Inhalt

VGH München, Beschluss v. 11.06.2024 – 15 ZB 23.1723
Titel:

Baurechtliche Genehmigung einer seit Jahrzehnten bestehenden Gaststätte

Normenkette:
VwGO § 86 Abs. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 4, Nr. 5
Leitsätze:
1. Zur baurechtlichen Genehmigung für die Umgestaltung eines bereits seit Jahrzehnten bestehenden und mit Kenntnis und Billigung der zuständigen Behörden in einem Allgemeinen Wohngebiet betriebenen Wirtshauses mit angegliederter Freischankfläche. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Aufklärung des Sachverhalts grundsätzlich nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter in der mündlichen Verhandlung nicht ausdrücklich beantragt hat. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Lärmimmissionen, Gebot der Rücksichtnahme bei Wirtsgarten., Amtsermittlungsgrundsatz, Gaststätte
Vorinstanz:
VG Augsburg, Urteil vom 10.08.2023 – Au 5 K 22.2326
Fundstelle:
BeckRS 2024, 13843

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger wendet sich als Sondereigentümer einer Wohnung in einer Wohnanlage gegen eine der Beigeladenen auf dem Nachbargrundstück erteilte Baugenehmigung für das Vorhaben „Umbau einer Gaststätte mit Freischankfläche und Neubau einer Schallüberdachung für die Außenbewirtung“. Auf dem Vorhabengrundstück besteht seit mehr als 110 Jahren eine Schank- und Speisewirtschaft, für die dem vormaligen Pächter im Jahr 2009 eine gaststättenrechtliche Erlaubnis, u.a. für einen Wirtsgarten mit ca. 50 Plätzen, erteilt worden war.
2
Das Verwaltungsgericht hat die gegen die Baugenehmigung gerichtete Klage des Klägers abgewiesen. Die Genehmigung verletze keine seinem Schutz dienenden Rechte des Bauplanungs- bzw. Bauordnungsrechts. Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung. Er ist der Ansicht, es bestünden ernstliche Zweifel an dessen Richtigkeit, die Rechtssache weise besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten auf, das Urteil weiche von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ab und es liege ein Verfahrensfehler vor. Die Beklagte und die Beigeladene verteidigen das angefochtene Urteil.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
4
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil die vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen.
5
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht. Zu Recht ist das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis gekommen, die baurechtliche Genehmigung zur Umgestaltung des bereits seit Jahrzehnten bestehenden und mit Kenntnis und Billigung der zuständigen Behörden in einem Allgemeinen Wohngebiet betriebenen Wirtshauses mit angegliederter Freischankfläche verstoße nicht gegen – zumindest auch – dem Schutz des Klägers dienende Rechte. Das Vorhaben sei insbesondere nicht rücksichtslos. Die Darlegungen des Klägers im Zulassungsverfahren, auf die sich die Prüfung des Senats im Grundsatz beschränkt (vgl. § 124a Abs. 4 VwGO), geben keinen Anlass, an dieser Einschätzung zu zweifeln.
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Der Kläger macht im Wesentlichen unter Berufung auf ein von ihm in Auftrag gegebenes Gutachten des Ingenieurbüros M. vom 21. Juli 2023 geltend, das Schallschutzgutachten der Beigeladenen vom 24. August 2022 gehe nicht von einem Worst-Case-Ansatz aus und sei damit nicht aussagekräftig. Die Betriebsbeschreibung sei zu unbestimmt. Für die Immissionsrichtwerte sei ein Zuschlag für KI (Informationshaltigkeit) und KT (Impulshaltigkeit) von jeweils 6 dB(A) anzusetzen. Die Auflage IV.B.9, wonach Veranstaltungen, wie Firmenfeiern, Hochzeiten und dergleichen, nur im Inneren der Gaststätte bei geschlossenen Fenstern stattfinden dürften, sei nicht geeignet, zur sicheren Einhaltung zumutbarer Schallimmissionen beizutragen. Die von Fußgängern verursachten Geräusche seien den Besuchern der Gaststätte zuzurechnen und hätten als Folge der Betriebsführung berücksichtigt werden müssen. Sie führten nach den Aussagen des Ingenieurbüros M. zu einer Überschreitung der nächtlichen Immissionsrichtwerte. Da die bisherige Gaststätte ohne Baugenehmigung betrieben worden sei, vermöge sich der jahrzehntelange Betrieb nicht schutzmindernd für den Kläger auszuwirken.
