Titel:
Schadensersatz – verspätet erfolgte Zielvorgabe
Normenkette:
BGB § 254, § 275 , § 280 Abs. 1, Abs. 3, § 283, § 315 Abs. 1
Leitsätze:
Erfolgt eine Zielvorgabe entgegen der arbeitsvertraglichen Vereinbarung nicht oder zu einem so späten Zeitpunkt, dass ihr keinerlei sinnvolle Anreizfunktion mehr zukommen kann, kann der Arbeitgeber sich schadensersatzpflichtig machen (wie LAG Köln 06.02.2024 – 4 Sa 390/23). (Rn. 29 und 31)
1. Zielvereinbarungen und Zielvorgaben unterscheiden sich grundlegend. Bei Zielvereinbarungen sind nach der vertraglichen Regelung die Ziele, von deren Erfüllung die Bonuszahlung abhängt, von den Arbeitsvertragsparteien gemeinsam festzulegen. Hingegen stehen Zielvorgaben nicht zur Disposition des Arbeitnehmers, sondern werden allein vom Arbeitgeber getroffen, dem dafür ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht iSd § 315 Abs. 1 BGB eingeräumt wird. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es ist bei der Schadensberechnung wegen einer verspäteten Zielvorgabe grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Arbeitnehmer vereinbarte Ziele erreicht hätte, wenn nicht besondere Umstände diese Annahme ausschließen. Solche besonderen Umstände hat der Arbeitgeber darzutun und gegebenenfalls zu beweisen. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zielvorgaben, einseitiges Leistungsbestimmungsrecht, sinnvolle Anreizfunktion, verspätete Zielvorgabe, arbeitsvertragliche Vereinbarung, Arbeitsvertrag, Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Schadensersatzanspruch
Vorinstanz:
ArbG Würzburg, Urteil vom 25.10.2023 – 5 Ca 148/23
Rechtsmittelinstanz:
BAG Erfurt vom -- – 10 AZR 114/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 13806
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Würzburg – Kammer Aschaffenburg – vom 25.10.2023, Az. 5 Ca 148/23, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um Schadensersatz wegen entgangener Bonuszahlungen für das Geschäftsjahr 2021.
2
Die Klägerin war bei der Beklagten von November 2015 bis Mai 2022 als Account Manager in der Abteilung Sales VW Group beschäftigt. Das Vertragsverhältnis endete durch arbeitnehmerseitige Kündigung zum 31. Mai 2022. Für ihre Tätigkeit erhielt die Klägerin zuletzt ein jährliches Fixgehalt i. H. v. EUR 66.634,60 brutto.
3
Die Seiten 15 und 16 des zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrags (Anlage K1, Blatt 30, 31 der Akten) enthalten folgende Regelungen zum Bonussystem:
C. will mit seinen wertvollen Mitarbeitern weiter wachsen. Deshalb wollen wir für diese Mitarbeiter ein attraktiver Arbeitgeber sein und sie durch geeignete berufliche Förderung und Entwicklung an das Unternehmen binden. Das C. Bonus System ist ein Instrument, um Leistungsträger zu motivieren und den hohen Leistungsstandard zu sichern.
Jeder Leistungsträger, der das Erreichen der Unternehmensziele durch seinen Beitrag erkennbar beeinflussen kann, ist ein potenzieller Kandidat für die Teilnahme am Bonus System. Es besteht allerdings kein Anspruch auf Aufnahme in das System.
Mit der Teilnahme am unternehmenseinheitlichen Bonus System ist die Zahlung von Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld und sonstigen Jahresabschlussvergütungen ausgeschlossen.
Der Bonus wird zusätzlich zum Jahresgrundgehalt gezahlt. Der Bonus berechnet sich nach dem gezahlten Jahresgrundgehalt des zurückliegenden Geschäftsjahres und ist auf max. 26% vom Jahresgrundgehalt begrenzt. Er wird nach Abschluss des Geschäftsjahres berechnet und ausgezahlt. Maßgeblich für die Berechnung sind ausschließlich die aktiven Beschäftigungszeiträume.
