Titel:
Anerkennung einer Covid-19-Infektion eines Polizeibeamten als Berufskrankheit
Normenketten:
BayBeamtVG Art. 46 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 2, Abs. 3 S. 1
BKV Anl. 1 Nr. 3101
Leitsätze:
1. Für die zeitliche Bestimmbarkeit einer Infektion als Dienstunfallereignis genügt es nicht, dass sich ein über mehrere Tage erstreckender Zeitraum nach Anfangs- und Schlusstag eingrenzen lässt. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Als Berufskrankheit kann eine Infektionskrankheit anerkannt werden, wenn dem konkreten dienstlichen Tätigkeitsbereich eine abstrakte Gefährdung innewohnt und sich die generelle Gefahr aufgrund der im Gefahrenbereich individuell vorgenommenen Verrichtungen auch tatsächlich realisiert haben kann. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. Darüber hinaus kommt es darauf an, ob der Beamte infolge seiner konkret ausgeübten Verrichtungen einer erhöhten Infektionsgefahr ausgesetzt war, die sich dann nach der Durchseuchung des Tätigkeitsumfeldes sowie der Übertragungsgefahr richtet. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
4. Tätigkeiten am Menschen mit einem unmittelbaren Körperkontakt oder eine gesichtsnahe Tätigkeit in Innenräumen sind in der Regel mit einer besonderen Gefahr verbunden, sich mit dem Coronavirus zu infizieren. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
5. Ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Beamte sich die Krankheit innerhalb des Dienstes zugezogen hat, so trägt der Dienstherr die materielle Beweislast für eine Infektion im privaten Bereich. (Rn. 57) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Polizeibeamter, Anerkennung als Dienstunfall, Covid-19 Erkrankung als Berufskrankheit, Gefahr der Infektion besonders ausgesetzt, Teilnahme an Sportübungsleiterlehrgang im Frühstadium der Pandemie hoher Grad der Durchseuchung (19 von 21 Teilnehmern), hohe Übertragungsgefahr insbesondere durch Partnerübungen mit Körperkontakt, sportliche Aktivitäten in einer Sporthalle gemeinsame Nutzung von Schwimmbad, Umkleiden und Duschen, keine Infektionsschutzmaßnahmen (Masken, Hygienekonzepte Lüftungsvorgaben), Beamter, Polizei, Übungsleiterlehrgang, Infektion, Covid-19, Dienstunfall, Berufskrankheit, Kausalität, dienstliche Tätigkeit, Körperkontakt, Durchseuchung, Wahrscheinlichkeit, materielle Beweislast
Vorinstanz:
VG Augsburg, Urteil vom 21.10.2021 – Au 2 K 20.2494
Fundstelle:
BeckRS 2024, 13860
Tenor
I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Der Kläger, ein Polizeibeamter im Dienst des Beklagten, begehrt die Anerkennung einer Coronavirus-Disease-2019 (Covid-19) Erkrankung als Dienstunfall.
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Ab dem 9. März 2020 war er zur Teilnahme an einem Sportübungsleiterlehrgang (Seminar Sportübungsleiter N – ...) in der Kaserne der II. Bereitschaftspolizeiabteilung (BPA) in E. eingeteilt, der bis zum 27. März 2020 dauern sollte. Am 11. März 2020 meldete sich ein Lehrgangskollege (PHM X1) krank. Der Kläger fuhr am Freitag, dem 13. März 2020 für das Wochenende nach Hause. Er verspürte in der Nacht vom 14. auf den 15. März 2020 grippeähnliche Symptome (Fieber, Kopfschmerzen, Erbrechen, Durchfall) und meldete sich am 15. März 2020 bei der Lehrgangsleiterin krank. Am 16. März 2020 wurde durch den Hausarzt ein PCR-Test durchgeführt. Dieser ergab am 23. März 2020 den positiven Befund einer SARS-CoV-2/Covid-19 Infektion.
3
Seinen Antrag vom 25. Mai 2020 auf Anerkennung der Infektionserkrankung als Dienstunfall lehnte das Landesamt für Finanzen (Landesamt) mit Bescheid vom 15. Juli 2020 und Widerspruchsbescheid vom 26. Oktober 2020 ab.
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Mit Urteil vom 21. Oktober 2021 verpflichtete das Verwaltungsgericht den Beklagten, unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide, die durch den Erreger SARS-CoV-2 ausgelöste Erkrankung Covid-19 des Klägers als Dienstunfall gemäß Art. 46 Abs. 3 Satz 1 BayBeamtVG in Verbindung mit Nr. 3101 – letzte Alternative – der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) vom 31. Oktober 1997 (BGBl I S. 2623) in der jeweils geltenden Fassung anzuerkennen. Aus dem Ablauf des Sportübungsleiterlehrgangs (Gelände nicht verlassen, Partnerübungen während des Hallensports, gemeinsame Schwimmbadbenutzung, 19 von 21 an Covid-19 erkrankten Kursteilnehmern) ergebe sich eine signifikante Erhöhung der Ansteckungsgefahr.
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Hiergegen richtet sich die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung des Beklagten. Das Verwaltungsgericht habe die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (U.v. 2.4.2009 – B 2 U 33/07 R) außer Acht gelassen. Danach sei zunächst (in einem ersten Schritt) zu prüfen, ob der Tätigkeitsbereich des Beamten seiner Art nach mit einer abstrakten Gefahrenlage verbunden und mit derjenigen der anderen drei Regelungsalternativen der Nr. 3101 Anlage 1 zur BKV (Gesundheitsdienst, Wohlfahrtspflege, Laboratorium) vergleichbar sei. Zudem sei der Maßstab des Verwaltungsgerichts unzutreffend, weil es auf einen Vergleich der Infektionsgefahr des Klägers mit der Infektionsgefahr der Beschäftigten im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium und nicht der (gesamten) übrigen Bevölkerung ankomme. Bei den in Nr. 3101 der Anlage 1 zur BKV aufgelisteten Bereichen sei die „Konzentration“ von Kranken besonders ausgeprägt. Eine damit vergleichbare abstrakte Gefährdung könne aber von vornherein nicht angenommen werden, wenn der Betreffende – wie hier – in einer Einrichtung tätig sei, in der vorwiegend gesunde Menschen zusammenkämen. Unabhängig davon fehle es an gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen über Berufsgruppen, bei denen die Beschäftigten der Gefahr einer Infektion mit dem Coronavirus in ähnlichem Maße im Sinne von Nr. 3101 – letzte Alternative – der Anlage 1 zur BKV besonders ausgesetzt seien (vgl. BT-Drs. 19/24982 S. 4 [Antwort auf Frage 4 bis 4b]; BT-Drs. 19/31260 S. 2; BMAS v. 24.11.2021). Die vom Verwaltungsgericht vertretene Rechtsauffassung führe im Ergebnis zur völligen Entgrenzung der Nr. 3101 der Anlage 1 zur BKV. Denn sie habe zur Folge, dass damit jeder abstrakt-generelle Bezug zu Tätigkeitsart und Arbeitsumfeld – mithin jeder gruppenspezifische Risikobezug – verloren gehe. Das Verwaltungsgericht vergleiche letztlich nicht Tätigkeitsarten miteinander, sondern lediglich eine vorübergehende, konkret-individuelle Risikosituation des Klägers einerseits mit der Ansteckungsgefahr der gesamten übrigen Bevölkerung andererseits. Das Verwaltungsgericht lasse es bereits genügen, dass beim Kläger für nur kurze Zeit eine besondere „Arbeitssituation“ herrsche, in der vorübergehend ein erhöhtes Infektionsrisiko bestanden habe. In der Konsequenz der verwaltungsgerichtlichen Rechtsauffassung müsste jedes lokale Ausbruchsgeschehen („Superspreading-Ereignis“) unter entsprechenden Bedingungen wie beim Kläger zu einer Dienstunfallanerkennung als Berufskrankheit führen. Auch bei Lehrgängen, die keine sportlichen Aktivitäten beinhalteten, seien die Lehrgangsteilnehmer im Seminarraum sowie während der Mahlzeiten für viele Stunden in einem Raum zusammen. Die vom Kläger erlebte Situation sei daher nicht außergewöhnlich, sondern trete unter den Bedingungen der Coronavirus-Pandemie regelmäßig auf. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 18. Dezember 2015 (OVG 4 N 36.14 – nicht veröffentlicht) stütze die in der Berufungsbegründung vertretene Rechtsauffassung.
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Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 21. Oktober 2021 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil und beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Auf Nachfrage des Senats zum gewöhnlichen und konkreten Ablauf des Sportübungsleiterlehrgangs nahmen die Beteiligten unter Übersendung der Lehrgangsbeschreibung und des Lehrgangsprogramms ausführlich Stellung. Zudem bat der Senat die damalige Seminarleiterin und die (mit Ausnahme des Klägers) weiteren Teilnehmer des Seminars Sportübungsleiter N – ... vom 9. bis 27. März 2020 mittels Fragebogen um Auskunft über das damalige Infektionsgeschehen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die beigezogen Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 15. Juli 2020 und des Widerspruchsbescheids vom 26. Oktober 2020 verpflichtet, die Covid-19 Erkrankung des Klägers als Dienstunfall anzuerkennen. Es hat im Ergebnis zutreffend die Voraussetzungen des Art. 46 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG verneint (I.), diejenigen des Art. 46 Abs. 3 Satz 1 BayBeamtVG hingegen bejaht (II.).
