Was sie in dieser Arbeitszeit tatsächlich tue, konnte sie auf gerichtliche Nachfrage nicht nachvollziehbar schildern. Sie gab nur an, dass sie Telefonate mit ihrem in Dubai ansässigen Bruder, offenbar zur Kundenakquise, führe. Diese Telefonate führe sie nach ihrem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung – insoweit im Widerspruch zum schriftsätzlichen Vorbringen ihres Bevollmächtigten (Schriftsatz vom 31.1.2023, Bl. 34 d.A.) – von zuhause aus und nicht vom Geschäftssitz der GbR (der Vorhalt der in der Behördenakte enthaltenen Lichtbilder des als Sitz der GbR benannten Anwesens ergab, dass dieses der Klägerin zu 1 völlig unbekannt ist). Die weitere Befragung der Klägerin zu 1 ergab, dass sie diese Telefonate offenbar im Wesentlichen nur dem Zeugen … weiterleite, da dieser „zuständig für das Geschäft“ sei. Irgendwelche Einzelheiten zu Inhalt und Zweck dieser Telefonate mit ihrem Bruder, welche die behauptete gewerbliche Tätigkeit für die Kammer zumindest im Ansatz nachvollziehbar machen könnten, konnte oder wollte die Klägerin zu 1, deren persönliches Erscheinen das Gericht im Interesse der Sachverhaltsaufklärung gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 VwGO angeordnet hatte, auf gerichtliche Nachfrage hin nicht nennen. Ebenso wenig wollte die Klägerin zu 1 Angaben dazu machen, welche Gewinnauszahlungen sie selbst von der Gesellschaft aufgrund des vorgeblich bereits seit März 2022 betriebenen Handelsgewerbes erhalten habe. Was den Gewinn der Gesellschaft angeht, hat sie für das Jahr 2023 im Übrigen einen ganz anderen Betrag genannt als der Steuerberater der Gesellschaft in dem vorgelegten Schreiben vom 15. Januar 2024 (Bl. 68 d.A.).
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Auch die Angaben des Zeugen rechtfertigen nicht die Annahme, dass die Klägerin zu 1 eine niedergelassene selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt. Der Zeuge hat zwar angegeben, dass die Klägerin zu 1 wichtig für ihn sei, weil sie ihm „Kunden bringe“. Mehr, als dass die Klägerin zu 1 dafür mit ihrem Bruder in Dubai telefoniere, hat jedoch auch der Zeuge nicht über ihre Tätigkeit für die Gesellschaft berichtet. Hinsichtlich der konkreten Art und Weise dieser Tätigkeit hat der Zeuge wiederum auf die Klägerin zu 1 verwiesen. Er gab in diesem Zusammenhang an, dass es ihn nicht interessiere, wie die Klägerin zu 1, die nach seinen Angaben „keine Ahnung“ vom Kfz-Handel habe, bei der Kundenvermittlung vorgehe. Aus den Schilderungen des Zeugen geht hervor, dass der Bruder der Klägerin zu 1 wesentlich in geschäftliche Vorgänge involviert sein mag, nicht aber, dass dies auch für die Klägerin zu 1 selbst gilt, zumal der Zeuge nach seinen Angaben jedenfalls auch direkt mit ihrem Bruder in Kontakt tritt. Damit stellt es sich so dar, dass hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung der behaupteten Tätigkeit der Klägerin zu 1 diese auf die Angaben des Zeugen … und dieser wiederum auf die Klägerin zu 1 verweist.
