Inhalt

VGH München, Beschluss v. 30.01.2024 – 24 CS 23.1872
Titel:

Verbot des Umgangs mit erlaubnisfreien Waffen

Normenketten:
WaffG § 5, § 41 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
GG Art. 5 Abs. 1
Leitsätze:
Die Feststellung der fehlenden Zuverlässigkeit als tatbestandliche Voraussetzung für ein Verbot des Besitzes und Erwerbs erlaubnisfreier Waffen gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WaffG erfordert eine Prognose, die sich auf erlaubnisfreie Waffen und Munition beziehen muss. Diese Prognose ist von derjenigen nach § 45 Abs. 2 WaffG i.V.m. § 5 WaffG zu unterscheiden, insbesondere werden ihre Strukturelemente nicht unmittelbar von § 5 WaffG gesteuert. (Rn. 15)
Damit ist zwar nicht ausgeschlossen, auch im Rahmen von § 41 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 WaffG auf § 5 WaffG zurückzugreifen. Dabei ist aber zwingend zu beachten, dass § 5 WaffG insoweit nur entsprechend seiner Bewertungsmaßstäbe herangezogen, aber nicht schematisch angewendet werden kann. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Vorläufiger Rechtsschutz, Prüfungsmaßstab bei Waffenverbot für den Einzelfall, Waffenrecht, Sofortvollzug, Unzuverlässigkeit, Waffenbesitzverbot, erlaubnisfreie Waffen, Kleiner Waffenschein, Verschwörungsthese
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 28.09.2023 – M 7 S 23.684
Fundstelle:
BeckRS 2024, 1387

Tenor

I. Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 28. September 2023 – M 7 S 23.684 – wird in Nummer I geändert und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Nummer 1 des Bescheids vom 3. Februar 2023 wiederhergestellt.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
II. Unter Aufhebung der Nummer II des Beschlusses des Verwaltungsgerichts tragen der Antragsteller und die Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.
III. Unter Abänderung des Streitwerts in Nummer III des Beschlusses des Verwaltungsgerichts wird der Streitwert in beiden Instanzen auf jeweils 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich gegen die Anordnung des Sofortvollzugs hinsichtlich eines Waffenbesitzverbots sowie verschiedener Nebenentscheidungen bezüglich des Widerrufs seiner Waffenbesitzkarte und seines Kleinen Waffenscheins.
2
Am 8. Dezember 2022 gegen 19 Uhr unterzog die Polizei den Antragsteller einer Verkehrskontrolle, da in der Heckscheibe seines Kraftfahrzeugs ein Bildschirm verbaut war, auf dem u.a. mutmaßliche Beleidigungen von bekannten Politikerinnen und Politikern der Bundesregierung sowie die Parolen „Fuck the System!“ und „Steckt Euch Euren Inzidenzwert in den ARSCH“ eingeblendet worden waren. Die Polizei stellte das Fahrzeug und die darin befindliche Kurzwaffe mit Zubehör (ca. 250 Schuss 9mm Munition und sieben Magazine), die nach Angaben der Beamten waffenrechtlich ordnungsgemäß verwahrt und nicht zu beanstanden war, sicher. Nach Aussagen der Polizisten verhielt sich der Antragsteller bei der Verkehrskontrolle nicht kooperativ und filmte teilweise mit seinem Mobiltelefon, auf der Wache sei er aber freundlich und kooperativ gewesen. Auffallend sei gewesen, dass er die Vorstellung der Beamten mit dem militärischen Gruß erwidert habe. In einem informatorischen Gespräch habe er mitgeteilt, dass er mit der „...“ nichts zu tun habe. Er lehne den Staat nicht ab und befolge die Regeln. Auf die „...“ angesprochen, habe er gelächelt und gesagt, dass er mit so manchen Entscheidungen des Staats nicht einverstanden sei. Außerdem habe er schon an Autocorsos teilgenommen. Ob es sich dabei um Autocorsos der „...“ gehandelt habe, habe er nicht gesagt. Auf die Frage, warum er die Waffe in seinem Fahrzeug mitgeführt habe, gab er an, zu einem nahegelegenen Schießverein unterwegs gewesen zu sein. Daraufhin leitete die Polizei Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung von Personen des politischen Lebens, Verstoß gegen die Vertraulichkeit des Wortes und Erlöschen der Betriebserlaubnis seines Fahrzeugs ein. Das Bayerische Polizeiverwaltungsamt erließ am 3. Februar 2023 einen Bußgeldbescheid gegen den Antragsteller, weil er als Halter ein Fahrzeug geführt habe, obwohl die Ausrüstung nicht den Vorschriften entsprochen habe und die Verkehrssicherheit dadurch wesentlich beeinträchtigt gewesen sei. Das Amtsgericht München erließ unter Aufhebung des Bußgeldbescheids einen Strafbefehl wegen Beleidigung gegen Personen des politischen Lebens in drei tateinheitlichen Fällen und Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes und verhängte eine Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 500,00 Euro. Der Antragsteller hat nach seinen Angaben Einspruch gegen diesen Strafbefehl eingelegt. Die Polizei ordnete den Antragsteller nicht der „...“, sondern der „...“ zu.