Grundsätzlich besteht der Bonus aus 2 Elementen:
Erstes Element: Basis ist die Zielerreichung von 3 – 5 individuellen Zielen, definiert in den Zielvereinbarungsgesprächen. Zu Beginn eines jeden Geschäftsjahres definiert der Vorgesetzte mit seinem Mitarbeiter gemeinsam Ziele, die stets auf die Erreichung der Unternehmensziele ausgerichtet sind. Diese Ziele müssen smart – spezifisch, messbar, anspruchsvoll, realistisch und terminiert sein.
Das Erreichen von 100% der individuellen Ziele bedeutet einen Bonus in Höhe von 10% des gezahlten Jahresgrundgehaltes.
Zweites Element: Basis für dieses Element ist der Grad der Zielerreichung der Unternehmensziele der C. E.-Gruppe.
100% Zielerreichung beinhalten einen zusätzlichen 16%igen Bonus auf das gezahlte Jahresgrundgehalt.
Insgesamt können also bis zu 26% des gezahlten Jahresgrundgehaltes als Bonusleistung erzielt werden.“
4
Eine Vereinbarung über die individuellen Ziele der Parteien erfolgte (Anlage K3 = Blatt 34 der Akten). Insoweit erreichte die Klägerin einen Zielerreichungsgrad von 84,99%, was einem Bonus von 5.663,27 € entspricht. Zu keinem Zeitpunkt wurden mit der Klägerin die unternehmerischen Ziele vereinbart.
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Am 26.10.2021 veröffentlichte die Beklagte Unternehmensziele.
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Mit Schreiben vom 16. Mai 2022 teilte der President E. & CEO, Herr F., allen bonusberechtigten Mitarbeitern mit, dass es für das Geschäftsjahr 2021 (= Kalenderjahr 2021) zu keiner Bonusauszahlung kommen wird.
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Mit Bekanntmachung vom 20. Juli 2022 teilte die Beklagte ihren bonusberechtigten Mitarbeitern mit, dass es nach intensiven Gesprächen mit dem Shareholder, den Stakeholdern im US-Headquarter sowie den Betriebsräten doch zur Auszahlung eines anteiligen Bonus kommen wird. Die Klägerin erhielt sodann mit der Abrechnung für den Monat August 2022 eine anteilige Auszahlung ihres Bonus i. H. v. EUR 6.663,19 brutto. Dies ist der Betrag, der sich bei Erreichen von 100% der individuellen Ziele ergibt und entspricht 38,46% des gesamten Bonus bei 100%iger Zielerfüllung. Eine weitere Zahlung erfolgte trotz Aufforderung durch die Klägerin nicht.
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Mit ihrer am 08.02.2023 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage macht die Klägerin für das Geschäftsjahr 2021 einen Bonus i. H. v. EUR 10.661,80 brutto geltend. Dies ist der Betrag, der sich bei Erreichen von 100% der Unternehmensziele ergeben würde.
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Hinsichtlich des erstinstanzlichen Vortrags der Parteien sowie der genauen Antragstellung wird auf den Tatbestand im Urteil des Arbeitsgerichts Bezug genommen.
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Das Arbeitsgericht Würzburg – Kammer Aschaffenburg – hat mit Endurteil vom 25.10.2023 der Klage stattgegeben. Es hat seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, die Beklagte habe schuldhaft gegen ihre arbeitsvertragliche Pflicht verstoßen, mit der Klägerin vereinbarungsgemäß eine Zielvereinbarung für die Unternehmensziele für das Geschäftsjahr 2021 abzuschließen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe im Urteil des Arbeitsgerichts Bezug genommen.
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Das Endurteil des Arbeitsgerichts Würzburg – Kammer Aschaffenburg – vom 25.10.2023 ist der Beklagten am 31.10.2023 zugestellt worden. Die Berufungsschrift der Beklagten vom 29.11.2023 ist beim Landesarbeitsgericht am 29.11.2023 eingegangen. Die Berufungsbegründungsschrift vom 28.01.2024 – nach Verlängerung der Begründungsfrist bis 31.01.2024 – ist am 30.01.2024 beim Landesarbeitsgericht eingegangen.
