Inhalt

VG München, Beschluss v. 17.04.2024 – M 15 S 24.1133
Titel:

Einstweiliger Rechtsschutz gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4, Abs. 3 S. 1, Abs. 5 Alt. 2, § 123, § 166
ZPO §§ 114 ff.
UVG § 1 Abs. 3
Leitsätze:
1. Der Eintritt der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage nach § 80 Abs. 1 VwGO ist der gesetzliche Regelfall, auch wenn stets ein öffentliches Interesse an der Vollziehung eines (rechtmäßigen) Verwaltungsaktes besteht. Da es sich bei der behördlichen Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit nach der Wertung des Gesetzgebers um einen Ausnahmefall handelt, muss neben das ohnehin bestehende öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsaktes (Erlassinteresse) ein besonderes Vollzugsinteresse treten, das das Absehen vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung und die Befugnis der Behörde, einen Verwaltungsakt auch schon vor Eintritt der Bestandskraft zwangsweise durchzusetzen zu rechtfertigen vermag. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wird der Antrag auf Unterhaltsvorschuss erst einige Jahre nach der Geburt des Kindes gestellt, ist nicht auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen, sondern darauf, was die Mutter spätestens nach der Feststellung, dass sie schwanger ist, zur Feststellung des Kindsvaters unternommen hat. Die Norm des § 1 Abs. 3 UVG ist deshalb so auszulegen, dass es für die Mitwirkung bei der Feststellung der Vaterschaft grundsätzlich auf den Zeitpunkt unmittelbar nach dem Geschlechtsverkehr, sofern die Kindsmutter von einer Empfängnis ausgehen musste, spätestens auf den Zeitpunkt der Feststellung der Schwangerschaft ankommt. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einstweilige Anordnung, Prozesskostenhilfe, Verletzung der Mitwirkungspflicht, sofortige Vollziehung, Unterhaltsvorschuss
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 05.06.2024 – 12 CS 24.834
Fundstelle:
BeckRS 2024, 13840

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

I.
Die Parteien streiten um die Gewährung von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG).
1
Am … Mai 2019 beantragte die Antragstellerin erstmals Unterhaltsvorschussleistungen für ihre am … 2012 geborene Tochter. Der Kindsvater sei unbekannt und deshalb seien Bemühungen um Unterhaltszahlungen nicht vorgenommen worden. Mit Schreiben vom … Mai 2019, ... Juni 2019 und … Juni 2019 forderte die Antragsgegnerin unter anderem eine Vaterschaftsanerkennung oder Bestätigung der Durchführung eines Vaterschaftsfeststellungsverfahrens bzw. einen Nachweis der Vaterschaftsfeststellung durch einen Rechtsanwalt oder die Antragstellerin an. Mangels Äußerung seitens der Antragstellerin wurde der Antrag durch Bescheid vom ... August 2019 wegen Verletzung ihrer Mitwirkungspflicht abgelehnt.
2
Am … 2021 stellte sie erneut Antrag auf Zahlung von Unterhaltsvorschussleistungen. Hierbei gab sie als Kindsvater einen Herrn … an, dessen Aufenthaltsort unbekannt sei. Am … Mai 2021 gab sie dagegen an, dass aufgrund des unbekannten Aufenthaltsortes des Vaters die Vaterschaft nicht feststellbar sei und strich die Formularfragen zur Identität des Kindsvaters durch. Mit Schreiben vom ... Juni 2021 gab sie Namen, Geburtsdatum, Nationalität und Wohnort (K***) des Kindsvaters an, wobei eine genaue Anschrift unbekannt sei. Als sie im Folgenden mehrmals erfolglos unter Fristsetzung zur Vorlage einer Vaterschaftsanerkennung bzw. von Nachweisen der Durchführung eines Vaterschaftsfeststellungsverfahrens aufgefordert wurde, lehnte die Antragsgegnerin den Antrag durch Bescheid vom … Oktober 2021 bzw. … Oktober 2021 aufgrund Verletzung der Mitwirkungspflicht ab.
3
Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde durch Bescheid vom … Januar 2022 zurückgewiesen. Eine diesbezügliche Klage vor dem Verwaltungsgericht M. ( …  …) wurde mit Urteil vom … Februar 2024, dem Bevollmächtigten der Antragstellerin zugestellt am … März 2024, abgewiesen.
