Inhalt

VGH München, Beschluss v. 16.01.2024 – 21 ZB 21.1375
Titel:

Isolierte Anfechtbarkeit der Stellungnahme einer Ethik-Kommission zu Forschungsvorhaben – erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung

Normenketten:
VwGO § 124 Abs. 2
GG Art. 5 Abs. 3
StrlSchG § 31 Abs. 4 Nr. 5, § 36 Abs. 4
Ärzte-BO § 15
Leitsatz:
Die Stellungnahme einer Ethik-Kommission kann nicht isoliert angegriffen werden. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Stellungnahme der Ethik-Kommission, Beratung durch die Ethik-Kommission, Rechtskraft eines Urteils, Votum der Ethik-Kommission, Fördergelder, Forschungsvorhaben, isolierte Anfechtbarkeit
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 10.11.2020 – M 16 K 18.398
Fundstelle:
BeckRS 2024, 1381

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger haben die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Kläger begehren ein aktualisiertes richtig-positives Votum der Ethik-Kommission der Beklagten zu ihrem Forschungsvorhaben. Der Kläger zu 2 ist Facharzt für Radiologie und Nuklearmedizin sowie Diplom-Physiker, bei der Klägerin zu 1 handelt es sich um eine vom Kläger zu 2 vertretene Stiftung.
2
Die Klägerin zu 1 reichte, vertreten durch den Kläger zu 2, bei der Beklagten am 18. Juli 2010 einen Ethikantrag zu dem geplanten Forschungsvorhaben „…“ ein. Dieses Vorhaben wurde von der Beklagten sowohl im Rahmen einer Beratung nach § 15 BO a.F. als auch als Stellungnahme im Sinn des § 24 StrlSchV a.F. negativ beurteilt (Stellungnahmen vom 11.2.2011, 22.3.2011 und 19.12.2011). Die dagegen gerichtete Klage der Klägerin zu 1 wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts vom 17. Dezember 2013 abgewiesen (M 16 K 12.4255). Die Zulassung der Berufung wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 23. Mai 2014 abgelehnt. Mit Schreiben vom 4. September 2017 und 28. Oktober 2017 wandten sich die Kläger erneut an die Beklagte und baten um Beendigung des Ethik-Votums lege artis nach wissenschaftlichem Standard. Die Ethik-Kommission der Beklagten teilte den Klägern am 7. November 2017 mit, es liege kein neuer oder überarbeiteter Antrag vor. Mit Klage vom 18. Januar 2018 beantragten die Kläger, die Beklagte zu verurteilen, im Rahmen der Geräteaktualisierung das negative Ethik-Votum mit entsprechendem Sachverstand richtig zu aktualisieren und ein richtig-positives Ethik-Votum zur Studie „…“ mit Sachverstand der unabhängigen Strahlenschutzkommission zu bescheiden, andernfalls vorzugeben, ab welcher PET-Dosis die Studie ärztlich gerechtfertigt sei.
3
Das Verwaltungsgericht München hat die Klage mit Urteil vom 10. November 2020 abgewiesen. Die Klage der Klägerin zu 1 sei hinsichtlich des Ethikantrags vom 18. Juli 2010 unzulässig, weil ihr die Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 17. Dezember 2013 entgegenstehe. Bezüglich der Stellungnahme der Ethik-Kommission im Rahmen ihrer berufsethischen und berufsrechtlichen Beratung nach § 15 BO a.F. fehle der Klägerin zu 1 die Klagebefugnis. Auch die Klage des Klägers zu 2 hinsichtlich des Ethikantrags vom 18. Juli 2010 mit den Änderungen vom 18. Oktober, 26. November und 21. Dezember 2010 sei unzulässig, weil die Stellungnahme der Ethik-Kommission im Rahmen des strahlenschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens nicht isoliert angreifbar sei. Soweit die Stellungnahme der Ethik-Kommission vom 11. Februar 2011 im Rahmen der berufsethischen und berufsrechtlichen Beratung nach § 15 BO abgegeben worden sei, fehle dem Kläger zu 2 das Rechtsschutzbedürfnis, weil eine allgemeine Leistungsklage verwirkt sei. Hinsichtlich der begehrten Stellungnahme der Ethik-Kommission über einen neuen Ethikantrag der Kläger im Rahmen einer etwaigen Geräteaktualisierung fehle es den Klägern am Rechtsschutzbedürfnis.
