Inhalt

VGH München, Beschluss v. 24.01.2024 – 11 C 23.2067
Titel:

Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine noch einzulegende Beschwerde und Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe in der ersten Instanz

Normenketten:
StVG § 2 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 6
FeV § 11 Abs. 1, Abs. 2, § 20 Abs. 1, § 22 Abs. 2
ZPO § 114 Abs. 1, § 118 Abs. 1 S. 4, § 127 Abs. 4
VwGO § 166 Abs. 1 S. 1, § 123
Leitsätze:
1. Hinreichende Erfolgsaussichten für eine beabsichtigte Beschwerde gegen die ablehnende Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutz liegen dann nicht vor, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen ist, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist oder konkrete und nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Antragstellers ausgehen wird. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Anspruch auf Erteilung der Fahrerlaubnis besteht nicht, solange Eignungszweifel vorliegen, welche die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens rechtfertigen. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Soweit die Klage – als Minus zur Verpflichtung zur Neuerteilung der Fahrerlaubnis – einen Antrag auf Neubescheidung des Antrags unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts umfasst, kommt es über den vorgenannten Prüfungsmaßstab hinaus auch darauf an, ob der Schluss aus der Nichtvorlage des Gutachtens auf mangelnde Fahreignung rechtmäßig ist. Insoweit stellt sich die Frage, ob die Fahrerlaubnisbehörde bei Erlass der Beibringungsanordnung ihr Ermessen hinsichtlich der Gutachterauswahl fehlerfrei ausgeübt hat. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Beurteilung der Auswirkungen einer diagnostizierten anhaltenden wahnhaften Störung (ICD 10: F22.0) auf die Fahreignung ist eine komplexe Aufgabe, die eine eingehende Exploration des Antragstellers und sodann eine Einschätzung aufgrund vertiefter Kenntnisse auf psychiatrischem Fachgebiet sowie spezifisch verkehrsmedizinischen Wissens erfordert. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine noch einzulegende Beschwerde und Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe in der ersten Instanz, Anspruch auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis, hinreichende Erfolgsaussichten (verneint), anhaltende wahnhafte Störung, Eignungszweifel, welche die Anordnung einer ärztlichen Begutachtung rechtfertigen (bejaht), Rechtsmäßigkeit der vorliegenden Beibringungsanordnung und Gutachterauswahl (offengelassen), Beschwerde, Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, Anordnung einer ärztlichen Begutachtung, Beibringungsanordnung, Gutachterauswahl, Beweislast für die Fahreignung, Begutachtung affektiver bzw. schizophrener Psychosen, wahnhafte Störung, Arzt in einer Begutachtungsstelle für Fahreignung, Begutachtungsleitlinien
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 31.10.2023 – M 19 K 23.2559, M 19 E 23.2560
Fundstelle:
BeckRS 2024, 1376

Tenor

I. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für eine noch einzulegende Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz (Ziffer I des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 31. Oktober 2023) wird abgelehnt.
II. Die Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Eil- sowie für das Klageverfahren (Ziffer V des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 31. Oktober 2023) wird zurückgewiesen.
III. Der Antragsteller und Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller und Kläger (im Folgenden: Antragsteller) wendet sich gegen einen Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem sein Antrag nach § 123 VwGO auf vorläufige Neuerteilung seiner Fahrerlaubnis abgelehnt wurde, und gegen die Ablehnung seines Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes sowie das noch anhängige Klageverfahren.
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Der 1947 geborene Antragsteller war ursprünglich Inhaber einer 1974 erteilten Fahrerlaubnis der Klasse 3 (alten Rechts).
