Titel:
Erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung
Normenketten:
SGB IX § 167 Abs. 1, § 168
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124a Abs. 4 S. 5, § 188 S. 2
Leitsatz:
Das Präventionsverfahren ist vom Integrationsamt im Rahmen seiner Ermessenentscheidung über die Kündigung unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten ggf. zulasten des Arbeitgebers zu berücksichtigen, wenn bei gehöriger Durchführung die Möglichkeit bestanden hätte, die Kündigung zu vermeiden. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zustimmung des Integrationsamts zur Kündigung, Krankheitsbedingte Kündigung, Ermessensprüfung, Präventionsverfahren, Behinderung, Integrationsamt, Kündigung, Zustimmung, Ermessen
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 25.05.2023 – M 15 K 22.6
Fundstelle:
BeckRS 2024, 13836
Tenor
I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 25. Mai 2023 – M 15 K 22.6 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
1
Der Kläger verfolgt mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung die Aufhebung der Zustimmung des Beklagten zu seiner ordentlichen Kündigung durch die Beigeladene im Wege der Anfechtungsklage weiter. Hinsichtlich des verwaltungsgerichtlichen Urteils, mit dem seine Klage abgewiesen wurde, bestünden ernstliche Richtigkeitszweifel im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Demgegenüber verteidigt der Beklagte die angefochtene Entscheidung. Die Beigeladene hat im Berufungszulassungsverfahren keine Stellungnahme abgegeben.
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1. Der Berufungszulassungsantrag hat keinen Erfolg, da die vorrangig geltend gemachten ernstlichen Richtigkeitszweifel an der angefochtenen Entscheidung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht vorliegen oder nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 5 VwGO entsprechend dargelegt worden sind.
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Soweit die Bevollmächtigte des Klägers rügt, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht die ordnungsgemäße Ermessensausübung durch den Beklagten im Rahmen seiner Zustimmung zur ordentlichen personenbedingten Kündigung des Klägers bejaht, kann sie damit nicht durchdringen. Ermessensfehler des Beklagten, die die Aufhebung der Zustimmung rechtfertigen würden, zeigt sie nicht auf.
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1.1 Dies gilt insbesondere, soweit die Bevollmächtigte des Klägers (erneut) darauf verweist, dass die Beigeladene und der Beklagte es zu prüfen unterlassen haben, ob dem Kläger organisationsübergreifend eine gegenüber seiner bisherigen Tätigkeit höherqualifizierte und leidensgerechte Tätigkeit hätte zugewiesen werden können. Dieser Einwand geht bereits deshalb fehl, weil zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung dem Beklagten Anhaltspunkte für einen leidensgerechten Einsatz des Klägers auf einem höherqualifizierten Arbeitsplatz nicht vorgelegen haben. Im Übrigen legt die Klägerbevollmächtigte auch nicht dar, dass ein konkreter, leidensgerechter Arbeitsplatz für den Kläger zum damaligen Zeitpunkt vorhanden gewesen wäre. Ein Ermessensfehler des Beklagten ist daher nicht substantiiert dargelegt.
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1.2 Eine Ermessensfehlerhaftigkeit der Zustimmungsentscheidung des Beklagten ergibt sich auch nicht im Zuge der Berücksichtigung der Präventionsmaßnahmen bzw. des betrieblichen Eingliederungsmanagements der Beigeladenen gegenüber dem Kläger.
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In der Rechtsprechung ist insoweit geklärt, dass es sich bei der Durchführung eines Präventionsverfahrens nach § 167 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) nicht um eine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Zustimmungsentscheidung des Integrationsamts handelt (vgl. hierzu und zum Folgenden BVerwG, B.v. 19.8.2013 – 5 B 47.13 – BeckRS 2013, 56082). Das Präventionsverfahren ist jedoch vom Integrationsamt im Rahmen seiner Ermessenentscheidung über die Kündigung unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten gegebenenfalls zulasten des Arbeitgebers zu berücksichtigen, wenn bei gehöriger Durchführung die Möglichkeit bestanden hätte, die Kündigung zu vermeiden. Hat das Integrationsamt nach eigehender Prüfung die Zustimmung zur Kündigung erteilt, kann nur bei Vorliegen besonderer Anhaltspunkte davon ausgegangen werden, ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX hätte die Kündigung verhindert. Derartige besondere Anhaltspunkte hat der Kläger auch im Zuge des Berufungszulassungsverfahrens nicht aufgezeigt. So setzt er sich insbesondere nicht mit der Auffassung des Verwaltungsgerichts auseinander, bei der sog. PIA-Testung (Psychologische Individualabklärung) handele es sich um eine nicht gesetzlich gebotene, freiwillige Leistung der Beigeladenen. Auch zeigt er nicht im Ansatz auf, inwieweit bei Berücksichtigung der Ergebnisse der PIA-Testung, die dem Kläger zwischenzeitlich bekannt sind, eine Kündigung hätte vermieden werden können. Insoweit fehlt es auch unter diesem Gesichtspunkt an Anhaltspunkten für eventuelle Ermessensfehler des Beklagten.
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2. Soweit die Klägerbevollmächtigte darüber hinaus der Sache nach eine Aufklärungsrüge im Hinblick auf eine unterbliebene Klärung des Zusammenhangs zwischen der Behinderung des Klägers und den Kündigungsgründen der Beigeladenen rügt, die bereits das Integrationsamt des Beklagten nicht ermittelt habe, rechtfertigt dies die Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO nicht. Angesichts des Umstands, dass das Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Behinderung des Klägers und den krankheitsbedingten Kündigungsgründen gerade unterstellt und daraus den entsprechenden Maßstab für die Ermessensprüfung abgeleitet hat, legt die Klägerbevollmächtigte schon nicht dar, welche Möglichkeiten der Sachverhaltsermittlung sich dem Verwaltungsgericht angesichts der fehlenden Entbindung der Ärzte des Klägers von der Schweigepflicht hätten aufdrängen müssen und inwieweit sich dies als entscheidungserheblich erwiesen hätte. Dies gilt gleichermaßen für die klägerische Behauptung, die die Kündigung tragenden krankheitsbedingten Gründe seien darauf zurückzuführen, dass die vom Beigeladenen angebotene Tätigkeit sich als nicht leidensgerecht erwiesen hätte.
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3. Der Kläger trägt nach § 154 Abs. 2 VwGO die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts nach § 188 Satz 2, 1 VwGO nicht erhoben. Anhaltspunkte dafür, dem Kläger die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, sofern solche überhaupt angefallen sind, liegen nicht vor. Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar. Mit der Ablehnung des Zulassungsbegehrens wird das verwaltungsgerichtliche Urteil nach § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO rechtskräftig.