4
Der Kläger hat gegen das am 10. April 2021 zugestellte Urteil mit Schriftsatz vom 5. Mai 2021 die Zulassung der Berufung beantragen lassen.
II.
5
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Das von den Klägern innerhalb der Begründungsfrist Dargelegte, auf dessen Prüfung der Senat im Grundsatz beschränkt ist, rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung. Weder bestehen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), noch weist die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) auf, noch ist den Darlegungsanforderungen an eine grundsätzliche Bedeutung genüge getan (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO). Ein Verfahrensfehler (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) liegt nicht vor.
6
1. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
7
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen dann, wenn gegen dessen Richtigkeit nach summarischer Prüfung gewichtige Gesichtspunkte sprechen, wovon immer dann auszugehen ist, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten derart in Frage gestellt wird, dass sich die gesicherte Möglichkeit der Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ergibt (vgl. zu diesem Maßstab BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 und B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – jeweils juris). Solche ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen nicht.
8
Der Senat teilt im Wesentlichen die Auffassung des Verwaltungsgerichts. Das Vorbringen der Kläger im Zulassungsverfahren rechtfertigt keine abweichende Beurteilung.
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a) Die Kläger rügen, die erhebliche Tatsachenbehauptung, dass hier Forschungsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) nicht zu schützen sei, weil nicht bewiesen worden sei, dass ein negatives Ethik-Votum hinreichende Bedingung für keine Fördergelder, keine Registrierung und keine Publikation also für keine Forschungsfreiheit sei, könne nicht nur in Frage gestellt werden, sondern sei schlichtweg falsch. Es sei bewiesen worden, dass ein positives Ethik-Votum notwendige Bedingung d.h. Voraussetzung für Forschungsfreiheit sei.
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Die Kläger setzen sich mit diesem schwer einzuordnenden Vortrag nicht hinreichend mit den tragenden Gesichtspunkten des Verwaltungsgerichts auseinander, nämlich, dass hinsichtlich des Ethikantrags aus dem Jahr 2010 der Klage der Klägerin zu 1 die Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 17. Dezember 2013 (M16 K 12.4255) entgegenstehe (s. aa)), die Klage des Klägers zu 2 wegen § 36 Abs. 4 StrlSchG bzw. fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses ebenfalls unzulässig sei (s. bb)) und es den Klägern wegen der begehrten Stellungnahme über einen neuen Ethikantrag im Rahmen einer etwaigen Geräteaktualisierung am Rechtsschutzbedürfnis fehle (s. cc)).
11
aa) Der Senat hat keinen Zweifel daran, dass die streitgegenständliche Stellungnahme nicht isoliert angegriffen werden kann/konnte und einer (erneuten) Klage deswegen die Rechtskraft entgegensteht. Das Ethik-Votum im Rahmen des strahlenschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens war nach § 24 Abs. 1 Nr. 3 der Verordnung über den Schutz vor Schäden durch ionisierende Strahlen in der Fassung vom 20. Juli 2001 (StrlSchV a.F.) lediglich eine unselbständige Verfahrenshandlung nach § 44a VwGO. Im Ergebnis hat sich daran auch durch die mittlerweile eingetretenen Rechtsänderungen nichts geändert. Gemäß § 36 Abs. 4 des Gesetzes zum Schutz vor der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlen vom 27. Juni 2017 (Strahlenschutzgesetz – StrlSchG) können nunmehr Rechtsbehelfe gegen eine Stellungnahme der Ethik-Kommission, deren Zustimmung gemäß § 31 Abs. 4 Nr. 5 StrlSchG Voraussetzung für die Erteilung einer Genehmigung der Anwendung radioaktiver Stoffe oder ionisierende Strahlung am Menschen zum Zweck der medizinischen Forschung im Sinn des § 31 Abs. 1 Satz 1 StrlSchG ist, nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Sowohl nach damaliger wie auch nach heutiger Rechtslage ist somit ein isolierter Angriff auf das Ethik-Votum ausgeschlossen.