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I. Ein Dienstunfall gemäß Art. 46 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG liegt mangels örtlich und zeitlich bestimmbaren Ereignisses, das zu der COVID-19 Erkrankung des Klägers geführt hat, nicht vor. Auch wenn viel dafürspricht, dass sich der Kläger während des Zeitraums zwischen dem 9. und 14. März 2020 während der Teilnahme am Übungsleiterlehrgang infiziert hat, lässt sich der genaue Zeitpunkt der Ansteckung mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 nicht mit der erforderlichen, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit feststellen. Vielmehr ist es mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit möglich, dass sich der Kläger außerhalb des Dienstes bei irgendeiner anderen Person angesteckt hat. Der Kläger kann sich in der Zeit vom 25./26. Februar 2020 bis zum 12./13. März 2021 infiziert haben. Der Senat geht entsprechend der unfallnahen Angaben des Klägers davon aus, dass sich erste Krankheitssymptome in der Nacht vom 14. auf den 15. März 2020 gezeigt haben. Unter dieser Prämisse müsste sich der Kläger zwischen dem 25./26. Februar und dem 12./13. März 2020 infiziert haben. Denn die Infektion kann frühestens 18 Tage, spätestens 2 Tage, wahrscheinlich 6 Tage vor dem 14. März 2020 stattgefunden haben. Die Inkubationszeit (die Zeitspanne von der Ansteckung bis zum Beginn der Erkrankung) ist bei Covid-19 sehr volatil. Die kürzeste belegte Inkubationszeit beträgt 1,8 Tage, die längste 18,87 Tage (..., v. 23.8.2022, abgerufen am 5.6.2024). Es ist unwahrscheinlich (aber möglich), dass sich der Kläger vor dem 2. März 2020 angesteckt hat, denn die 95-Prozent-Perzentile für die Inkubationszeit der im Jahr 2020 zirkulierten Viren (sog. Wildtyp) wurde mit 11,7 Tagen angegeben (95 Prozent Konfidenzintervall 9,7-14,2 Tage; RKI, Epidemiologischer Steckbrief zu SARS-CoV-2 und COVID-19, Kapitel 5: Inkubationszeit und serielles Intervall, Stand November 2021, ....de/....html, abgerufen am 5.6.2024 m.w.N.). Dass sich der Kläger noch am 12/13. März 2020 angesteckt hat, ist ebenfalls wenig wahrscheinlich aber möglich, weil dies nur zwei Tage vor Erkrankungsbeginn liegt. Wahrscheinlich hat er sich am bzw. um den 8./9. März 2020 herum infiziert. Denn die Inkubationszeit wurde im Mittel mit 5,8 Tage (95 Prozent Konfidenzintervall 5,0 – 6,7 Tage) berechnet (RKI, a.a.O.). Als mögliche Indexperson wurde durch den Kläger der Kollege PHM X1 benannt, der nach Mitteilung der Lehrgangsleiterin am Wochenende vor Lehrgangsbeginn im Skiurlaub in Österreich gewesen sein soll. Mit diesem fand am 9. März 2020 ein Erstkontakt statt. PHM X1 zeigte am 11. März 2020 erste Krankheitssymptome und meldete sich am 12. März 2020 krank, mithin innerhalb der regelmäßigen Inkubationszeit. Genauso gut könnte sich der Kläger jedoch unbemerkt am 8. März 2020 oder bereits früher im privaten Bereich angesteckt haben. Auch wenn gewichtige Gründe dafürsprechen, dass sich der Kläger bei einer noch geringen 7-Tage-Inzidenz im Rahmen des Sportübungsleiterlehrgangs infiziert hat, hält es der Senat nach alledem für nicht aufklärbar, ob sich der Kläger während des dienstlichen Sportübungsleiterlehrgangs oder außerdienstlich im privaten Bereich mit dem Covid19-Virus angesteckt hat. Denn für die zeitliche Bestimmbarkeit genügt es nicht, dass sich ein über mehrere Tage erstreckender Zeitraum nach Anfangs- und Schlusstag eingrenzen lässt (BVerwG, B.v. 19.1.2006 – 2 B 46.05 – juris Rn. 6). Ebenso erfüllt eine abstrakte Bestimmung des möglichen Tages der Infektion durch Rückrechnung aufgrund der Inkubationszeit nicht das Erfordernis der konkreten zeitlichen Bestimmbarkeit (Kazmaier in Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, Beamtenversorgungsgesetz des Bundes und der Länder, September 2023, § 31 BeamtVG Rn. 37). Lassen sich Ort und Zeit einer Infektion nicht genau feststellen, so geht das zu Lasten des Beamten, der die materielle Beweislast trägt (BVerwG, U.v. 28.1.1993 – 2 C 22.90 – juris Rn. 8). Dem Kläger ist auch keine Beweiserleichterung im Zusammenhang mit dem Kausalitätsnachweis in Form des prima-facie-Beweises (Anscheinsbeweis) einzuräumen. Denn ein Anscheinsbeweis greift nur bei typischen Geschehensabläufen ein, also in Fällen, in denen ein bestimmter Tatbestand nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache für den Eintritt eines bestimmten Erfolgs hinweist. Typizität bedeutet in diesem Zusammenhang allerdings nur, dass der Kausalverlauf so häufig vorkommen muss, dass die Wahrscheinlichkeit, einen solchen Fall vor sich zu haben, sehr groß ist (BVerwG, U.v. 28.4.2011 – 2 C 55.09 – juris Rn. 18). Der Anscheinsbeweis scheidet vorliegend schon deshalb aus, weil im Hinblick auf die Inkubationszeit und die mannigfaltigen Möglichkeiten einer anderweitigen Infektion es nicht typischerweise oder geradezu zwangsläufig zu einer Infektion im dienstlichen Rahmen zum fraglichen Zeitraum gekommen sein muss.
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Der Senat sieht zudem keine Veranlassung, in Fällen wie dem vorliegenden, in denen eine Infektion praktisch jederzeit und überall erfolgt sein kann, eine quasi Beweislastumkehr über die Heranziehung des Anscheinsbeweises zu Gunsten der Beamten zu begründen. Denn der Gesetzgeber hat der bestehenden Beweisproblematik bezogen auf Infektionskrankheiten mit der Berufskrankheit nach Nr. 3101 der Anlage 1 zur BKV, die grundsätzlich auch die Erkrankung an Covid-19 erfasst, Rechnung getragen. Zum anderen soll der Dienstherr nur für Schadensereignisse einstehen müssen, die einem Nachweis zugänglich sind. Eine Beweislastumkehr aus reinen Billigkeitsgründen kommt nicht in Betracht (vgl. VG Düsseldorf, U.v. 12.12.2022 – 23 K 8281/21 – juris Rn. 55; OVG NW, B.v. 13.10.2010 – 1 A 3299/08 – juris Rn. 21; Günther/Michaelis, COVuR 2022, S. 46 (47); BVerwG, U.v. 11.2.1965 – II C 11/62 – ZBR 1965, 244).
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II. Nach Art. 46 Abs. 3 Satz 1 BayBeamtVG gilt als Dienstunfall auch die Erkrankung an einer in Anlage 1 zur BKV vom 31. Oktober 1997 (BGBl I S. 2623) in der jeweils geltenden Fassung genannten Krankheit, wenn der Beamte oder die Beamtin nach der Art seiner oder ihrer dienstlichen Verrichtung der Gefahr der Erkrankung besonders ausgesetzt war (1.), es sei denn, dass der Beamte oder die Beamtin sich die Krankheit außerhalb des Dienstes zugezogen hat (2.).
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Der Kläger ist unstreitig an Covid-19 erkrankt, da er an grippeähnlichen Symptomen litt sowie bei ärztlichen Kontrollbesuchen im April und Mai 2020 ausgeprägte Leistungs- und Geruchseinschränkungen aufwies. Seine Erkrankung hatte er rechtzeitig seinem Dienstvorgesetzten (am 20.4.2020) gemeldet (Art. 47 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG).
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1. Gemäß Nr. 3101 der Anlage 1 zur BKV i.V.m. § 1 BKV sind Infektionskrankheiten als Berufskrankheiten erfasst, wenn der Versicherte (hier der Beamte/die Beamtin) im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war.
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Da die Covid-19 Erkrankung des Klägers durch die Infektion (Ansteckung) mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 verursacht wird und daher eine von Mensch zu Mensch übertragbare Infektionskrankheit ist (vgl. dazu den unter „Infektionskrankheiten A-Z“ aufgeführten Steckbrief des Robert-Koch-Instituts unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/InfAZ_marginal_node.html; BVerfG, B.v. 27.4.2022 – 1 BvR 2649/21 – juris Rn. 3), wird sie von Nr. 3101 der Anlage 1 zur BKV grundsätzlich erfasst.
