Inhalt

VG Bayreuth, Beschluss v. 22.04.2024 – B 3 E 24.30825
Titel:

Wiederaufgreifensantrag nach rechtskräftiger Rücknahme eines Schutzstatus, Abgrenzung Wiederaufgreifen und Folgeantrag, Eilrechtsschutz bei Abschiebung

Normenketten:
AsylG § 71
VwVfG § 51
VwGO § 123
Schlagworte:
Wiederaufgreifensantrag nach rechtskräftiger Rücknahme eines Schutzstatus, Abgrenzung Wiederaufgreifen und Folgeantrag, Eilrechtsschutz bei Abschiebung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 13926

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt Eilrechtsschutz wegen einer bevorstehenden Abschiebung in den Irak.
2
Der Antragsteller ist irakischer Staatsangehöriger und reiste nach eigenen Angaben am 14.04.2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 31.08.2016 stellte er beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen förmlichen Asylantrag. Mit Bescheid vom 12.04.2017 (Az. …*) wurde ihm der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt.
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Mit Verfügung vom 19.03.2019 wurde ein Rücknahmeverfahren hinsichtlich des zuerkannten Schutzstatus eingeleitet. Zur Begründung der Einleitung des Rücknahmeverfahren wurde ausgeführt, dass der Antragsteller mit Urteil des Amtsgerichts … vom 28.02.2018 (Az. …*) wegen vorsätzlichem unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 13 Fällen in Tatmehrheit mit vorsätzlichem unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Einheitsjugendstrafe von einem Jahr verurteilt wurde. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgelegt. Mit Anschreiben des Bundesamtes vom 02.04.2020, zugestellt am 04.04.2020, wurde dem Antragsteller die beabsichtigte Rücknahme mitgeteilt. Ferner wurde ihm nach § 74 Abs. 4 Satz 2 AsylG Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb eines Monats gegeben. Dabei wurde er aufgefordert, alle Gründe vorzutragen, die seiner Meinung nach einer Rücknahme des subsidiären Schutzstatus bzw. einer Rückkehr in sein Heimatland entgegenstehen könnten. Eine Stellungnahme des Antragstellers hierzu ist nicht erfolgt.
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Mit Bescheid vom 10.05.2019 nahm das Bundesamt den mit Bescheid vom 12.04.2019 zuerkannten subsidiären Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG zurück (Ziffer 1), erkannte den subsidiären Schutzstatus gemäß § 4 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 AsylG nicht zu (Ziffer 2) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 3).
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass durch die Verurteilung des Antragstellers vor dem Amtsgericht … feststehe, dass er eine schwere Straftat i. S. d. § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG begangen habe. Er sei wegen vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 13 Fällen in Tatmehrheit mit vorsätzlichem unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Einheitsjugendstrafe von einem Jahr verurteilt worden. Daraus, dass das Amtsgericht auf eine Einheitsjugendstrafe erkannt habe, die deutlich über der Mindeststrafe liege, könne von einer schweren Straftat ausgegangen werden. Das professionelle Vorgehen des Antragstellers bei den Taten, das für eine hohe kriminelle Energie spreche, sei ihm besonders zu Last gelegt worden.
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Zwar hafte den Tathandlungen für sich alleine genommen keine immanente Gefährlichkeit an – § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG erfordere die Begehung mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List – die durch den Handel mit Drogen bedrohten bzw. verletzten Rechtsgüter sowie die Schwere des drohenden bzw. eingetretenen Schadens wiege dafür umso schwerer. Auch würden Straftaten nach § 29a BtMG schwere Straftaten nach § 100a StPO und besonders schwere Straftaten nach §§ 100b, 100g StPO darstellen.
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Darüber hinaus stelle der Antragsteller eine Gefahr für die Allgemeinheit i. S. d. § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AsylG dar, da zu erwarten sei, dass er weitere Straftaten vergleichbarer Schwere begehen werde. Durch das von dem Amtsgericht … dargestellte, ausschließlich an einem möglichen Gewinn orientierten Vorgehen werde seine Geringschätzung der körperlichen Unversehrtheit anderer und damit seine Gefährlichkeit deutlich. Das bei den Taten gezeigte Gewinnstreben und das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, würden für sich genommen bereits die Annahme rechtfertigen, dass von einer hinreichend konkreten Wiederholungsgefahr auszugehen sei. Auch seine soziale und wirtschaftliche Situation sprächen für eine Wiederholungsgefahr. Der Antragsteller habe im Oktober 2017 ein einjähriges Praktikum abgebrochen, gehe keiner Ausbildung mehr nach und lebe ausschließlich von staatlichen Transferleistungen. Daher sei der gewährte subsidiäre Schutz zurückzunehmen.