12
Soweit die Stellungnahme der Ethik-Kommission im Rahmen ihrer berufsethischen und berufsrechtlichen Beratung nach § 15 BO der Berufsordnung für Ärzte in Bayern in der Fassung vom 6. August 2007 (BO a.F.) abgegeben wurde, erfolgte die Klageabweisung als unzulässig mit der Begründung, dass die Stellungnahme lediglich eine unverbindliche Empfehlung darstelle, die auf die Schaffung des ethischen Urteilsvermögens des das Vorhaben durchführenden Arztes abziele, der die Entscheidung über die ethische Vertretbarkeit seines Vorhabens letztlich in eigener Verantwortung treffe. Das Erstgericht hat detailliert begründet, dass sich hieran auch durch die Neufassung der Berufsordnung für die Arzte Bayerns vom 13. Oktober 2019 nichts geändert hat (UA S. 9).
13
Soweit mittelbare Auswirkungen dahingehend geltend gemacht werden, dass eine negative Stellungnahme im Hinblick auf das Einwerben von Forschungsgeldern und die Veröffentlichung von Publikationen negativ sei, ist das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass dies Umstände betrifft, die nach dem klägerischen Vorbringen bereits zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung im Verfahren M 16 K 12.4255 bestanden haben. Eine Änderung der Sachlage, die dazu führen könnte, dass das prozessuale Hindernis an einer erneuten materiellen Prüfung des Streitgegenstands beseitigt worden wäre, ist darin nicht zu erblicken.
14
bb) Zum Hinweis des Verwaltungsgerichts auf § 36 Abs. 4 StrlSchG in Bezug auf die Klage des Klägers zu 2 fehlt jede sustantiierte Auseinandersetzung, weshalb die Auffassung des Erstgerichts, dass diese Vorschrift einem isolierten Angriff entgegensteht, unzutreffend sein sollte. Gleiches gilt für das vom Verwaltungsgericht angenommene fehlende Rechtsschutzbedürfnis des Klägers zu 2 hinsichtlich des Ethikantrags aus dem Jahr 2010.
15
cc) Ebenfalls fehlt eine sustantiierte Auseinandersetzung mit der Annahme des Erstgerichts, dass es den Klägern nicht unzumutbar sei, einen neuen Ethikantrag mit einem neuen Studiendesign bei der Beklagten einzureichen, über den diese erneut zu entscheiden hätte. Insofern ist die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass es den Klägern diesbezüglich am Rechtsschutzbedürfnis fehlt, nicht zu beanstanden (s. auch unten 1 c)).
16
b) Die Kläger sind der Auffassung, dass bei negativem Ethik-Votum die Nennung eines Widerspruchswegs vorgeschrieben sei. Diesbezüglich verweisen sie auf die Gute Klinische Praxis (Good clinical practice – GCP). Danach solle die unabhängige Ethik-Kommission ihre Verfahrensweisen festlegen, schriftlich dokumentieren und einhalten. Die von der unabhängigen Ethik-Kommission festgelegte Verfahrensweise solle auch umfassen, dass der Prüfer unverzüglich über die Vorgehensweise bei Widerspruch gegen ihre Entscheidung in Kenntnis gesetzt werde (3.3.9 (c) GCP).
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Zunächst ist festzuhalten, dass die GCP nicht unmittelbar geltendes deutsches Recht ist. Denn diese ist lediglich ein internationaler ethischer und wissenschaftlicher Standard für Planung, Durchführung, Dokumentation und Berichterstattung von klinischen Studien am Menschen (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung, Grundsätze und Verantwortlichkeiten bei der Durchführung klinischer Studien, Stand: 25.5.2011). Zwar arbeitet die Ethik-Kommission nach § 2 Abs. 3 Satz 1 der Geschäfts- und Verfahrensordnung der Ethik-Kommission der Bayerischen Landesärztekammer vom 1.Januar 2023 (Anlage A zur Satzung der Bayerischen Landesärztekammer) auf Grundlage des geltenden Rechts und der einschlägigen Berufsregeln einschließlich des wissenschaftlichen Standards. Sie berücksichtigt einschlägige nationale und internationale Empfehlungen (§ 2 Abs. 3 Satz 2 Geschäfts- und Verfahrensordnung). Selbst wenn man die „Vorgehensweise bei Widerspruch“ als eine Empfehlung betrachten würde, die die Ethik-Kommission hätte berücksichtigen müssen, wurde nicht hinreichend dargetan, welche Schlussfolgerungen die Kläger mit Blick auf die tragenden Entscheidungsgründe des Erstgerichts daraus ziehen wollen. Im Übrigen hat das Fehlen eines Hinweises auf die weitere Verfahrensweise grundsätzlich keine Folgen für die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns. Auch das Fehlen einer Rechtsbehelfsbelehrungbei einem Verwaltungsakt hat keine Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts (vgl. statt vieler Tegethoff in Kopp, VwVfG, 24. Aufl. 2023, § 37 Rn. 52). Dies entspricht der allgemeinen Auffassung zur Rechtsmittelbelehrungim Prozessrecht (Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 29. Aufl. 2023, § 58 Rn. 3). Der Senat sieht nicht, wieso dies in der vorliegenden Konstellation anders zu beurteilen sein sollte.