3
Nach erfolgter Anhörung mit Schreiben vom 20. Dezember 2022 untersagte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit Bescheid vom 3. Februar 2023 auf Dauer erlaubnisfreie Waffen und Munition zu erwerben oder zu besitzen (Nr. 1 des Bescheids). Zugleich widerrief sie seine Waffenbesitzkarten sowie den Europäischen Feuerwaffenpass und den Kleinen Waffenschein (Nr. 2) und traf verschiedene Nebenanordnungen (Nrn. 3 und 4). In Nummer 5 des Bescheids ordnete die Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung hinsichtlich der Nummern 1, 3 und 4 an. Zur Begründung führte sie aus, der Antragsteller sei unzuverlässig i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b und c WaffG. Daher seien sowohl ein Waffenbesitzverbot nach § 41 WaffG auszusprechen als auch die Waffenbesitzkarten zu widerrufen. Der Antragsteller werde von der Polizei der „...“ zugeordnet. Einem Teil dieser Szene sei gemein, dass sich bei ihnen eine fundamentale Ablehnung des Staates und seiner Institutionen entwickelt habe. In der Gesamtschau seiner öffentlich getätigten Äußerungen, insbesondere der Parole „Fuck the System“, mache der Antragsteller klar, dass er den öffentlichen Institutionen die Legitimation abspreche. Hilfsweise werde auch eine Regelunzuverlässigkeit gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa i.V.m Nr. 3 Buchst. b und c WaffG geltend gemacht. Der politische Aktivismus als „...“ sei nicht nur als sicherheitsgefährdend, sondern auch als demokratiefeindlich und somit als gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet zu bezeichnen. Sinn und Zweck eines präventiven Waffenverbots sei es, waffenrechtlich unzuverlässigen Personen, bei denen ein missbräuchlicher bzw. nicht rechtskonformer Umgang mit erlaubnisfreien Waffen und Munition zu befürchten sei, den Umgang mit diesen zu verbieten. Da der Antragsteller im Besitz von verschiedenen waffenrechtlichen Erlaubnissen, u.a. eines Kleinen Waffenscheines sei, sei davon auszugehen, dass er daran interessiert sei, Waffen und Munition zu erwerben bzw. zu besitzen. Die Untersagung des Erwerbes und Besitzes von erlaubnisfreien Waffen und erlaubnisfreier Munition gegenüber Personen, die als „...“ eingestuft werden, sei ein probates Mittel zum Schutz der lndividualrechtsgüter Dritter sowie der öffentlichen Sicherheit. Das in § 41 WaffG eingeräumte Ermessen werde zu Lasten des Antragstellers ausgeübt. Schützenswerte private oder berufliche Belange habe der Antragsteller nicht geltend gemacht. Der Umgang mit erlaubnisfreien (und erlaubnispflichtigen) Waffen sowie von Munition sei jedoch bei einer Person, die das „System“ und damit einhergehend die hiesige Rechtsordnung ablehne, nicht hinnehmbar.
4
Der Antragsteller hat gegen den Bescheid vom 3. Februar 2023 Klage erhoben, über die das Verwaltungsgericht München nach Aktenlage noch nicht entschieden hat (Az. M 7 K 23.624). Zugleich hat der Antragsteller um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht und beantragt, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Nummern 1, 3 und 4 des Bescheids wiederherzustellen. Einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen Nummer 2 des Bescheids hat er ausweislich der übersandten Akten des Verwaltungsgerichts nicht gestellt.
5
Mit Beschluss vom 28. September 2023 hat das Verwaltungsgericht den Antrag abgelehnt. Da die Nummer 2 des Bescheids von Gesetzes wegen sofort vollziehbar und auch kein diesbezüglicher Eilantrag gestellt worden sei, bestünden keine Bedenken gegen den angeordneten Sofortvollzug der Nebenentscheidungen in den Nummern 3 und 4 des Bescheids. Hinsichtlich der Nummer 1 des Bescheids habe die Antragsgegnerin bei summarischer Prüfung den Sofortvollzug in rechtlich nicht zu beanstandender Weise angeordnet. Die Klage gegen Nummer 1 des Bescheids werde voraussichtlich erfolglos bleiben, da der Antragsteller unzuverlässig i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG sei. Damit rechtfertige sich auch ein Waffenbesitzverbot nach § 41 WaffG. Auch die Ermessensausübung sei nicht zu beanstanden.
6
Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde. Er sei nicht unzuverlässig zum Erwerb und Besitz erlaubnisfreier Waffen, es werde auf den Beschluss des erkennenden Senats vom 8. Mai 2023 – 24 CS 23.785 verwiesen. Es erfolge schon keine auf erlaubnisfreie Waffen bezogene Prognose. Er sei auch nicht dem Phänomenbereich „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ zuzuordnen. In keiner der von ihm gezeigten Verhaltensweisen werde deutlich, dass er den staatlichen Organen oder den Vertretern des Staates die Legitimation abspreche. Die Kritik richte sich gegen einzelne Politiker und deren Wirken und nicht gegen das staatliche System als solches. Er habe nicht die Legitimation der Bundesrepublik Deutschland und der Gesetze negiert, sondern er habe sich bezüglich des LED-Monitors beim Fachanwalt für Verkehrsrecht des ADAC und durch das Studium des § 33 StVO erkundigt, ob er gegen die Straßenverkehrsordnung verstoße. Dies zeige auf, dass er sich gerade an die Gesetze halten wolle und diese auch anerkenne. Weiterhin bringe der Antragsteller als Patentanwalt täglich geltendes Recht zur Anwendung. Er sei Organ der Rechtspflege und handele auch dementsprechend. Seine Äußerungen seien von der Meinungs- und Kunstfreiheit gedeckt. Die Parole „Fuck the System“ sei in Verbindung mit einem Kinderkarussell verwendet worden, bei dem die Holzpferde lebendig würden und mit wehenden Mähnen das Karussell verließen. Mit der Aussage „Fuck the System“ sei daher das erfolgreiche Verlassen des Systems „Kinderkarussell“ durch die fleischgewordenen Pferde quittiert oder gefeiert worden. Die Pferde verließen das Kinderkarussell und trennten sich friedlich und ohne Gewaltanwendung. Gewaltaufrufe oder andere fragwürdige Appelle seien den Darstellungen nicht zu entnehmen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (B.v. 14.6.2019 – 1 BvR 2433/17) handele es sich bei allen Äußerungen nicht um Beleidigungen, sondern um zulässige Meinungsäußerungen.