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Für das Gericht nachvollziehbare und nachprüfbare Umstände, die die konkrete Rolle und Tätigkeit der Klägerin zu 1 im Rahmen des angemeldeten Gewerbes aufzeigen und den Schluss auf eine objektivierbar nach außen hin zum Ausdruck gebrachte wirtschaftlich relevanten Tätigkeit (BayVGH, B.v. 21.5.2015 – 10 C 15.797 – BeckRS 2015, 47039 Rn. 17) zulassen, wurden damit nicht dargetan. Solche Umstände hätten etwa darin gesehen werden können, dass die Klägerin zu 1 und der Zeuge Auskunft über konkrete geschäftliche Vorgänge, an denen die Klägerin zu 1 beteiligt war, unter Bezeichnung von konkreten Kunden oder vermittelten Fahrzeugen gegeben hätten. Die Klägerin zu 1 wollte nach dem Vortrag ihres Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung jedoch keine Fragen zu „Beträgen und Kunden“ beantworten. Sind solche Einzelheiten aber nach Ansicht der Klägerseite und des Zeugen „geheim“, und beschränken sich die Angaben der Klägerin zu 1 und des Zeugen auf allgemeine, vage und damit letztlich nicht nachprüfbare Ausführungen zur Rolle der Klägerin zu 1, besteht keine tatsächliche Grundlage, auf welcher das Gericht davon ausgehen kann, dass die Klägerin zu 1 eine selbstständige gewerbliche Tätigkeit wirklich ausübt. Es obliegt zuvörderst der Klägerin zu 1, im Rahmen ihrer prozessualen Mitwirkungspflicht (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO) die behauptete selbstständige Tätigkeit nachvollziehbar darzulegen. Das hat die Klägerseite – ohne nachvollziehbaren Grund – nicht getan, obwohl ihr hierzu hinreichend Gelegenheit gegeben wurde. Dafür bestand für die Klägerseite jedoch gerade im Kontext des vorliegenden Verfahrens besonderer Anlass, weil die selbstständige gewerbliche Tätigkeit der Klägerin zu 1, die zu Beginn ihres Aufenthalts noch familiäre Gründe als Aufenthaltszweck angegeben hatte, erstmals nach Bestandskraft der Verlustfeststellung hinsichtlich ihres Ehemanns geltend gemacht wurde (auch die Gewerbeanmeldung am 29. April 2022 erfolgte im Übrigen erst, nachdem die Klägerin zu 1 mit Schreiben des Landratsamts vom 22. April 2022 zur Äußerung zu ihrem Aufenthaltszweck aufgefordert worden war). Für eine selbstständige gewerbliche Tätigkeit, die sich, wie die hier vorgebrachte, allein im familiären Umfeld abspielen soll, gilt dies umso mehr.
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Letztlich spricht nach Überzeugung des Gerichts alles dafür, dass sich die Tätigkeit der Klägerin zu 1 allenfalls auf eine bloße Weiterleitung von Telefonanfragen ihres Bruders an den Zeugen … beschränkt, ohne dass sie selbst in nennenswertem Umfang in den Geschäftsbetrieb involviert ist. Bei solchen Gefälligkeiten innerhalb familiärer Beziehungen handelt es sich, wenn überhaupt, allenfalls um eine ganz untergeordnete und unwesentliche Tätigkeit, die nicht als selbstständige gewerbliche Tätigkeit i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU einzustufen ist.
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Klarstellend ist hier noch auszuführen, dass das Gericht unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen auch keine Anhaltspunkte dafür sieht, dass die Klägerin zu 1 als Arbeitnehmerin im Betrieb des Zeugen … beschäftigt sein und damit dem – von Klägerseite nicht geltend gemachten – Freizügigkeitstatbestand des § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU unterfallen könnte.
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2. Die Klägerinnen sind nicht als nicht erwerbstätige Unionsbürgerinnen gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 5 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt, da sie nicht nachgewiesen haben, dass sie über ausreichende Existenzmittel und ausreichenden Krankenversicherungsschutz i.S.v. § 4 Satz 1 FreizügG/EU verfügen. Wie sich aus § 5a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 FreizügG/EU ergibt, darf die zuständige Behörde hierfür einen Nachweis von dem Unionsbürger verlangen. Vorliegend fehlt es schon am Nachweis ausreichenden Krankenversicherungsschutzes zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der mündlichen Verhandlung. Einen solchen haben die Klägerinnen nämlich nicht vorgelegt, obwohl sie hierzu explizit mit gerichtlichem Schreiben vom 2. November 2023 aufgefordert und mit gerichtlichem Schreiben vom 7. Dezember 2023 hieran unter Fristsetzung erinnert wurden. Die bloße Behauptung der Klägerin zu 1, sie sei zusammen mit ihrem Ehemann bei der AOK versichert – die im Verwaltungsverfahren vorgebrachte Versicherung bei der DAK ist damit offensichtlich überholt –, ersetzt den von den Klägerinnen im Rahmen ihrer prozessualen Mitwirkungspflicht zu erbringenden und bei vorhandenem Versicherungsschutz unschwer möglichen Nachweis nicht. Die Klägerinnen haben darüber hinaus, obwohl sie auch hierzu vom Gericht ausdrücklich mit Schreiben vom 2. November 2023 aufgefordert wurden, keinen Nachweis erbracht, dass sie über ausreichende Existenzmittel verfügen. Die erst in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Gehaltsabrechnungen des Ehemanns bzw. Vaters der Klägerinnen, für den eine bestandskräftige Verlustfeststellung seines Freizügigkeitsrechts vorliegt, stellen keinen solchen Nachweis dar. Unabhängig davon, ob die dort ausgewiesenen Bezüge im Hinblick darauf, dass die Klägerinnen Teil einer fünfköpfigen Familie sind, als „ausreichend“ i.S.v. § 4 Satz 1 FreizügG/EU anzusehen sind, betreffen die vorgelegten Dokumente allein die Monate April bis Juni 2023 und lassen daher keine belastbare Aussage über die finanzielle Situation der Klägerinnen zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der mündlichen Verhandlung zu. Zu Recht hat das Landratsamt auch den im Verwaltungsverfahren vorgelegten Kontoauszug eines auf den Namen der Klägerin zu 1 und des Zeugen … geführten Geschäftskontos bei der …-Bank … nicht als Nachweis ausreichender Existenzmittel anerkannt. Dieser Kontoauszug stellt eine bloße, zum jetzigen Zeitpunkt im Übrigen veraltete Momentaufnahme dar. Es ist zudem nicht dargelegt, dass die Klägerin zu 1, die nicht alleinige Kontoinhaberin ist, über das dort ausgewiesene Guthaben zur Deckung privaten Bedarfs verfügen kann.