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Der Kläger ist weder im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig (gewesen). Die damit allein in Betracht kommende Nr. 3101 – letzte Alternative – der Anlage 1 zur BKV fordert eine der betreffenden Tätigkeit innewohnende besondere, den übrigen aufgeführten Tätigkeiten vergleichbare Gefährdung (BVerwG, U.v. 28.1.1993 – 2 C 22.90 – juris Rn. 11). Sowohl Nr. 3101 – letzte Alternative – der Anlage 1 der BKV als auch Art. 46 Abs. 3 Satz 1 BayBeamtVG enthalten das Tatbestandsmerkmal, der Erkrankungs- bzw. Infektionsgefahr besonders ausgesetzt gewesen zu sein. Vor diesem Hintergrund ist es im Zusammenhang mit der in Art. 46 Abs. 3 Satz 1 BayBeamtVG geforderten besonderen Dienstbezogenheit der Erkrankung („nach der Art seiner oder ihrer dienstlichen Verrichtung“) zu prüfen.
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Für das Vorliegen einer Erkrankung im Sinne des Art. 46 Abs. 3 Satz 1 BayBeamtVG, für die besondere Erkrankungsgefahr und die rechtzeitige Meldung der Erkrankung trägt der Beamte die materielle Beweislast, wenn das Gericht die erforderliche, d.h. vernünftige Zweifel ausschließende Überzeugungsgewissheit nicht gewinnen kann. In diesem Rahmen können dem Beamten auch allgemein anerkannte Beweiserleichterungen wie der Beweis des ersten Anscheins oder eine Umkehr der Beweislast zu Gute kommen, wenn die hierzu von der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen gegeben sind (BVerwG, B.v. 11.3.1997 – 2 B 127.96 – juris). Lässt sich bei Vorliegen der beiden erstgenannten Voraussetzungen hingegen lediglich nicht klären, ob sich der Beamte die Erkrankung innerhalb oder außerhalb des Dienstes zugezogen hat, so trägt das Risiko der Unaufklärbarkeit hinsichtlich dieser Voraussetzung der Dienstherr (vgl. Art. 46 Abs. 3 Satz 1 BayBeamtVG: „es sei denn“; BVerwG, U.v. 28.4.2011 – 2 C 55.09 – juris Rn. 13; vgl. hierzu unter 2.).
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Zur Beurteilung der Frage, ob der Beamte der Gefahr der Erkrankung bzw. Infektion besonders ausgesetzt war, gelten die vom Bundesverwaltungsgericht (1.1) entwickelten Maßstäbe. Für den insoweit anzusetzenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab können auch die von der sozialgerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Kriterien zum Vorliegen einer besonders erhöhten Infektionsgefahr gemäß § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 3101 der Anlage 1 BKV ergänzend herangezogen werden (1.2). Daran gemessen war der Kläger nach der Art seiner dienstlichen Verrichtung (Teilnahme des Polizeivollzugsbeamten an einem Sportübungsleiterlehrgang) der Gefahr, an Covid-19 zu erkranken, besonders ausgesetzt (1.3.)
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1.1 Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats gilt im Sinne des Art. 46 Abs. 3 Satz 1 BayBeamtVG bzw. hierzu inhaltsgleichen § 31 Abs. 3 Satz 1 BeamtVG i.V.m. der Anlage 1 der BKV die in Nr. 3101 aufgeführte Infektionskrankheit nur dann als Dienstunfall, wenn die zur Zeit der Infektion konkret ausgeübte dienstliche Tätigkeit erfahrungsgemäß im Ganzen gesehen ihrer Art nach unter den besonderen zur Zeit der Krankheitsübertragung bestehenden tatsächlichen Verhältnissen und Begleitumständen eine hohe Wahrscheinlichkeit der Erkrankung in sich birgt (BVerwG, U.v. 28.1.1993 – 2 C 22.90 – juris Rn. 11 f.; BayVGH, B.v. 29.6.1998 – 3 B 95.3890 – juris Rn. 11; B.v. 27.8.1998 – 3 ZB 98.568 – juris Rn. 2; Plog/Wiedow, Bundesbeamtengesetz, Stand: Dezember 2021, § 31 BeamtVG Rn. 187). Art. 46 Abs. 3 Satz 1 BayBeamtVG setzt nicht voraus, dass die durch die Art der dienstlichen Verrichtung hervorgerufene Gefährdung generell den Dienstobliegenheiten anhaftet; vielmehr genügt es, wenn die eintretende Gefährdung der konkreten dienstlichen Verrichtung ihrer Art nach eigentümlich ist, allerdings nur dann, wenn sich die Erkrankung als typische Folge des Dienstes darstellt (vgl. BVerwG, B.v. 15.5.1996 – 2 B 106.95 – juris Rn. 6). Dabei kommt es nicht auf die individuelle Veranlagung des Beamten an (BayVGH, B.v. 29.6.1998 – 3 B 95.3890 – juris Rn. 11; U.v. 17.5.1995 – 3 B 94.3181 – juris Rn. 20). Die besondere Gefährdung muss für die dienstliche Verrichtung typisch und in erheblich höherem Maße als bei der übrigen Bevölkerung vorhanden sein (BayVGH, U.v. 17.5.1995 – 3 B 94.3181 – juris Rn. 20). Entscheidend für die Beurteilung, ob es sich um ein derart erhöhtes Ansteckungsrisiko handelt, sind die Umstände des jeweiligen Einzelfalls (BVerwG, B.v. 15.5.1996 a.a.O.; VGH BW, U.v. 21.1.1986 – 4 S 2468/85 – ZBR 1986, 277). Art. 46 Abs. 3 Satz 1 BayBeamtVG soll insofern nicht die Folgen jeglicher Krankheit abmildern, die sich der Beamte im Dienst zuzieht, sondern nur besonderen Gefährdungen Rechnung tragen, denen ein Beamter im Vergleich zur Beamtenschaft insgesamt ausgesetzt ist (vgl. BVerwG, U.v. 28.4.2011 – 2 C 55.09 – juris Rn. 17).
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Maßgeblich ist, dass die Gefährdung aus der konkreten Tätigkeit selbst herrührt. Denn der Gesetzgeber hat sich in Art. 46 Abs. 3 Satz 1 BayBeamtVG dafür entschieden, auf die Art der jeweiligen Tätigkeit abzustellen und nicht auf sonstige dienstliche Bedingungen, wie insbesondere die Beschaffenheit der Diensträume (vgl. BayVGH, U.v. 17.5.1995 – 3 B 94.3181 und 3 B 94.3113 – juris; U.v. 17.5.1995 – 3 B 94.3182 – BeckRS 1995, 13966 nachfolgend BVerwG B.v. 15.5.1996 – 2 B 106.95 – juris; BayVGH, B.v. 25.5.1999 – 3 ZB 98.3140 – n.v.; B.v. 16.3.1998 – 3 ZB 98.718 – n.v.; OVG RhP, U.v. 16.2.1996 – 2 A 11573/95 – NVwZ-RR 1997, 45). Die generelle Ansteckungsgefahr, der ein Beamter ausgesetzt sein kann, wenn er im Dienst mit anderen Menschen in Kontakt kommt, genügt nicht (vgl. so auch VG Sigmaringen, U.v. 2.2.2022 – 5 K 1819/21 – juris).
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Nach alldem führen die durch die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe entgegen der Ansicht des Beklagten nicht zu einer völligen Entgrenzung der Nr. 3101 – letzte Alternative – der Anlage 1 zur BKV ohne jeden gruppenspezifischen Risikobezug. Die aufgezeigten Anforderungen beugen gerade vor, dass die letzte Alternative von Nr. 3101 der Anlage 1 zur BKV nicht zu einer Art Auffangtatbestand für all jene Fälle wird, die nicht unter die Einrichtungen einer der drei anderen Alternativen einzuordnen sind.
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1.2 Unter Berücksichtigung dieser Besonderheiten können für den anzusetzenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab aufgrund der dynamischen Blankettverweisung des Art. 46 Abs. 3 Satz 1 BayBeamtVG die von der sozialgerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Kriterien zum Vorliegen einer besonders erhöhten Infektionsgefahr gemäß Nr. 3101 der Anlage 1 zur BKV grundsätzlich ergänzend herangezogen werden.
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Bei der Frage, ob der Betroffene im Sinne der 4. Alternative der Nr. 3101 der Anlage 1 zur BKV durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war“ sind auch nach der sozialgerichtlichen Rechtsprechung die vom Betroffenen konkret verrichteten Tätigkeiten zu berücksichtigen (zuletzt BSG, U.v. 22.6.2023 – B 2 U 9/21 R – juris Rn. 15 mit Verweis auf das vom Beklagten zitierte U.v. 2.4.2009 – B 2 U 33/07 R – juris Ls. und Rn. 14 ff.). Bei der Nr. 3101 der Anlage 1 zur BKV ist zunächst festzustellen, ob dem konkreten dienstlichen Tätigkeitsbereich eine abstrakte Gefährdung innewohnt und sich die generelle Gefahr aufgrund der im Gefahrenbereich individuell vorgenommenen Verrichtungen auch tatsächlich realisiert haben kann (hierzu ausführlich BSG, U.v. 2.4.2009 – B 2 U 33/07 R – juris Rn. 14 ff.). Ist unter Berücksichtigung der Art der dienstlichen Tätigkeit und der Beschaffenheit des Tätigkeitsumfeldes eine generelle Gefährdung nicht denkbar, scheidet die Nr. 3101 der Anlage 1 zur BKV schon deshalb aus. Insoweit ist zunächst entscheidend, ob die im Rahmen der dienstlichen Tätigkeit verrichteten Arbeiten ihrer Art nach unter Berücksichtigung der Beschaffenheit des Arbeitsumfeldes mit einer abstrakten Gefahrenlage einhergehen (BSG, U.v. 2.4.2009 – B 2 U 33/07 R – juris Rn. 17).