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Die Voraussetzungen für die Wiedererteilung lägen daher ebenfalls nicht mehr vor.
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Die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot lägen auch nicht vor, da nach dem Sachvortrag des Antragstellers diesem keine, durch einen staatlichen oder nichtstaatlichen Akteur verursachte, Folter oder relevante unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung drohen würde. Auch würde kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt in der Herkunftsregion des Antragstellers stattfinden. Weiterhin bestünde im Fall der Abschiebung in den Irak keine Gefahr dort auf so schlechte humanitäre Bedingungen zu treffen, dass die Abschiebung dorthin eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstelle, da der Antragsteller als erwachsener Mann im erwerbsfähigen Alter die Möglichkeit habe im Irak eine Arbeit zu finden und damit seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
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Der Bescheid wurde dem Antragsteller laut Postzustellungsurkunde am 15.05.20219 zugestellt.
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Eine dagegen seitens des Antragstellers erhobene Klage wurde mit Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 21.07.2020 – B 3 K 19.30754 als verfristet abgewiesen. Hierbei war auch ein Wiedereinsetzungsantrag Gegenstand. Zudem wurden auch inhaltlich Schriftsätze zur Frage der Rechtmäßigkeit der Rücknahmeentscheidung ausgetauscht. Ein Rechtsmittel wurde nicht eingelegt. Der Antragsteller ist seit dem 30.05.2019 vollziehbar ausreisepflichtig.
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Mit Bescheid der Regierung von … – Zentrale Ausländerbehörde (ZAB) vom 04.02.2022 wurde der Antragsteller aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheids zu verlassen; widrigenfalls wurde ihm die Abschiebung in den Irak oder einen anderen Staat, in den er einreisen darf bzw. der zu seiner Übernahme verpflichtet ist, angedroht (Ziffer 1) und ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf drei Jahre, beginnend mit dem Tag der Abschiebung, befristet (Ziffer 2). Ein dagegen seitens des Antragstellers erhobener Eilrechtschutzantrag wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 02.03.2022 – B 6 S 22.119 abgelehnt, eine sodann angestrengte Beschwerde verwarf der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 25.04.2022 – 19 CS 22.766. Die gleichzeitig mit dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Bayreuth mit Gerichtsbescheid vom 24.05.2022 – B 6 K 22.120 ab. Ein Rechtsmittel wurde nicht eingelegt. Der Bescheid vom 04.02.2022 ist seit dem 15.06.2022 bestandkräftig. Die Abschiebungsandrohung ist seit dem 16.07.2022 vollstreckbar.
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Am 02.03.2023 stellte die ZAB von Amts wegen einen Antrag auf Ausstellung eines Passersatzpapiers beim Bayerischen Landesamt für Asyl und Rückführungen. In diesem Rahmen wurde er mit Bescheid vom 30.10.2023 zur Teilnahme an einer Sammelanhörungsmaßnahme bei der irakischen Botschaft am 13.11.2023 verpflichtet, zu der er unentschuldigt nicht erschien. Ein seitens des Antragstellers erhobener Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 17.11.2023 – B 6 S 23.949 abgelehnt. Das gegen den Bescheid vom 30.10.2023 angestrengte Klageverfahren ist beim Verwaltungsgericht Bayreuth noch unter dem Az. B 6 K 23.950 anhängig. Am 14.11.2023 wurde der Antragsteller zwangsweise bei der irakischen Auslandsvertretung vorgeführt und konnte als irakischer Staatsangehöriger identifiziert werden.
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Am 15.05.2023 wurde ein bis zum 13.08.2024 gültiges Passersatzpapier ausgestellt, das als Reisedokument dient.