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Die Antragsgegnerin tritt der Beschwerde entgegen. Hinsichtlich der Nebenentscheidungen sei die Beschwerde schon unzulässig, da sie sich mit diesen nicht auseinandersetze. Bezüglich des Waffenbesitzverbots handele es sich bei dem Beschluss des Senats vom 8. Mai 2023 um eine vereinzelte Entscheidung in einem Eilverfahren, die nicht überzeuge und von der früheren Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, der Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte und des Bundesverwaltungsgerichts abweiche. Weder aus dem Wortlaut des § 41 Abs. 1 WaffG („solche Waffen“) noch aus der Systematik oder der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 14/7758, S. 76) ergäbe sich eine Auslegung, dass bei einem Waffenverbot für den Einzelfall i.S.d. § 41 WaffG hinsichtlich der Zuverlässigkeit auf den Umgang mit erlaubnisfreien Waffen abzustellen sei. Das Waffenrecht kenne keine unterschiedlichen Zuverlässigkeitsmaßstäbe für den Umgang mit erlaubnispflichtigen und (ganz oder teilweise) erlaubnisfreien Waffen. Auch bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Erteilung eines Kleinen Waffenscheins nach § 10 Abs. 4 Satz 4 WaffG werde auf den Zuverlässigkeitsbegriff des § 5 WaffG zurückgegriffen, obwohl der Erwerb und Besitz von „SRS-Waffen“, für deren Führen ein Kleiner Waffenschein erforderlich sei, erlaubnisfrei gestellt sei. Um Unverhältnismäßigkeiten zu verhindern, sei in § 41 WaffG das behördliche Ermessen eröffnet. Selbst wenn die Erfolgsaussichten der Klage offen wären, würde die Interessenabwägung zu Lasten des Antragstellers ausfallen, denn auch von erlaubnisfreien Waffen gehe ein großes Risiko aus. Auch sie seien geeignet, erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen und Verletzungen herbeizuführen. Das Risiko des Umgangs mit erlaubnisfreien Waffen könne sich jederzeit – also bereits vor der Entscheidung in der Hauptsache – verwirklichen und wäre ggf. mit schlimmsten und unumkehrbaren Folgen für Leib und Leben von Menschen verbunden. Dies würde auch dem Zweck des Waffengesetzes (Beschränkung der Risiken, die mit jedem Waffenbesitz verbunden sind, auf ein Mindestmaß) widersprechen.
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Die Landesanwaltschaft ... beteiligt sich als Vertreterin des öffentlichen Interesses am Verfahren, stellt aber keinen eigenen Antrag. Zu Recht werde dem Antragsteller vorgehalten, die Delegitimierung des Staates gerade nicht über eine offene Ablehnung der Demokratie als solche, sondern über eine ständige Verächtlichmachung von und Agitation gegen demokratisch legitimierte Repräsentantinnen und Repräsentanten sowie Institutionen des Staates zu betreiben. Dieses Vorgehen untergrabe die demokratische Ordnung, indem es das Vertrauen in das staatliche System insgesamt erschüttere und so dessen Funktionsfähigkeit gefährde. Insbesondere stelle das Verwaltungsgericht zutreffend darauf ab, dass der Antragsteller in seinen Botschaften – spektrumstypisch – die Verschwörungstheorie „Great Reset“ aufgreife. Verschwörungstheorien spielten bei diesem Personenkreis eine bedeutsame Rolle. Zwar vermöge das Äußern abstruser politischer Auffassungen bzw. Sympathiebekundungen für solche Auffassungen für sich genommen noch nicht den Schluss rechtfertigen, dass ein Ignorieren der waffenrechtlichen Vorschriften oder eine eigenwillige Auslegung zu befürchten und damit die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit zu bejahen wäre. Etwas Anderes gelte jedoch, wenn – wie hier – Tatsachen vorlägen, die hinreichend erkennen ließen, dass der Antragsteller der Bundesrepublik Deutschland, der Bundesregierung und dem Gesetzgeber die Legitimation abspreche und gültige Gesetze offensiv ablehne. Ein Eingriff in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit liege nicht vor. Selbst wenn man dies annehme wolle, sei dieser Eingriff gerechtfertigt. Darüber hinaus sei kein sachlicher Grund ersichtlich, bei nicht erlaubnispflichtigen Waffen einen weniger strengen Maßstab hinsichtlich der erforderlichen Zuverlässigkeit anzulegen als bei erlaubnispflichtigen Waffen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
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Die zulässige Beschwerde hat im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Die geltend gemachten Beschwerdegründe, auf die sich die Prüfung des Senats gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt, erfordern eine Änderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts spricht viel dafür, dass die Anfechtungsklage gegen Nummer 1 des Bescheids Erfolg haben wird, sodass die vorzunehmende Interessenabwägung zu einem Überwiegen des Aussetzungsinteresses des Antragstellers gegenüber dem Vollzugsinteresse führt.