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Liegt hingegen eine mit der dienstlichen Tätigkeit verbundene abstrakte Gefährdung vor, kommt es darüber hinaus darauf an, ob der Beamte infolge seiner konkret ausgeübten Verrichtungen einer erhöhten Infektionsgefahr ausgesetzt war, die sich dann nach der Durchseuchung des Tätigkeitsumfeldes sowie der Übertragungsgefahr richtet (BSG, U.v. 22.6.2023 a.a.O. Rn. 13 ff.; U.v. 2.4.2009 – B 2 U 33/07 R – juris Rn. 16). Der Grad der Durchseuchung ist sowohl hinsichtlich der kontaktierten Personen als auch der Objekte festzustellen, mit oder an denen zu arbeiten ist. Lässt sich das Ausmaß der Durchseuchung nicht aufklären, kann aber das Vorliegen eines Krankheitserregers im Arbeitsumfeld nicht ausgeschlossen werden, ist vom Durchseuchungsgrad der Gesamtbevölkerung auszugehen. Das weitere Kriterium der mit der dienstlichen Tätigkeit verbundenen Übertragungsgefahr richtet sich nach dem Übertragungsmodus der jeweiligen Infektionskrankheit sowie der Art, der Häufigkeit und der Dauer der vom Betroffenen verrichteten gefährdenden Handlungen (BSG, U.v. 15.9.2011 – B 2 U 22/10 R – juris Rn. 16). Die Durchseuchung des Arbeitsumfeldes auf der einen und die Übertragungsgefahr der versicherten Verrichtungen auf der anderen Seite stehen in einer Wechselbeziehung zueinander. An den Grad der Durchseuchung können umso niedrigere Anforderungen gestellt werden, je gefährdender die spezifischen Arbeitsbedingungen sind. Je weniger hingegen die Arbeitsvorgänge mit dem Risiko der Infektion behaftet sind, umso mehr erlangt das Ausmaß der Durchseuchung an Bedeutung. Erscheint eine Infektion nicht ausgeschlossen, ist im Wege einer Gesamtbetrachtung der Durchseuchung und der Übertragungsgefahr festzustellen, ob sich im Einzelfall eine Infektionsgefahr ergibt, die nicht nur geringfügig gegenüber der Allgemeingefahr erhöht ist (BSG, U.v. 30.3.2023 – B 2 U 2/21 R – juris Rn. 17; U.v. 15.9.2011 – B 2 U 22/10 R – juris Rn. 17 m.w.N.). Auch in der höchstrichterlichen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung wird regelmäßig zwischen gehäuftem, „seuchenhaften“ auftretenden Krankheitsfällen einerseits und Einzelfällen andererseits unterschieden (vgl. BVerwG, U.v. 9.11.1960 – VI C 144.58; U.v. 4.9.1969 – II C 106.67 – juris; offen gelassen in U.v. 28.1.1993 – 2 C 22.90 – juris Rn. 14; VGH BW, U.v. 21.1.1986 – 4 S 2468/85 – DÖD 1986, 176; SaarOVG, U.v. 17.6.1993 – 1 R 74/90 – juris Rn. 39 „Kleinseuche“; Günther/Fischer, NWVBl. 2020, S. 309 ff.).
26
Das Bundesverwaltungsgericht hatte – soweit ersichtlich – bislang noch keine Gelegenheit, sich mit der für den Bereich des Sozialversicherungsrechts fortentwickelten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts im Rahmen seiner Jurisdiktion zum beamtenrechtlichen Dienstunfallrecht auseinanderzusetzen. Nach Auffassung des Senats war dies aber auch nicht erforderlich, da die Rechtsprechung der beiden Bundesgerichte inhaltlich im Wesentlichen übereinstimmt. Denn auch das Bundesverwaltungsgericht verlangt, dass die konkrete dienstliche Tätigkeit ihrer Art nach „erfahrungsgemäß im Ganzen gesehen“ eine hohe Wahrscheinlichkeit gerade dieser Erkrankung in sich bergen muss und „die eintretende Gefährdung der konkreten dienstlichen Verrichtung ihrer Art nach eigentümlich“ ist. Gingen die im Rahmen der versicherten Tätigkeit verrichteten Arbeiten ihrer Art nach unter Berücksichtigung der Beschaffenheit des Arbeitsumfeldes nicht mit einer abstrakten Gefahrenlage einher, käme auch nach den Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine Anerkennung der Covid-19 Erkrankung als Berufskrankheit nicht in Betracht. Einer wörtlichen Übernahme der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bedarf es insoweit nicht. Von diesem Standpunkt scheint auch das vom Beklagten zitierte Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (B.v. 18.12.2015 – OVG 4 N 36.14 – BA S. 4 – n.v.) auszugehen, wenn es ausführt, dass sich auch das Bundesverwaltungsgericht (etwa U.v. 28.1.1993 – 2 C 22.90 – juris Rn. 12, 15) von den Grundsätzen des Bundessozialgerichts (U.v. 2.4.2009 – B 2 U 33.07 R – juris Rn. 16) „leiten“ lasse.
27
Hinsichtlich der Frage, ob der Beamte der Gefahr, an Covid-19 zu erkranken, besonders ausgesetzt war, ist nicht auf die Tätigkeit als Polizeivollzugsbeamter, sondern auf die konkrete „dienstliche Verrichtung“ (Art. 46 Abs. 3 Satz 1 BayBeamtVG), mithin auf die Tätigkeiten des Klägers während des Sportübungsleiterlehrgangs abzustellen. Denn Voraussetzung ist nicht die generelle Gefährdung einer Berufsgruppe (hier Polizeibeamter), sondern die individuelle Gefährdung des jeweiligen Beamten aufgrund seiner konkret ausgeübten dienstlichen Verrichtung (so auch BSG, U.v. 2.4.2009 – B 2 U 33/07 R – juris Rn. 14 f., 17 „konkret verrichteten Tätigkeiten“; Ricke in Kasseler Kommentar, SGB VII, Stand 1.9.2021, § 9 Rn. 50). Nr. 3101 – letzte Alternative – der Anlage 1 zur BKV setzt die vergleichende Prüfung voraus, ob die im Rahmen der versicherten Tätigkeit verrichteten Arbeiten – nicht das Berufsbild als solches – nach Art der Tätigkeit und der Beschaffenheit des Tätigkeitsumfelds eine abstrakt generelle Gefahrenlage bedingen, die derjenigen in den drei anderen Regelungsalternativen der BK 3101 entspricht (Molkentin, SGb 2022, 335). Damit bedarf es hier keiner gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse, ob Polizeibeamte im Allgemeinen der Gefahr einer Infektion mit dem Coronavirus in ähnlichem Maße im Sinne von Nr. 3101 – letzte Alternative – der Anlage 1 zur BKV besonders ausgesetzt sind.
28
Vor diesem Hintergrund geht die Kritik des Beklagten fehl, das Verwaltungsgericht sei angesichts des Urteils des Bundessozialgerichts (U.v. 2.4.2009 – B 2 U 33/07 R – juris Ls. und Rn. 14 ff.) rechtsfehlerhaft der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, B.v. 15.5.1996 – 2 B 106.95 – juris Rn. 6 zu § 31 Abs. 3 Satz 1 BeamtVG; U.v. 9.11.1960 – VI C 144.58 – VerwRspr 1961, 557 zur Vorgängerregelung des § 135 Abs. 3 BBG a.F.) gefolgt, wonach Art. 46 Abs. 3 Satz 1 BayBeamtVG nicht voraussetzt, dass die durch die Art der dienstlichen Verrichtung hervorgerufene Gefährdung generell den Dienstobliegenheiten des Beamten anhaftet. Denn auch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts verlangt nicht ein generell erhöhtes Infektionsrisiko für eine bestimmte Berufsgruppe, sondern prüft vielmehr, ob die im Rahmen der versicherten Tätigkeit verrichteten Arbeiten ihrer Art nach unter Berücksichtigung der Beschaffenheit des Arbeitsumfeldes mit einer abstrakten Gefahrenlage einhergehen (BSG, U.v. 2.4.2009 – B 2 U 33/07 R – juris Rn. 17). Durch diese (erste) Prüfungsstufe sollen lediglich solche Fallkonstellationen ausgeschlossen werden, in denen unter Berücksichtigung der Art der dienstlichen Tätigkeit und der Beschaffenheit des Tätigkeitsumfeldes eine generelle Gefährdung „nicht denkbar“ ist (BSG, U.v. 2.4.2009 a.a.O. Rn. 16; U.v. 30.3.2023 – B 2 U 2/21 R – juris Rn. 15). Entsprechend ließ es das Bundessozialgericht in seinem Urteil (U.v. 30.3.2023 a.a.O. Rn. 16) für die Annahme einer abstrakten Infektionsgefahr bereits ausreichen, dass die Übertragung des Hepatitis-B-Virus durch Kontakt verletzter Haut – auch durch Mikrotraumata – mit kontaminiertem Blut und anderen Körperflüssigkeiten möglich ist und sich der dortige Kläger im Rahmen seiner konkreten Tätigkeit, insbesondere bei der Bergrettung, in der besonderen Gefahrensituation befunden hat, weil er in unwegsamen Gelände Verunglückte auf Tragen transportieren und teilweise unmittelbar am eigenen Körper sichern musste, wobei es unvermeidbar zu Kontakten mit potenziell infektiösen Körperflüssigkeiten (Blut, Schweiß, Tränen sowie Erbrochenem) kommen konnte. Auch in seinem weiteren Urteil (v. 2.4.2009 a.a.O. Rn. 18) lässt es das Bundessozialgericht im Fall eines Mitarbeiters der Stadtreinigung, der für das Entleeren öffentlicher Abfallbehälter und Zusammenpressen von Müllbeuteln in Ortsbereichen zuständig ist, in denen Drogenabhängige sich gehäuft zum Drogenkonsum aufhalten und die von ihnen benutzten Spritzen entsorgen, für die Annahme einer abstrakten Infektionsgefahr (Hepatitis C-Virus – HCV) bereits ausreichen, dass innerhalb der Gruppe der Drogenabhängigen die Durchseuchung mit HCV überdurchschnittlich hoch und eine Nadelstichverletzung ein geeigneter Übertragungsweg ist. Eine weitergehende Einengung des Anwendungsbereichs der Nr. 3101 der Anlage 1 zur BKV durch das Kriterium der „abstrakten Infektionsgefahr“ lässt sich der sozialgerichtlichen Rechtsprechung hingegen nicht entnehmen. Die Ansicht des Beklagten, es müsse sich um eine Tätigkeit handeln, der eine besondere Infektionsgefahr generell, d.h. an sich und unabhängig von den Umständen des Einzelfalls – anhafte, trifft weder nach Wortlaut noch Sinn der rechtlichen Regelung zu (VGH BW, U.v. 21.1.1986 – 4 S 2468/85 – ZBR 1986, 277).