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Die Beklagte hält unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags daran fest, dass die Klage abzuweisen sei. Aus dem Umstand der spät veröffentlichten Unternehmensziele ergebe sich kein Schadensersatzanspruch. Falls doch, beschränke sich dieser jedenfalls auf 20% der Unternehmensziele. Im hiesigen Fall lägen Umstände vor, die die Annahme, dass die Ziele aller Wahrscheinlichkeit nach erreicht worden wären, ausschließen. Mit der Abrechnung für August 2022 habe die Klägerin eine Zahlung i. H. v. 38,46% eines etwa zu erzielenden Bonus erhalten. Dies entspreche einer persönlichen Zielerreichung von 100%. Die Klägerin sei so gestellt worden, als habe sie 100% der ihr gesetzten persönlichen Ziele erreicht. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf weitere Zahlungen. Auch habe die Beklagte billigem Ermessen gemäß § 315 BGB Rechnung getragen. Die Entscheidung, den Bonus 2021 nicht auszuzahlen, sei gerechtfertigt durch den Umstand, dass bei Auszahlung des Bonus die Insolvenz des Unternehmens gedroht habe. Sie führt aus, sie habe sich im Jahr 2021 bedingt durch die Corona-Pandemie und den Mangel an Halbleitern in einer tiefen Krise befunden. Die am 26.10.2021 veröffentlichten, realistisch gesetzten Unternehmensziele hätten aufgrund unvorhersehbarer Entwicklungen nicht erreicht werden können und seien tatsächlich auch nur zu 20% erreicht worden. Die Beklagte habe sich in einer Situation der Krise befunden, aufgrund derer sie wegen Zahlungsschwierigkeiten das Werk 2 in C-Stadt-G. mit einem größeren Personalabbau habe schließen (Juni 2020) und einen Sanierungstarifvertrag im Hinblick auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld (Juli 2020) habe abschließen müssen. In der Vergangenheit wären die Unternehmensziele oft später als zum 31.05. des jeweiligen Fiskaljahres bestimmt und veröffentlicht worden. Von den terminlichen Vorgaben habe stets und ohne jegliche Rüge in der Vergangenheit einvernehmlich abgewichen werden können. Es wäre für die Klägerin von keinerlei Relevanz, ob sie die Unternehmensziele im Januar, Februar oder irgendeinem anderen Monat des laufenden Jahres erfahre oder nicht. Sie selbst könne zum Unternehmenserfolg außer durch die Erfüllung ihrer persönlichen Ziele und ordnungsgemäßer Arbeitsleistung im Allgemeinen nichts beitragen. Darüber sei vorliegend ein Mitverschulden der Klägerin gegeben, denn es bestehe keine Initiativpflicht der Beklagten auf den Abschluss einer Zielvereinbarung. Die im Oktober 2021 veröffentlichten Unternehmensziele seien im März 2021 von der globalen Geschäftsleistung in den USA festgelegt und an die oberste Leitungsebene in Europa kommuniziert worden.
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Der geschlossene Arbeitsvertrag enthalte weder eine Zeitvorgabe für den Abschluss einer Zielvereinbarung noch einen Anpassungsvorbehalt. Zudem sei die Auffassung des Gerichts, dass sowohl die individuellen Ziele als auch die Unternehmensziele mit dem Mitarbeiter hätten vereinbart werden müssen, unzutreffend. Der Arbeitsvertrag grenze sowohl sprachlich als auch durch die Gestaltung des Vertragspapiers eindeutig zwischen den Voraussetzungen für das erste und das zweite Element des Bonus ab. Im Ergebnis habe die Beklagte daher im Hinblick auf die Unternehmensziele ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht.
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Die Beklagte und Berufungsklägerin stellt im Berufungsverfahren zuletzt folgenden Antrag:
1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Würzburg – Kammer Aschaffenburg – vom 25.10.2023 Aktenzeichen 5 Ca 148/23 wird abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
15
Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.
