Inhalt

VGH München, Beschluss v. 16.01.2024 – 8 CS 23.1815
Titel:

Rechtsmissbräuchliches Ablehnungsgesuch wegen Besorgnis der Befangenheit

Normenketten:
VwGO 54 Abs. 1, § 152a
ZPO § 42 Abs. 2
GG Art. 103 Abs. 1
Leitsätze:
1. Ein Ablehnungsgesuch ist ausnahmsweise dann als unzulässig zu verwerfen, wenn es sich als offenkundiger Missbrauch des Ablehnungsrechts darstellt, weil das Vorbringen des Antragstellers unter keinem denkbaren Gesichtspunkt die Ablehnung des Richters rechtfertigen kann und mit der Art und Weise seiner Anbringung ein gesetzeswidriger und damit das Instrument der Richterablehnung missbrauchender Einsatz dieses Rechts erkennbar wird. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die inhaltliche Richtigkeit einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ist nicht Gegenstand des Anhörungsrügeverfahrens. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, Gegenvorstellung, Anhörungsrüge, Rechtsmissbrauch, Ablehnungsgesuch, Besorgnis der Befangenheit
Fundstelle:
BeckRS 2024, 1391

Tenor

I. Das gegen die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgerichtshof M2., den Richter am Verwaltungsgerichtshof M3. und die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Dr. S. gerichtete Ablehnungsgesuch des Antragstellers wird verworfen.
II. Die Gegenvorstellung wird verworfen.
III. Die Anhörungsrüge wird zurückgewiesen.
IV. Der Antragsteller trägt die Kosten des Rügeverfahrens.