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c) Die Kläger tragen vor, „dass es zur Restitutio der Forschungsfreiheit keine andere Lösung gibt, als die Berufung zuzulassen, da (a) das Studiendesign eine Methode naturgetreu in der Art zu erforschen, in der sie zugelassen werden soll, nicht geändert werden kann (Beweis: Sachgutachter), und (b) das Urteil Herrn … … … … … … im Gegensatz zu anderen in seiner Forschungsfreiheit benachteiligt, für das richtige Studiendesign ein verfahrensfehlerfreies d.h. richtiges Ethik-Votum zu bekommen…“.
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Der Senat legt dieses Vorbringen dahingehend aus, dass damit der Auffassung des Erstgerichts entgegengetreten werden soll, es fehle den Klägern am Rechtsschutzbedürfnis, soweit sich die Klage auf eine begehrte Stellungnahme der Ethik-Kommission über einen neuen Ethikantrag der Kläger im Rahmen einer etwaigen Geräteaktualisierung beziehe. Das Verwaltungsgericht hat diesbezüglich ausgeführt, dass Verwaltungsrechtsschutz grundsätzlich nachgängiger Rechtsschutz sei. Die Ethik-Kommission werde sowohl im Hinblick auf eine Stellungnahme im Rahmen eines strahlenschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens als auch im Hinblick auf eine Stellungnahme im Rahmen der berufsethischen und berufsrechtlichen Beratung nach § 15 BO grundsätzlich nur auf Antrag tätig. Einen neuen Antrag, über den die Ethik-Kommission neu zu entscheiden hätte, hätten die Kläger bei der Ethik-Kommission der Beklagten bislang nicht gestellt. Das Verwaltungsgericht begründet ausführlich, wieso dieser eine Voraussetzung für das Rechtsschutzbedürfnis ist (UA S. 13 ff.).
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Dies ist nicht zu beanstanden. Die bloße Behauptung, das Studiendesign könne nicht geändert werden, führt nicht dazu, dass es den Klägern unzumutbar wäre, einen neuen Ethikantrag mit einem neuen Studiendesign bei der Beklagten einzureichen, über den diese erneut zu entscheiden hätte. Soweit es den Klägern darum geht, das ihrem Antrag von 2010 zugrundeliegende Studiendesign durchzusetzen, steht dem die Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung entgegen.
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2. Ein Berufungszulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt ebenfalls nicht vor. Die Rechtssache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf.
22
Die Kläger machen geltend, die besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten ließen sich bereits am Begründungsaufwand ablesen (s. aa)). Außerdem könnte der Verwaltungsgerichtshof die Erfolgsaussichten der angestrebten Berufung wegen der Komplexität der tatsächlichen oder rechtlichen Fragen, die durch Angriffe auf die tragenden Gründe des erstinstanzlichen Urteils aufgeworfen würden, im Rahmen des Zulassungsverfahrens nicht einschätzen (s. bb)).