3
Mit Urteil vom 23. Juli 2007 ordnete das Landgericht München I die Unterbringung des Antragstellers in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Den Feststellungen des Urteils zufolge hat der Antragsteller am 23. März 2006 einen versuchten Mord in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und schwerem Raub gegenüber einem Gerichtsvollzieher begangen, um sich für vorangegangene Vollstreckungsmaßnahmen zu rächen. Er könne dafür jedoch nicht bestraft werden, da er an einer anhaltenden wahnhaften Störung leide, die seine Schuldfähigkeit aufgehoben habe. Dabei stützte sich das Landgericht im Wesentlichen auf ein psychiatrisches Gutachten, das zu dem Ergebnis kommt, der Antragsteller habe die unumstößliche und gegen Gegenvorstellungen völlig immune Überzeugung, die Justiz und deren Repräsentanten wollten ihn vernichten und letztlich daran hindern, die ihm zugedachte Rolle als ägyptischer Präsident oder Führer der arabischen Welt wahrzunehmen. Diese Überzeugung werde aus Sicht des Antragstellers seit Jahren durch immer neue Wahrnehmungen und Erfahrungen bestätigt und führe gelegentlich bei diesem zu einer affektiv hochangespannten Verkennung und Fehlbeurteilung bestimmter Situationen. Die fortschreitende Ausweitung seines Beeinträchtigungserlebens, zunächst möglicherweise nur in Form überwertiger Ideen und beginnender wahnhafter Verdächtigungen, habe sich in Richtung einer systematisierten Wahnbildung mit querulatorisch-kämpferischem Ausagieren entwickelt, welches erfahrungsgemäß gelegentlich zu schwerwiegenden, manchmal heimtückisch arrangierten Angriffen auf Personen entgleisen könne.
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Auf der Grundlage dieses Strafurteils war der Antragsteller bis zum 10. März 2014 in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht.
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Im Jahr 2015 wandte der Antragsteller sich an die Staatsanwaltschaft und bat um Herausgabe seines im Zuge des vorgenannten Strafverfahrens in Verwahrung genommenen Führerscheins. Nachdem diese mitteilte, der Führerschein sei bereits 2006 über die Polizei herausgegeben worden, zeigte der Antragsteller den Verlust des Dokuments an und beantragte die Umstellung seiner Fahrerlaubnis alten Rechts. Als die Fahrerlaubnisbehörde der Antragsgegnerin und Beklagten (im Folgenden: Antragsgegnerin) daraufhin eine ärztliche Begutachtung anordnete, verzichtete der Antragsteller im Mai 2016 auf seine Fahrerlaubnis.
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Unter dem 9. September 2021, 25. April 2022 sowie 25. Juli 2022 beantragte der Antragsteller, ihm seine Fahrerlaubnis neu zu erteilen. Auf Aufforderung der Antragsgegnerin legte er zunächst ein Attest seines behandelnden Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie vom 14. November 2022 vor. Danach liegt bei dem Antragsteller auf psychiatrischem Sachgebiet eine anhaltende wahnhafte Störung nach ICD-10: F22.0 vor, die eine dauerhafte Medikation erfordert. Nach klinischem Eindruck sei der Antragsteller durch die Erkrankung und Medikation nicht in seiner Fähigkeit, ein Fahrzeug zu führen, beeinträchtigt. Es erscheine jedoch eine weitere Untersuchung bei einem verkehrsmedizinisch geschulten Facharzt erforderlich.
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Daraufhin forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller unter dem 16. Januar 2023 auf, innerhalb von drei Monaten ab Zustellung des Schreibens ein (fach-)ärztliches Gutachten einer Begutachtungsstelle für Fahreignung beizubringen. Zu klären sei u.a., ob eine psychische Erkrankung oder Beeinträchtigung vorliege, die die Fahreignung nach Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV in Frage stelle. Zur Gutachterauswahl heißt es, Ärzte der amtlich anerkannten Begutachtungsstellen für Fahreignung seien speziell geschult, um die Auswirkung von Erkrankungen auf die Fahreignung zu beurteilen.
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Der Antragsteller erklärte sich mit der Begutachtung zunächst einverstanden. Sodann teilte er jedoch u.a. mit Schreiben vom 15. Februar 2023 mit, er werde aus finanziellen Gründen kein Gutachten vorlegen, sondern das Verwaltungsgericht entscheiden lassen.
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Mit Bescheid vom 10. Mai 2023 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag, den sie als Antrag auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis der Klasse B auslegte, ab. Aus der Nichtvorlage des angeforderten Gutachtens sei auf mangelnde Fahreignung zu schließen.