Gründe

1
1. Die Ablehnungsgesuche nach § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO gegen die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgerichtshof M2., den Richter am Verwaltungsgerichtshof M3. und die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Dr. S. bleiben ohne Erfolg.
2
Die Ablehnungsgesuche sind unzulässig, weil sie offensichtlich rechtsmissbräuchlich sind. Ein Ablehnungsgesuch ist ausnahmsweise dann als unzulässig zu verwerfen, wenn es sich als offenkundiger Missbrauch des Ablehnungsrechts darstellt, weil das Vorbringen des Antragstellers unter keinem denkbaren Gesichtspunkt die Ablehnung des Richters rechtfertigen kann und mit der Art und Weise seiner Anbringung ein gesetzeswidriger und damit das Instrument der Richterablehnung missbrauchender Einsatz dieses Rechts erkennbar wird (vgl. BVerfG, B.v. 15.6.2015 – 1 BvR 1288.14 – juris Rn. 15 f.; BVerwG, B.v. 28.2.2022 – 9 A 12.21 – NVwZ 2022, 884 = juris Rn. 8). Indizien hierfür können − unter anderem − sein, dass die Begründung des Gesuchs nicht hinreichend konkret auf den bzw. die abgelehnten Richter bezogen ist, dass der Inhalt der Begründung von vornherein ersichtlich ungeeignet ist, die Besorgnis der Befangenheit zu rechtfertigen, oder dass verfahrensfremde Zwecke, wie etwa das Ziel, den Prozess zu verschleppen, verfolgt werden (vgl. BVerwG, B.v. 2.5.2018 – 6 B 118.18 – juris Rn. 3 m.w.N.). Ist das Ablehnungsgesuch daher offensichtlich rechtsmissbräuchlich, können die abgelehnten Richter über dieses selbst und ohne Einholung von dienstlichen Äußerungen entscheiden (vgl. BVerfG, B.v. 20.5.2019 – 2 BvC 3/18 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 28.2.2022 – 9 A 12.21 – NVwZ 2002, 884 = juris Rn. 8).
3
a) Soweit der Antragsteller sein Ablehnungsgesuch damit begründet, dass die abgelehnten Richter, ohne sein Schreiben vom 14. September 2023 zur Kenntnis zu nehmen, „ohne den Verfahrensgegner anzuhören und ohne dem Beschwerdeführer Gelegenheit zu geben, sich auf die überraschende, weil absurde Entscheidung hin zu äußern“, „überstürzt“ am 19. September 2023 entschieden hätten, bezieht er sein Ablehnungsgesuch lediglich pauschal auf die am Beschluss vom 19. September 2023 (Az. 8 CS 23.1085) beteiligten Richter. Eine solche pauschale Ablehnung ohne eine hinreichend konkret auf die abgelehnten Richter bezogene Begründung belegt offensichtlich keine Besorgnis der Befangenheit.
4
b) Inhaltlich wendet sich der Antragsteller zudem gegen die Verfahrensgestaltung. Eine wie hier durch die Prozessordnung gedeckte Verfahrensgestaltung kann jedoch offenkundig ebenfalls keine Besorgnis der Befangenheit begründen (vgl. BVerwG, B.v. 28.2.2022 – 9 A 12.21 – NVwZ 2022, 884 = juris Rn. 9 m.w.N.). Der Antragsteller lässt außer Acht, dass das Gericht zur Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) ihn mit Schreiben vom 5. September 2023 auf seine vorläufige Rechtsauffassung hingewiesen und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (GA im Verfahren 8 CS 23.1085, Bl. 36). Der Antragsgegner erhielt einen Abdruck des gerichtlichen Hinweises. Der Antragsteller hat mit Schreiben vom 14. September 2023 dazu Stellung genommen; der Antragsgegner hatte sich zuvor mit Schriftsatz vom 1. August 2023 geäußert. Eine weitere Anhörung war von Gesetzes wegen nicht erforderlich.
5
c) Das Vorbringen des Antragstellers, die Besorgnis der Befangenheit der drei abgelehnten Richter ergebe sich daraus, dass sie im „luftleeren“ Raum die Beendigung des Arbeitsverhältnisses angenommen und den Beweiswert einer Urkunde verkannt hätten, ist ebenfalls offenkundig nicht geeignet, Zweifel an der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit der Richter zu begründen. Denn der Antragsteller wendet sich damit gegen die Überzeugungsbildung und Würdigung des Gerichts (vgl. § 108 Abs. 1 VwGO). Ein Ablehnungsgesuch ist jedoch grundsätzlich kein geeignetes Mittel, sich gegen für unrichtig gehaltene Rechtsauffassungen eines Richters zu wehren (vgl. BayVGH, B.v. 8.2.2022 – 6 CE 21.3272 – juris Rn. 10). Besondere Umstände, aus denen geschlossen werden könnte, die angeführten Entscheidungen beruhten auf einer unsachlichen Einstellung der abgelehnten Richter oder auf Willkür, hat die Antragstellerseite nicht in nachvollziehbarer Weise aufgezeigt.
6
2. Die vom Antragsteller gegen den unanfechtbaren Beschluss des Senats vom 19. September 2023 erhobene Gegenvorstellung ist nicht statthaft und daher zu verwerfen. Seit Inkrafttreten von § 152a VwGO sind Gegenvorstellungen grundsätzlich nicht mehr statthaft, denn Rechtsmittel und Rechtsbehelfe gegen verwaltungsgerichtliche Urteile und Beschlüsse sind in der Verwaltungsgerichtsordnung abschließend aufgeführt und die Gegenvorstellung gehört nicht dazu (vgl. BVerwG, B.v. 11.4.2017 − 6 C 28.16 − juris Rn. 2).
7
3. Die statthafte Anhörungsrüge gemäß § 152a VwGO gegen die Sachentscheidung vom 19. September 2023 ist unbegründet.
8