4
Am … Februar 2022 beantragte die Antragstellerin erneut Leistungen nach dem UVG für ihre Tochter. Als Kindsvater gab sie wiederum Herrn … an und dass dessen Anschrift unbekannt sei. Sie teilte der Antragsgegnerin in einem Schreiben am selben Tag weiterhin mit, sie kenne den jetzigen Wohnort des Kindsvaters nicht und könne ihn telefonisch nicht erreichen. Sein letzter ihr bekannter Aufenthaltsort sei vor vier Jahren K. in der Ukraine gewesen und da sie nur selten in Kontakt gestanden seien, sei der Kontakt dann vollständig abgebrochen. Sie leitete am … Mai 2022 eine Beistandschaft zum Zwecke der Vaterschaftsfeststellung ein. Am … Juni 2022 teilte sie der Antragsgegnerin auf einem Schreiben handschriftlich notiert eine Adresse des Kindsvaters in K. mit.
5
Mit Bescheid vom … Juli 2022, geändert durch Bescheide vom … Juli 2022 und ... Januar 2023, wurden der Antragstellerin Leistungen nach dem UVG bis … April 2024 bewilligt. In einem Überprüfungsfragebogen gab die Antragstellerin am … Mai 2023 ebenfalls die Adresse des Kindsvaters in K. an. Mit Schreiben vom … August 2023 wurde die Antragsgegnerin informiert, dass die Beistandschaft aufgehoben und eine Vaterschaft nur gerichtlich geklärt werden könne, was aufgrund des Krieges in der Ukraine derzeit nicht möglich sei.
6
Mit Bescheid vom … Februar 2024, der Antragstellerin zugestellt am … Februar 2024, wurde der Bescheid vom … Juli 2022 aufgehoben (Nr. 1) und die sofortige Vollziehung angeordnet (Nr. 2). Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass eine Verletzung der Mitwirkungspflicht der Antragstellerin vorliege, da es ihr im Zeitpunkt der Geburt ihrer Tochter und auch zum Zeitpunkt der Entstehung der Schwangerschaft möglich gewesen wäre, die Vaterschaftsfeststellung zu betreiben. Sie habe bis vor vier Jahren noch Kontakt zum Putativvater und damit auch die Möglichkeit gehabt, die Vaterschaftsfeststellung zu betreiben. Aufgrund der fehlenden Mitwirkung bei der Feststellung der Vaterschaft zu einem früheren Zeitpunkt bestehe aktuell keine Möglichkeit für die Antragsgegnerin mehr, die gewährten Unterhaltsvorschussleistungen gegen den anderen Elternteil geltend zu machen. Leistungen könnten erst gewährt und die Mitwirkungspflicht nachgeholt werden, wenn ein Anerkenntnis oder eine gerichtliche Feststellung der Vaterschaft vorgelegt werde. Es liege im öffentlichen Interesse, dass Sozialleistungen, die aus Steuermitteln erbracht werden müssen, nur Personen zuflössen, die auch anspruchsberechtigt seien. Vor dem Hintergrund eines sparsamen und sorgfältigen Umgangs mit Steuergeldern sei die Antragsgegnerin verpflichtet, unverzüglich zu reagieren und auszuschließen, dass für die Zukunft weiter zu Unrecht Leistungen gewährt würden. Auch aus der Fürsorgepflicht dem Leistungsempfänger gegenüber müsse vermieden werden, dass Zahlungen geleistet würden, auf die kein Anspruch bestehe und die nach Abschluss des Verfahrens erstattet werden müssten, sodass das öffentliche Interesse der Antragsgegnerin an der sofortigen Vollziehung des Bescheids gegenüber dem Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage überwiege.
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Hiergegen erhob die Antragstellerin durch ihren Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom … März 2024, bei der Antragsgegnerin eingegangen am selben Tag, Widerspruch und beantragte ebenfalls mit Schreiben vom ... März 2024, eingegangen beim Verwaltungsgericht M. am selben Tag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Aufhebungsbescheid vom … Februar 2024 für den Monat März 2024 anzuordnen, im Übrigen wiederherzustellen.
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Sie beantragte weiterhin ihr für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Prozesskostenhilfe ohne Anordnung von Ratenzahlung zu bewilligen und ihr ihren Prozessbevollmächtigten beizuordnen.
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Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht ausreichend begründet sei. Die für eine Anordnung der sofortigen Vollziehung notwendige Würdigung des Einzelfalls und Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen seien von der Antragsgegnerin im Aufhebungsbescheid nicht vorgenommen worden. Diese gehe dort insbesondere nicht auf den konkreten Fall der Antragstellerin und die Auswirkungen des Sofortvollzugs auf diese ein.