29
Auch die sozialgerichtliche Rechtsprechung knüpft als Vergleichsmaßstab im Übrigen an die Bevölkerung an und verlangt, dass sich aus dem beruflichen Umfeld des Beamten eine besondere berufliche Exposition für eine Infektion ergibt, die höher ist als diejenige in der Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik (BSG, U.v. 22.6.2023 – B 2 U 9/21 R – juris Rn. 23; U.v. 30.3.2023 – B 2 U 2/21 R – juris Rn. 22; Jaritz, jurisPR-SozR 2/2010 Anm. 4). Zwar muss der Beamte durch seine konkrete dienstliche Verrichtung der Infektionsgefahr „in ähnlichem Maße“ wie in den in Nr. 3101 der Anlage 1 zur BKV aufgezählten Bereichen (Gesundheitsdienst, Wohlfahrtspflege oder Laboratorium) ausgesetzt gewesen sein, als Anhaltspunkt hierzu dient jedoch gerade die Infektionsgefahr der Gesamtbevölkerung.
30
1.3 Daran gemessen war der Kläger nach der Art seiner dienstlichen Verrichtung (Teilnahme des Polizeivollzugsbeamten an einem Sportübungsleiterlehrgang) der Gefahr, an Covid-19 zu erkranken, besonders ausgesetzt. Die zur Zeit der Infektion konkret ausgeübte dienstliche Tätigkeit barg erfahrungsgemäß im Ganzen gesehen ihrer Art nach unter den besonderen zur Zeit der Krankheitsübertragung bestehenden tatsächlichen Verhältnissen und Begleitumständen eine hohe Wahrscheinlichkeit in sich, sich mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 zu infizieren und an Covid-19 zu erkranken.
31
1.3.1 Die abstrakte Gefährdungslage ergibt sich in der Gesamtschau der Übertragungswege der Covid-19 Infektionen (1.3.1.1) und dem typischen Ablauf des Sportübungsleiterlehrgangs (1.3.1.2).
32
1.3.1.1 Nach dem epidemiologischen Steckbrief zu SARS-CoV-2 und Covid-19 des RKI (vgl. unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief. html?nn=13490888#doc13776792bodyText2; RKI, Infektionsschutzmaßnahmen, Stand unter https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/FAQ_Liste _Infektionsschutz.html) ist der der Hauptübertragungsweg für SARS-CoV-2 die respiratorische Aufnahme virushaltiger Partikel, die beim Atmen, Husten, Sprechen, Singen und Niesen entstehen. Beim Atmen und Sprechen, aber noch stärker beim Schreien und Singen, werden Aerosole ausgeschieden; beim Husten und Niesen entstehen zusätzlich deutlich vermehrt größere Partikel. Neben einer steigenden Lautstärke können auch individuelle Unterschiede zu einer verstärkten Freisetzung beitragen. Grundsätzlich ist die Wahrscheinlichkeit einer Exposition gegenüber infektiösen Partikeln jeglicher Größe im Umkreis von 1 bis 2 m um eine infektiöse Person herum erhöht. Beim Aufenthalt in Räumen kann sich die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung durch Aerosole auch über eine größere Distanz als 1,5 m erhöhen, insbesondere wenn der Raum klein und schlecht belüftet ist. Längere Aufenthaltszeiten und besonders tiefes oder häufiges Einatmen durch die exponierten Personen erhöhen die Inhalationsdosis. Durch die Anreicherung und Verteilung der Aerosole im Raum ist das Einhalten des Mindestabstandes zur Infektionsprävention ggf. nicht mehr ausreichend. Auch schwere körperliche Arbeit bei mangelnder Lüftung hat, beispielsweise in fleischverarbeitenden Betrieben, zu hohen Infektionsraten geführt.
33
Tätigkeiten „am Menschen“ mit einem unmittelbaren Körperkontakt oder eine gesichtsnahe Tätigkeit in Innenräumen sind daher in der Regel mit einer besonderen (abstrakten) Gefahr verbunden, sich mit dem Coronavirus zu infizieren.
34
1.3.1.2 Vor diesem Hintergrund lag unter Berücksichtigung des allgemeinen Inhalts und typischen Ablaufs des Sportübungsleiterlehrgangs eine entsprechende abstrakte Gefahrenlage vor.
35
Ausbildung, Prüfung, Fortbildung und Zusatzqualifikationen der Sportübungsleiter sind im Fortbildungsprogramm der Bayer. Polizei geregelt. Nach der Lehrgangsbeschreibung des Fortbildungsinstituts der Bayerischen Polizei (BPFI) ist das Ziel der Fortbildung, dass die Teilnehmer theoretische und praktische Kenntnisse zur Durchführung des Dienstsportes anwenden, bei den Polizeivollzugsbeamten eine positive Einstellung zum Sport aufgrund ihrer zeitgemäßen, didaktisch-methodischen und sporttheoretischen Kenntnisse erzeugen und auf die Prüfung zur Übungsleiterlizenz C des Bayerischen Landessportverbandes vorbereitet sind. Die Themen umfassen den sportorganisatorisch verwaltenden Bereich, Sportpsychologie, Sportpädagogik, Sportdidaktik Sportbiologie, Sportmedizin, Gesundheit, Trainings- und Bewegungslehre, den geschichtlich soziologischen Bereich, Praxis, Lehrübungen und die Prüfung für die Übungsleiterlizenz C. Der Lehrgang dauert 15 Wochentage und 120 Unterrichtseinheiten (von jeweils einer Stunde). Die übliche Teilnehmerzahl liegt zwischen 15 und 20 Personen.
