Inhalt

VGH München, Beschluss v. 11.06.2024 – 11 ZB 24.634
Titel:

Neuerteilung der Fahrerlaubnis ohne erneute theoretische und praktische Prüfung (verneint)

Normenketten:
VwGO § 124, § 166
ZPO § 114
FeV § 16 Abs. 1, § 17 Abs. 1, § 20 Abs. 2
Leitsätze:
1. Die Beurteilung der relevanten Tatsachen bei einer Neuerteilung der Fahrerlaubnis ist aufgrund einer umfassenden Würdigung des jeweiligen Einzelfalls vorzunehmen, bei der sowohl die für als auch die gegen die Erfüllung der betreffenden Erteilungsvoraussetzung sprechenden tatsächlichen Umstände zu berücksichtigen und abzuwägen sind. Dazu gehört auch und in erster Linie die Zeitdauer einer fehlenden Fahrpraxis. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine etwaige Fahrpraxis mit einem fahrerlaubnisfreien Fahrzeug muss unberücksichtigt bleiben (vgl. auch VGH München BeckRS 2023, 35947). (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine fahrerlaubnislose Zeit von 12 Jahren auch bei einem vorherigen Besitz der Fahrerlaubnis über 25 Jahre und einer geltend gemachten erheblichen Fahrleistung von jährlich 90.000 km begrüden Zweifel an der Befähigung zum Führen von Fahrzeugen (so bereits VGH München BeckRS 2023, 35947). (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Prozesskostenhilfe für einen beabsichtigten Antrag auf Zulassung der Berufung, hinreichende Erfolgsaussichten (verneint), Neuerteilung der Fahrerlaubnis ohne erneute theoretische und praktische Prüfung, Anhaltspunkte für die Annahme, dass dem Bewerber die erforderliche Befähigung zum Führen eines Kraftfahrzeugs der Klasse B fehlen könnte, fahrerlaubnislose Zeit von 12 Jahren, Prozesskostenhilfe, beabsichtigter Antrag auf Zulassung der Berufung, hinreichende Erfolgsaussichten, Neuerteilung der Fahrerlaubnis, erneute theoretische und praktische Prüfung, erforderliche Befähigung zum Führen eines Kraftfahrzeugs der Klasse B, fahrerlaubnislose Zeit, Fahrleistung, fehlende Fahrpraxis
Vorinstanz:
VG Augsburg, Urteil vom 04.03.2024 – Au 7 K 23.6
Fundstellen:
BayVBl 2024, 826
LSK 2024, 13841
BeckRS 2024, 13841

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung seines Bevollmächtigten für einen beabsichtigten Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 4. März 2024 wird abgelehnt.

Gründe

I.
1
Der Kläger begehrt Prozesskostenhilfe für einen beabsichtigten Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 4. März 2024, mit dem seine Klage auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis ohne die von der beklagten Stadt A. (Fahrerlaubnisbehörde) angeordnete Fahrerlaubnisprüfung abgewiesen wurde.
2
Der 1958 geborene Kläger war ursprünglich Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klassen A1, B, BE, C1, C1E, L, M und S, die ihm im März 2012 entzogen wurde, da er einer auf mehrere Straftaten gestützten Gutachtensanordnung nicht nachgekommen war.
3
Am 24. Oktober 2019 beantragte der Kläger bei der Beklagten, ihm die Fahrerlaubnis der Klassen „A1 und BE“ neu zu erteilen. Diesen Antrag legte die Beklagte dahin aus, dass er sich auf die Klassen A1, B, BE sowie die eingeschlossenen Klassen AM und L richte, und lehnte ihn zunächst mit Bescheid vom 19. Mai 2020 ab, nachdem der Kläger das angeordnete medizinisch-psychologische Gutachten nicht beibrachte. Mit Urteil vom 27. Juni 2022 hob das Verwaltungsgericht Augsburg diesen Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von Schwaben auf und verpflichtete die Beklagte, über den Antrag des Klägers erneut zu entscheiden. Der Schluss aus der Nichtvorlage des Gutachtens auf mangelnde Eignung sei unberechtigt, da die Beklagte das von § 11 Abs. 3 FeV eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt habe.