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Der Bundesamtsakte ist ein Schreiben des Bevollmächtigten des Antragstellers vom 07.12.2023 zu entnehmen. Darin führte der Bevollmächtigte im Wesentlichen aus, die Entziehung des subsidiären Schutzstatus sei als rechtswidrig zu beurteilen. Bei der Entscheidung seien nicht alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt worden. Insbesondere sei nicht festgesellt worden, ob vom Antragsteller eine gegenwärtige konkrete und schwerwiegende Gefahr für die Allgemeinheit oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausgegangen ist. Es sei unter keinen Umständen vorstellbar, dass eine solche von einem 15-jährigen ausgehen könne. Auf dieses Alter, zu dem ihm der Schutz zuerkannt wurde, sei jedoch abzustellen. In dem Schriftsatz wird beantragt, dem Antragsteller, den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, weil von ihm keine Wiederholungsgefahr ausgehe. Außerdem sei zu berücksichtigen, das eine Abschiebung in den Irak für den Antragsteller unter keinen Umständen in Betracht komme. Er sei in Deutschland verwurzelt und gehöre einer ethnischen Minderheit im Irak an.
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Die Antragsgegnerin hat dieses mit Schreiben vom 11.12.2023 beantwortet und auf die Bestandskraft des Widerrufs des subsidiären Schutzes verwiesen.
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Am 13.03.2024 stellte die ZAB einen Antrag auf Luftabschiebung des Antragstellers. Nach Mitteilung des für die Durchführung der Abschiebungsmaßnahme in den Irak zuständigen Landesamtes für Asyl und Rückführungen ist der Antragsteller in Absprache mit den irakischen Behörden für die Abschiebung vom Flughafen … nach …Irak am 24.04.2024 vorgesehen. Mit Beschluss des Amtsgerichts … (Az. …*) vom 17.04.2024 wurde gegen den Antragsteller Gewahrsam zur Sicherung der Ausreise angeordnet.
18
Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 18.04.2024, der beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am selben Tag eingegangen ist, beantragte der Antragsteller, gerichtet gegen den Antragsgegner zu 1 (Freistaat Bayern), und die Antragsgegnerin zu 2 (Bundesrepublik Deutschland),
1.
Die Antragsgegner werden im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Aufenthalt des Antragsstellers vorläufig zu dulden und von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abzusehen.
2.
Die Antragsgegnerin zu 2) wird verpflichtet, der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass eine Überstellung des Antragsstellers in den Irak aufgrund der Abschiebungsandrohung im Bescheid vom 04.02.2022 vorläufig – bis zur Entscheidung über den Wiederaufgreifungsantrag vom 07.12.2023 durch die Antragsgegnerin zu 1) nicht durchgeführt werden darf.
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Der gegen den Freistaat Bayern gerichtete Antrag wird beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth unter dem Aktenzeichen B 6 E 24.315 behandelt.
20
Zur Begründung des Eilantrags führt der Antragstellerbevollmächtigte aus: Der Antragsteller habe mit Schreiben vom 07.12.2023 einen Wiederaufgreifensantrag beim Bundesamt gestellt, über welchen dieses bis zum heutigen Tag nicht entschieden habe. Der Antragsteller sei gegenüber der Abschiebungsandrohung als sog. „faktischer Inländer“ schutzbedürftig. Er verfüge in der Bundesrepublik Deutschland über intensive persönliche und familiäre Bindungen, aufgrund derer er sich in seiner gesamten Entwicklung derart in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert habe, dass ihm ein Verlassen des Bundesgebiets nicht zuzumuten sei. Das Recht des Antragstellers auf Achtung seines Privatlebens gemäß Art. 8 EMRK umfasse die Summe der persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv seien und denen, angesichts der zentralen Bedeutung dieser Bindungen für die Entfaltung der Persönlichkeit eines Menschen bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts, wachsende Bedeutung zukomme. Auf die einschlägigen Entscheidungen zur Problematik