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Dieser Vortrag überzeugt nicht. Im Hinblick auf die zu erwartende Immissionsbelastung hat das Verwaltungsgericht mit eingehender und zutreffender Begründung dargelegt (UA S. 23 bis 36), dass und warum durch die Auflagen zum Immissionsschutz im angefochtenen Bescheid hinreichend sichergestellt ist, dass die maßgeblichen Immissionsrichtwerte für Allgemeine Wohngebiete am Sondereigentum des Klägers im tatsächlichen Betrieb zuverlässig eingehalten werden können. Auch mit dem einschlägigen Schallschutzgutachten, welches zum Gegenstand der Baugenehmigung gemacht wurde, hat es sich im Einzelnen auseinandergesetzt und sich die dort getroffenen Feststellungen vom Gutachter der Beigeladenen unter Einbeziehung des Gutachters des Klägers in der mündlichen Verhandlung nochmals näher erläutern lassen. Diesen überzeugenden Einlassungen tritt der Kläger zwar unter Vorlage eines eigenen, bereits im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgelegten Gutachtens entgegen. Die Einwendungen des Ingenieurbüros M. und des Klägers erschüttern die gerichtlichen Erwägungen aber schon deshalb nicht, weil die zugrunde gelegten Abstandsflächen (5 m von der Freischankfläche bis zum Wohngebäude bzw. 3 bis 5 m zwischen Wohn- und Schlafzimmer bis zu den dortigen Sitzplätzen) unzutreffend sind. Wie sich aus dem genehmigten Lageplan vom 24. August 2022 (Planinhalt: Amtl. Lageplan, Plancode: 2022_06_G.E-1) ergibt, beträgt schon der Abstand von der Grundstücksgrenze des Klägers bis zum Beginn der nichtüberdachten Freischankfläche 5,66 m. Der Abstand zwischen der Grundstücksgrenze und der Hausecke an der S.-Straße beträgt nach Messungen des Gerichts in den Karten des Bayern Atlas ... und den Messungen auf dem Amtlichen Lageplan ca. 1,3 m. Demnach umfasst schon der kürzeste Abstand von der Freischankfläche zum Haus des Klägers ca. 7 m. Die vom Kläger in seinem Schriftsatz vom 25. Oktober 2023 erwähnten, zur S.-Straße ausgerichteten Fenster des Wohn- und Schlafzimmers sind noch weiter entfernt. Unabhängig davon kommt der Gutachter des Klägers zwar zu dem Schluss, dass auch höhere Ansätze zu rechtfertigen wären, führt aber nicht substantiiert aus, dass und inwieweit die Werte des Gutachtens vom 24. August 2022 unzutreffend sind. Vielmehr bestätigt das Gutachten des Klägers auf S. 1 zweiter Absatz, dass die Angaben aus dem Gutachten der Beigeladenen auch mit der Betriebsbeschreibung übereinstimmen und die Berechnungen der Schallemissionen und der Beurteilungspegel zutreffend sind. Die Annahmen des Klägers, hier sei, wenn eine ungezwungene Atmosphäre herrsche, als „Worst-Case“ der Ansatz für größere Biergärten von ca. 70 dB(A) gerechtfertigt, die nicht mit dem tatsächlichen Betrieb übereinstimmende Betriebsbeschreibung sei zu unbestimmt und die Auflage IV.B.9, wonach Veranstaltungen, wie Firmenfeiern nur im Inneren der Gaststätte bei geschlossenen Fenstern stattfinden dürften, könne die Einhaltung zumutbarer Schallimmissionen nicht sicherstellen, sind damit nicht gutachtlich belegt. Der Kläger macht zwar geltend, er könne am Immissionsort I001 aufgrund des geringen Abstandes von 3 bis 5 m Gespräche der angrenzenden Gäste wörtlich verstehen, weshalb ein Zuschlag von 6 dB(A) jeweils von für KI und KT anzusetzen wäre. Das von ihm vorgelegte Gutachten bestätigt aber auch dies nicht, vielmehr mutmaßt es lediglich, dass „Unterhaltungen, insbesondere wenn sie gehoben geführt werden, vermutlich sehr deutlich zu verstehen sind.“ Wie bereits oben dargestellt, gehen dabei aber sowohl der Kläger als auch sein Gutachter von unzutreffenden Abständen aus.