4
Daraufhin entschied die Beklagte, derzeit kein medizinisch-psychologisches Gutachten anzufordern, ordnete jedoch unter dem 10. August 2022 mit Blick auf den Zeitraum von gut zehn Jahren fehlender Fahrpraxis eine theoretische und praktische Fahrerlaubnisprüfung an.
5
Nachdem der Kläger erklärte, er werde die Prüfung nicht ablegen, lehnte die Beklagte den Antrag vom 24. Oktober 2019 mit Bescheid vom 5. Dezember 2022 erneut ab.
6
Am 2. Januar 2023 ließ der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Augsburg erheben mit dem Antrag, ihm die am 24. Oktober 2019 beantragte Fahrerlaubnis der Klassen A1, AM, B, BE und L sowie zusätzlich der Klassen C1 und C1E zu erteilen. Die Zweifel daran, ob er noch über die erforderliche Fahrerlaubnis verfüge, seien unberechtigt. Er habe bis zur Entziehung der Fahrerlaubnis 36 Jahre – seit 1976 – eine Fahrerlaubnis innegehabt und als angestellter sowie selbständiger Kurierfahrer große Fahrpraxis gesammelt. Nach der Entziehung der Fahrerlaubnis habe er ununterbrochen mit seinem fahrerlaubnisfreien Roller mit einem Hubraum von 25 m³ am Straßenverkehr teilgenommen.
7
Mit Beschluss vom 23. August 2023 (11 C 23.1065) hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof dem Kläger auf seine Beschwerde hin Prozesskostenhilfe für das (erstinstanzliche) Klageverfahren bewilligt, soweit seine Klage sich auf die Neuerteilung der Fahrerlaubnis der Klassen A1, AM, B, BE und L richtet.
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Mit Urteil vom 4. März 2024 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Soweit sie sich auf die Erteilung der Klassen C1 und C1E richte, sei sie bereits unzulässig, da diese nicht Gegenstand des Antrags bei der Fahrerlaubnisbehörde gewesen seien. Soweit die Klage auf die Klassen A1, B, BE und eingeschlossene Klassen ziele, sei sie unbegründet. Der Kläger habe im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts keinen Anspruch auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis dieser Klassen ohne vorherige theoretische und praktische Fahrerlaubnisprüfung.
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Mit Schriftsatz vom 11. April 2024 ließ der Kläger durch seinen Bevollmächtigten beantragen, ihm Prozesskostenhilfe für den beabsichtigten Antrag auf Zulassung der Berufung zu gewähren.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
11
1. Der isolierte Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das beabsichtigte Berufungszulassungsverfahren hat keinen Erfolg.
12
2. Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V. mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
13
Dabei dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussichten nicht überspannt werden. Deren Prüfung dient nicht dazu, die Rechtsverfolgung oder -verteidigung in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (vgl. BVerfG, B.v. 5.12.2018 – 2 BvR 2257/17 – juris Rn. 12 ff.). Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem in Art. 20 Abs. 3 GG allgemein niedergelegten Rechtsstaatsprinzip gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. BVerfG, a.a.O.; B.v. 22.3.2021 – 2 BvR 353/21 – Asylmagazin 2021, 439 = juris Rn. 3 ff.). Daher ist Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn sich eine ausreichend bemittelte Person, die ihre Aussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt, in einer vergleichbaren Situation für eine Rechtsverfolgung entscheiden würde (vgl. BVerfG, B.v. 14.10.2008 – 1 BvR 2310/06 – BVerfGE 122, 39 = juris Rn. 31; Wysk in Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 166 Rn. 35). Davon ist auszugehen, wenn ein Obsiegen ebenso wahrscheinlich ist wie ein Unterliegen oder die Entscheidung jedenfalls von einer schwierigen, ungeklärten Tatsachen- bzw. Rechtsfrage abhängt (vgl. Wysk, a.a.O. Rn. 36; Neumann/Schaks in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 166 Rn. 64 ff.; BVerfG, B.v. 28.1.2013 – 1 BvR 274/12 – NJW 2013, 1727 Rn. 11 ff.). Verweigert werden darf Prozesskostenhilfe aber dann, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance jedoch nur eine entfernte oder bloß theoretische ist (vgl. BVerfG, B.v. 28.8.2014 – 1 BvR 3001/11 – juris Rn. 12; BVerwG, B.v. 5.1.1994 – 1 A 14.92 – Buchholz 310 § 166 VwGO Nr. 33 = juris Rn. 3; OVG NW, B.v. 2.5.2022 – 12 A 720/22 – juris Rn. 5 m. w. N.; Neumann/Schaks, a.a.O. Rn. 64).