10
Die Antragsgegnerin beantragte,
den Antrag zurückzuweisen.
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Sie begründete dies im Wesentlichen damit, dass der Erlass der Sofortvollzugsanordnung rechtmäßig sei. Das öffentliche Interesse an der Vollziehung nach § 80 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) sei gegeben, da steuerfinanzierte Sozialleistungen nur an anspruchsberechtigte Bürger ausbezahlt werden sollten. Der Aufhebungsbescheid sei rechtmäßig, da die Bewilligung der Unterhaltsvorschussleistungen am … Juli 2022 mangels Feststellung einer Vaterschaft oder Einleitung eines Vaterschaftsfeststellungsverfahrens nicht hätte erfolgen dürfen. Nach § 1 Abs. 3 UVG habe mangels Mitwirkung der Antragstellerin kein Anspruch bestanden. Eine Feststellung der Vaterschaft durch die Antragstellerin sei im maßgeblichen Zeitpunkt von Schwangerschaft und Geburt nicht erfolgt. Daraus folge bei späterer Beantragung von Unterhaltsvorschussleistungen eine Mitwirkungspflichtverletzung. Vor dem Hintergrund des sparsamen Umgangs mit Steuergeldern sei die Antragsgegnerin verpflichtet, unverzüglich zu reagieren.
12
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
13
Die Anträge haben keinen Erfolg.
I.
14
Der Eilantrag ist zulässig aber unbegründet.
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1. Der Eilantrag ist zulässig, insbesondere ist der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Alt. 2 VwGO statthaft.
16
Das Gericht folgt nicht der zum Teil in der Rechtsprechung verbreiteten Ansicht, dass im Recht des Unterhaltsvorschusses vorläufiger Rechtsschutz alleine nach § 123 VwGO zu gewähren sei. Zur Begründung wird insoweit angeführt, dass solche Leistungen grundsätzlich nicht als rentengleiche Dauerleistungen, sondern stets unter dem Vorbehalt jederzeitiger Einstellung gewährt würden. Es läge durch die Leistungsbewilligung folglich kein Dauerverwaltungsakt vor, der dem Leistungsempfänger Rechte für die Zukunft einräume. Die Einstellung der Leistung greife daher nicht in eine durch den Bewilligungsbescheid eingeräumte Rechtsposition ein, sondern stelle die Versagung noch zu bewilligender Leistungen dar (vgl. VG Freiburg, B.v. 6.4.2020 – 4 K 345/20 – juris Rn. 22 f. m.w.N.)
17
Das Gericht vertritt vielmehr die Ansicht, dass es sich bei einem Bewilligungsbescheid für Unterhaltsvorschussleistungen regelmäßig um einen Dauerverwaltungsakt handelt und deshalb vorläufiger Rechtsschutz gegen dessen Aufhebung nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft ist. Der Bewilligungsbescheid ist als Dauerverwaltungsakt anzusehen, da er für die Zukunft zumindest insoweit ein Recht entfaltet, als mit ihm (inzident) festgestellt wird, dass der Anspruch auf Unterhaltsvorschussleistung so lange fortbesteht, solange die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind (vgl. ausführlich zum Streitstand: Grube, UVG, 2. Auflage 2020, Einleitung Rn. 103 ff.; VG Dresden, B.v. 20.9.2021 – 1 L 520/21 – juris Rn. 16 ff. m.w.N.). Dieser Ansicht steht nicht entgegen, dass das Vorliegen der Voraussetzungen der ständigen Überprüfung unterliegt, denn die Rechtsposition ist bei Entfallen der Voraussetzungen regelmäßig zu beseitigen, um einen rechtmäßigen Zustand herbeizuführen. Eine solche Konstellation ist sowohl im Sozialrecht als auch im Recht der Jugendhilfe regelmäßig gegeben und führt auch dort nicht dazu, ausschließlich von einer monatsweisen Betrachtung und Bewilligung auszugehen (grds. BSG, U.v. 11.12.2007 – B 8/9b SO 12/06 R – juris Rn. 9). Vielmehr wird davon ausgegangen, dass die Leistungsbewilligung einen Dauerverwaltungsakt darstellt, der bei entsprechender Änderung der Verhältnisse gemäß § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) – welcher ausschließlich eine Regelung für Dauerverwaltungsakte enthält – aufgehoben werden kann. Sachliche Differenzierungsgründe, warum eine Anwendbarkeit von § 48 SGB X auf Bewilligungsbescheide nach dem UVG nicht gegeben sein soll, kann das Gericht nicht erkennen (vgl. zum Ganzen VG München, B.v. 5.7.2022 – M 18 E 22.3041 – juris Rn. 25 ff.; ebenfalls die Anwendung von § 48 SGB X bejahend: OVG Bautzen, U.v. 24.5.2023 – 5 A 590/21 – juris Rn. 29 ff.; OVG Lüneburg, B.v. 4.7.2019 – 4 PA 124/19 – juris Rn. 4; VGH BW, B.v. 2.1.2006 – 7 S 468/03 – juris 32 ff.; VG Meiningen, U.v. 21.3.2023 – 8 K 805/21 – juris Rn. 26; VG Freiburg, U.v. 29.9.2021 – 4 K 3540/20 – juris Rn. 37; VG Berlin, U.v. 26.10.2021 – 21 K 70/20 – juris Rn. 20 m.w.N; VG Dresden, B.v. 20.9.2021 – 1 L 520/21 – juris Rn. 16; VG Dresden, U.v. 9.6.2021 – 1 K 1216/20 – juris Rn. 20; VG Bayreuth, U.v. 21.9.2020 – B 8 K 20.500 – juris Rn. 137 ff; VG Augsburg, U.v. 4.8.2020 – AU 3 K 18.2073 – juris).