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Am 25. Mai 2023 erhob der Antragsteller Klage (M 19 K 23.2559) zum Verwaltungsgericht München, über die noch nicht entschieden ist. Gleichzeitig stellte er Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sowie Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Eil- und Klageverfahren. Es bedürfe keines verkehrsmedizinischen Gutachtens, da er vollkommen gesund sei. Das im Strafverfahren erstellte psychiatrische Gutachten sei ebenso fehlerhaft wie die aktuelle Diagnose seines behandelnden Arztes. Er benötige die Fahrerlaubnis, um wieder Arbeit zu finden.
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Mit Beschluss vom 31. Oktober 2023 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag nach § 123 VwGO sowie die Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für Eil- und Klageverfahren ab. Der Antragsteller habe keinen Anordnungsgrund, aber auch keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage habe er keinen Anspruch auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis der Klasse B ohne Beibringung eines verkehrsmedizinischen Gutachtens, so dass die Hauptsacheklage voraussichtlich abzuweisen sei. Aus den im vorgenannten Strafverfahren eingeholten Gutachten, dem Strafurteil selbst sowie der aktuellen Diagnose des behandelnden Arztes ergäben sich hinreichende Zweifel an der Fahreignung, die die Anordnung einer ärztlichen Begutachtung rechtfertigten. Die Einschätzung des behandelnden Arztes, die Fahreignung sei nicht beeinträchtigt, vermöge keine Begutachtung durch einen verkehrsmedizinisch qualifizierten Arzt zu ersetzen. Damit sei der Schluss aus der Nichtvorlage des Gutachtens auf fehlende Fahreignung nicht zu beanstanden. Somit sei dem Antragsteller auch keine Prozesskostenhilfe für Eil- und Klageverfahren zu bewilligen, da die Rechtsverfolgung keine hinreichenden Erfolgsaussichten biete.
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Hiergegen wendet sich der anwaltlich nicht vertretene Antragsteller.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
14
Bei sachgerechter Auslegung begehrt der Antragsteller die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine noch einzulegende Beschwerde gegen die Ablehnung seines Antrags nach § 123 VwGO und wendet sich darüber hinaus gegen die erstinstanzliche Ablehnung seiner Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für dieses Verfahren sowie für das noch anhängige Klageverfahren. So verstanden sind die Anträge zulässig, aber unbegründet.
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1. Die beabsichtigte Beschwerde gegen die ablehnende Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutz bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO), so dass dafür keine Prozesskostenhilfe gewährt werden kann.
16
a) Für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe genügt es zwar, dass ein Obsiegen ebenso wahrscheinlich ist wie ein Unterliegen oder die Entscheidung jedenfalls von einer schwierigen, ungeklärten Tatsachen- bzw. Rechtsfrage abhängt (vgl. Wysk in Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 166 Rn. 36; Neumann/Schaks in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 166 Rn. 64 ff.; BVerfG, B.v. 28.1.2013 – 1 BvR 274/12 – NJW 2013, 1727 Rn. 11 ff.). Hinreichende Erfolgsaussichten liegen jedoch dann nicht vor, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen ist, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist oder konkrete und nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Antragstellers ausgehen wird (vgl. BVerfG, a.a.O. Rn. 14; Wysk, a.a.O. Rn. 37).
17
b) Nach diesen Maßstäben bietet die beabsichtigte Beschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Aus dem Vorbringen des Antragstellers ergibt sich nicht – auch nicht in groben Zügen – dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts abzuändern wäre (vgl. zu den Darlegungspflichten eines anwaltlich nicht vertretenen Rechtsschutzsuchenden bei isoliertem Antrag auf Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Beschwerde BayVGH, B.v. 12.12.2023 – 10 CS 23.1843 – juris Rn. 8; SächsOVG, B.v. 17.8.2016 – 3 B 173/16 – juris Rn. 3). Doch auch unabhängig vom Vortrag des Antragstellers ist nicht ersichtlich, dass die Beschwerde Erfolg haben könnte.