Verwurzelung und Entwurzelung eines in die Bundesrepublik Deutschland geflüchteten Ausländers werde Bezug genommen (BVerwG, U.v. 27.1.2009 – 1 C 40/07; VGH BW, U.v. 13.12.2010 – 11 S 2359/10; VG SH, E.v. 4.8.2017 – 1 B 74/17). Dem Antragsteller sei ein Verlassen der Bundesrepublik Deutschland nicht zuzumuten. Dem sei in der Prüfung gegenüberzustellen, inwieweit der Antragsteller noch im Land seiner Staatsangehörigkeit verwurzelt sei. Derartiges liege beim Antragsteller nicht vor. Er habe den Irak als verfolgter Kurde bereits im Alter von 15 Jahren verlassen und wäre nach seiner Rückkehr nicht in der Lage, sich im Herkunftsland zurechtzufinden. Die ZAB beabsichtige, den Antragsteller im Wege der Sammelabschiebung nach Bagdad in den Irak abzuschieben. Der Antragsteller verfüge noch nicht einmal über ausreichende arabische Sprachkenntnisse. Seine gesamte wirtschaftliche und persönliche Sozialisation nach dem 15. Lebensjahr habe durchweg in der Bundesrepublik Deutschland stattgefunden. Die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Verhältnisse im Irak seien ihm als Erwachsenen überhaupt nicht bekannt. Zu berücksichtigen sei auch, dass der Antragsteller im vom Bürgerkrieg zerrissenen Irak weiterhin als Mitglied einer ethnisch verfolgten Minderheit zu betrachten sei. Er habe keinerlei Bindungen familiärer oder sonstiger Art im Irak. Die gesamte Familie des Antragstellers lebe in Deutschland und betreibe die Einbürgerung. Auf die Entscheidung des VG Leipzig vom 26.10.2022 – 8 K 414/21.a werde verwiesen. Die Voraussetzungen für einen Widerruf des Abschiebungsverbots nach § 73 Abs. 2b, Satz 5 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 3 AufenthG lägen nicht vor. Vom zu einer Jugendstrafe verurteilten Antragsteller gehe keinerlei Gefahr für die Allgemeinheit aus; er habe die ihm auferlegte Bewährungszeit mit einer positiven Sozialprognose durchlaufen. Ein Überwiegen des Abschiebungsinteresses des Antragsgegners gegenüber der Achtung des Privatlebens des Antragstellers sei gemäß Art. 8 EMRK nicht erkennbar. Die Schwester des Antragstellers sei im Verfahren vor dem Amtsgericht … (Az. …*) als Zeugin gehört worden und habe Aussagen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Familie getroffen. Der Widerruf des Schutzstatus des Antragstellers sei ein Verstoß gegen das rechtsstaatliche Gebot der Einzelfallgerechtigkeit. Ungewürdigt sei die Entwurzelung des jugendlichen Antragstellers im Irak geblieben sowie die eingetretene Verwurzelung in der Bundesrepublik Deutschland; ebenso wie die soziale Integration nach Durchlaufen der strafrechtlichen Bewährung nach Jugendstrafrecht. Es sei keinerlei Abwägung seines angeblichen, also fiktiven Gefährdungspotentials bei Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland erkennbar. Eine Abschiebung stellte einen Eingriff in die Rechte aus Art. 8 Abs. 1 EMRK dar.
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Mit Schriftsatz vom 19.04.2024 beantragt das Bundesamt für die hiesige Antragsgegnerin, den Antrag abzulehnen.
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Das Bundesamt sei bereits der falsche Anspruchsgegner. Das Widerrufsverfahren sei seit dem rechtskräftigen Urteil 21.07.2020 abgeschlossen. Dem anwaltlichen Vorbringen seien keine Gründe zu entnehmen, die eine einstweilige Anordnung zugunsten des Antragstellers rechtfertigen würden. Ein Wiederaufgreifensantrag sei bis dahin nicht beim Bundesamt eingegangen. Am 22.04.2024 übersandte das Bundesamt nach telefonischer Nachfrage des Gerichts einen Antrag des Antragsstellers an das Bundesamt. Dieser hatte mit Fax vom 19.04.2024 das Schreiben vom 07.12.2023 mit dem handschriftlichen Vermerk „Wiederaufgreifensantrag“ erneut an das Bundesamt versandt. Das Bundesamt teilte mit, dass dieser Antrag nun bearbeitet werde.
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Ergänzend wird auf die Gerichtsakte, sowie die digital vorgelegten Behördenakten des Bundesamtes und der Zentralen Ausländerbehörde verwiesen.
II.
24
Die Anträge haben keinen Erfolg.