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Soweit der Kläger im Übrigen der Auffassung ist, bei Berücksichtigung des Fußgängerlärms komme es laut einer vom Kläger eingeholten Stellungnahme seines Gutachters M. vom 12. Oktober 2023 (Anlage BK3 des klägerischen Schriftsatzes im Zulassungsverfahren vom 25.10.2023) zu einer Überschreitung der nächtlichen Immissionsrichtwerte der TA Lärm an seiner Wohnung und auch ein jahrzehntelanger Gaststättenbetrieb vermöge sich nicht schutzmindernd zu seinen Lasten auszuwirken, dringt er damit nicht durch. Denn das Verwaltungsgericht hat auf S. 31 ab Zeile 11 des angefochtenen Urteils selbständig tragend („Zudem ist zu berücksichtigen“) und zutreffend ausgeführt, dass und in welchem Umfang die mit der gebietsversorgenden, im Allgemeinen Wohngebiet grundsätzlich zulässigen Speisewirtschaft verbundenen Störungen als sozialadäquat hinzunehmen sind. Hierzu verhält sich der Kläger nicht.
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2. Die Rechtssache weist entgegen der Ansicht des Klägers auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) auf. Wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, ist der Sachverhalt geklärt, und die aufgeworfenen Fragen können anhand der einschlägigen Rechtsvorschriften beantwortet werden. Soweit der Kläger der Ansicht ist, das Verwaltungsgericht setze sich mit seiner Entscheidung „zum Teil in Widerspruch zu den Feststellungen und Wertungen“ seiner eigenen Rechtsprechung im Rahmen eines anderen Verfahrens, fehlt es an einer entsprechenden Darlegung.
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3. Auch der geltend gemachte Zulassungsgrund der Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) liegt nicht vor.
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Eine Zulassung nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO setzt voraus, dass das angefochtene Urteil mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem eben solchen Rechtssatz eines in der Vorschrift genannten Gerichts abweicht. Im Zulassungsantrag muss ein abstrakter Rechtssatz des angefochtenen Urteils herausgearbeitet und einem Rechtssatz des anderen Gerichts unter Darlegung der Abweichung gegenübergestellt werden (vgl. BVerwG, B.v. 5.7.2016 – 4 B 21.16 – juris Rn. 5). Diesen Anforderungen wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht. Es fehlt bereits an einer entsprechenden Gegenüberstellung.
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4. Es liegt kein Verfahrensmangel nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO wegen eines Verstoßes gegen den Amtsermittlungsgrundsatz nach § 86 Abs. 1 VwGO vor.
13
Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Aufklärung des Sachverhalts grundsätzlich nicht, wenn es – wie hier – von einer Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter in der mündlichen Verhandlung nicht ausdrücklich beantragt hat (BVerwG, B.v. 21.7.2016 – 10 BN 1.15 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 23.8.2016 – 15 ZB 15.2668 – juris Rn. 26). In der mündlichen Verhandlung führte der Gutachter der Beigeladenen auf die Frage des Klägers, weshalb die Gäste, die sich vor der Gaststätte aufhielten, nicht im Gutachten berücksichtigt worden seien, aus, dass das Verhalten, das im öffentlichen Verkehrsraum stattfinde, nicht berücksichtigt werde. Der Kläger trat dem nicht substantiiert entgegen. Ein Beweisantrag wurde ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung vom 10. August 2023 nicht gestellt. Dass sich eine Beweiserhebung dem Verwaltungsgericht nach seiner Rechtsansicht auch ohne Beweisantrag hätte aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, B.v. 18.12.2006 – 4 BN 30/06 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 9.3.2023 – 15 ZB 23.151 – juris Rn. 12), ist weder dargelegt noch ersichtlich.
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5. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Beigeladene hat im Zulassungsverfahren einen Antrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt. Es entspricht demnach der Billigkeit, dass ihr ihre außergerichtlichen Kosten für das Zulassungsverfahren erstattet werden (§ 162 Abs. 3 VwGO).
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Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
16
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Entscheidung wird das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).