14
Im Fall eines beabsichtigten Antrags auf Zulassung der Berufung setzt die Gewährung von Prozesskostenhilfe jedenfalls voraus, dass die Begründung des Prozesskostenhilfeantrags das Vorliegen eines Berufungszulassungsgrundes in groben Zügen erkennen lässt (vgl. BVerwG, B.v. 11.2.2015 – 5 PKH 12.15 D – juris Rn. 2; OVG NW, B.v. 8.1.2024 – 12 A 1992/23 – juris Rn. 5).
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Daran fehlt es hier, so dass dahinstehen kann, ob bei bereits im Prozesskostenhilfeverfahren anwaltlich vertretenen Rechtsschutzsuchenden weitergehende Anforderungen zu stellen sind (vgl. dazu – dies ebenfalls offenlassend – OVG NW, B.v. 2.5.2022 – 12 A 720/22 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 9.6.2023 – 22 ZB 22.1737 – juris Rn. 11).
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3. Das Vorbringen des Klägers zeigt selbst in groben Zügen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts auf.
17
a) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen dann, wenn ein tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne nähere Prüfung beantworten lässt (vgl. BayVGH, B.v. 21.1.2022 – 22 ZB 21.2116 – BayVBl 2022, 493 Rn. 11; OVG NW, B.v. 1.10.2020 – 1 A 2433/20 – juris Rn. 4; SächsOVG, B.v. 8.12.2019 – 6 A 740/19 – juris Rn. 3; BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016, 1243 Rn. 16 f.; BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – NVwZ-RR 2004, 542 = juris Rn. 9).
18
b) Hinsichtlich der allgemeinen rechtlichen Maßstäbe hat das Verwaltungsgericht Folgendes angenommen:
19
Mit Tatsachen im Sinne von § 20 Abs. 2 FeV sei das Gesamtbild aller relevanten Tatsachen gemeint. Die Beurteilung sei folglich aufgrund einer umfassenden Würdigung des jeweiligen Einzelfalls vorzunehmen, bei der sowohl die für als auch die gegen die Erfüllung der betreffenden Erteilungsvoraussetzung sprechenden tatsächlichen Umstände zu berücksichtigen und abzuwägen seien. Dazu gehöre auch und in erster Linie die Zeitdauer einer fehlenden Fahrpraxis. Daran habe die Ersetzung der früher geltenden Zwei-Jahres-Frist, bei deren Überschreiten nach altem Recht zwingend eine nochmalige Fahrerlaubnisprüfung abzulegen gewesen sei, durch eine Einzelfallprüfung nichts geändert. Der Verordnungsgeber gehe zwar grundsätzlich davon aus, dass die Befähigung auch nach zwei Jahren fehlender Fahrpraxis zunächst fortbestehe. Es liege jedoch auf der Hand, dass eine über einen längeren Zeitraum fehlende Fahrpraxis im Sinne von § 20 Abs. 2 FeV Zweifel an der fortbestehenden Befähigung zum sicheren Führen dieser Fahrzeuge entstehen lassen könne. Auch die Fahrzeugtechnik und die gesetzlichen Vorschriften unterlägen ständigem Wandel. Wer längere Zeit nicht mit fahrerlaubnispflichtigen Kraftfahrzeugen am Straßenverkehr habe teilnehmen können, sei hiermit möglicherweise nicht mehr ausreichend vertraut. Hinzu komme, dass die Dauer fehlender Fahrpraxis regelmäßig der einzige Anhaltspunkt für Zweifel an der Fahrbefähigung sein werde, nachdem der Betroffene im Straßenverkehr wegen Fehlens der einschlägigen Fahrerlaubnis weder negativ beim Führen fahrerlaubnispflichtiger Fahrzeuge habe auffallen noch umgekehrt das Fortbestehen seiner Befähigung unter Beweis habe stellen können. Der Verlust der Befähigung werde umso eher anzunehmen sein, je weiter die früher maßgebliche Zweijahresgrenze überschritten ist. Aus Gründen der Sicherheit des Verkehrs sei es somit geboten, danach zu differenzieren, wie lange der erstmalige Nachweis der klassenspezifischen Befähigung schon zurückliege, wie lange – und ob regelmäßig oder nur sporadisch – der Betroffene von dieser Fahrerlaubnis Gebrauch gemacht habe und wie lange eine danach liegende Phase mangelnder Fahrpraxis angedauert habe.
