Inhalt

VGH München, Beschluss v. 23.05.2024 – 6 ZB 24.730
Titel:

E-Mail als anwaltliches Kommunikationsmittel

Normenkette:
VWGO § 60 Abs. 1, § 124a Abs. 4
Leitsatz:
Die Wahl einer "einfachen" E-Mail als Kommunikationsmittel genügt nicht den anwaltlichen Sorgfaltspflichten, da bei der Übersendung immer die Gefahr besteht, dass diese den Empfänger – etwa wegen einer technischen Störung, eines Spam-Filters oder eines Bedienfehlers – nicht erreicht. Daher hat der Versender zumindest über die Optionsverwaltung seines E-Mail-Programms eine Lesebestätigung anzufordern, um sicherzustellen, dass die E-Mail den Adressaten auch tatsächlich erreicht. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Antragsfrist, Begründungsfrist, Verschuldens des Prozessbevollmächtigten, Korrespondenz zwischen Anwalt und Mandant, E-Mail (ohne Lesebestätigung), Wiedereinsetzung, E-Mail, Lesebestätigung, Verschulden, Empfänger, Rechtsmittelfrist, Hinweis, Begründung
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 14.11.2023 – M 21b K 21.4413
Fundstellen:
BayVBl 2024, 645
LSK 2024, 13866
BeckRS 2024, 13866

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 14. November 2023 – M 21b K 21.4413 – wird unter Ablehnung des Wiedereinsetzungsantrags verworfen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 33.143,34 € festgesetzt.