25
1. Der Antrag zu 1 ist schon deshalb erfolglos, weil die Bundesrepublik Deutschland für die vorläufige Duldung des Antragstellers, sowie aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht passivlegitimiert ist. Der Antrag ist gegen denjenigen Rechtsträger zu richten, der eine entsprechende Entscheidung zu treffen hat, § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO analog. Für die Erteilung einer Duldung und die Vollziehung von Abschiebungen sind die Ausländerbehörden und damit der Freistaat Bayern zuständig, § 71 Abs. 1 AufenthG.
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2. Der Antrag zu 2 hat ebenfalls keinen Erfolg.
27
Er wird nach § 88 VwGO dahingehend ausgelegt, dass das Bundesamt verpflichtet werden soll, der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass eine Überstellung des Antragsstellers in den Irak aufgrund der Abschiebungsandrohung im Bescheid vom 04.02.2022 vorläufig – bis zur Entscheidung über den Wiederaufgreifensantrag vom 07.12.2023 durch die Antragsgegnerin zu 2 – sprich das Bundesamt – nicht durchgeführt werden darf. Die Formulierung, dass die Entscheidung der Antragstellerin zu 1 über den Wiederaufgreifensantrag, die im Rubrum des Schriftsatzes als Freistaat Bayern definiert wurde, abgewartet werden soll, wird als Schreibfehler interpretiert.
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Der so verstandene Eilantrag ist nach § 123 VwGO zulässig, aber sachlich unbegründet.
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Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Ferner ist eine einstweilige Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Hierbei sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) und die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen.
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a. Ein Anordnungsgrund ist vorliegend schon zweifelhaft, zwar betreibt der Freistaat Bayern die Abschiebung des Antragstellers in seinen Heimatstaat Irak; jedoch wurde das Schreiben des Bevollmächtigten vom 17.12.2023, das dieser als Wiederaufgreifensantrag versteht, durch das Bundesamt bereits mit Schreiben vom 11.12.2023 beantwortet. Einer erneuten Antwort beziehungsweise Behandlung durch das Bundesamt, die bis zur Abschiebung gesichert werden müsste, bedarf es daher eigentlich nicht. Dies könnte allenfalls hinsichtlich des wiederholenden Antrages vom 19.04.2024 der Fall sein. Zugunsten des Antragstellers geht die Einzelrichterin davon aus, dass sich sein Antrag zu 2 im Eilrechtsschutz auch auf diesen Antrag beziehen soll.
31
b. Es fehlt aber jedenfalls an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs. Dieser besteht dann, wenn der geltend gemachte Anspruch hinreichend wahrscheinlich ist. In der Hauptsache begehrt der Antragsteller, sein bestandskräftig abgeschlossenes Asylverfahren wiederaufzugreifen und ihm den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen. Die Einzelrichterin geht aufgrund der durchgehend eindeutigen Bezeichnung als Wiederaufgreifensantrag durch einen Rechtsanwalt und der umstrittenen Frage, ob bei Rücknahme oder Widerruf § 71 AsylG (vgl. BeckOK AuslR/Dickten, 40. Ed. 1.10.2023, AsylG § 71 Rn. 5.1, m.w.N.) anwendbar ist und damit eine Folgeantragskonstellation vorliegt, davon aus, dass dieser tatsächlich einen Wiederaufgreifensantrag und keinen Folgeantrag stellen wollte. Der Antragsteller hat aber keine Umstände bzw. Wiederaufgreifensgründe dargetan, aufgrund derer eine für ihn günstige Entscheidung in der Sache möglich erscheint, beziehungsweise die Durchbrechung der Rechtskraft nach § 51 VwVfG zu rechtfertigen wäre.
32
Nach der im Eilverfahren nur gebotenen summarischen Prüfung hat der Antragsteller keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 VwVfG.
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Ein Wideraufgreifen nach § 51 Abs. 1 VwVfG kommt nicht in Betracht. Hiernach hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn
1. sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat;
2. neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden;
3. Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung gegeben sind.
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Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen. Der Antrag muss binnen drei Monaten nachdem dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat gestellt werden.