18
2. Der Antrag ist unbegründet.
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2.1. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist formell rechtmäßig, insbesondere ist diese gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO im vorliegenden Fall im ausreichenden Maße schriftlich begründet worden.
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In den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO hat die Behörde die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO besonders zu begründen. Dabei rechtfertigt allein das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsaktes – hier der Anordnung in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheides – regelmäßig nicht die Anordnung des Sofortvollzugs nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO. Der Eintritt der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage nach § 80 Abs. 1 VwGO ist der gesetzliche Regelfall, auch wenn stets ein öffentliches Interesse an der Vollziehung eines (rechtmäßigen) Verwaltungsaktes besteht. Da es sich bei der behördlichen Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit nach der Wertung des Gesetzgebers um einen Ausnahmefall handelt, muss neben das ohnehin bestehende öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsaktes (Erlassinteresse) ein besonderes Vollzugsinteresse treten, das das Absehen vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung und die Befugnis der Behörde, einen Verwaltungsakt auch schon vor Eintritt der Bestandskraft zwangsweise durchzusetzen zu rechtfertigen vermag. Diesem Erfordernis trägt § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO Rechnung. Die Behörde muss sich der besonderen Ausnahmesituation bewusst werden und deshalb das besondere Vollzugsinteresse begründen, wenn sie vom Regelfall abweicht und die sofortige Vollziehung anordnet. An das Begründungserfordernis sind inhaltlich keine allzu hohen Anforderungen zu stellen, soweit die schriftliche Begründung zu erkennen gibt, dass die Behörde eine Anordnung des Sofortvollzugs im konkreten Fall für geboten erachtet (vgl. BayVGH, B.v. 10.11.2020 – 9 CS 20.1278 – juris Rn. 13 m.w.N.; B.v. 30.1.2019 – 9 CS 18.2533 – juris Rn. 16 m.w.N.). Die Norm dient darüber hinaus dem Rechtsschutz des Betroffenen, der ausgehend von der Begründung die Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfs besser einschätzen können soll (Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 80 Rn. 54). Zur Erfüllung der Voraussetzungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO kommt es nicht darauf an, ob die gegebene Begründung inhaltlich richtig und geeignet ist, das besondere dringliche Interesse an der sofortigen Vollziehung zu rechtfertigen. Dies ist eine Frage des materiellen Rechts (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 6.9.2021 – 20 CS 21.1592 – juris Rn. 3 ff.).
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Das Gericht sieht die Begründung hier als noch hinreichend an, da daraus hervorgeht, dass sich die Antragsgegnerin des rechtlichen Ausnahmecharakters und damit der Notwendigkeit eines besonderen Vollzugsinteresses bewusst gewesen ist. Die Antragsgegnerin hat hier insoweit einzelfallbezogen argumentiert. Im Bescheid wurde auf die Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens hinsichtlich der Anordnung nach § 80 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VwGO hingewiesen. Indem auch auf die Fürsorgepflicht gegenüber dem Leistungsempfänger verwiesen wurde, sind weiterhin im Rahmen einer Abwägung des Vollzugs- und Suspensivinteresses auch Interessen der Antragstellerin berücksichtigt worden.