16
Die Klägerin schließt sich unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags den Gründen der arbeitsgerichtlichen Entscheidung an. Mit Nichtwissen werde bestritten, dass die Beklagte die Ziele am 26.10.2021 im Intranet veröffentlicht habe, die Klägerin habe erst im Zuge des Zielerreichungsgesprächs im darauffolgenden Jahr Kenntnis von den Unternehmenszielen erlangt. Die Beklagte habe zuletzt auch keine besonderen Anhaltspunkte vorgetragen, die die Annahme ausschließen, dass die Klägerin vereinbarte Ziele erreicht hätte. Soweit die Beklagte sich im Wesentlichen pauschal auf ihre schlechte wirtschaftliche Lage berufe, führe dies nicht zu einer anderen Betrachtung. Das Arbeitsgericht habe zutreffend festgestellt, dass ein Vortrag, welche realistischen Ziele bis zum 31.05.2021 hätten vereinbart werden können, fehle. Der Anspruch ergebe sich aus dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes. Es sei nicht vereinbart worden, dass ausschließlich die Beklagte einseitig vorgeben könne, ob eine variable Vergütung ausgezahlt werde oder nicht. Die unternehmerischen Ziele seien nicht zur Disposition gestanden, vielmehr seien sie unternehmerseits eruiert und den bonusberechtigten Mitarbeitern vorgegeben worden. Es sei nicht die Aufgabe oder Verantwortung der Klägerin, sicherzustellen, dass die unternehmerischen Ziele rechtzeitig vorgegeben würden. Die Unternehmensziele hätten wegen ihrer Anreizfunktion frühzeitig vom Arbeitgeber festgelegt werden müssen, eine schuldhaft unterbliebene Zielvorgabe bzw. eine damit gleichzusetzende Veröffentlichung erst im Oktober sei schadensersatzauslösend. Mangels Festlegung müsse das Gericht die Leistungsbestimmung vornehmen und in Anlehnung an die Rechtsprechung von einer 100%igen Zielerreichung ausgehen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Darstellung des Sachverhalts im Tatbestand und in den Entscheidungsgründen des arbeitsgerichtlichen Urteils, die von den Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht vom 27.03.2024 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung in der begehrten Höhe wegen schuldhafter Verletzung ihrer arbeitsvertraglichen Pflichten durch verspätet erfolgte Zielvorgabe.
19
Die Berufung ist statthaft, § 64 Abs. 1, Abs. 2 b) ArbGG, und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt sowie begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG i. V. m. 519, 520 ZPO.
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Die Berufung ist unbegründet, denn die Klägerin hat einen Anspruch in Höhe von 2.132,36 € brutto aus § 611a Abs. 2 BGB in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag und in Höhe von 8.529,44 € brutto Schadensersatz statt der Leistung aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 283, 275, 252 BGB.
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Die Klägerin hat gemäß § 611a Abs. 2 BGB in Verbindung mit dem arbeitsvertraglich vereinbarten Bonussystem einen Anspruch auf Zahlung von 20% des zweiten Elements des Bonussystems, da das mit 20% bewertete Unternehmensziel JSS E. Quality erreicht wurde (s. Anlage B2, Blatt 79 der Akten). Dies ergibt unstreitig einen Betrag von 2.132,36 € brutto. Dieser Anspruch ist auch nicht teilweise durch die Bonuszahlung in Höhe von 6.663,19 € erfüllt worden. Denn mit dieser Zahlung sollten die Bonusberechtigten so gestellt werden, als hätten sie alle das erste Element des Bonussystems (individuelle Ziele) erfüllt. Dies ist unstreitig. Die Beklagte traf für ihre Zahlung gerade eine andere Leistungsbestimmung als die Erfüllung des zweiten Elements des Bonussystems (Unternehmensziel). Es ist daher irrelevant, dass die Klägerin ihre individuellen Ziele nicht zu 100% erreicht hat.