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Der Antragsteller macht nichts davon eindeutig geltend. Er gibt lediglich an, die rechtskräftige Entscheidung sei rechtswidrig erfolgt und kritisiert diese inhaltlich. Er macht weder geltend, dass sich die Sach- oder Rechtslage nachträglich zu seinen Gunsten geändert habe noch, dass neue Beweismittel vorliegen würden. Solches ist für das Gericht auch nicht aus den sonstigen Umständen erkennbar. Der Vortrag kann auch nicht unter einen der in § 580 ZPO formulierten Restitutionsgründe gefasst werden.
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Auch ein Anspruch auf Wiederaufgreifen im weiteren Sinne nach § 51 Abs. 5 VwVfG ist nach summarischer Prüfung nicht gegeben. Liegen die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1-3 VwVfG nicht vor, hat die Behörde nach § 51 Abs. 5 i. V. m. §§ 48, 49 VwVfG – bei Erfüllung der jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen – nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob die bestandskräftige frühere Entscheidung zurückgenommen oder widerrufen wird. Es besteht lediglich ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Ein Ermessensfehler liegt nicht schon dann vor, wenn die Behörde ein Wiederaufgreifen im Hinblick auf eine rechtskräftige gerichtliche Bestätigung des Verwaltungsakts wie hier mit Schreiben vom 11.12.2023 ablehnt (siehe Bundesamtsakte …, Seite 174) (BeckOK MigR/Decker, 18. Ed. 15.1.2024, VwVfG § 51 Rn. 35).
37
Anhaltspunkte für eine Ermessensreduzierung auf Null bestehen für das Gericht nach summarischer Prüfung nicht. Diese ist gegeben, wenn die Aufrechterhaltung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts schlechthin unerträglich wäre (vgl. BVerwG U.v. 22.10.2009 – 1 C 26/08-, BVerwGE 135,137 Rn. 19). Dies kann beispielsweise angenommen werden, wenn die Behörde durch unterschiedliche Ausübung der Rücknahmebefugnis in gleichen oder ähnlich gelagerten Fällen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstößt oder wenn Umstände gegeben sind, die die Berufung der Behörde auf die Unanfechtbarkeit als einen Verstoß gegen die guten Sitten oder gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Die offensichtliche Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, dessen Rücknahme begehrt wird, kann ebenfalls die Annahme rechtfertigen, seine Aufrechterhaltung sei schlechthin unerträglich (BeckOK MigR/Decker, 18. Ed. 15.1.2024, VwVfG § 51 Rn. 35.1). All dies ist nach summarischer Prüfung weder hinreichend glaubhaft gemacht, noch sonst ersichtlich.
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Anhaltspunkte für eine gleichheitswidrige Ausübung der Rücknahmebefugnis oder einen Verstoß gegen die guten Sitten oder Treu und Glauben hat das Gericht nicht.
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Der Antragsteller macht in seinem Schreiben vom 07.12.2023 geltend, die Gefahrenprognose in § 4 Abs. 2 Nr. 4 AsylG sei anders zu treffen Daneben macht er Ausführungen, die im weitesten Sinne im Hinblick auf § 60 Abs. 5 AufenthG Relevanz haben. Entsprechendes hat er im Eilantrag vorgebracht.
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aa. Vorliegend wurde die Rücknahme des subsidiären Schutzes im Bescheid vom 10.05.2019 auf § 4 Abs. 2 Nr. 2 AsylG und daneben selbstständig auch auf § 4 Abs. 2 Nr. 4 AsylG gestützt. Angegriffen hat der Antragsteller nach den oben dargestellten Ausführungen nur den Ausschlussgrund in § 4 Abs. 2 Nr. 4 AsylG. Der Ausschlussgrund des § 4 Abs. 2 Nr. 2 AsylG erfordert keine entsprechende Gefahrenprognose oder eine vom Antragsteller im Rahmen der Abschiebung gewünschten Abwägung. Für einen erfolgreichen Wiederaufnahmeantrag ist es jedoch nicht ausreichend, einen von mehreren selbständig tragenden Rücknahmegründen anzugreifen, da sich die Bestandskraft auf alle tragenden Gründe bezieht (ähnlich BVerwG U.v. 26.01.2021 – 1 C 1/20 – juris Rn. 21). Nach § 73 Abs. 5 AsylG ist dem Bundesamt bei der Rücknahme- oder Widerrufsentscheidung auch kein Ermessen mehr eröffnet; die Zuerkennung ist zu zurückzunehmen bzw. zu widerrufen (vgl. auch VG Münster U.v. 15.09.2023 – 3 K 2596/21.A – juris m.w.N.). Nach alledem ist eine Ermessensreduzierung auf Null aus diesem Gesichtspunkt heraus nach summarischer Prüfung nicht gegeben.