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I. Im Rahmen der zu treffenden Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO ist eine Interessenabwägung zwischen den Interessen des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung und dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung vorzunehmen, die sich am materiellen Recht zu orientieren hat. Hierbei kommt den Erfolgsaussichten in der Hauptsache maßgebliche Bedeutung zu. Danach ist zunächst die offensichtliche Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bzw. die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs zu prüfen; nur bei offener Erfolgsprognose, also einer ergebnislosen Evidenzkontrolle, soll eine Interessenabwägung durchgeführt werden (vgl. Gersdorf in Posser/Wolff/Decker, BeckOK VwGO, Stand 1.10.2023, § 80 Rn. 187).
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II. Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung erweist sich die Anordnung in Nummer 1 des Bescheides vom 3. Februar 2023, die einen Dauerverwaltungsakt darstellt, zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats als voraussichtlich rechtswidrig. Der Senat hat Zweifel an der Richtigkeit der Unzuverlässigkeitsprognose des Verwaltungsgerichts. § 41 Abs. 1 WaffG verlangt nach einer Prognose, in deren Rahmen eine Anwendung von § 5 WaffG nicht ohne weiteres in Betracht kommt (1.). In Anwendung dieser Grundsätze ist fraglich, ob die Einstufung des Antragstellers als zur „...“ zugehörig, die Prognose der Unzuverlässigkeit hinsichtlich erlaubnisfreier Waffen und Munition trägt (2.).
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1. Die Nummer 1 des Bescheids der Antragsgegnerin hat ihre Rechtsgrundlage in § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Waffengesetzes (WaffG) i.d.F. d. Bek. vom 11. Oktober 2002 (BGBl I S. 3970), zuletzt geändert durch Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl I S. 1328). Durch § 41 Abs. 1 WaffG wird den zuständigen Behörden ein Mittel an die Hand gegeben, Besitz- und Erwerbsverbote für erlaubnisfreie Waffen und Munition für den Einzelfall, also auf die Person des Waffenbesitzers bezogen, auszusprechen. Dabei unterscheidet § 41 Abs. 1 WaffG zwei Fallgruppen: Ein Besitz- und Erwerbsverbot kann ausgesprochen werden, soweit es zur Verhütung von Gefahren für die Sicherheit oder zur Kontrolle des Umgangs mit diesen Gegenständen geboten ist (§ 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WaffG, für erlaubnispflichtige Waffen § 41 Abs. 2 WaffG), oder, wenn Tatsachen bekannt werden, die die Annahme rechtfertigen, dass der rechtmäßige Besitzer oder Erwerbswillige abhängig von Alkohol oder anderen berauschenden Mitteln, psychisch krank oder debil ist oder sonst die erforderliche persönliche Eignung nicht besitzt oder ihm die für den Erwerb oder Besitz solcher Waffen oder Munition erforderliche Zuverlässigkeit fehlt (§ 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WaffG). Dabei geht es um Personen, die durch ihr konkretes Verhalten bewiesen haben, dass sie das Vertrauen nicht verdienen, das der Gesetzgeber in den durchschnittlichen Volljährigen setzt, bei dem er hinsichtlich der erlaubnisfreien Waffen auf eine Überprüfung bestimmter persönlicher Voraussetzungen (hier: persönliche Eignung und Zuverlässigkeit) verzichtet. In diesen Fällen ist das Waffenverbot für den Einzelfall zulässig, wenn eine auf Tatsachen gestützte Annahme fehlender Eignung oder Zuverlässigkeit hinsichtlich solcher Waffen gerechtfertigt erscheint (vgl. Heller/Soschinka/Rabe, Waffenrecht, 4. Aufl. 2020, Rn. 1022).
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a) Soweit § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WaffG tatbestandlich das Vorliegen einer waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit voraussetzt, bedarf es zu deren Feststellung einer Prognose. Bei der Bestimmung der insoweit notwendigen Tatsachenbasis (zu weiteren Elementen vgl. BayVGH, B.v. 20.4.2023 – 24 CS 23.495 – Rn. 21) als Ausgangsbasis für die Ableitung künftigen Verhaltens ist zu beachten, dass verfassungsschutzbehördliche Kategorien mit Blick auf die Aufgabe der Verfassungsschutzämter nicht ohne weiteres der Rechtmäßigkeitskontrolle von Eingriffsmaßnahmen anderer Behörden zugrunde gelegt werden können (vgl. Rn. 28 ff. des streitgegenständlichen Beschlusses), sondern jeweils in das einschlägige verwaltungsrechtliche Eingriffsregime einzupassen sind. Auch bei der Bestimmung des relevanten Prognoseereignisses ist auf die Besonderheiten der einschlägigen Rechtsgrundlagen zu achten. Deshalb wird sich jedenfalls hinsichtlich erlaubnisfreier Waffen eine waffenrechtliche (Un-)Zuverlässigkeitsprognose häufig nicht in einer schlichten Zuordnung von Personen zu sehr heterogenen verfassungsschutzbehördlichen Phänomenbereichen – hier der Bereich der verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates (zu möglichen Gegenständen der Delegitimierung Gusy, GSZ 2022, 101/103 ff.) – erschöpfen dürfen.