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Die Klägerin hat darüber hinaus einen Schadensersatzanspruch auf Zahlung von 8.529,44 €. Die Beklagte hat ihre arbeitsvertragliche Pflicht schuldhaft dadurch verletzt, dass sie die laut arbeitsvertraglicher Regelung zum Bonussystem erforderliche Vorgabe der Unternehmensziele der Klägerin erst so spät mitteilte, dass die einseitige Zielvorgabe durch Zeitablauf unmöglich wurde (§§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 283, 275, 252 BGB).
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1. Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, kann der Gläubiger nach § 280 Abs. 1 S. 1 BGB Ersatz des hieraus entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Nach § 280 Abs. 3 BGB kann der Gläubiger Schadensersatz statt der Leistung allerdings nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 281 BGB, des § 282 BGB oder des § 283 BGB verlangen. Insoweit bestimmt § 283 S. 1 BGB, dass der Gläubiger, sofern der Schuldner nach § 275 Abs. 1 bis Abs. 3 BGB nicht zu leisten braucht, unter den Voraussetzungen des § 280 Abs. 1 BGB Schadensersatz statt der Leistung verlangen kann.
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2. Die Beklagte war aufgrund der Regelungen auf den Seiten 15 und 16 des zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrags zur Vorgabe der Unternehmensziele der C. E.-Group verpflichtet. Dabei handelt es sich nach Auffassung des Berufungsgerichts nicht – wie vom Erstgericht angenommen – um eine Zielvereinbarung, sondern um eine Zielvorgabe.
25
a. Zielvereinbarungen und Zielvorgaben unterscheiden sich grundlegend. Bei Zielvereinbarungen sind nach der vertraglichen Regelung die Ziele, von deren Erfüllung die Bonuszahlung abhängt, von den Arbeitsvertragsparteien gemeinsam festzulegen. Hingegen werden Zielvorgaben allein vom Arbeitgeber getroffen, dem dafür ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht i. S. d. § 315 Abs. 1 BGB eingeräumt wird (BAG 17.12.2020 – 8 AZR 149/20 – Rn. 37).
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Auf Seite 16 des zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrags wird klar zwischen den zwei Elementen der Bonuszahlung differenziert, dies sowohl sprachlich als auch grafisch, u. a. durch das Bilden von Absätzen. Der Begriff des Zielvereinbarungsgesprächs findet sich lediglich im ersten Abschnitt, also im Bereich der individuellen Ziele. Dass auch eine gemeinsame Festlegung der Unternehmensziele durch die Arbeitsvertragsparteien bzw. durch die Gesprächsteilnehmenden stattfinden soll, ergibt sich nach Ansicht des Berufungsgerichts aus der vertraglichen Regelung nicht. Hieran ändert die Tatsache, dass die Unternehmensziele in diesem Gespräch ebenfalls thematisiert und zur Ausrichtung der individuellen Ziele verwendet werden, nichts. Die klare Trennung zwischen den Elementen lässt vielmehr darauf schließen, dass sie sich auch wesentlich voneinander unterscheiden. Andernfalls könnte sich die arbeitsvertragliche Regelung auf das Zielvereinbarungsgespräch als solches beschränken. Aus dem zweiten Absatz ergeben sich aus Sicht des Berufungsgerichts ebenfalls keinerlei Anknüpfungspunkte, dass die Unternehmensziele gemeinsam mit dem Arbeitnehmer bestimmt werden. Zuletzt entspricht es wohl auch allgemeiner Lebenserfahrung, dass Unternehmensziele einseitig vom Arbeitgeber vorgegeben werden, dies vor allem bei global tätigen Unternehmen.
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b. Mit der Veröffentlichung der Unternehmensziele am 26.10.2021 – wie die Beklagte behauptet – hat die Beklagte die Leistungsbestimmung in jedem Falle zu spät vorgenommen. Ob diese Bestimmung billigem Ermessen entsprach, kann dahingestellt bleiben.