18
Wie das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, kann der Antragsteller jedenfalls keinen Anordnungsanspruch glaubhaft machen. Es lässt sich nicht feststellen, dass ihm mit deutlich überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Anspruch auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis ohne Vorlage eines positiven ärztlichen Gutachtens zustünde (vgl. zu den Voraussetzungen der vorläufigen Erteilung einer Fahrerlaubnis im Wege der einstweiligen Anordnung BayVGH, B.v. 20.3.2023 – 11 CE 23.43 – DAR 2023, 523 = juris Rn. 13).
19
Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. Juli 2023 (BGBl I Nr. 199), gelten für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung oder nach vorangegangenem Verzicht die Vorschriften über die Ersterteilung. Die Fahrerlaubnisbehörde hat zu ermitteln, ob Bedenken gegen die Eignung des Bewerbers zum Führen von Kraftfahrzeugen bestehen (§ 22 Abs. 2 Satz 1 FeV). Werden Tatsachen bekannt, die solche Bedenken begründen, verfährt die Fahrerlaubnisbehörde nach den §§ 11 bis 14 FeV (§ 22 Abs. 2 Satz 5 FeV). Das Vorliegen der Fahreignung wird vom Gesetz positiv als Voraussetzung für die Erteilung einer Fahrerlaubnis gefordert. Die materielle Beweislast für die Fahreignung nach Verlust liegt somit im (Wieder-)Erteilungsverfahren bei dem Bewerber (vgl. § 2 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl. 2023, § 2 StVG Rn. 41). Ein Anspruch auf Erteilung der Fahrerlaubnis besteht nicht, solange Eignungszweifel vorliegen, welche die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens rechtfertigen (vgl. BayVGH, B.v. 20.3.2023 a.a.O. Rn. 15; U.v. 18.1.2023 – 11 B 22.1153 – juris Rn. 20; VGH BW, U.v. 7.7.2015 – 10 S 116/15 – DAR 2015, 592 = juris Rn. 19).
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Hier ergibt sich, wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat, aus den Erkenntnissen des vorgenannten Strafverfahrens sowie der aktuellen Diagnose des behandelnden Arztes ohne Weiteres ein hinreichender „Anfangsverdacht“ (vgl. BVerwG, U.v. 5.7.2001 – 3 C 13.01 – NJW 2002, 78 = juris Rn. 22 ff.; U.v. 14.11.2013 – 3 C 32.12 – BVerwGE 148, 230 = juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 21.11.2018 – 11 CS 18.1237 – juris Rn. 15) dafür, dass bei dem Antragsteller eine fahreignungsrelevante psychische Störung vorliegt. Ob diese einem der in Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV genannten Krankheitsbilder entspricht, ist dabei unerheblich, da diese Aufstellung nicht abschließend ist (vgl. BayVGH, B.v. 25.3.2020 – 11 CS 20.203 – NJW 2020, 1692 Rn. 13; OVG SH, B.v. 26.4.2017 – 4 LA 4/17 – ZfSch 2017, 537 = juris Rn. 8; Dauer, a.a.O. § 11 FeV Rn. 19). Dies begründet jedenfalls Eignungszweifel, die die Anordnung eines ärztlichen Gutachtens rechtfertigen und einem Anspruch auf Neuerteilung der begehrten Fahrerlaubnis ohne positive ärztliche Begutachtung entgegenstehen. Die nicht näher erläuterte Einschätzung des behandelnden Arztes, die Fahreignung sei nicht beeinträchtigt, vermag diese Zweifel nicht auszuräumen, zumal dieser selbst auf die Notwendigkeit der Beurteilung durch einen Arzt mit verkehrsmedizinischer Qualifikation hinweist, über die er nicht verfügt.
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2. Folglich hat das Verwaltungsgericht auch den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das vorgenannte Eilverfahren zu Recht abgelehnt.
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3. Schließlich ist die Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das dort noch anhängige Klageverfahren durch das Verwaltungsgericht nicht zu beanstanden.