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bb. Soweit der Antragsteller sich als faktischer Inländer versteht und daher davon ausgeht, die Abschiebungsandrohung sei nicht vollziehbar, ist dies eine ausländerrechtliche Frage, die das Bundesamt nicht zu klären hat und auch im ebenfalls anhängigen Eilverfahren der 6. Kammer des Gerichts behandelt wird.
42
cc. Soweit der Antragsteller vorträgt, sich im durch Bürgerkrieg gebeutelten Irak aufgrund seines längeren Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland und dem Aufenthalt der Verwandten in Deutschland nicht zurecht zu finden, ist dies aufgrund des rechtskräftigen Ausschlusses des subsidiären Schutzes im Rahmen des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG zu behandeln. Nach summarischer Prüfung ergibt sich jedoch auch dahingehend keine Ermessensreduzierung auf Null, die für ein Wiederaufgreifen streitet.
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Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U. v. 11.11.1997 – 9 C 13.96 – BVerwGE 105, 322) umfasst der Verweis auf die EMRK lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen (zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse). In diesem Zusammenhang kommt vor allem eine Verletzung des Art. 3 EMRK in Frage. Wegen des absoluten Charakters des garantierten Rechts ist Art. 3 EMRK nicht nur auf eine von staatlichen Behörden ausgehende Gefahr, sondern auch dann anwendbar, wenn die Gefahr von Personen oder Gruppen herrührt, die keine staatlichen Organe sind, jedenfalls dann, wenn die Behörden des Empfangsstaates nicht in der Lage sind, der Bedrohung durch die Gewährung angemessenen Schutzes vorzubeugen (NdsOVG, U.v. 24.09.2019 – 9 LB 136.19 – juris Rn. 66 und 105). Für die Beurteilung, ob eine Verletzung des Art. 3 EMRK in Betracht kommt, ist auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen und zunächst zu prüfen, ob entsprechende Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet (Nds. OVG, U.v. 24.09.2019 – 9 LB 136.19 – juris Rn. 118; OVG NW, U.v. 28.08.2019 – 9 A 4590/18.A – juris Rn. 175).
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Schlechte sozio-ökonomische und humanitäre Verhältnisse im Bestimmungsland können nur in ganz außergewöhnlichen Fällen Art. 3 EMRK verletzten; dies ist dann der Fall, wenn die gegen die Abschiebung sprechenden humanitären Gründe „zwingend“ sind (vgl. VGH BW, U.v. 17.07.2019 – A 9 S 1566/18 – juris Rn. 28). Gemessen daran ist ein Ausnahmefall zu verneinen.
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Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist bei summarischer Prüfung kein Abschiebungsverbot zugunsten des Antragstellers festzustellen. Ihm droht durch die Abschiebung dort weder aufgrund der Sicherheitslage, noch der dortigen humanitären Lage eine der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten widersprechende Behandlung.
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(1) Hinsichtlich der Sicherheitslage können die Wertungen des § 4 AsylG auch bei einer Prüfung des § 60 Abs. 5 AufenthG herangezogen werden. Der Antragsteller stammt aus der Provinz Dohuk. Bei einer Rückkehrprognose ist auf diese abzustellen (vgl. BVerwG, U. v. 24.6.2008 – 10 C 43.07 – juris). In der Provinz Dohuk finden derzeit keine internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikte i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG statt, die ggf. auch zu einem Abschiebungsverbot führen könnte. Die in der Region stattfindenden Auseinandersetzungen hinter dem Ausmaß eines bürgerkriegsähnlichen Konflikts zurück.