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Zwar ergibt sich aus dem Arbeitsvertrag – anders als vom erstinstanzlichen Gericht angenommen – keine Zeitvorgabe. Zweck von Bonussystemen ist aber die Förderung der Mitarbeitermotivation. Der für den Fall der Zielerreichung zugesagte Bonus als zusätzliche Vergütung dient als Anreiz. Diese Funktion kann ein an das Erreichen von Zielen geknüpfter Bonus nur erfüllen, wenn der Arbeitnehmer die von ihm zu verfolgenden Ziele bereits bei Ausübung seiner Tätigkeit kennt. (BAG, Urteil vom 12.12.2007, 10 AZR 97/07, Rn. 25). Deshalb ist nicht entscheidend auf die (bestrittene) interne Festlegung der Unternehmensziele im März 2021 abzustellen, sondern auf den Zeitpunkt der Mitteilung. Den Mitarbeitern wurden die Unternehmensziele nach dem Vortrag der Beklagten jedoch erst am 26.10.2021 im Intranet bekannt gegeben.
29
Erfolgt eine Zielvorgabe erst zu einem derart späten Zeitpunkt innerhalb des maßgeblichen Geschäftsjahres, dass sie ihre Anreizfunktion nicht mehr sinnvoll erfüllen kann, ist sie so zu behandeln, als sei sie überhaupt nicht erfolgt. Ein derart später Zeitpunkt ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn das Geschäftsjahr bereits zu mehr als drei Vierteln abgelaufen ist. (LAG Köln, Urteil vom 06.02.2024, 4 Sa 390/23, Rn. 64 juris). Geschäftsjahr ist im hiesigen Fall das Kalenderjahr. Die Veröffentlichung der Unternehmensziele erfolgte am 26.10.2021, also wenige Wochen vor Ende des Geschäfts- und Kalenderjahres.
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3. Die Pflichtverletzung hat die Beklagte auch gemäß § 280 Abs. 1 BGB zu vertreten, entgegenstehende Gründe sind nicht ersichtlich. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass die Unternehmensziele nach dem Vortrag der Beklagten bereits im März 2021 von der globalen Geschäftsleitung in den USA festgelegt und an die oberste Leitungsebene in Europa kommuniziert wurden. Gründe, die einer Weiterleitung entgegengestanden haben könnten, sind nicht vorgetragen.
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4. Die Klägerin kann gemäß § 280 Abs. 3 BGB Schadensersatz statt der Leistung ver langen, weil eine einseitige Zielvorgabe durch Zeitablauf unmöglich geworden ist.
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a. Nach Auffassung der Berufungskammer ist eine in der Zielperiode pflichtwidrig und schuldhaft unterbliebene Zielvorgabe in gleicher Weise zulasten des Arbeitgebers schadensersatzauslösend, wie die pflichtwidrig und schuldhaft nicht abgeschlossene Zielvereinbarung (ebenso LAG Köln 06.02.2024 – 4 Sa 390/23 Rn 63 mwN auch zur Gegenansicht, juris), allerdings ohne dass ein Mitverschulden des Arbeitnehmers in Betracht kommt. Zwar unterliegt die einseitige Zielvorgabe als Leistungsbestimmung der Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB, mit der Folge, dass bei einem Unterbleiben der Zielvorgabe die Leistungsbestimmung grundsätzlich durch Urteil vorzunehmen ist (vgl. BAG 12.12.2007 – 10 AZR 97/07 – Rn. 23, BAGE 125, 147; LAG Köln 15.12.2014 – 5 Sa 580/14 – Rn. 73, zitiert nach juris). Nach teilweise vertretener Auffassung gilt dies auch dann, wenn die Zielperiode abgelaufen und wegen der Bonuszahlung ein Rechtsstreit anhängig ist (LAG Düsseldorf 29.10.2003 – 12 Sa 900/03 – Rn. 19; LAG Köln 15.12.2014 – 5 Sa 580/14 – Rn. 73; jeweils zitiert nach juris). Hiergegen spricht jedoch, dass die Gründe, aus denen das Bundesarbeitsgericht im Falle einer unterbliebenen Zielvereinbarung nach Ablauf der Zielperiode eine Festlegung der Ziele durch Urteil für ausgeschlossen hält und