23
a) Soweit die Klage auf die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Erteilung der begehrten Fahrerlaubnis zielt, kann sie nach dem Vorgenannten bereits deswegen keinen Erfolg haben, weil Eignungszweifel vorliegen, welche die Beibringungsanordnung rechtfertigen.
24
b) Soweit die Klage – als Minus zur Verpflichtung zur Neuerteilung der Fahrerlaubnis – einen Antrag auf Neubescheidung des Antrags unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts umfasst (vgl. dazu VGH BW, U.v. 18.6.2012 – 10 S 452/10 – VerkMitt 2012 Nr. 68 = juris Rn. 29, 32), kommt es über den vorgenannten Prüfungsmaßstab hinaus auch darauf an, ob der Schluss aus der Nichtvorlage des Gutachtens auf mangelnde Fahreignung rechtmäßig ist (vgl. dazu BayVGH, U.v. 18.1.2023 – 11 B 22.1153 – juris Rn. 21; VGH BW a.a.O. Rn. 33). Insoweit stellt sich nach der neueren Rechtsprechung des Senats an sich die Frage, ob die Antragsgegnerin bei Erlass der Beibringungsanordnung ihr Ermessen hinsichtlich der Gutachterauswahl fehlerfrei ausgeübt hat (vgl. dazu BayVGH, U.v. 19.12.2022 – 11 B 22.632 – juris Rn. 26; B.v. 21.11.2023 – 11 CS 23.1206 – juris Rn. 19). Im vorliegenden Fall ist dies jedoch im Ergebnis unerheblich, weil der Antragsteller bislang jegliche ärztliche Begutachtung kategorisch ablehnt und zu weiterer Mitwirkung nicht bereit ist.
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Unabhängig davon ist nach Aktenlage davon auszugehen, dass der Antragsteller seit seiner vorläufigen Festnahme wegen der vorgenannten Tat am 23. März 2006 keine fahrerlaubnispflichtigen Kraftfahrzeuge mehr im Straßenverkehr geführt hat. Daraus ergeben sich hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme, dass er die erforderlichen theoretischen und praktischen Kenntnisse und Fähigkeiten, mithin seine Befähigung (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5, Abs. 5 StVG, §§ 16, 17 FeV) nicht mehr besitzt (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2023 – 11 ZB 23.1417 – juris Rn. 12 ff.). Somit hätte die Antragsgegnerin, sollte die Eignung zu bejahen sein, zwingend eine Fahrerlaubnisprüfung anzuordnen (§ 20 Abs. 2 FeV) und der Antragsteller keinen Anspruch auf die begehrte prüfungsfreie Erteilung seiner Fahrerlaubnis.
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c) Es steht dem Antragsteller jedoch frei, nach Abschluss des anhängigen Klageverfahrens erneut die Wiedererteilung seiner Fahrerlaubnis bei der Antragsgegnerin zu beantragen. In diesem Fall müsste diese nochmals eine ärztliche Begutachtung anordnen, dabei bestimmen, ob diese ein Arzt in einer Begutachtungsstelle für Fahreignung (§ 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 FeV) oder ein Facharzt für Psychiatrie mit verkehrsmedizinischer Qualifikation (§ 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 FeV) durchführen soll, und ihre wesentlichen Ermessensüberlegungen dazu offenlegen (vgl. BayVGH, B.v. 21.11.2023 a.a.O. Rn. 39).