Gründe

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Der Kläger begehrt Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Stellung eines Antrags auf Zulassung der Berufung (§ 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO) gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 14. November 2023 – M 21b K 21.4413 –, mit dem seine Klage auf Beförderung in ein Statusamt nach A 13 vz abgewiesen worden war. Der Senat geht davon aus, dass der Kläger zusammen mit dem Wiedereinsetzungsantrag auch – und ohne unzulässige Bedingung – den Zulassungsantrag gestellt hat, um entsprechend der Anforderung des § 60 Abs. 2 Satz 3 VwGO die versäumte Rechtshandlung rechtzeitig nachzuholen.
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Beide Anträge bleiben ohne Erfolg.
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1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unzulässig, weil er weder fristgerecht erhoben noch begründet worden ist.
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Nach § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO ist die Zulassung auf Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen, wenn – wie hier – die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen wurde. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen (Satz 2). Die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils darzulegen (Satz 4). Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung vorgelegt worden ist, beim Verwaltungsgerichtshof einzureichen (Satz 5).
5
Beide Fristen hat der Kläger versäumt. Das vollständige, mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrungversehene Urteil des Verwaltungsgerichts vom 14. November 2023 war seinem Prozessbevollmächtigten – unstreitig – am 27. November 2023 zugestellt worden. Die Antragsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO endete demnach mit Ablauf des 27. Dezember 2023, die Begründungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO mit Ablauf des 29. Januar 2024, einem Montag. Erst mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten 5. März 2024 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Wiedereinsetzung in die Antragsfrist beantragt und – sinngemäß – einen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt. Eine Begründung oder ein auf die Begründungsfrist gerichteter Wiedereinsetzungsantrag ist bis heute nicht eingegangen. Entgegen der Sichtweise des Klägers hemmt ein Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Stellung des Antrags auf Zulassung der Berufung nicht die laufenden Fristen für einen Antrag auf Wiedereinsetzung in die Begründungsfrist dieses Antrags (vgl. BVerwG, B.v. 26.9.2016 – 2 B 39.16 – juris Rn. 7 m.w.N.).
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2. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Antragsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO, über den der Verwaltungsgerichtshof zu entscheiden hat (§ 60 Abs. 4 VwGO), muss aus zwei Gründen ohne Erfolg bleiben.
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a) Wiedereinsetzung kann nach § 60 Abs. 1 VwGO – zum einen – nicht gewährt werden, weil die Fristversäumung unter Berücksichtigung der eidesstattlichen Versicherung des Klägers vom 4. März 2024 und der Stellungnahme seines Prozessbevollmächtigten vom 5. März 2024 nicht unverschuldet war. Sie beruht jedenfalls auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten, das sich der Kläger zurechnen lassen muss (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO).
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Allerdings sollte der Prozessbevollmächtigte – wegen Beendigung seiner Berufstätigkeit – die Vertretung des Klägers nur noch bis zum Ende der ersten Instanz wahrnehmen. Für ein etwaiges Rechtsmittelverfahren stand er, wie dem Kläger bekannt war, nicht mehr zur Verfügung. Das ändert aber nichts an der aus dem Anwaltsdienstvertrag (§§ 675, 611 BGB) resultierenden Pflicht, den Kläger so rechtzeitig vom Zeitpunkt der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils in Kenntnis zu setzen und ihn über die daraus folgenden Umstände der Rechtsmitteleinlegung zu unterrichten, dass der Kläger den Auftrag zur Einlegung des Rechtsmittels auch unter Berücksichtigung einer ausreichenden Überlegungsfrist noch innerhalb der Rechtsmittelfrist an einen neuen Prozessbevollmächtigten erteilen konnte (vgl. BGH, U.v. 1.10.1992 – IX ZB 41/92 – juris m.w.N.). Dieser Verpflichtung ist der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht in der erforderlichen Weise nachgekommen.
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Er hat zwar nach seinem Vorbringen am 27. November 2023, also noch am Tag der Zustellung, mit einer an den Kläger adressierten E-Mail das erstinstanzliche Urteil übersandt und auf die Rechtsmittelfrist hingewiesen. In dieser E-Mail erinnerte er weiter daran, dass er für die Berufungszulassung nicht mehr zur Verfügung stehe. Bei dem Kläger ist diese E-Mail jedoch nach dessen Erklärung nicht eingegangen. Der Kläger hat erst am 29. Februar 2024 telefonisch bei der Kanzlei nachgefragt und anschließend das Urteil erhalten. Warum er die „verschwundene“ E-Mail vom 27. November 2023 nicht erhalten hat, ist ihm seinen Angaben nach unerklärlich und auch nicht mehr aufklärbar.
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Auch wenn dem Kläger selbst kein Verschulden (wie etwa bei versehentlichem Löschen) vorzuwerfen sein sollte, so beruht der für die Fristversäumung ursächliche Kommunikationsmangel – jedenfalls – auf einem anwaltlichen Verschulden, das er sich zurechnen lassen muss. Denn die Wahl der „einfachen“ E-Mail als Kommunikationsmittel genügt nicht den anwaltlichen Sorgfaltspflichten. Da bei der Übersendung einer E-Mail immer die Gefahr besteht, dass diese den Empfänger – etwa wegen einer technischen Störung, eines Spam-Filters oder eines Bedienfehlers – nicht erreicht, hat der Versender zumindest über die Optionsverwaltung seines E-Mail-Programms eine Lesebestätigung anzufordern, um sicherzustellen, dass die E-Mail den Adressaten auch tatsächlich erreicht (Wendtland in BeckOK ZPO, Stand: 1.3.2024, § 233 Rn. 36; BayVGH, B.v. 20.2.2017 – 16a D 16.2092 – juris Rn. 8; BGH, B.v. 17.7.2013 – I ZR 64/13 – juris Rn. 11). Das gilt auch bei der Korrespondenz zwischen Anwalt und Mandant jedenfalls dann, wenn sie – wie hier – wesentliche Informationen für die Entscheidung enthält, ob und bis wann ein Rechtsmittel eingelegt werden soll. Diese Sorgfaltspflicht hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht beachtet.
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b) Unabhängig hiervon liegen die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch deshalb nicht vor, weil der Kläger bis heute keine Zulassungsbegründung vorgelegt hat. Selbst wenn ihm Wiedereinsetzung in die Antragsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO gewährt werden könnte, wäre gleichwohl die Begründungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO versäumt. Einen entsprechenden Wiedereinsetzungsantrag hat der Kläger nicht gestellt; er wäre mittlerweile auch verfristet. Denn ein Antrag auf Wiedereinsetzung in die Antragsfrist hemmt nicht die laufenden Fristen für einen Antrag auf Wiedereinsetzung in die Begründungsfrist. Dem Kläger hätte daher für einen erfolgreichen Wiedereinsetzungsantrag oblegen, auch eine Begründung für die von ihm begehrte Zulassung der Berufung vorzulegen.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Satz 4 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).