20
Diese Annahme deckt sich mit der Rechtsprechung des Senats (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2023 – 11 ZB 23.1417 – Blutalkohol 61, 212 = juris Rn. 13; B.v. 23.8.2023 – 11 C 23.1065 – juris Rn. 15, jeweils m.w.N.) und ist in dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht in Frage gestellt worden.
21
c) Ebenfalls nicht in Zweifel gezogen ist der Ausgangspunkt des Verwaltungsgerichts, eine etwaige Fahrpraxis mit einem fahrerlaubnisfreien Fahrzeug müsse unberücksichtigt bleiben. Auch das entspricht der Rechtsprechung des Senats (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2023 a.a.O. Rn. 14; B.v. 23.8.2023 a.a.O. Rn. 16).
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d) Den konkreten Fall des Klägers hat das Verwaltungsgericht ausgehend von den vorgenannten Maßstäben wie folgt gewürdigt:
23
Die Beklagte sei in rechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass beim Kläger Tatsachen vorlägen, die die Annahme rechtfertigten, dass er die nach § 16 Abs. 1 FeV und § 17 Abs. 1 FeV erforderliche Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr besitze i.S.d. § 20 Abs. 2 FeV. Die fahrerlaubnisfreie Zeit betrage im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts 12 Jahre. In seiner älteren Rechtsprechung habe der Bayerische Verwaltungsgerichtshof angenommen, ein Zeitraum von etwa acht Jahren ohne berücksichtigungsfähige Fahrpraxis, der die frühere Zweijahresgrenze um das Vierfache überschreite, sei grundsätzlich geeignet, eine solche Tatsache darzustellen. Zudem habe der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 5. Dezember 2023 (11 ZB 23.1417) entschieden, dass eine fahrerlaubnislose Zeit von 12 Jahren auch bei einem vorherigen Besitz der Fahrerlaubnis über 25 Jahre und einer geltend gemachten erheblichen Fahrleistung von jährlich 90.000 km Zweifel an der Befähigung zum Führen von Fahrzeugen der – hier inmitten stehenden – Klasse B begründe. Im Fall des Klägers sei die Sachlage vergleichbar. Dieser könne zwar eine, wenn auch durch zumindest einen Haftaufenthalt unterbrochene Zeit von ca. 36 Jahren anführen, in denen er eine Fahrerlaubnis besessen habe, sowie einen Zeitraum von etwa 20 Jahren, in denen er wohl als Kurierfahrer erhebliche Fahrpraxis gesammelt habe, in die Waagschale werfen. Andererseits liege seine Fahrprüfung bereits weit über 40 Jahre zurück. Seither hätten sich die Anforderungen an die Teilnahme am Straßenverkehr grundlegend gewandelt, insbesondere mit Blick auf die gestiegene Verkehrsdichte und die fortentwickelte Fahrzeugtechnik, aber auch die für das Führen von Fahrzeugen maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften.
