Titel:
Erfolgloser Berufungszulassungsantrag in Asylstreitverfahren – Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung
Normenketten:
AsylG § 78 Abs. 3
VwGO § 55
GVG § 169
Leitsatz:
Der Grundsatz der Öffentlichkeit ist nicht verletzt, wenn eine öffentliche Verhandlung trotz eines Ausschließungsgrundes stattgefunden hat. Eine Gehörsverletzung ergibt sich hieraus ebenfalls nicht. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylrecht (Ägypten)., Asylstreitverfahren, Ägypten, Verletzung von Verfahrensrecht, rechtliches Gehör, Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung, Genitalverstümmelung, Anhörung
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 07.11.2023 – M 3 K 19.32088
Fundstelle:
BeckRS 2024, 1374
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
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Die Kläger zu 1 und zu 2 mit ihren vier Kindern sind nach ihren Angaben ägyptische Staatsangehörige und begehren mit ihrem Folgeantrag die Anerkennung als Asylberechtigte, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie hilfsweise die Zuerkennung subsidiären Schutzes und die Feststellung von Abschiebungshindernissen. Das Verwaltungsgericht wies ihre Klage gegen den ablehnenden Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 14. Mai 2019 mit Urteil vom 7. November 2023 ab. Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter.
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Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der von den Klägern ausschließlich geltend gemachte Zulassungsgrund der Verletzung von Verfahrensrechten (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG) liegt nicht vor bzw. ist nicht gemäß den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG substantiiert dargelegt worden.
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1. Die Kläger berufen sich auf eine Verletzung von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 1 VwGO analog, weil die Beklagte gegen internationales Verfahrensrecht verstoßen habe, indem über die mit ihrem Folgeantrag vorgebrachte drohende Genitalverstümmelung gemäß der „Genfer Flüchtlingskommission“ keine diesbezüglich besonders qualifizierte Stelle entschieden habe. Damit machen die Kläger allerdings formelle Mängel des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 14. Mai 2019 und somit ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts geltend. Solche sind aber kein im Asylverfahrensrecht nach § 78 Abs. 3 AsylG vorgesehener Zulassungsgrund (vgl. BayVGH, B.v. 18.9.2023 – 15 ZB 23.30634 – juris Rn. 5).
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2. Soweit eine Verletzung rechtlichen Gehörs nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG geltend gemacht wird, bleibt der Antrag ebenfalls erfolglos.
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Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere, dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden. Es gewährleistet im Sinn der Wahrung eines verfassungsrechtlich gebotenen Mindestmaßes, dass ein Kläger die Möglichkeit haben muss, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten. Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs gibt einem Prozessbeteiligten das Recht, alles aus seiner Sicht Wesentliche vortragen zu können. Eine Verletzung des Grundsatzes liegt vor, wenn das Gericht einen entscheidungserheblichen Vortrag der Beteiligten nicht zur Kenntnis genommen bzw. bei seiner Entscheidung nicht erwogen hat oder einen entsprechenden Vortrag dadurch vereitelt hat, dass es unter Verstoß gegen das Prozessrecht den Beteiligten die Möglichkeit zu weiterem Vortrag abgeschnitten hat, und dieser übergangene bzw. vereitelte Vortrag nach der maßgeblichen Rechtsauffassung des Gerichts entscheidungserheblich war (vgl. BayVGH, B.v. 18.11.2022 – 15 ZB 22.31172 – juris Rn. 4).
7
Einen derart relevanten Gehörsverstoß legt das Zulassungsvorbringen nicht dar. Aus dem Vortrag der Kläger ergibt sich schon nicht, dass sie keine ausreichende Gelegenheit gehabt hätten, ihr persönliches Verfolgungsschicksal vorzutragen. Sie berufen sich vielmehr darauf, dass das Verwaltungsgericht die erforderliche Sensibilität bei der Anhörung in öffentlicher Verhandlung verletzt habe, weil es religiösen Menschen typischerweise schwer falle, über Themen zu sprechen, die den Sexualbereich – hier die drohende Gefahr einer Genitalverstümmelung – beträfen und es nicht angehen könne, dass irgendwelche Männer im druckvollen Umfeld einer drohenden Abschiebung darüber befänden, ob der Vortrag einer religiösen Frau betreffend dieser Bedrohung glaubwürdig sei oder nicht. Damit wird jedoch keine Verletzung rechtlichen Gehörs aufgezeigt. Eine mündliche Verhandlung ist – auch in Asylverfahren – regelmäßig öffentlich (§ 55 VwGO i.V.m. § 169 Abs. 1 Satz 1 GVG). Ein schutzwürdiges Diskretionsinteresse ist zwar bei Angelegenheiten aus dem privaten Lebensbereich anzuerkennen, die außenstehenden Dritten nicht ohne Weiteres zugänglich sind und durch deren öffentliche Erörterung überwiegende schutzwürdige Interessen des Klägers verletzt würden, wozu insbesondere das Familien-, Beziehungs- und Sexualleben, der Gesundheitszustand sowie weltanschauliche, religiöse und politische Einstellungen, mithin Umstände, die unbeteiligten Dritten nicht ohne Weiteres zugänglich sind und Schutz vor dem Einblick Außenstehender verdienen, gehören. § 55 VwGO i.V.m. § 171b Abs. 1 Satz 1 GVG stellt diesen Ausschluss aber in das Ermessen des Gerichts (vgl. BVerwG, U.v. 30.3.2021 – 1 C 41.20 – juris Rn. 27). Ein Antrag nach § 171b Abs. 3 Satz 1 GVG wurde seitens der Kläger nicht gestellt. Unabhängig davon ist der Grundsatz der Öffentlichkeit nicht verletzt, wenn eine öffentliche Verhandlung trotz eines Ausschließungsgrundes stattgefunden hat (vgl. BVerwG, U.v. 9.11.1984 – 6 C 53.83 – juris Rn. 9). Eine Gehörsverletzung ergibt sich hieraus ebenfalls nicht.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
9
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
10
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).