Das prozessuale Grundrecht des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet den Verfahrensbeteiligten das Recht, sich zu dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern (vgl. BVerfG, B.v. 19.5.1992 – 1 BvR 986/91 – BVerfGE 86, 133 = juris Rn. 35; BayVGH‚ B.v. 11.1.2023 – 8 CS 22.2079 – juris Rn.14). Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht zudem, die Ausführungen der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, nicht aber dazu, den Vorstellungen eines Beteiligten zu folgen (vgl. BVerwG, B.v. 1.8.2011 – 6 C 15.11 – juris Rn. 1; BayVGH‚ B.v. 11.1.2023 – 8 CS 22.2079 – juris Rn.14). Die Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs gewährleistet nicht, dass eine gerichtliche Entscheidung frei von einfach-rechtlichen materiellen Rechtsfehlern oder sonstigen Verfahrensfehlern ist (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2019 – 15 ZB 19.34099 – juris Rn. 10; OVG Saarl, B.v. 16.6.2015 – 2 A 197/14 – juris Rn. 8).
9
a) Dies zugrunde gelegt liegt eine Gehörsverletzung nicht darin, dass der Antragsteller sich nicht zu maßgeblichen Rechts- und Tatsachenfragen hätte äußern können. Der Senat hat den Antragsteller mit Schreiben vom 5. September 2023 unter Hinweis auf die sich aus dem Arbeitszeugnis ergebende Beendigung des Arbeitsverhältnisses über seine vorläufige Rechtsauffassung in Kenntnis gesetzt und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Weiter hat das Gericht das Vorbringen des Antragstellers vom 14. September 2023 bei seiner Entscheidungsfindung in Erwägung gezogen und rechtlich – wenn auch knapp – gewürdigt (vgl. BA S. 3 unten, S. 4 oben). Dass die Argumentation des Antragstellers nur knapp abgehandelt wurde, ist dem Charakter des Eilverfahrens und einer angemessenen Verfahrensdauer geschuldet. Dies ist für sich betrachtet aber kein Anhaltspunkt dafür, dass das entsprechende Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen beziehungsweise bei der Entscheidungsfindung nicht erwogen worden ist (vgl. OVG NW, B.v. 16.12.2009 – 6 B 1739/09 – juris Rn. 4).
10
b) Soweit der Antragsteller im Rahmen der Anhörungsrüge vorbringt, dass es sich bei dem Arbeitszeugnis um eine „papierene Falschaussage“ handle und das Arbeitsverhältnis weiter fortbestehe, weil dem Gericht weder eine Kündigung noch eine Aufhebungsvereinbarung vorliege, wird eine Verletzung rechtlichen Gehörs ebenfalls nicht dargelegt. Der Bevollmächtigte des Antragstellers belässt es insoweit bei Ausführungen über Beweisregeln, ohne eine klare Aussage über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses seines Mandanten zu treffen und sie glaubhaft zu machen (vgl. VGH BW, B.v. 8.6.2006 – 11 S 2135/05 – NVwZ-RR 2006, 849 = juris Rn. 18; NdsOVG, B.v. 12.5.2023 – 4 ME 11/23 – NVwZ-RR 2023, 762 = juris Rn. 24).
11
Unabhängig davon wendet sich der Antragsteller mit diesem Vorbringen gegen die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung, die nicht Gegenstand des Anhörungsrügeverfahrens ist. Es kann des Weiteren offenbleiben, ob ein Gehörsverstoß ausnahmsweise in Betracht zu ziehen wäre, weil beispielsweise die tragenden Ausführungen des Gerichts handgreiflich von objektiver Willkür geprägt wären (vgl. BayVGH, B.v. 2.3.2020 – 8 ZB 20.290 – juris Rn. 8; OVG NW, B.v. 16.12.2016 – 1 A 2199/16.A – juris Rn. 35 f.). Denn ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Gem. § 603 Satz 1 und 4 BGB i.V.m. § 109 Abs. 1 Satz 1 und 2 GewO hat ein Arbeitnehmer bei Beendigung seines Arbeitsverhältnisses Anspruch auf ein schriftliches Zeugnis, das auch Angaben zu Art und Dauer zu enthalten hat. Auf Grund der Vorlage des Arbeitszeugnisses vom 30. Juni 2023 durch den Bevollmächtigten des Antragstellers mit Schreiben vom 16. August 2023 liegt es daher nahe, von der Beendigung des Arbeitsverhältnisses auszugehen. Gegenteiliges hat der Antragsteller nicht vorgetragen (s.o.).
12
c) Sein Vorbringen, eine Gehörsverletzung liege darin, dass das Gericht eine Stellungnahme des Luftamtes über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hätte einholen müssen, zielt in der Sache auf eine Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes aus § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO und nicht auf die Verletzung rechtlichen Gehörs. Zudem lässt der Antragsteller außer Acht, dass es nicht Aufgabe des Gerichts ist, im gerichtlichen Eilverfahren einen (vermeintlich) unzureichend geklärten Sachverhalt umfassend aufzuklären (vgl. OVG NW, B.v. 18.3.2020 – 12 B 1731/19 – BeckRS 2020, 40276 Rn. 7), zumal die gerichtliche Aufklärungspflicht dort endet, wo die Mitwirkungspflicht der Beteiligten beginnt (vgl. § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO). Diese trifft hier ohnehin den Antragsteller, da es sich bei Fragen zum Fortbestand des Arbeitsverhältnisses um einen Umstand handelt, der eindeutig in seiner Sphäre liegt (vgl. BVerwG, B.v. 28.6.2018 – 2 B 57.17 – Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 433 = juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 22.6.2005 – 8 ZB 04.3564 – BayVBl 2005, 634 = juris Rn. 5).
13
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht; nach Nr. 5400 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage zu § 3 Abs. 2 GKG) fällt aber eine streitwertunabhängige Festgebühr für das Verfahren über die Rüge wegen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 152a VwGO) an.
14
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152a Abs. 4 Satz 3, § 152 Abs. 1 VwGO).