36
Die Durchführung der theoretischen und praktischen Teile erfolgte nach dem für einen solchen Lehrgang typischen Lehrgangsprogramm (vgl. exemplarisch das Lehrgangsprogramm vom 9. bis 27.3.2020). In diesem sind auch die Örtlichkeiten der einzelnen Lehrgangmodule aufgeführt (LS= Lehrsaal, Outdoor = im Freien, TH = Turnhalle, SWH = Schwimmhalle, Dojo = Selbstverteidigungsraum, BWS = Body-Weight-Station im Freien, SpPL = Sportplatz im Freien):
12.40 – 13.25 Uhr
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Begrüßung, Einführung
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LS – A002
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13.30 – 14.15 Uhr
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Theorie
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LS
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14.30 – 16.30 Uhr
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Praxis (Aufbau einer Sportstunde)
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TH A/B
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07.30 – 09.15 Uhr
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Theorie
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LS
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09.45 – 11.45 Uhr
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Praxis – Rückenschule
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TH A/B
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12.00 – 13.00 Uhr
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Mittagessen
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13.00 – 14.30 Uhr
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Theorie
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LS
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15.00 – 16.30 Uhr
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PraxisVolleyball
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TH A/B
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07.30 – 09.15 Uhr
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Theorie
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LS
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09.45 – 11.45 Uhr
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Praxis – NW (Nordic Walking)
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Outdoor
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12.00 – 13.00 Uhr
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Mittagessen
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13.00 – 14.30 Uhr
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Theorie
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LS
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15.00 – 16.30 Uhr
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Praxis – TRX / Rubberband
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TH A/B
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07.30 – 09.15 Uhr
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Theorie
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LS
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09.45 – 11.45 Uhr
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Praxis – Schwimmen
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SWH
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12.00 – 13.00 Uhr
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Mittagessen
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13.00 – 14.30 Uhr
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Theorie – DOSB, Vereinsstruktur
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LS
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15.00 – 16.30 Uhr
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Praxis – Koordination mit Bällen
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TH AC
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07.30 – 09.15 Uhr
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Theorie
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LS
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09.45 – 11.45 Uhr
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Praxis – RG, Blackroll
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Dojo
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12.00 Uhr
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Mittagessen
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Bis 12.40 Uhr
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Selbststudium
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12.40 – 14.30 Uhr
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Theorie
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LS
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15.00 – 16.30 Uhr
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Praxis – Basketball
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TH AC
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07.30 – 09.15 Uhr
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Theorie – Vortrag Wasser
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LS
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09.45 – 11.45 Uhr
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Praxis – Spinning / Kraftraum
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Cardioraum/ Kraftraum
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12.00 – 13.00 Uhr
|
Mittagessen
|
|
13.00 – 14.30 Uhr
|
Theorie
|
LS
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15.00 – 16.30 Uhr
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Praxis – kleine Spiele
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TH AC
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07.30 – 09.15 Uhr
|
Theorie
|
LS
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09.45 – 11.45 Uhr
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Praxis – MaxxF
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TH A/B
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12.00 – 13.00 Uhr
|
Mittagessen
|
|
13.00 – 14.30 Uhr
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Theorie – Ziehung der Prüfungslehrproben
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LS
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15.00 – 16.30 Uhr
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Praxis – Lehrübung (3)
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TH A/B
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07.30 – 09.15 Uhr
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Theorie – Sportverletzung
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LS
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09.45 – 11.45 Uhr
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Praxis – Lehrübung (3)
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SWB
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12.00 – 13.00 Uhr
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Mittagessen
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13.00 – 14.30 Uhr
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Theorie
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LS
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15.00 – 16.30 Uhr
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Praxis – Lehrübung (3)
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Outdoor
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Nach Dienst / Freiwillig
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MTB /EPLA
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Outdoor
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07.30 – 09.15 Uhr
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Theorie
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LS
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09.45 – 11.45 Uhr
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Praxis – Lehrübung (6)
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TH A/B Outdoor
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12.00
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Mittagessen
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Bis 12.40 Uhr
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Selbststudium
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12.40 – 14.30 Uhr
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Theorie
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LS
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14.30 – 16.30 Uhr
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Praxis – Lehrübung (3)
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TH AC
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07.30 – 09.15 Uhr
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Theorie – Ernährung
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LS
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09.45 – 11.45 Uhr
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Praxis – Zirkeltraining
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BWS
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12.00 – 13.00 Uhr
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Mittagessen
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13.00 – 14.30 Uhr
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Schriftliche Prüfung
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LS
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15.00 – 16.30 Uhr
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Praxis – Schwimmen
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SWH
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07.30 – 09.00 Uhr
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Praktische Prüfung
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SWH
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09.45 – 11.45 Uhr
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Praktische Prüfung
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SWH / BWS
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12.00 – 13.00 Uhr
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Mittagessen
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13.00 – 14.30 Uhr
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Praktische Prüfung
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SpPl
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15.00 – 16.30 Uhr
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Praktische Prüfung
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SpPl
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08.00 – 12.35 Uhr
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Praktische Prüfung
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TH A/B
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12.45 – 13.20 Uhr
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Mittagessen
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13.30 – 16.40 Uhr
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Praktische Prüfung
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TH A/B
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Abschlussabend
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SpPl
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07.30 – 08.30 Uhr
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Praxis – Yoga
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Dojo
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09.00 – 11.45 Uhr
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Nachprüfung, Abschlussbesprechung, Fragebögen, Verabschiedung
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12.40 Uhr
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Lehrgangsende
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37
Der theoretische Unterricht findet in einem Lehrsaal statt. Der praktische Teil des Lehrgangs umfasst u.a. die Sportarten Basketball, Zirkeltraining, Life Kinetik und Volleyball jeweils in der Halle; dabei sind auch Partnerübungen aller Kollegen vorgesehen (vgl. hierzu Stellungnahme der BPP Bamberg vom 17.8.2023 – elektronische VGH-Akte S. 130). Im Rahmen des Lehrgangs ist auch die gemeinsame Benutzung des Schwimmbads, der Umkleiden und der Duschen eingeplant. Die Mahlzeiten werden gemeinsam in der Kantine eingenommen.
38
Nach dem typischen Ablauf dieses Lehrgangs lag für die Teilnehmer in der Gesamtschau eine abstrakte Gefährdungslage vor, sich mit dem Coronavirus SARS-CoV- 2 zu infizieren.
39
Die Besonderheit der Fortbildung liegt in dem praktischen Teil des Sportübungsleiterlehrgangs. Die von einer gesteigerten körperlichen Anstrengung geprägte Art der sportlichen Betätigung in geschlossenen Räumen führt regelmäßig zu einem verstärkten und weiterreichenden Ausstoß von – möglicherweise infektiösen – Aerosolen (SaarOVG, U.v. 31.3.2022 – 2 C 317/20 – juris Rn. 35). Die hohe Ansteckungsgefahr z.B. in Fitnessstudios folgt daraus, dass mehrere Menschen aus verschiedenen Haushalten in (üblicherweise) geschlossenen Räumen zusammenkommen und aufgrund der sportlichen Betätigung typischerweise ein erhöhter Aerosolausstoß stattfindet (vgl. VGH BW, U.v. 2.6.2022 – 1 S 926/20 – juris Rn. 217 zu Fitnessstudios unter Bezugnahme auf BVerfG, B.v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21, 1 BvR 798/21, 1 BvR 805/21, 1 BvR 820/21, 1 BvR 854/21, 1 BvR 860/21 und 1 BvR 889/21 – „Bundesnotbremse I“ – juris Rn. 81 f. und dort eingeholten Stellungnahmen der Gesellschaft für Aerosolforschung e.V. vom 15.7.2021, S. 3 f., des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung GmbH vom 9.7.2021, S. 4 und der TU Berlin vom 14.7.2021, S. 7 f.). Da das SARS-CoV-2-Virus auch über die normale Atem- und Raumluft mittels Aerosolen übertragen werden kann, besteht bei einem längeren Verweilen von mehreren Personen in geschlossenen Räumen ein nicht unbeträchtliches Infektionsrisiko (vgl. Studie „Detection of Air and Surface Contamination by Severe Acute Respiratory Syndrome Coronavirus 2 [SARS-CoV-2] in Hospital Rooms of Infected Patients“ https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2020.03.29.20046557v2). Dies gilt im Übrigen unabhängig davon, dass zum damaligen Zeitpunkt auch für die gesamte Bevölkerung keine Hygiene- und Infektionsschutzmaßnahmen galten. Sportübungsleiterlehrgänge sind allgemein dadurch geprägt, dass sich die Beamten in größeren Gruppen vor allem in Innenräumen aufhalten und dabei ohne eine durchgehende Einhaltung des Mindestabstandes von 1,5 m eng intensiv Sport treiben. Dies umfasst verschiedene Sportarten in einer Sporthalle, wobei auch Partnerübungen der Kollegen untereinander mit Körperkontakt stattfinden. In derartigen Situationen kann eine infektiöse Person eine Vielzahl von Menschen anstecken. Bei solchen Lehrveranstaltungen liegen mithin Begleitumstände vor, die eine ungewöhnlich hohe Übertragung begünstigen. Entgegen der Berufungsbegründung ist für die Annahme einer abstrakten Infektionsgefahr gerade nicht erforderlich, dass sämtliche Lehrgangsmodule bestimmungsgemäß auf unmittelbaren Körperkontakt oder gesichtsnahe Tätigkeiten angelegt waren.
40
Der Annahme einer abstrakten Gefahrenlage steht insbesondere nicht entgegen, dass es sich bei einem Sportübungsleiterlehrgang um eine Fortbildungsveranstaltung handelt, bei der vorwiegend gesunde Menschen zusammenkommen, wie beispielsweise (außerhalb pandemischer Zeiten) üblicherweise in Kindergärten, Schulen oder Gemeinschaftsunterkünften. Denn unter Pandemiebedingungen (selbst in einem frühen Stadium) kann angesichts der hohen allgemeinen Übertragungsgefahr des SARS-Cov-2 Virus nicht davon ausgegangen werden, dass bei einer Veranstaltung von über 20 Personen vorwiegend gesunde Menschen teilnehmen.