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2.2 Auch in materieller Hinsicht begegnet der streitgegenständliche Bescheid bei summarischer Prüfung keinen Bedenken.
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a. Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO entfällt die grundsätzlich nach § 80 Abs. 1 VwGO bestehende aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage bzw. eines Widerspruchs, wenn die Behörde die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten besonders anordnet. Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage bzw. des Widerspruchs in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen sowie im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen, sofern das Interesse des Betroffenen, von der Vollziehung des belastenden Verwaltungsakts bis zur Klärung seiner Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung übersteigt. Das Gericht hat hierbei nach dem Sach- und Streitstand im Zeitpunkt seiner Entscheidung eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen. Bei der danach erforderlichen Abwägung der Interessen sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels im Hauptsacheverfahren zu berücksichtigen, soweit sie bei summarischer Prüfung bereits im Zeitpunkt der Entscheidung beurteilt werden können. Summarische Prüfung im Rahmen eines Eilverfahrens bedeutet insbesondere, dass eine umfassende Beweisaufnahme nicht durchgeführt wird, sondern dem Klageverfahren vorbehalten bleiben muss. Ergibt die Überprüfung der Erfolgsaussichten, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei kursorischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens dagegen nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer reinen Interessenabwägung (vgl. zum Ganzen VG München, B.v. 27.4.2023 – M 15 S 23.1746 – BA Rn. 13).
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b. Die summarische Prüfung des Hauptsacherechtsbehelfs geht zu Lasten der Antragstellerin. Der Widerspruch hat keine Aussicht auf Erfolg, da er unbegründet ist.
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Ein Anspruch auf Unterhaltsvorschussleistungen besteht insbesondere nicht bei einer Verletzung der Mitwirkungspflicht nach § 1 Abs. 3 UVG. Diese Vorschrift begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (OVG Sachsen, U.v. 24.5.2023 – 5 A 350/22 – juris Rn. 30; VG München, U.v. 22.2.2024 – M 15 K 22.439 – UA Rn. 27). Dabei liegt eine Weigerung zur Mitwirkung in diesem Sinne insbesondere auch dann vor, wenn falsche oder verschleiernde Angaben gemacht werden (VG München, U.v. 22.2.2024, a.a.O.). Auch wenn die Angaben der Mutter zum Verlauf der Zeugung und der Zeit danach detailarm und pauschal sind, kann darin eine Weigerung gesehen werden, an der Feststellung der Vaterschaft mitzuwirken (SächsOVG, B.v. 17.12.2019 – 3 D 41/19 – juris Rn. 11 m.w.N.). Ist das Vorbringen der Kindsmutter, die Identität des Kindsvaters nicht zu kennen, glaubhaft, setzt die Mitwirkungspflicht voraus, dass die Kindsmutter alles ihr Mögliche und Zumutbare getan hat, um den Kindsvater zu ermitteln (vgl. VGH BW, U.v. 9.12.1992 – 6 S 760/91 – juris Rn. 18). Die notwendigen Obliegenheiten der Kindsmutter gemäß § 1 Abs. 3 UVG umfassen auch mögliche und zumutbare Bemühungen, den Kindsvater (spätestens) nach Bekanntwerden der Schwangerschaft zeitnah selbst zu ermitteln (OVG Münster, B.v. 28.7.21 – 12 A 468/20 – juris Rn. 12; OVG Rh.-Pf., U.v. 24.9.2018 – 7 A 10300/18 – juris Rn. 25; VG München, U.v. 22.2.2024, a.a.O.). Wird der Antrag auf Unterhaltsvorschuss erst einige Jahre nach der Geburt des Kindes gestellt, ist nicht auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen, sondern darauf, was die Mutter spätestens nach der Feststellung, dass sie schwanger ist, zur Feststellung des Kindsvaters unternommen hat (VG München, U.v. 22.2.2024, a.a.O.). Die Norm des § 1 Abs. 3 UVG ist deshalb so auszulegen, dass es für die Mitwirkung bei der Feststellung der Vaterschaft grundsätzlich auf den Zeitpunkt unmittelbar nach dem Geschlechtsverkehr, sofern die Kindsmutter von einer Empfängnis ausgehen musste, spätestens auf den Zeitpunkt der Feststellung der Schwangerschaft ankommt (vgl. zum Ganzen OVG Sachsen, U.v. 24.5.2023 – 5 A 350/22 – juris Rn. 33 f.; vgl. a. Grube, UVG, 2. Aufl. 2020, § 1 Rn. 140 f., 154 ff. m.w.N.).