grundsätzlich einen Schadensersatzanspruch annimmt, für den Fall der unterbliebenen einseitigen Zielvorgabe unterschiedslos ebenso zutreffen; auch im Hinblick auf die einseitige Zielvorgabe ist deren Zweck, nämlich die Motivation der Mitarbeiter durch das Setzen eines Leistungsanreizes, nicht mehr erreichbar, wenn die Zielperiode abgelaufen ist (LAG Köln 06.02.2024 – 4 Sa 390/23 Rn 63 mwN, juris). Gleiches gilt für die betreffend der unterbliebenen Zielvereinbarung erfolgte Erwägung des Bundesarbeitsgerichts (BAG 12.12.2007 – 10 AZR 97/07 – Rn. 26, BAGE 125, 147), die nachträgliche Ermittlung angemessener, fallbezogener Ziele durch die Gerichte sei angesichts der Vielzahl der unterschiedlichen Gewichtung möglicher Ziele und auf Grund sich ständig ändernder Rahmenbedingungen in der Regel mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden oder sogar gar nicht möglich (LAG Köln a.a.O. mwN). Mit dieser Begründung lehnte das Bundesarbeitsgericht die Anwendung von § 315 Abs. 3 BGB auf Fälle der unterbliebenen Zielvereinbarung ab. Zudem ist es nicht möglich, den Umstand, dass die Leistungsbestimmung verzögert wurde, im Urteil zu berücksichtigen (LAG Köln a.a.O. mwN auch zur Gegenansicht).
33
b. Der Zeitpunkt der von der Beklagten behaupteten Veröffentlichung der Unterneh mensziele am 26.10.2021 lag so spät, dass bereits Unmöglichkeit im Sinne von § 275 BGB eingetreten war. Die Vornahme der Zielvorgabe war nicht mehr erfüllungstauglich. Erfolgt eine Zielvorgabe erst zu einem derart späten Zeitpunkt innerhalb des Geschäftsjahres, dass sie ihre Anreizfunktion nicht mehr sinnvoll erfüllen kann, ist sie so zu behandeln, als sei sie überhaupt nicht erfolgt. Ein derart später Zeitpunkt ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn das Geschäftsjahr – wie hier – bereits zu mehr als drei Vierteln abgelaufen ist (LAG Köln a.a.O Rn 64 mwN). Der Klägerin blieb keine Zeit mehr, die vorgegebenen Ziele effektiv zu verfolgen.
34
Der Vortrag der Beklagten, es wäre für die Klägerin von keinerlei Relevanz, ob sie die Unternehmensziele im Januar, Februar oder irgendeinem anderen Monat des laufenden Jahres erfahre oder nicht, sie selbst könne zum Unternehmenserfolg außer durch die Erfüllung ihrer persönlichen Ziele und ordnungsgemäßer Arbeitsleistung im Allgemeinen nichts beitragen, überzeugt nicht. Zwar dienen auch individuelle Ziele dem Anreiz und der Mitarbeitermotivation, jedoch unterstreichen daneben bestehende Unternehmensziele diese Funktionen nochmal deutlich. Durch die Ausweitung entsteht regelmäßig eine noch höhere Identifikation mit dem Unternehmen, aber auch ein für die Motivation eines Mitarbeiters nicht unerheblicher Teamgedanke. Zuletzt aber verkennt der Vortrag der Beklagten vor allem, dass es sich bei der Klägerin sehr wohl um eine Mitarbeiterin gehandelt haben muss, die das Erreichen der Unternehmensziele durch ihren Beitrag erkennbar beeinflussen kann. Aus der arbeitsvertraglichen Regelung auf Seite 15 ergibt sich nämlich, dass nur solche Leistungsträger potenzielle Kandidaten für die Teilnahme am Bonussystem sein können. (siehe hierzu auch LAG Köln, Urteil vom 06.02.2024, 4 Sa 390/23, Rn. 65, juris). Wäre dies anders, wäre es auch nicht gerechtfertigt, diese zum Gegenstand einer Zielvorgabe zu machen, deren Erreichen im Fall der Klägerin immerhin 16% ihres Jahreszielgehalts ausmacht. Auch das Bundesarbeitsgericht behandelt persönliche und unternehmensbezogene Ziele im Hinblick auf ihre Motivations- und Anreizfunktion gleich (vgl. BAG 17.12.2020 – 8 AZR 149/20 – Rn. 40; 12.12.2007 – 10 AZR 97/07 – Rn. 47; LAG Köln a.a.O.).