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Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe lässt selbst in groben Zügen keinen Ansatz für eine Argumentation erkennen, mit welcher der Kläger diese Annahme im Berufungszulassungsverfahren schlüssig in Frage stellen könnte.
25
Wenn er darauf verweist, der Betroffene in dem vom Verwaltungsgerichtshof entschiedenen Fall 11 ZB 23.1417 habe vor dem Verlust der Fahrerlaubnis über eine mehrmals unterbrochene Zeit von 24 Jahren Fahrpraxis gesammelt, er hingegen in einer ununterbrochenen Zeitspanne von 36 Jahren und dies auch noch als Berufskraftfahrer, deutet das nicht darauf hin, dass der Kläger die Würdigung des Verwaltungsgerichts im Berufungsverfahren ernstlich in Zweifel ziehen könnte. In seinem Beschluss vom 5. Dezember 2023 hat der Senat angenommen, dass ein fahrerlaubnisfreier Zeitraum von 12 Jahren (im Zeitpunkt der Anordnung eines Befähigungsnachweises) bzw. 13 Jahren (im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung) auch bei einer langjährigen Fahrpraxis vor dem Verlust der Fahrerlaubnis so lang ist, dass sich daraus hinreichende Anhaltspunkte für den Verlust der erforderlichen theoretischen und praktischen Kenntnisse sowie Fähigkeiten ergeben. Begründet hat der Senat dies im Wesentlichen mit dem Erfahrungssatz, dass erworbenes Wissen und erlernte Fähigkeiten bei längerer Nichtnutzung schwinden. Ferner hat er auf die geänderten Anforderungen an die Teilnahme am Straßenverkehr aufgrund der gestiegenen Verkehrsdichte und der fortentwickelten Fahrzeugtechnik hingewiesen. In vielerlei Hinsicht geändert hätten sich auch die für das Führen von Kraftfahrzeugen maßgebenden gesetzlichen Vorschriften sowie die Anforderungen an eine umweltbewusste und energiesparende Fahrweise, die ebenfalls Gegenstand der Prüfung seien (BayVGH, B.v. 5.12.2023 – 11 ZB 23.1417 – Blutalkohol 61, 212 = juris Rn. 14). Diese Entscheidung unterstreicht zwar, dass der vor Verlust der Fahrerlaubnis gesammelten Fahrpraxis durchaus Bedeutung zukommt und insoweit eine Differenzierung zwischen Fallgestaltungen, in denen der Betroffene nur kurze Zeit Fahrpraxis sammeln konnte, und solchen, in denen eine langjährige Fahrpraxis nachgewiesen ist, geboten sein kann (vgl. dazu auch BayVGH, B.v. 23.8.2023 – 11 C 23.1065 – juris Rn. 17; B.v. 15.9.2023 – 11 BV 23.937 – ZfS 2023, 653 = juris Rn. 16 ff.). Die Begründung des Senats lässt aber keinen Ansatz dafür erkennen, dass es bei einem Fahrer mit langjähriger – hier jedenfalls jahrzentelanger – Fahrpraxis noch entscheidend auf ankäme, ob diese über 24 oder 26 Jahre gesammelt wurde und wie hoch die konkrete, ggf. auch als Berufskraftfahrer absolvierte, Fahrleistung war. In beiden Konstellationen darf von sehr stark verinnerlichten Fähigkeiten und Kenntnissen ausgegangen werden, die allerdings bei längerer Nichtnutzung schwinden können. Zudem gilt in beiden Fallgestaltungen gleichermaßen, dass sich die Anforderungen an die Teilnahme am Straßenverkehr sowie die für das Führen von Kraftfahrzeugen maßgebenden gesetzlichen Vorschriften in der langen Zeit seit dem Verlust der Fahrerlaubnis in vielerlei Hinsicht geändert haben. Demnach lässt das Vorbringen des Klägers auch nicht ansatzweise erkennen, dass die Annahme des Verwaltungsgerichts, die hier vorliegende Konstellation sei der in dem Verfahren 11 ZB 23.1417 im Kern vergleichbar und ebenso zu würdigen, ernstlichen Zweifeln unterliegen könnte.