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In den vorgenannten Entscheidungen, in denen der Senat nähere Erwägungen zur Auswahl des Gutachters für erforderlich erachtet hat, stand zwar jeweils die Begutachtung affektiver bzw. schizophrener Psychosen inmitten. Dafür sehen Nr. 3.12.4 und 3.12.5 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung vom 27. Januar 2014 (Vkbl S. 110) in der Fassung vom 17. Februar 2021 (Vkbl S. 198), die der Begutachtung nach § 11 Abs. 5 FeV i.V.m. Anl. 4a zur FeV zu Grunde zu legen sind, eine Begutachtung durch einen Facharzt für Psychiatrie vor (vgl. BayVGH, U.v. 19.12.2022 a.a.O. Rn. 26). Die hier diagnostizierte anhaltende wahnhafte Störung (ICD 10: F22.0) dürfte hingegen nicht den affektiven oder schizophrenen Psychosen zuzurechnen sein, sondern eine in den Beurteilungsleitlinien nicht näher bezeichnete psychische Störung darstellen. Affektive Störungen klassifiziert die ICD nach F30 bis F39, Schizophrenien nach F20. Unter die anhaltenden wahnhaften Störungen (F22) fasst die ICD Störungen, bei denen ein langandauernder Wahn das einzige oder das am meisten ins Auge fallende klinische Charakteristikum darstellt, und die nicht als organisch, schizophren oder affektiv klassifiziert werden können. Somit dürfte auch eine Einordnung als organisch-psychische Störung (Nr. 3.12.1 der Begutachtungsleitlinien) ausscheiden (vgl. dazu auch Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Kommentar, 3. Aufl. 2018, S.231). Für nicht näher bezeichnete psychische Störungen fehlt es aber an konkreten Vorgaben zum Gutachter. Damit stellte die Anordnung einer Begutachtung durch einen Arzt in einer Begutachtungsstelle für Fahreignung hier im Unterschied zu den vom Senat entschiedenen Fällen keine rechtfertigungsbedürftige Abweichung von den Begutachtungsleitlinien dar. Zudem könnte für das Interesse des Betroffenen an einer fachärztlichen Begutachtung auch eine Rolle spielen, ob dieser – wie der Antragsteller – fachärztlich intensiv betreut wird und nur noch die spezifisch verkehrsmedizinische Beurteilung der Fahreignung auf der Grundlage der vorliegenden Befunde offen erscheint.
28
Auf der anderen Seite liegt es nicht fern, dass die Beurteilung der Auswirkungen der hier vorliegenden Erkrankung auf die Fahreignung eine komplexe Aufgabe ist, die eine eingehende Exploration des Antragstellers und sodann eine Einschätzung aufgrund vertiefter Kenntnisse auf psychiatrischem Fachgebiet sowie spezifisch verkehrsmedizinischen Wissens erfordert. Dies gilt gerade vor dem Hintergrund, dass die Begutachtungsleitlinien zu der hier in Rede stehenden Erkrankung keine Ausführungen enthalten und dem Gutachter daher wenig Hilfestellung geben dürften (vgl. zu dieser Lücke auch Schubert/Huetten/Reimann/Graw, a.a.O. S. 231). Während die Erkrankungen und Mängel nach der Anlage 4 FeV die Vermutung der Fahreignungsrelevanz in sich tragen, ist bei sonstigen Erkrankungen neben der Frage des Vorliegens bzw. des Ausprägungsgrades auch zu fragen, ob ein hinreichend enger Zusammenhang mit den spezifischen Anforderungen der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr gegeben ist (vgl. OVG SH, B.v. 26.4.2017 – 4 LA 4/17 – ZfSch 2017, 537 = juris Rn. 8). Damit könnte der Antragsteller ein berechtigtes Interesse an einer Begutachtung gerade durch einen Facharzt für Psychiatrie mit verkehrsmedizinischer Qualifikation haben, das mit einem etwaigen Interesse der Antragsgegnerin an der Bestimmung eines Arztes in einer Begutachtungsstelle für Fahreignung abzuwägen wäre.
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4. Hinsichtlich des Prozesskostenhilfeantrags für die noch einzulegende Beschwerde bedarf es keiner Entscheidung über die Kosten. Im Prozesskostenhilfeverfahren werden keine Gerichtskosten erhoben; eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten ist nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO ausgeschlossen.
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Die Kostenentscheidung für die Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe für das Eil- und Klageverfahren ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Anders als im Prozesskostenhilfeverfahren fallen im Beschwerdeverfahren Gerichtskosten an, wobei eine Kostenerstattung nicht stattfindet (§ 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO). Eine Streitwertfestsetzung ist im Hinblick auf die nach § 3 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum GKG anfallende Festgebühr von 66,- Euro jedoch entbehrlich.
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5. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).