23
aa) Zwar kann der Begründungsaufwand besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten indizieren (vgl. BVerfG, B.v. 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 – juris Rn. 17). Die Seitenstärke des erstinstanzlichen Urteils lässt hierauf aber noch nicht schließen (vgl. BayVGH, B.v. 27.11.2019 – 9 ZB 15.442 – juris Rn. 22 m.w.N.; B.v. 11.10.2022 – 15 ZB 22.867 – juris Rn. 72 m.w.N.). Die Entscheidung umfasst 16 Seiten, was der Senat für angemessen hält. Insbesondere sind die 9 Seiten der Entscheidungsgründe nicht den Schwierigkeiten der Rechtslage, sondern zu einem Großteil dem Bemühen geschuldet, die Entscheidung umfassend zu begründen sowie auf die Argumente der Kläger, soweit entscheidungserheblich, möglichst vollständig einzugehen.
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bb) Wie oben (s. 1.) bereits dargelegt wurde, lassen sich die Erfolgsaussichten der Berufung bereits jetzt einschätzen. Denn die Rechtssache weist in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht keine besonderen, d.h. überdurchschnittlichen, das normale Maß nicht unerheblich übersteigenden Schwierigkeiten auf und es handelt sich auch nicht um einen besonders unübersichtlichen Sachverhalt. Vielmehr ist der Rechtsstreit im tatsächlichen Bereich überschaubar und die entscheidungserheblichen und rechtlichen Fragen der Zulässigkeit einer Klage, wenn über den Streitgegenstand bereits einmal entschieden wurde, sowie des Rechtsschutzbedürfnisses sind hinreichend geklärt.
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3. Die Kläger machen ohne Erfolg eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) geltend. Um eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dem Darlegungsgebot genügend zu begründen, hat der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage zu formulieren und darzulegen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist, weshalb sie klärungsbedürftig ist und inwiefern der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 72).
26
Die Kläger halten die Frage für grundsätzlich bedeutsam,
27
„welche Form des Rechtsschutzes es gegen ein negatives Ethik-Votum nach der Deklaration von Helsinki ergibt,
28
d. h. (a) ob Verfahrensfehler zur Neubescheidung führen können, weil damit die inhaltliche Spruchfreiheit nicht verletzt wird oder
29
(b) ob Richter den Ethikern auch inhaltlich weisungsbefugt sind, weil richterliche Unabhängigkeit und Deklaration von Helsinki aus den Nürnberger Prozessen stammend gleichen Sinn haben und damit Richter genauso unabhängig machen wie Ethiker oder
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(c) ob die Ethiker darüber zu entscheiden haben, ob der inhaltliche Widerspruchsweg national über die Judikative oder international über den Weltärztebund läuft oder
31
(d) ob es eine andere Lösung für den Widerspruchsweg gibt, den die Wissenschaft aufgrund der Wirkung eines negativen Ethik-Votums zum Probandenschutz einräumt.“
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Zentraler Punkt der aufgeworfenen Frage ist das negative Ethik-Votum nach der Deklaration von Helsinki. Damit wird jedoch die grundsätzliche Bedeutung der Angelegenheit nicht hinreichend aufgezeigt. Denn die aufgeworfene Frage ist für den Rechtsstreit nicht entscheidungserheblich. Streitgegenstand ist vorliegend die auf Grundlage des § 15 Abs. 1 BO und den jeweiligen strahlenschutzrechtlichen Vorschriften ergangene, ablehnende Stellungnahme der Ethik-Kommission, nicht aber eine Entscheidung der Ethik-Kommission nach der Deklaration von Helsinki. In der von den Klägern zitierten Deklaration von Helsinki des Weltärztebundes in der Fassung von 2008 werden keine mittelbar-faktischen Rechtswirkungen begründet. Als Grundsatz für jede Art medizinischer Forschung wird zwar in Punkt B 14./15. der Deklaration von Helsinki aufgestellt, dass die Planung und Durchführung einer jeden wissenschaftlichen Studie am Menschen klar in einem Studienprotokoll beschrieben werden muss und dass das Studienprotokoll vor Studienbeginn zur Beratung, Stellungnahme, Orientierung und Zustimmung einer Forschungsethik-Kommission vorzulegen ist. Die Deklaration von Helsinki ist jedoch kein völkerrechtlich verbindliches Übereinkommen und in ihrer Wirkung daher grundsätzlich rechtlich nicht bindend (Niedziolka, Rechtliche Rahmenbedingungen der Anwendungsbeobachtung bei Arzneimitteln, 2011, S. 52; Wenz, Forschung mit einwilligungsunfähigen Personen aus der Perspektive des deutschen und englischen Rechts, 2006, S. 15; Deutsch, NJW 1978, 570/573). Die Modalitäten zur Einholung einer Stellungnahme und deren notwendiger Inhalt sind durch den deutschen Gesetzgeber unter anderem im Gesetz über den Verkehr von Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz – AMG), dem Gesetz zur Regelung des Transfusionswesens (Transfusionsgesetz – TFG) und dem Strahlenschutzgesetz näher ausgestaltet. Die in der Deklaration von Helsinki festgelegten Grundsätze werden im Rahmen der Beratung durch die Ethik-Kommission konkretisiert (Scholz in Spickhoff, MBO, § 15 Rn. 2; Niedziolka, Rechtliche Rahmenbedingungen der Anwendungsbeobachtung bei Arzneimitteln, S. 55; vgl. auch Begründung zur Änderung des § 15 Abs. 4 MBO, DÄBl. 2003, A-1521; a. A. Listl, Die zivilrechtliche Haftung für Fehler der Ethik-Kommissionen, S. 28 f.; 97 f.). Mithin richtet sich auch der Rechtsschutz nach deutschem Verwaltungsprozessrecht. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache kann nicht mit Fragen, die die Deklaration von Helsinki aufwerfen mag, begründet werden.
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4. Der geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) liegt nicht vor.
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a) Die Kläger rügen, dass ihr Vortrag von Amts wegen zu einer gutachterlichen Stellungnahme eines geeigneten Sachverständigen hätte führen müssen. Die entsprechenden Ermittlungen hätten sich in der ersten Instanz geradezu aufgedrängt. Deshalb sei auch ein Vertreter der Ethik-Kommission „per Ladung“ zum Termin beordert worden.
35
Der Senat versteht dieses Vorbringen dahingehend, dass damit ein Verstoß gegen den Untersuchungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) geltend gemacht werden soll. Eine Darlegung der Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes verlangt, dass substantiiert ausgeführt wird, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts aufklärungsbedürftig waren, welche für erforderlich oder geeignet gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht kamen, welche tatsächlichen Feststellungen dabei voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern diese unter Zugrundelegung der materiell-rechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts zu einer für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätten führen können (vgl. BVerwG, B.v. 8.7.2016 – 2 B 57.15 – juris Rn. 13; BVerwG, B.v. 10.12.2020 – 2 B 6.20 – juris Rn. 8 m.w.N; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 75). Jedenfalls an letzterem fehlt es, weil kein unter Zugrundelegung der materiell-rechtlichen Auffassung des Erstgerichts für die Urteilsfindung kausaler Verfahrensfehler dargelegt wurde. Denn die Kläger verkennen, dass ihre Klage wegen Unzulässigkeit abgewiesen wurde. Die inmitten stehenden Fragen der Zulässigkeit sind reine Rechtsfragen, zu denen weder ein Sachverständiger noch ein Vertreter der Ethik-Kommission etwas beitragen kann.
36
b) Soweit sie geltend machen, dass ihr gesamter Vortrag überhört worden sei, ist ein Gehörsverstoß in Form eines Übergehens klägerischen Sachvortrags (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht dargelegt, da nicht deutlich wird, welcher klägerische Sachvortrag genau übergangen worden sein soll, zumal das Verwaltungsgericht ersichtlich auf die verschiedenen Einwendungen der Kläger, wenn auch nicht mit dem von ihnen gewünschten Ergebnis eingegangen ist. Gleiches gilt für ihre Behauptung, dass die prozessualen Verhältnisse undurchsichtig seien und vom Erstgericht widersprüchlich behandelt worden seien. Dies ist nicht der Fall. Der Senat weist darauf hin, dass der Kläger zu 2 in der mündlichen Verhandlung des Erstgerichts ausdrücklich für beide Verfahren erklärt hat, auch die von ihm vertretene Stiftung … … solle Klägerin sein (Niederschrift über die öffentliche Sitzung vom 10.11.2020, S.3).
37
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 2 VwGO.
38
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 2 GKG.
39
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
40
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).