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Vor diesem Hintergrund ist auch nicht zu erkennen, dass der Einwand des Klägers, das Verwaltungsgericht habe die Dauer der Fahrpraxis sowie seine Tätigkeit als Berufskraftfahrer nicht zutreffend gewürdigt, dem Antrag auf Zulassung der Berufung zum Erfolg verhelfen könnte.
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4. Es ist offensichtlich, dass dem Antrag auf Zulassung der Berufung nicht wegen eines Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) stattgegeben werden könnte.
28
Der Kläger macht eine fehlerhafte Sachaufklärung geltend. Das Verwaltungsgericht habe – entgegen der Anregung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs im Prozesskostenhilfeverfahren für die erste Instanz – nicht abschließend geklärt, in welchen Zeiten der Kläger tatsächlich Inhaber einer Fahrerlaubnis gewesen sei und ob er seine geltend gemachte langjährige sowie umfangreiche Fahrpraxis belegen könne.
29
Dieser Vortrag würde eine Zulassung der Berufung schon deswegen nicht rechtfertigen, weil das Verwaltungsgericht das Vorbringen des Klägers insoweit im Ergebnis als wahr unterstellt hat (UA S. 13 f.).
30
Unabhängig davon könnte das Verwaltungsgericht, da es mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 101 Abs. 2 VwGO) und der Kläger nach dem Verzicht auf die mündliche Verhandlung schriftsätzlich keinen Beweisantrag gestellt hat (vgl. dazu BVerwG, U.v. 30.5.1989 – 1 C 57.87 – BVerwGE 82, 117 = juris Rn. 12), seine Aufklärungspflicht allein dann verletzt haben, wenn sich ihm von seinem materiell-rechtlichen Standpunkt aus eine weitere Ermittlung hätte aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, B.v. 5.3.2010 – 5 B 7.10 – Buchholz 310 § 133 (nF) VwGO Nr. 4 = juris Rn. 9; B.v. 15.1.2008 – 9 B 7.07 – NVwZ 2008, 675 = juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 9.2.2023 – 11 ZB 22.261 – ZfS 2023, 234 = juris Rn. 31; BFH, B.v. 16.2.2011 – X B 133/10 – BFH/NV 2011, 995 = juris Rn. 4; Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, § 124 Rn. 191). Dies ist hier bereits nicht dargelegt, aber auch nicht der Fall.
31
5. Sollte der Einwand des Klägers, das angegriffene Urteil weiche mit Blick auf die Sachaufklärung von der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom 23. August 2023 (11 C 23.1065) ab, auf eine Divergenz im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zielen, vermag dies die Zulassung der Berufung schließlich ebenfalls nicht zu rechtfertigen.
32
Der in Bezug genommene Prozesskostenhilfebeschluss ist bereits nicht divergenzfähig, weil der Senat in diesem Verfahren die diskutierten Rechtsfragen nicht entschieden hat (vgl. dazu Rudisile in Schoch/Schneider, VwGO, § 124 Rn. 40; BayVGH, B.v. 5.2.2021 – 11 ZB 20.2611 – juris Rn. 29). Abgesehen davon hat der Verwaltungsgerichtshof mit seiner Anregung zur weiteren Sachaufklärung, der das Verwaltungsgericht im Übrigen auch gefolgt ist, keinen abstrakten Rechtssatz aufgestellt, von dem das Verwaltungsgericht abgewichen wäre (vgl. zu den Anforderungen an die Divergenz und deren Darlegung BayVGH, B.v. 3.6.2022 – 11 ZB 22.394 – juris Rn. 20).
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6. Einer Entscheidung über die Kosten des Verfahrens bedarf es nicht, weil im Prozesskostenhilfeverfahren keine Gerichtsgebühren erhoben werden, Auslagen nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 5 ZPO nicht entstanden sind und eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO ausgeschlossen ist.
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7. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).