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3. Die Klägerinnen sind schließlich auch nicht als Familienangehörige eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 6 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt. Aus einem etwaigen – erstmals in der mündlichen Verhandlung erwähnten und auch dem Beklagten zuvor gänzlich unbekannten – Arbeitsverhältnis des Ehemanns bzw. Kindsvaters können die Klägerinnen zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der mündlichen Verhandlung kein Freizügigkeitsrecht ableiten, weil für diesen eine bestandskräftige Verlustfeststellung seines Freizügigkeitsrechts vorliegt. Die Verlustfeststellung nach § 5 Abs. 4 Satz 1 AufenthG, ein Verwaltungsakt i.S.d. Art. 35 Satz 1 BayVwVfG, wurde hinsichtlich des Ehemanns – und ebenso hinsichtlich der weiteren Kinder der Familie – mit der Bekanntgabe wirksam (Art. 43 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG). Gemäß Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG bleibt ein Verwaltungsakt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Die Verlustfeststellung bezüglich des Ehemanns und der weiteren Kinder ist darüber hinaus auch bestandskräftig geworden. Infolge der dem verlustfeststellenden Verwaltungsakt zukommenden Tatbestandswirkung ist die dort getroffene Regelung grundsätzlich von Behörden und Gerichten in ihren Entscheidungen als maßgeblich zugrunde zu legen (vgl. allgemein Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 22. Aufl. 2021, § 43 Rn. 18). Dies führt im vorliegenden Verfahren dazu, dass die Klägerinnen nicht als Familienangehörige eines „in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5“ genannten Unionsbürger[s]“ (§ 3 Satz 1 FreizügG/EU) angesehen werden können. Es wird nicht verkannt, dass die durch die Verlustfeststellung nach § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU bewirkte Beseitigung der Freizügigkeitsvermutung das neuerliche Entstehen eines Aufenthaltsrechts und in der Folge den Wegfall der Ausreisepflicht nicht ausschließt (BVerwG, U.v. 11.9.2019 – 1 C 48/18 – NVwZ-RR 2020, 368 Rn. 13; Dienelt in Bergmann/Dienelt, AuslR, 14. Aufl. 2022, § 7 FreizügG/EU Rn. 28 ff.), der Ehemann bzw. Vater der Klägerinnen also von Rechts wegen nicht gehindert ist, nach dem Ergehen der Verlustfeststellung erneut einen Freizügigkeitstatbestand auf neuer Tatsachengrundlage geltend zu machen. Nach Überzeugung der Kammer obliegt es jedoch dem Ehemann bzw. Vater der Klägerinnen, das neuerliche Entstehen eines Freizügigkeitsrechts mit den entsprechenden Nachweisen gegenüber dem Landratsamt geltend zu machen und damit eine Aufhebung des bestandskräftigen Verlustfeststellungsbescheids zu erwirken. Das Verwaltungsverfahrensrecht sieht dafür in den Art. 49 und 51 BayVwVfG entsprechende Regelungen vor (vgl. Diesterhöft in HTK-AuslR, § 7 FreizügG/EU, zu Abs. 1, Stand 7.12.2022, Rn. 56; Dienelt in Bergmann/Dienelt, AuslR, § 7 FreizügG/EU Rn. 30). Dies hat der Ehemann bzw. Vater der Klägerinnen bisher nicht getan und es bestand ersichtlich auch kein Anlass für den Beklagten, insoweit von Amts wegen tätig zu werden. Denn das behauptete neue Arbeitsverhältnis, hinsichtlich dessen in der mündlichen Verhandlung im Übrigen auch keine Nachweise über den aktuellen Fortbestand, sondern allein Gehaltsabrechnungen betreffend die Monate April bis Juli 2023 vorgelegt wurden, war dem Landratsamt zuvor in keiner Weise bekannt.
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4. Der Beklagte hat erkannt, dass die Verlustfeststellung nach § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU aufgrund einer behördlichen Ermessensentscheidung ergeht. Er hat die privaten Belange der Klägerinnen mit dem öffentlichen Interesse an der Verlustfeststellung abgewogen. Gerichtlich überprüfbare Ermessensfehler i.S.v. § 114 Satz 1 VwGO sind nicht ersichtlich.
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5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 und Abs. 2 VwGO, §§ 708 Nr. 11 ZPO.