41
Für eine abstrakte Gefährdungslage im Sinne der Nr. 3101 – letzte Alternative – der Anlage 1 zur BKV ist zudem nicht erforderlich, dass der Beamte zwingend in einer Einrichtung tätig ist, in der bereits infizierte Personen medizinisch versorgt werden (vgl. z.B. BSG, U.v. 2.4.2009 – B 2 U 33/07 R – juris Rn. 18: Stadtteil mit gehäuftem Drogenkonsum). Bereits der Wortlaut „durch eine andere Tätigkeit“ macht deutlich, dass keine Beschränkung auf den Bereich Gesundheit oder bestimmte Berufe oder vergleichbare Tätigkeiten erfolgt. Sowohl die „Wohlfahrtspflege“ als auch die „andere Tätigkeit“ treten in der Aufzählung der Nr. 3101 Anlage zu § 1 BKV neben den Gesundheitsdienst und die Tätigkeit in einem Laboratorium; für diese Bereiche ist daher auf die tätigkeitsbedingt besondere Infektionsgefahr und nicht darauf abzustellen, ob die berufliche Tätigkeit in einem Betrieb oder einer Einrichtung erbracht wird, die der Versorgung oder Betreuung kranker Menschen dient, in der typischerweise und ständig in besonderem Maße infektiöse Krankheitserreger vorhanden sind, also typischerweise oder überwiegend erkrankte Menschen zusammenkommen, oder die Tätigkeit im Umgang gerade mit infektiösem Material besteht. Eine derartige Beschränkung vernachlässigte die selbständige Bedeutung der Aufnahme der „Wohlfahrtspflege“ und der „anderen Tätigkeit“ und ist auch sonst nicht zur Eingrenzung von „Berufskrankheiten“ erforderlich, weil es maßgeblich auch darauf ankommt, dass durch die konkrete berufliche Tätigkeit eine besondere, überdurchschnittliche Gefahr in Bezug auf die jeweils in Rede stehende Infektion bestehen muss. Ergibt sich bei einer beruflichen Tätigkeit indes, dass eine Person durch diese andere Tätigkeit einer Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt ist, besteht kein Anlass, diese besondere Gefährdung deswegen unberücksichtigt zu lassen, weil die Tätigkeit nicht durch den ständigen Umgang mit erkrankten Personen oder infektiösem Material geprägt ist (BVerwG, U.v. 26.4.2005 – 5 C 11.04 – juris Rn. 12).
42
Für die Annahme einer abstrakten Gefährdung spricht schließlich, dass der Freistaat Bayern zeitgleich mit dem Abbruch des Lehrgangs (unter anderem) den Betrieb von Fort- und Weiterbildungsstätten landesweit untersagte (vgl. Ziff. 1 und 2 der Allgemeinverfügung vom 16.3.2020 – BayMBl. Nr. 143, die später in die erste Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 27.3.2020 – BayMBl. Nr. 158 übernommen wurden). Schon aufgrund der Allgemeinverfügung hätte der Sportübungsleiterlehrgang – wie die Berufungsbegründung selbst vorträgt – in der zweiten Woche aufgrund der (abstrakten) hohen Ansteckungsgefahr gar nicht mehr fortgeführt werden dürfen.
43
1.3.2 Diese, dem dienstlichen Sportübungsleiterlehrgang innewohnende, abstrakte Infektionsgefahr hat sich anhand der hohen Durchseuchung des Tätigkeitsumfelds des Klägers konkretisiert bzw. durch dessen eigene Infektion schließlich auch tatsächlich realisiert.
44
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, U.v 15. 9. 2011 – B 2 U 22/10 R – juris Rn. 17; U.v. 2.4.2009 – B 2 U 30/07 R – juris Rn. 22 ff.; übernommen von VG Bayreuth, U.v. 4.10.2022 – B 5 K 21.909 – juris Rn. 28; VG Sigmaringen, U.v. 2.2.2022 – 5 K 1819/21 – juris Rn. 31; VG Karlsruhe, U.v. 22.1.2014 – 4 K 1742/11 – juris; VG Düsseldorf, U.v. 12.12.2022 – 23 K 8281/21 – juris Rn. 76; Günther/Fischer, NWVBl. 2020, 309) ist – wie dargestellt – der Grad der Durchseuchung hinsichtlich der kontaktierten Personen als auch der Objekte festzustellen, mit oder an denen zu arbeiten ist. Das weitere Kriterium der mit der konkreten dienstlichen Verrichtung verbundenen Übertragungsgefahr richtet sich nach dem Übertragungsmodus der jeweiligen Infektionskrankheit sowie der Art, der Häufigkeit und der Dauer der vom Versicherten (Beamten) verrichteten gefährdenden Handlungen (vgl. BSG, U.v. 2.4.2009 – B 2 U 30/07 R – juris Rn. 24 f.).
45
Zu Recht bedarf jedoch zu Zeiten einer Pandemie das Kriterium der Durchseuchung vor dem Hintergrund der stets gegebenen Möglichkeit einer zufälligen Infektion außerhalb des Dienstes einer kritischen Betrachtung (vgl. VG Regensburg, U.v. 29.11.2022 – RN 12 K 20.3147 – juris Rn. 57). Denn unter Pandemiebedingungen kann eine Kleinepidemie eine zufällige, voneinander unabhängige Infektion nicht mit dem Maß an Sicherheit ausschließen, wie das bei Krankheiten der Fall ist, die nicht pandemisch verbreitet waren bzw. sind. Daher reicht auch ein hoher Grad an Durchseuchung des Tätigkeitsumfeldes bei einer pandemisch verbreiteten Krankheit grundsätzlich nicht aus, um eine besondere Infektionsgefahr zu begründen. Hinzukommen muss vielmehr immer eine im Vergleich zur übrigen Bevölkerung besondere mit der konkreten dienstlichen Verrichtung verbundene Übertragungsgefahr. Hierfür genügt nicht eine Infektionsgefahr, die aus der bloßen Zusammenarbeit mit anderen Menschen herrührt. Denn die bloße Zusammenarbeit mit anderen Menschen ist gerade nicht einer konkreten dienstlichen Tätigkeit eigentümlich, sie ist vielmehr generell in einer Beschäftigung im Arbeitsleben und nicht nur im Beamtentum und der konkreten dienstlichen Verrichtung angelegt. Es bedarf daher besonderer, für die dienstliche Verrichtung typischer Umstände, die zu einer im Vergleich zur übrigen Bevölkerung höheren Übertragungsgefahr geführt haben. Hierunter fällt es insbesondere, wenn die dienstliche Verrichtung das Außerachtlassen empfohlener und üblicherweise vorgesehener Infektionsschutzmaßnahmen (Abstand, Masken, Testpflichten, Hygieneschutzkonzepte) bedingt.
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Erst bei Vorliegen dieser besonderen Umstände ist ein Beamter bei einer pandemisch verbreiteten Krankheit und der Durchseuchung seiner Dienststelle grundsätzlich der Infektionsgefahr besonders, also in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt. Die Pandemie als solche bedeutet gerade für jede und jeden eine besondere – realistische und nicht nur rein theoretische – Gefahr der Infektion und Erkrankung. Für eine so leicht übertragbare Infektion wie den Coronavirus SARS-CoV-2 gilt das besonders.
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Dies entspricht auch dem dienstunfallrechtlichen Grundgedanken, dem Beamten besonderen Schutz bei Unfällen zu gewähren, die sich außerhalb seiner privaten (eigenwirtschaftlichen) Sphäre im Bereich der dienstlichen Sphäre ereignen. Das ist der Fall, wenn der Beamte den Unfall bei einer Tätigkeit erleidet, die im engen natürlichen Zusammenhang mit seinen eigentlichen Dienstaufgaben oder dienstlich notwendigen Verrichtungen oder dem dienstlichen Über- und Unterordnungsverhältnis steht, bei der also der Beamte gewissermaßen „im Banne“ des Dienstes steht (BVerwG, U.v. 13.8.1973 – VI C 26.70 – juris Rn. 24; VG Regensburg, U.v. 29.11.2022 – RN 12 K 20.3147 – juris Rn. 58). Der Gesetzgeber ist von dem allgemeinen Grundsatz ausgegangen, dass die Folgen schicksalsmäßiger – d.h. von niemandem verschuldeter – schädlicher Einwirkungen von dem Geschädigten selbst zu tragen sind, also regelmäßig nicht auf einen schuldlosen Dritten – hier den Dienstherrn – abgewälzt werden können; und er hat den öffentlich-rechtlichen Dienstherren in Abweichung von diesem Grundsatz das (wirtschaftliche) Risiko für eine von einem Beamten im Rahmen seiner dienstlichen Tätigkeit erlittenen Infektion nur ausnahmsweise auferlegt (vgl. BVerwG, U.v. 11.02.1965 – II C 11.62 – BeckRS 1965, 31317469). Die Durchseuchung einer Dienststelle bzw. des konkreten Tätigkeitsbereichs eines Beamten allein kann jedoch bei einer pandemisch verbreiteten Krankheit nicht mehr der rein dienstlichen Sphäre zugeordnet werden und steht auch nicht im engen natürlichen Zusammenhang zu eigentlichen Dienstaufgaben.
48
Gemessen daran hat sich vorliegend nach der Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls die aufgrund der Art der Tätigkeit des Klägers bestehende abstrakte Gefährdungslage zu einer konkreten Gefährdungslage verdichtet.
49
1.3.2.1 Im Arbeitsumfeld des Klägers bestand ein hoher Grad der Durchseuchung. Denn während oder kurz nach Abbruch des Sportübungsleiterlehrgangs erkrankten 19 von 21 Personen (inkl. Lehrgangsleitung) an Corona. Eine Abfrage bei den anderen Lehrgangsteilnehmern (mit Ausnahme des Klägers) ergab folgendes Infektionsgeschehen:
Teilnehmer
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Erste Symptome
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Krankmeldung
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Positiver Test
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Tagungsstätte (außer Nordic Walking) nicht verlassen
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PHM X1
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11.3.2020
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12.3.2020
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PCR v. 18. oder 19.3.2020
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KHK X2
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13.3.2020
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16.3.2020
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PCR v. 16.3.2020
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keine Erinnerung
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PKM X3
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13. oder 14.3.2020
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16.3.2020 (ca.)