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Das für das Gericht verfügbare Zahlenmaterial lässt unter Berücksichtigung der Einwohnerzahl Dohuks (1 396 480 für Dohuk, BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Irak, 22.08.2022, S. 40 ff.) auch nicht den Schluss zu, dass die vom Bundesverwaltungsgericht für den § 4 AsylG genannten Werte (BVerwG, U. v. 27.4.2010 – 10 C 4.0; U. v. 17.11.2011 – 10 C 13.10; U.v. 17.11. 2011 – 10 C 13.10 – (juris Rn. 22) und – 10 C 11.10 – (juris Rn. 20); BVerwG, U. v. 20.5.2020 – 1 C 11/19 – juris) – die weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt angesehen wurden – erreicht werden. In Anbetracht der dargestellten Opferzahlen, die sich aus der Auskunftslage ergeben, gelangt das Gericht zu der Überzeugung, dass sich der Konflikt zwischen dem türkischen Militär und den PKK-Kämpfern in der Herkunftsregion des Antragstellers nicht derart auf Zivilisten auswirkt, dass diese i. S. d § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG bzw. dem hier relevanten § 60 Abs. 5 AufenthG bedroht sind. Vielmehr beschränkten sich sicherheitsrelevante Zwischenfälle im Wesentlichen auf die Konfliktparteien. Die aktuellen Auskünfte beschreiben gerade, dass auch bei Luftangriffen nicht gezielt gegen Zivilisten vorgegangen wird (EUAA, Irak Security Situation, Januar 2022, S. 205). Angegriffene Dörfer werden rechtzeitig evakuiert (EUAA, Irak Security Situation, Januar 2022, S. 200; BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Irak, 22.08.2022, S. 40). So wurden seither 70 Dörfer in Zakho aufgegeben (vgl. BFA, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation IRAK, Sicherheitsrelevante Vorfälle im Konflikt Türkei-PKK in der KRI, 05.05.2022, S. 13). Die bloße Anwesenheit in dem Distrikt Zakho reicht damit nicht aus, die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens festzustellen.
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In den Distrikten Zakho und Amedi hat allerdings die wahllose Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass entsprechend weniger Elemente erforderlich sind für die Annahme, dass einer Zivilperson ein ernsthafter Schaden droht (EUAA, Länderhinweise: Irak, Country Guidance, Juni 2022, S. 192). In der Person des Antragstellers sind aber keine individuellen gefahrenerhöhenden Umstände ersichtlich. Der Distrikt Zakho, in den der Antragsteller voraussichtlich zurückkehren wird, ist nach den vorliegenden Erkenntnissen deutlich weniger von den Kampfhandlungen betroffen, als der Distrikt Amedi. Der Antragsteller gehört dort nicht zu einer der besonders gefährdeten gesellschaftlichen Gruppen, wie der Journalisten, Blogger, Menschenrechtsverteidiger, Aktivisten, Intellektuellen, Richter und Rechtsanwälte sowie aller Mitglieder des Sicherheitsapparats (Polizisten, Soldaten).
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(2) Auch wenn die humanitäre Lage im Irak insgesamt und in der Region Kurdistan-Irak, aus der der Antragsteller stammt, im Besonderen nach wie vor äußerst angespannt ist und die Lebensumstände insbesondere bei Binnenvertriebenen oder bei nur geringem Einkommen nach europäischen Standards als schwer erträglich erscheinen, ist nach gegenwärtiger Erkenntnislage mit der überwiegenden Rechtsprechung davon auszugehen, dass am Zielort einer Abschiebung in der Region Kurdistan keine derart prekäre humanitäre Situation und insbesondere keine derart unzureichende allgemeine Versorgungslage besteht, dass eine Rückführung in Anwendung von § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK generell ausgeschlossen wäre. Die humanitäre Lage und die Lebensbedingungen im Zielort einer Abschiebung, die nicht ganz oder überwiegend auf Aktionen von Konfliktparteien beruhen, sind für den Antragsteller nicht derart ernst, dass er Gefahr liefe, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein.
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Der Antragsteller ist 24 Jahre alt. Er ist mit 15 Jahren aus dem Irak ausgereist und hat damit die dortigen sozialen Konventionen in einem Alter, in dem man diese auch begreift, erleben und erlernen können. Er spricht mit Kurdisch eine der gängigen Landessprachen und ist soweit ersichtlich arbeitsfähig und gesund. Weiterhin ist er alleinstehend und muss keine weiteren Unterhaltsverpflichtungen erfüllen. Die Einzelrichterin hat daher nach Aktenlage keine Zweifel, dass er sich im Irak insbesondere in den unabhängigen kurdischen Gebieten durch eigene Arbeit das Nötigste zum Überleben sichern kann.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).