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b) Für § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WaffG gilt vor diesem Hintergrund insbesondere, dass die Prognose auf den Umgang mit erlaubnisfreien Waffen und erlaubnisfreier Munition auszurichten ist. Ihre Strukturelemente werden nicht unmittelbar von § 5 WaffG gesteuert. Insoweit sind die Tatbestandsvoraussetzungen des § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WaffG einerseits und des § 45 Abs. 1 oder Abs. 2 Satz 1 WaffG andererseits nicht kongruent (vgl. schon BayVGH, B.v. 8.5.2023 – 24 CS 23.785 – juris Rn. 20 ff.).
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Für dieses Verständnis spricht bereits der Wortlaut, der das maßgebliche Prognoseereignis ausdrücklich auf die Unzuverlässigkeit hinsichtlich erlaubnisfreier Waffen ausrichtet („die für den Erwerb oder Besitz solcher Waffen erforderliche Zuverlässigkeit“), während demgegenüber § 5 WaffG auf erlaubnispflichtige Waffen und das mit ihnen verbundene Gefährdungspotential gerichtet ist. Auch in systematischer Hinsicht ist zu beachten, dass der Gesetzgeber § 5 WaffG nicht als Teil der allgemeinen Bestimmungen in Abschnitt 1, sondern im Unterabschnitt 1 des Abschnitts 2 verortet hat, der zwar auch als allgemein bezeichnete Voraussetzungen enthält, aber dies nur für Waffen und Munitionserlaubnisse und damit gerade nicht für erlaubnisfreie Waffen und Munition. Dass der Gesetzgeber die Vorschriften aus Abschnitt 2, Unterabschnitt 1 im Rahmen des § 41 WaffG nicht ohne Weiteres für anwendbar hält, wird im Übrigen auch dadurch deutlich, dass die entsprechende Anwendung von Teilen des § 6 WaffG in § 41 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 WaffG ausdrücklich normiert ist. Ferner hätte eine identische Handhabung des Zuverlässigkeitskriteriums in § 45 WaffG und in § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WaffG wenig überzeugende Ergebnisse zur Folge. Es ist beispielsweise kein Grund ersichtlich, den Tatbestand des § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WaffG unterschiedslos bei allen Besitzern oder Erwerbswilligen zu bejahen, die zu einem Jahr Freiheitsstrafe im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b WaffG verurteilt worden sind (und einer Differenzierung zwischen verschiedenen Straftaten nur noch auf Ermessensebene Rechnung zu tragen).
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Auch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Waffengesetz (WaffVwV) lässt dies erkennen. So ist nach Nr. 41.1 WaffVwV ein Verbot nach § 41 Abs. 1 WaffG anzuordnen, wenn Belange der öffentlichen Sicherheit schon durch den Umgang mit erlaubnisfreien Waffen und Munition beeinträchtigt werden. Dabei stellt nach Nr. 41.1 Satz 2 WaffVwV § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WaffG auf die eigentliche Gefahrenverhütung und Umgangskontrolle ab, während § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WaffG sonstige tatsächliche Umstände betrifft, die die Zuverlässigkeit oder persönliche Eignung betreffen. Auch hieraus wird ersichtlich, dass sich die waffenrechtliche Zuverlässigkeit bzw. deren Fehlen gerade auf den Umgang mit erlaubnisfreien Waffen und Munition beziehen muss, welche ihrerseits im Rahmen einer Prognose zu einer Beeinträchtigung der Belange der öffentlichen Sicherheit und Ordnung führen können muss. Darüber hinaus sind nach Nr. 41.3 WaffVwV Anordnungen nach § 41 Abs. 1 und 2 WaffG insbesondere dann gerechtfertigt, wenn der Betroffene eine Straftat begangen hat und aus der Tat auf eine rohe oder gewalttätige Gesinnung oder eine Schwäche des Täters zu schließen ist, sich zu Gewalttaten hinreißen zu lassen.
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Im Kern geht es mithin um die Frage, ob anzunehmen ist, dass der Antragsteller missbräuchlich mit erlaubnisfreien Waffen umgehen wird, insbesondere mit deren Verwendung also entsprechende Gefahren verbunden sein werden. Nicht von Relevanz ist hingegen vorliegend, wann und unter welchen Voraussetzungen eine auf Diffamierung, Delegitimierung oder Demontage eines demokratisch legitimierten Staatsorgans oder der Verfassung gerichtete Äußerung einer Privatperson (vgl. zu einer entsprechenden Äußerung eines Soldaten BVerwG, U.v. 14.6.2023 – 2 WD 11/22 – juris Rn. 23 ff.; hierzu auch Gärditz, JZ 2023, 1082 ff.) die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG begründet.
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Auch aus der Gesetzesbegründung in der BT-Drs. 14/7758 ergibt sich nichts Anderes. Zwar wird darin allgemein darauf verwiesen, dass in Rechtsprechung und Verwaltungspraxis der bisher verwendete Begriff „missbräuchlich verwendet“ inhaltlich dem Begriff der Zuverlässigkeit nach § 5 Abs. 1 WaffG angenähert worden sei, um Diskrepanzen zwischen Waffenverboten und dem Widerruf von Erlaubnissen zu begegnen. Daraus, und auch aus dem Hinweis auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. Dezember 1978 (I C 23.76 – juris), das sich mit einem Waffenbesitzverbot bezüglich erlaubnispflichtiger Schusswaffen befasst, wird klar, dass sich der Vorspann insbesondere auf das Waffenbesitzverbot i.S.d. § 41 Abs. 2 WaffG bezieht. Demgegenüber wird in der BT-Drs. 14/7758 zu § 41 Abs. 1 WaffG ausgeführt, dieser Absatz beziehe sich auf erlaubnisfreie Waffen und es solle den Waffenrechtsbehörden ein Mittel an die Hand gegeben werden, gegen Personen, die sich bei der Begehung von Gewalttaten dieser Waffen bedienen, repressiv und präventiv vorzugehen. Daraus ist ersichtlich, dass in der Prognose gerade auf einen missbräuchlichen Umgang mit erlaubnisfreien Waffen und Munition abzustellen ist.