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nicht getestet
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x
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KHM X4
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14.3.2020
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16.3.2020
|
PCR v. 17.3.2020 (ca.)
|
x
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PHKin X5
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16.3.2020
|
16.3.2020
|
PCR v. 18.3.2020
|
|
POK X6
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12.3.2020
|
13.3.2020
|
PCR v. 16.3.2020
|
x
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PK X7 (Lehrgangsleiterin)
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16.3.2020
|
16.3.2020
|
PCR v. 17.3.2020
|
|
PM X8
|
15.3.2020
|
16.3.2020
|
PCR v. 17.3.2020
|
|
PHMin X9
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16. oder 17.3.2020
|
16. oder 17.3.2020
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16. oder 17.3.2020 (getestet bei Hausärztin)
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x
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PHM X10
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Keine Erinnerung
|
Keine Erinnerung
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PCR und Schnelltest 19.3.2020
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x
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PHM X11
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17.3.2020
|
19.3.2020
|
PCR 19.3.2020
|
x
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PHKin X12
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15.3.2020
|
16.3.2020
|
PCR 17.3.2020
|
x
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PHM X13
|
15.3.2020
|
16.3.2020
|
Ja (Art und Zeitpunkt keine Erinnerung)
|
x
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PHM X14
|
…
|
…
|
…
|
…
|
PHMin X15
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13.3.2020
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15.3.2020
|
PCR 17.3.2020
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X (Laufen am Fluss)
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PHMin X16
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18.3.2020
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31.3.2020
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PCR 24.3.2020
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x
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PHM X17
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13.03.2020
|
Keine Erinnerung
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PCR (Datum k.A.)
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|
PHM X18
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13.03.2020
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15. / 16.03.2020
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Test 19.3.2020
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Keine Erinnerung
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POM X19
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14.03.2020
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17.03.2020
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PCR 17.03.2020
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x
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PHM X20
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…
|
…
|
…
|
…
|
50
Dies entspricht einem Durchseuchungsgrad von 90%. Die gehäuft „seuchenhaft“ auftretenden Krankheitsfälle und die zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausreichend bestehenden Hygiene- und Schutzmaßnahmen zeigen die konkretisierte Gefährdungslage auf. Vom zeitlichen Ablauf her meldete sich als erster der Kollege PHM X1, der laut Mitteilung der Kursleiterin und PHMin X15 am Wochenende vor Kursbeginn im Skiurlaub in Österreich gewesen sei, am Mittwoch, den 11. März 2020, und POK X6 am Donnerstag, den 12. März 2020 krank. Als Folge der hohen Erkrankungsfälle wurde der Lehrgang am Montag, 16. März 2020, vormittags schließlich abgebrochen.
51
1.3.2.2 Zudem lagen hier besondere, für die konkrete dienstliche Verrichtung (Teilnahme am theoretischen und praktischen Unterricht des Sportübungsleiterlehrgangs) typische Umstände vor, die zu einer auch unter Berücksichtigung der pandemischen Situation im Vergleich zur übrigen Bevölkerung erheblich höheren Übertragungsgefahr geführt haben.
52
Im Rahmen des praktischen Teils des Lehrgangs fanden Partnerübungen aller Kollegen mit Körperkontakt untereinander statt (z.B. beim Baggern oder Pritschen, Dehnen etc.). Nach Angaben der Teilnehmerinnen PHKin X5 und PHMin X9 sei im Rahmen der Übungen teilweise sehr viel Körperkontakt zu den anderen Teilnehmern üblich gewesen, zum Beispiel Hilfestellungen beim Turnen und Mannschaftssportarten. An diesen Übungen habe auch der zuerst erkrankte Kollege PHM X1 teilgenommen. POK X6 bestätigte, dass der Lehrgang körperliche Nähe, hohe Atemfrequenz und Schweiß mit sich gebracht hätte. Die sportlichen Aktivitäten wurden grundsätzlich in der Sporthalle durchgeführt. In der Woche vom 9. bis 13. März 2020 wurden Rückenschule, Volleyball, Nordic-Walking (im Freien), Rubberband, Schwimmen, Koordination mit Bällen (Basketball) und Blackroll ausgeübt. Die Zeiten etc. sind wiederum dem Programmplan zu entnehmen. Vor jeder Sporteinheit wurden Aufwärmübung, Spiele, etc. durchgeführt. Das am 13. März 2020 im Dojo durchgeführte Blackroll-Training sei nach Angaben des BPP Bamberg vom 3. August 2023 im direkten Face-to-Face Kontakt mit länger anhaltender Partnerübung verbunden gewesen. Zwar seien die Außentüren immer geöffnet, die Räumlichkeit jedoch relativ eng gewesen, wodurch die Teilnehmer allgemein sehr nah beieinander trainiert hätten. Darüber hinaus wurden auch das Schwimmbad, die Umkleiden und die Duschen gemeinsam benutzt.
53
Infektionsschutzmaßnahmen waren für den Lehrgang nicht vorgesehen. Hygienekonzepte oder Lüftungsvorgaben gab es keine. Die Teilnehmer des Sportübungsleiterlehrgangs trugen keine Masken. Ein Mindestabstand von 1,5 m wurde nicht durchgehend eingehalten, Luftfilter nicht eingesetzt. Ab 27. Februar 2020 wurden die Seminarteilnehmer vom BPFI lediglich darauf hingewiesen, dass bei Erkältungs- bzw. Grippesymptomen (z. B. Fieber, Husten, infektbedingte Atemnot) keine Anreise zum Seminar erfolgen, Händehygiene (gründliches Waschen der Hände mit Wasser und Seife, Verzicht auf Händeschütteln), Hustenetikette (z. B. Husten, Niesen in die Ellenbeuge) sowie nach Möglichkeit mindestens 1 bis 2 Meter Abstand zu hustenden und/oder niesenden Fremdpersonen eingehalten werden sollten.
54
Der Polizeilehrgang mit seinen insgesamt 19 erkrankten Teilnehmern hat sich dadurch zu einem absoluten infektiösen Hotspot entwickelt. Als der Kläger am 9. März 2020 den Lehrgang antrat, hatte die WHO die Covid-19 Erkrankung gerade noch nicht zur Pandemie erklärt. Nur wenige Tage zuvor, am 4. März 2020 hatte das Robert-Koch-Institut überhaupt begonnen, Fallzahlen (damals nur in Gestalt der gemeldeten Neuinfektionen) zu veröffentlichen. Während der Lehrgangswoche stieg die Zahl der täglich gemeldeten Neuinfektionen bundesweit von 1.139 auf 3.062, im Freistaat von 256 auf 412. Wenngleich diesen offiziellen Fallzahlen vor dem Hintergrund mangelnder Testverfügbarkeit sowie einer nicht zu vernachlässigenden Zahl symptomlos oder -arm verlaufenden Infektionen eine sehr begrenzte Aussagekraft zukommt, kann kein Zweifel daran bestehen, dass der Durchseuchungsgrad im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung um ein Vielfaches erhöht war. Deshalb wird kaum darzustellen sein, dass sich der Kläger seinerzeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit an jedem erdenklich anderen Ort ebenfalls hätte infizieren können.
55
Vor diesem Gesamtkontext unterschied sich die Ansteckungsgefahr des Beamten wesentlich von der Ansteckungsgefahr, der die Beamtenschaft im Vergleich dazu ausgesetzt war (vgl. zum Kriterium: BVerwG, U.v. 28.4.2011 – 2 C 55.09 – juris Rn. 17). Wegen der Vielzahl der möglichen Infektionskontakte innerhalb des Tätigkeitsbereichs des Beamten und der kumulierten Risikosituationen war sie auch bei weitem höher als die generelle Ansteckungsgefahr, der ein Beamter ausgesetzt sein kann, wenn er im Dienst mit anderen Menschen in Kontakt kommt oder an einer „normalen“ Fortbildungsveranstaltung teilnimmt, die sich im Schwerpunkt auf die Vermittlung von theoretischem Fachwissen beschränkt. Aufgrund der dargestellten Umstände des Einzelfalls weicht der Fall auch erheblich von der gewöhnlichen Teilnahme an einem Seminar zu Pandemiezeiten ab, auf dem es zu vereinzeltem Ausbruchsgeschehen kommt. Die konkrete Infektionsgefahr war zudem wesentlich höher als bei der Teilnahme an einer einzelnen sportlichen Aktivität oder an einer gemeinsamen Mahlzeit mit Kollegen jeweils für sich gesehen.
56
In der Gesamtschau der besonderen Umstände war daher nach der Art und der Dauer der vom Kläger verrichteten dienstlichen Tätigkeiten eine hohe Wahrscheinlichkeit und konkrete Übertragungsgefahr gegeben.
57
2. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger sich die Krankheit auch innerhalb des Dienstes zugezogen hat, Art. 46 Abs. 3 Satz 1 BayBeamtVG. Zwar kann unter Berücksichtigung der Inkubationszeit und des zeitlichen Ablaufs eine Infektion im privaten Bereich nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Jedoch trägt der Beklagte hierfür die materielle Beweislast, so dass die Unaufklärbarkeit („non liquet“) zu seinen Lasten geht. Dabei ist unerheblich, dass es dem Beklagten unmöglich sein dürfte, einen solchen Beweis zu führen. Andere Beweiserleichterungen lassen sich der Vorschrift nicht entnehmen (BVerwG, U.v. 28.4.2011 − 2 C 55.09 – juris).
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Die Berufung war deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
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Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (§ 132 Abs. 2, § 191 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 127 BRRG).