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Nach diesen Grundsätzen hat der eingelegte Widerspruch voraussichtlich keinen Erfolg. Bei summarischer Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache besteht kein Anspruch der Antragstellerin auf Gewährung von Unterhaltsvorschussleistungen. Zum einen hat diese ihre Mitwirkungsobliegenheit nach § 1 Abs. 3 UVG verletzt, indem sie seit 2019 mehrfach unterschiedliche Angaben zur Identität des Kindsvaters machte. Auch im vorliegenden Verfahren gab sie am … Februar 2022 im Antrag und in einem Schreiben an, dass ihr dessen Anschrift nicht bekannt sei, anschließend nannte sie aber im Schreiben vom … Juni 2022 sowie im Überprüfungsfragebogen am … Mai 2023 eine Adresse in K. Zum anderen legte die Antragstellerin im Schreiben am … Februar 2024 an die Antragsgegnerin dar, dass sie bis vor vier Jahren den Aufenthaltsort des Kindsvaters in der Ukraine (K***) gekannt habe und bis dahin auch mit ihm in Kontakt gestanden sei. Eine Vaterschaftsfeststellung für die am … 2012 geborene Tochter erfolgte bis dahin nicht. Die Antragstellerin hat somit im maßgeblichen Zeitpunkt des Bekanntwerdens der Schwangerschaft bzw. der Geburt des Kindes nicht alles ihr Mögliche und Zumutbare getan, um die Vaterschaft des Kindsvaters, mit dem sie in Kontakt stand und dessen Aufenthaltsort sie kannte, zu ermitteln.
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3. Selbst wenn man entgegen der Ansicht des Gerichts (s.o. 1.) davon ausginge, einstweiliger Rechtsschutz gegen die Aufhebung der Bewilligung von Unterhaltsvorschussleistungen richte sich nach § 123 VwGO und den Antrag entsprechend auslegt (§§ 88, 122 Abs. 1 VwGO), bliebe der Antrag ohne Erfolg. Eine einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO darf nur ergehen, um wesentliche Nachteile abzuwenden, drohende Gefahren zu verhindern oder wenn sie aus anderen Gründen nötig erscheint. Der Antragsteller hat sowohl die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, den sog. Anordnungsgrund, als auch das Bestehen eines zu sichernden Rechts, den sog. Anordnungsanspruch, glaubhaft zu machen (§ 123 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO). Maßgeblich sind die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.
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3.1 Es fehlt bereits am Vorliegen eines Anordnungsgrundes.
29
Die besondere Eilbedürftigkeit kann sich bei der Gewährung von Unterhaltsvorschussleistungen insbesondere daraus ergeben, dass für das Kind eine finanzielle Notlage gegeben ist, wobei eine solche aber in der Regel durch existenzsichernde Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vermieden werden kann (vgl. Grube, UVG, 2. Aufl. 2020, Einl. Rn. 111).
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Wesentliche Nachteile oder drohende Gefahren wurden von der Antragstellerin nicht vorgetragen. Wie in ihrem Antrag auf Unterhaltsvorschussleistungen am … Februar 2022 ersichtlich, bezieht das Kind Leistungen nach dem SGB II, sodass eine existenzbedrohende finanzielle Notlage des Kindes auch bei Verweigerung von Unterhaltsvorschussleistungen durch die Antragsgegnerin nicht gegeben ist.
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3.2.Unabhängig davon ist auch kein Anordnungsanspruch gegeben. Ein Anordnungsanspruch besteht, wenn bei summarischer Prüfung überwiegende Erfolgsaussichten für das Hauptsacheverfahren bestehen (Kopp/Schenke, VwGO, 29. Aufl. 2023, § 123 Rn. 25). Dies ist nicht der Fall (s.o. 2.2).
32
Nach alledem war der gestellte Eilantrag abzulehnen.
33
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2 VwGO.
II.
34
Ebenso hat die Antragstellerin keinen Anspruch auf Gewährung von Prozesskostenhilfe.
35
Nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
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Unabhängig davon, dass die Antragstellerin die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen nicht vorgelegt hat, war der Prozesskostenhilfeantrag jedenfalls wegen fehlender Erfolgsaussichten des Eilantrags abzulehnen (s.o. I.).