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Schließlich ist diese gesetzgeberische Entscheidung auch aus grundrechtlicher Perspektive sachgerecht. Denn ein angeordnetes Erwerbs- und Besitzverbot von erlaubnisfreien Waffen und Munition nach § 41 Abs. 1 Satz 1 WaffG hat zur Folge, dass die betroffene Person das Recht zum Erwerb und Besitz solcher Waffen verliert, die nach Anlage 2 Abschnitt 2 Unterabschnitt 2 zum Waffengesetz grundsätzlich erlaubnisfrei sind. Die Beschränkung der im Rahmen des § 12 WaffG jedem Volljährigen grundsätzlich zustehenden Möglichkeiten zum erlaubnisfreien Umgang mit Waffen und Munition hat gegenüber einem Widerruf der Waffenbesitzkarte nach § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG eine erheblich größere Wirkungsbreite und stellt insoweit einen intensiveren Eingriff in die Rechte des Betroffenen dar.
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Damit ist zwar nicht ausgeschlossen, auch im Rahmen von § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WaffG auf § 5 WaffG zurückzugreifen (vgl. BayVGH, B.v. 24.1.2019 – 21 CS 18.1579 – juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 1.2.2021 – 24 ZB 19.1086 – juris Rn. 8; vgl. auch BayVGH, B.v. 15.10.2020 – 24 ZB 18.1159 – juris Rn. 9; Gade, 3. Aufl. 2022, WaffG, § 41 Rn. 7). Dabei ist aber zwingend zu beachten, dass § 5 WaffG insoweit nur entsprechend seiner Bewertungsmaßstäbe herangezogen, aber nicht schematisch angewendet werden kann.
22
c) Mit Blick auf die erhebliche Wirkungsbreite eines Waffenverbots und den damit verbundenen grundrechtlichen Folgen hat der Gesetzgeber der Waffenbehörde folgerichtig für die Entscheidung über ein Waffenverbot gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WaffG – anders als beim Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnis nach § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG – ein Ermessen eingeräumt („kann“). Bei der Ausübung ihres Ermessens hat die Waffenbehörde insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung zu tragen. Von spezifisch auf § 41 WaffG und seine Wirkungen bezogenen Ermessenserwägungen kann sie auch dann regelmäßig nicht absehen, wenn daneben mangels waffenrechtlicher Zuverlässigkeit die Voraussetzungen für einen Widerruf einer Erlaubnis nach § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG vorliegen (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 6 C 36.15 – juris Rn. 20).
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Vor diesem Hintergrund ist die Erforderlichkeit des Waffenverbots immer gesondert durch die Behörde zu prüfen (vgl. Heller/Soschinka/Rabe, Waffenrecht, Rn. 1024) und kann gerade nicht gleichsam eines Automatismus als einheitliches „Paket“ zusammen mit einem Widerruf nach § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG i.V.m. § 5 WaffG angeordnet werden. Eine solch pauschale Anwendung des § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WaffG würde auch dazu führen, dass im Fall der Unzuverlässigkeit hinsichtlich erlaubnispflichtiger Waffen regelmäßig ein Waffenbesitzverbot auszusprechen wäre. Dies ist aber nach den Erkenntnissen des Senats weder Verwaltungspraxis der Antragsgegnerin noch des Freistaates Bayern.
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2. Unter Anwendung der oben genannten Grundsätze hat der Senat bei summarischer Prüfung erhebliche Zweifel, ob die vorhandenen Erkenntnisse genügen, um anzunehmen, dass der Antragsteller missbräuchlich mit erlaubnisfreien Waffen umgehen wird.
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a) Die Antragsgegnerin und gleichermaßen das Verwaltungsgericht wenden § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b und c WaffG und § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa WaffG unmittelbar im Tatbestand des § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WaffG an und tragen den diesbezüglichen speziellen Anforderungen an die Untersagung des Umgangs mit erlaubnisfreien Waffen nach § 41 Abs. 1 WaffG nicht ausreichend Rechnung (vgl. Rn. 20 ff., 55 des Beschlusses).
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b) Es ist nicht hinreichend ermittelt worden, ob der Antragsteller überhaupt i.S.d. § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WaffG rechtmäßig erlaubnisfreie Waffen besitzt oder diesbezüglich erwerbswillig ist und damit ein Waffenbesitzverbot gegen ihn ausgesprochen werden kann. Dies erscheint insbesondere auch deshalb erforderlich, weil ein sofort vollziehbares Verbot nach § 41 Abs. 1 WaffG gemäß § 46 Abs. 3 und 4 WaffG erhebliche Rechtsfolgen hat. Die zuständige Behörde ist in diesem Fall berechtigt, entweder eine Pflicht zur Abgabe der Waffen nach § 46 Abs. 3 WaffG anzuordnen oder die Waffen oder Munition nach § 46 Abs. 4 WaffG sofort sicherzustellen, wofür sie nach § 46 Abs. 4 Satz 2 WaffG die Wohnung des Betroffenen, bei Gefahr im Verzug sogar ohne richterliche Durchsuchungsanordnung, betreten und durchsuchen darf. Dass der Antragsteller angesichts des erteilten Kleinen Waffenscheins wahrscheinlich erlaubnisfreie Waffen besitzt, macht jedenfalls Ermittlungsversuche nicht entbehrlich und angesichts der Auskunftspflicht aller Waffenbesitzer aus § 39 Abs. 1 Satz 1 WaffG (vgl. Papsthart in Steindorf, Waffengesetz, 11. Aufl. 2022, § 39 WaffG Rn. 3) auch nicht von vorherein aussichtslos.
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c) Des Weiteren ist nicht ermittelt worden, gegen welche Vorschriften bezüglich erlaubnisfreier Waffen ein Verstoß durch den Antragsteller zu befürchten ist. Dabei genügt das Begehen von Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr und von möglichen Straftaten ohne waffenrechtlichen Bezug, die noch nicht abschließend geahndet sind, nicht für eine diesbezügliche Unzuverlässigkeitsprognose. Im vorliegenden Fall dürfte auch das Kundtun von unsachlichen und herabsetzenden Parolen sowie von möglichen Beleidigungen einzelner Mitglieder der Bundesregierung über einen im Kraftfahrzeug verbauten Monitor bei summarischer Prüfung nicht ohne weiteres befürchten lassen, dass der Antragsteller missbräuchlich mit erlaubnisfreien Waffen umgehen wird. Die Ableitung von unzuverlässigem Verhalten aus im Kern politisch motivierten Äußerungen erscheint zwar nicht generell ausgeschlossen. Für eine entsprechende Prognose ist aber der Bedeutungsgehalt der Äußerungen zutreffend zu ermitteln. Ergeben sich keine konkreten Anhaltspunkte aus dem Verhalten des Betreffenden, wie die Äußerungen zu verstehen sind, so ist ihr Sinn unter Berücksichtigung der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG zu ermitteln und der Bedeutungsgehalt mit einem zu erwartenden Verhalten, das als waffenrechtlich unzuverlässig bewertet werden müsste, zu verknüpfen. Insbesondere erscheint es hier nicht überzeugend, anzunehmen, dass mit den gegen die Parteien und Amtsträger der Bundesregierung gerichteten unsachlichen Äußerungen, vom Antragsteller hinsichtlich erlaubnisfreier Waffen entsprechende Gefahren ausgehen. Näher liegt es, die Äußerungen vor allem auch wegen ihrer besonders ausgeprägten Bezugnahme auf Politiker der Partei „Bündnis 90/Die Grünen“ im Schwerpunkt als Angriff gegen eine bestimmte politische Richtung zu verstehen. Auch die Äußerung der Parole „Fuck the System“, die in Zusammenhang mit einer Animation (aus einem Karussell ausbrechende Pferde) verwendet worden ist, ist nicht von vornherein ein Umstand, der die Prognose der Unzuverlässigkeit hinsichtlich erlaubnisfreier Waffen trägt, zumal auch unklar bleibt, was als Konsequenz des Aufrufes folgen soll.
28
Auch die Bezugnahmen des Antragstellers auf die an die Initiative des Weltwirtschaftsforums anknüpfende Verschwörungsthese des „Great Reset“ ändert hieran schon deshalb nichts, weil er die Wendung in „Great Resist“ abgeändert hat. Die Verschwörungsthese des „Great Reset“ behauptet, dass „globale Finanzeliten“ die COVID-19-Pandemie geplant hätten, um in einer neuen Weltordnung die globale politische und wirtschaftliche Kontrolle zu übernehmen (vgl. https://www.tagesschau.de/faktenfinder/wef-schwab-101.html). Mit der vorgenommenen Änderung ist eine Bedeutungsverschiebung von „Großer Neustart“ zu „Großer Widerstand“ verbunden. Auch wenn im gleichen Bildabschnitt zusätzlich der Satz „They will own nobody, and they will be unhappy“ benutzt wird, der im Zusammenhang mit Kritik am Weltwirtschaftsforum Verwendung findet, kann daraus nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden, dass vom Antragsteller hinsichtlich erlaubnisfreier Waffen entsprechende Gefahren ausgehen.
29
Die Antragsgegnerin hat darüber hinaus selbst ausgeführt, dass nur Teile der „...“ zu Gewalt aufriefen, aber keinerlei Hinweise dafür geliefert, dass der Antragsteller zu diesem Teil der Szene gehört. Dass Verschwörungstheorien auch Radikalisierungsprozesse begünstigen können (vgl. Rn. 35 des streitgegenständlichen Beschlusses), kann es jedenfalls hinsichtlich erlaubnisfreier Waffen und Munition nicht rechtfertigen, den Wahrscheinlichkeitsmaßstab im Rahmen der Gefahrprognose ohne einzelfallbezogene Prognose so abzusenken, dass bereits eine wie auch immer gestaltete Nähe zum Phänomen der „Delegitimierung des Staates durch Protest“ für ein Unzuverlässigkeitsurteil genügt.
30
Die vom Antragsteller verlautbarten Parolen sind polemisch, überwiegend vulgär und mit verschwörungstheoretischen Bezugnahmen. Dennoch haben sie in der Gesamtschau keinen umstürzlerischen oder gewaltverherrlichenden oder zu Gewalt auffordernden Charakter. Die Bezugnahme auf zahlreiche Personen, die der „...“ angehören oder nahestehen, und die Bezeichnung derselben als „Freedom Fighters“ kann auch nicht dahingehend verstanden werden, dass der Antragsteller sich sämtliche Äußerungen dieser Personen zu eigen macht. Selbst wenn diese Menschen öffentlich staats- und verfassungsfeindliche Meinungen vertreten und zu Gewalt aufrufen sollten, erscheint es ohne weitere Anhaltspunkte nicht gerechtfertigt, dem Antragsteller undifferenziert sämtliche Äußerungen dieser Personen zuzurechnen.
31
d) Ob mit den öffentlich getätigten, unsachlichen und möglicherweise beleidigenden Äußerungen des Antragstellers Straftaten begangen worden sind oder ein Verstoß gegen die allgemeine Berufspflicht nach § 39 Patentanwaltsordnung (PAO) einhergeht, erscheint zwar möglich, spielt aber für die Frage, ob er zuverlässig hinsichtlich des Umgangs mit erlaubnisfreien Waffen und Munition ist, bei summarischer Prüfung ebenfalls keine ausschlaggebende Rolle. Denn bei den möglichen Straftaten handelt es sich nicht um Taten, die auf eine rohe oder gewalttätige Gesinnung oder eine Schwäche des Antragstellers schließen lassen, sich zu Gewalttaten mit Waffen hinreißen zu lassen. Die mit diesen Äußerungen verbundenen möglichen Straftaten sind – wie durch den Strafbefehl geschehen – von den Strafgerichten zu ahnden, führen aber nicht zwangsläufig zur waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit i.S.d. § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WaffG.
32
Die möglichen Verstöße gegen die anwaltlichen Berufspflichten implizieren ebenfalls keine Gewaltbereitschaft und führen deshalb nicht zur Unzuverlässigkeit hinsichtlich erlaubnisfreier Waffen, sind aber von der zuständigen Patentanwaltskammer zu untersuchen. Der Auffassung des Antragstellers, es müsse, da er Organ der Rechtspflege sei (vgl. § 1 PAO), per se davon ausgegangen werden, dass er die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland beachte und diese nicht ablehne, kann ersichtlich nicht überzeugen. Auch Patentanwälte können waffenrechtlich unzuverlässig sein. Entscheidend sind allein die Umstände des konkreten Einzelfalls und ob hiernach die Zuverlässigkeit zum Umgang mit erlaubnisfreien Waffen und Munition gegeben ist oder nicht.
33
e) Auch aus einer Gesamtschau ergibt sich derzeit nicht, dass der Antragsteller als unzuverlässig hinsichtlich des Umgangs mit erlaubnisfreien Waffen anzusehen ist. Zwar weicht sein Verhalten von dem eines durchschnittlichen Volljährigen dahingehend ab, dass er mit einer aggressiven, teilweise vulgären und emotionalen Sprache versucht, Politiker einer ihm unliebsamen, aber in Wahlen als Mehrheit hervorgegangenen Regierung als unfähig und ungeeignet darzustellen, sowie andere Menschen von seinen politischen Ansichten zu überzeugen, was üblicherweise in einem sachlicheren Diskurs geschieht. Seine Verhaltens- und Ausdrucksweisen und sein offensichtlich gesteigertes Sendungsbewusstsein, das darin seinen Ausdruck findet, dass er ihm völlig fremde Personen im Straßenverkehr mit seinen Ansichten aufdringlich behelligt, weichen aber nicht derart von der Bandbreite von im öffentlichen Raum geführten scharfen politischen Debatten ab, dass alleine daraus eine Unzuverlässigkeit zum Umgang mit erlaubnisfreien Waffen resultiert.
34
3. Unter Berücksichtigung der bei summarischer Prüfung hinreichenden Erfolgsaussichten der Klage und der gesetzgeberischen Entscheidung, in Fällen des § 41 WaffG keinen gesetzlichen Sofortvollzug vorzusehen, ergibt eine Interessenabwägung das Überwiegen des Interesses des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen Nummer 1 des Bescheids vom 3. Februar 2023 gegenüber dem öffentlichen Interesse am sofortigen Vollzug.
35
Hinsichtlich der angeordneten sofortigen Vollziehbarkeit der Nummern 3 und 4 des Bescheids war die Beschwerde zurückzuweisen, da die Beschwerdebegründung keine substantiierte Auseinandersetzung mit dem erstinstanzlichen Beschluss hinsichtlich dieser Nebenanordnungen enthält.
III.
36
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und 2 VwGO.
IV.
37
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung der Nr. 1.5. des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i.d.F. vom 18. Juli 2013. Das Interesse des Antragstellers an der Beseitigung des Waffenerwerbs- und Waffenbesitzverbotes ist mit dem Auffangstreitwert zu bemessen, der im vorläufigen Rechtsschutz zu halbieren war. Die Beseitigung der Nebenanordnungen wird ebenfalls mit dem Auffangstreitwert bemessen.
38
Nachdem sich der Antrag nicht gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Anordnung in Nummer 2 des Bescheids richtet, sind die Waffenbesitzkarte und der Kleine Waffenschein in der Streitwertbemessung nicht zu berücksichtigen. Die erstinstanzliche Streitwertfestsetzung war daher nach § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG entsprechend abzuändern.
V.
39
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).