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Ob und wann die Klägerin von der Bekanntmachung tatsächlich Kenntnis hatte, kann nach oben Gesagtem letztlich dahinstehen. Insofern ist es nicht maßgeblich, ob die Unternehmensziele tatsächlich am 26.10.2021 (wirksam) im Intranet veröffentlicht wurden oder der Klägerin erst zu einem späteren Zeitpunkt mitgeteilt wurden.
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5. Der Umfang des zu ersetzenden Schadens richtet sich nach §§ 249ff. BGB.
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a. Nach § 252 S. 1 BGB umfasst der zu ersetzende Schaden auch den entgangenen
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Gewinn. Dazu gehört auch entgangener Verdienst aus abhängiger Arbeit und damit eine Bonuszahlung. Als entgangen gilt gemäß § 252 S. 2 BGB der Gewinn, der nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte.
39
Grundlage bei der abstrakten Schadensberechnung nach § 252 Satz 2 BGB ist in den Fällen, in denen die Festlegung von Zielen schuldhaft unterblieben ist, der für den Fall der Zielerreichung zugesagte Bonus. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Arbeitnehmer vereinbarte Ziele erreicht hätte, wenn nicht besondere Umstände diese Annahme ausschließen. Solche besonderen Umstände hat der Arbeitgeber darzutun und gegebenenfalls zu beweisen (BAG 12.12.2007 – 10 AZR 97/07 – Rn. 50).
40
b. Unter Anwendung dieser Grundsätze ist der der Klägerin entstandene Schaden vor liegend auf insgesamt 8.529,44 € zu schätzen. Das ist der Betrag, der sich ergäbe, wenn die Klägerin die weiteren Unternehmensziele voll erreicht hätte. Hiervon ist die mit der Abrechnung für den Monat August 2022 erfolgte Zahlung i. H. v. 6.663,19 € auch nicht teilweise in Abzug zu bringen. Die Beklagte hat unstreitig eine entsprechende Leistungsbestimmung nicht getroffen (s. unter I.).
41
c. Umstände, die die Annahme, dass ein Arbeitnehmer vereinbarte Ziele erreicht hätte, entkräften, sind nach Ansicht des Berufungsgerichts nicht (ausreichend) vorgetragen. Die von der Beklagten vorgetragenen Umstände (Schließung Werk 2 in C-Stadt-G. sowie Sanierungstarifvertrag) stammen – wie sich aus deren eigenem Vortrag ergibt – aus dem Jahr 2020. Die hier gegenständlichen Unternehmensziele stammen dagegen von März bzw. Oktober 2021. Sie entstanden also zu einem Zeitpunkt, in dem die vorgetragenen Umstände längst vorgelegen hatten und bei der Aufstellung der Unternehmensziele hätten berücksichtigt werden können bzw. müssen. Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, wie sich die Schließung eines einzelnen Werkes in Bayern sowie ein Sanierungstarifvertrag auf die Erreichung der Unternehmensziele, die offensichtlich von der globalen Geschäftsleistung in den USA festgelegt werden, hätten auswirken können bzw. sollen.
42
d. Ein Mitverschulden der Klägerin i. S. v. § 254 BGB scheidet aus. Wie oben darge stellt, handelt es sich aus Sicht des Berufungsgerichts um eine Zielvorgabe. Solche stehen gerade nicht zur Disposition des Arbeitnehmers und werden allein vom Arbeitgeber getroffen, weshalb ein Mitverschulden nicht in Betracht kommt.
43
Der Zinsanspruch folgt aus § 288 Abs. 1 BGB. Der Bonus war unstreitig mit der Abrechnung für Juni 2022 fällig, also am Schluss des Monats (§ 64 HGB).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Zulassung der Revision erfolgte im Hinblick auf § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG.