Inhalt

VGH München, Beschluss v. 29.01.2024 – 11 ZB 24.30065
Titel:

Berücksichtigung des Kindeswohls bei der Prüfung einer internen Schutzalternative

Normenketten:
UN-Kinderrechtskonvention Art. 3 Abs. 1, Art. 12
EMRK Art. 3
GrCh Art. 24 Abs. 2
GG Art. 103 Abs. 1
AsylG § 3e, § 4
Leitsätze:
1. Etwaige erhöhte Risikofaktoren für Kinder, etwa kinderspezifische Formen der Verfolgung oder eines ernsthaften Schadens, sind im Verfahren zu ermitteln und bei der Bewertung der Schutzbedürftigkeit und bei Prüfung der Zumutbarkeit der internen Schutzlternative zu beachten, da die Beurteilung aus der Perspektive des Kindes zu erfolgen hat. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Konvention zum Schutz der Kinder verpflichtet zwar dazu, das Kindeswohl zu berücksichtigen, verleiht aber keinen Anspruch auf Aufenthalt bzw. Schutzgewähr. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes, Zumutbarkeit einer internen Schutzalternative, grundsätzliche Bedeutung der Frage, ob Gesichtspunkte des Kindeswohls bei der Prüfung einer internen Schutzalternative einen „über den Maßstab des Art. 3 EMRK hinausgehenden Maßstab“ gebieten (verneint), Anspruch auf rechtliches Gehör, interne Schutzlternative, Kindeswohl, Kinderrechtskonvention, interne Fluchtalternative, Existenzbedingungen, Lebensbedingungen, Zumutbarkeit der Niederlassung
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 23.10.2023 – M 21b K 19.31936
Fundstelle:
BeckRS 2024, 1372

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerinnen tragen die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechend dargelegt worden sind bzw. nicht vorliegen.
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1. Die Berufung ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) zuzulassen.
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a) Die Bevollmächtigten der Klägerinnen halten für klärungsbedürftig, ob „bei der Prüfung des Vorliegens einer innerstaatlichen Schutzalternative gemäß § 3e Abs. 2 AsylG i.V.m. Art. 8 Abs. 1 RL 2011/95/EU das Kindeswohl als vorrangige Erwägung nach Art. 24 Abs. 2 EU-GRCh und Art. 3 UN-Kinderrechtskonvention einen über den Maßstab des Art. 3 EMRK („Bett, Brot, Seife“) hinausgehenden, höheren anzulegenden Maßstab“ gebietet.
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Nach Art. 3 Abs. 1 der UN-Kinderrechtskonvention und Art. 24 Abs. 2 der EU-Grundrechte-Charta sei das Wohl des Kindes bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen sei. Aus dem Erwägungsgründen der Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU ergebe sich, dass dieser Grundsatz auch bei asylrechtlichen Entscheidungen anzuwenden sei. Insbesondere sollten die Mitgliedstaaten nach dem Erwägungsgrund 18 bei der Umsetzung der Richtlinie im Einklang mit dem Übereinkommen der Vereinten Nationen von 1989 über die Rechte des Kindes vorrangig das Wohl des Kindes berücksichtigen. Bei der Bewertung der Frage, was dem Wohl des Kindes diene, sollten die Mitgliedsstaaten insbesondere dem Grundsatz des Familienverbands, dem Wohlergehen und der sozialen Entwicklung der Minderjährigen, Sicherheitsaspekten sowie dem Willen des Minderjährigen unter Berücksichtigung seines Alters und seiner Reife Rechnung tragen. Erwägungsgrund 16 weise zudem ausdrücklich auf die Anwendung von Art. 24 Abs. 2 der EU-Grundrechte-Charta hin. Für das Asylverfahren ergebe sich die Bedeutung des Kindeswohls aus dem Erwägungsgrund 33 der Asylverfahrensrichtlinie 2013/32/EU, für die Rückführung aus Art. 5 der Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG. Danach sei im Asylverfahren eines Kindes nicht nur der Frage nachzugehen, ob eine Rückkehr im Familienverband erfolgen werde und der Lebensunterhalt gesichert sei, sondern darüber hinaus auch dem Wohlergehen und der sozialen Entwicklung des Kindes, den Sicherheitsaspekten und dem Willen des Minderjährigen Rechnung zu tragen.
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Folglich sei das Kindeswohl auch bei der Prüfung einer innerstaatlichen Schutzalternative in den Blick zu nehmen. Diese könne sich nicht darauf beschränken, ob das wirtschaftliche Existenzminimum am Ort des internen Schutzes gesichert und keine Verletzung von Art. 3 EMRK zu besorgen sei.
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In der obergerichtlichen Rechtsprechung sei die aufgeworfene Frage bislang ungeklärt. Zu Unrecht verweise das Verwaltungsgericht insoweit auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Februar 2021 (1 C 4.20). Dieses habe einen erwachsenen Mann betroffen und verhalte sich nicht zur Bedeutung des Kindeswohls. Die Frage sei auch entscheidungserheblich. Hätte das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung das Kindeswohl vorrangig berücksichtigt, hätte es eine innerstaatliche Fluchtalternative verneinen müssen. Angesichts der Verhältnisse in der Demokratischen Republik Kongo, auch in Kinshasa und Lubumbashi, entspreche eine Rückkehr dorthin nicht dem Kindeswohl. Die Lebensverhältnisse dort seien erbärmlich, das Recht auf Schulbesuch bestehe lediglich auf dem Papier und auch Sicherheitsaspekte sprächen gegen das Kindeswohl.
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b) Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache ist die Berufung zuzulassen, wenn der Rechtsmittelführer innerhalb der Monatsfrist nach Zustellung des Urteils in der Antragsbegründung darlegt (§ 78 Abs. 4 AsylG), dass für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124 Rn. 36; Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124 Rn. 127). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Berufungsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist oder aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (vgl. BVerwG, B.v. 20.3.2018 – 1 B 5.18 – Buchholz 402.242 § 68 AufenthG Nr. 4 = juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 22.1.2020 – 11 ZB 20.30210 – juris Rn. 3 m.w.N.).
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c) Davon ausgehend ist die Berufung nicht zuzulassen. Für die Klage der Klägerin zu 1 ist die aufgeworfene Frage schon der Natur der Sache nach nicht entscheidungserheblich. Sie zielt vielmehr auf die Anforderungen, welche – auch über die Sicherung der wirtschaftlichen Existenz hinaus – für den internen Schutz (§ 4 Abs. 3 i.V.m. § 3e AsylG) an die Zumutbarkeit der Niederlassung eines minderjährigen Schutzsuchenden zu stellen sind. Sie bedarf keiner rechtsgrundsätzlichen Klärung in einem Berufungsverfahren, weil sie, soweit verallgemeinerungsfähig und im vorliegenden Fall entscheidungserheblich, durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausreichend geklärt ist. Weiteren grundsätzlichen Klärungsbedarf zeigt der Zulassungsantrag nicht auf.
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aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann die Niederlassung in einem sichereren Landesteil i.S.d. § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG vernünftigerweise erwartet werden (Zumutbarkeit der Niederlassung), wenn bei umfassender wertender Gesamtbetrachtung der allgemeinen wie der individuellen persönlichen Verhältnisse am Ort des internen Schutzes mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keine anderen Gefahren oder Nachteile drohen, die nach ihrer Intensität und Schwere einer für den internationalen Schutz relevanten Rechtsgutbeeinträchtigung gleichkommen, und auch sonst keine unerträgliche Härte droht (BVerwG, U.v. 18.2.2021 – 1 C 4.20 – BVerwGE 171, 300 Rn. 28 sowie amtlicher Leitsatz Nr. 1; U.v. 24.6.2021 – 1 C 27.20 – juris Rn. 15). Die Zumutbarkeit der Niederlassung am Ort des internen Schutzes bleibt danach eingebettet in den flüchtlingsrechtlichen Zusammenhang. Sie zielt nicht darauf, die in völker- und unionsrechtlichen Kodifikationen enthaltenen Grund- oder Menschenrechte umfassend zu verwirklichen. Jenseits der Missachtung grundlegender Menschenrechtsstandards scheidet ein Gebiet nicht schon dann als Ort internen Schutzes aus, wenn dort „irgendein bürgerliches, politisches oder sozioökonomisches Menschenrecht vorenthalten wird“. Die Vorenthaltung von Grund- oder Menschenrechten bürgerlicher, politischer, sozialer und kollektiver Natur, die nach Art oder Wiederholung nicht so gravierend sind, dass sie weder für sich noch in der Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen als Verfolgungshandlung (§ 3a Abs. 1 AsylG) zu werten sind, reicht regelmäßig nicht aus. Entsprechendes gilt über § 4 Abs. 3 AsylG beim subsidiären Schutz. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist nach § 3e Abs. 2 Satz 1 AsylG unter Berücksichtigung der allgemeinen Gegebenheiten am Ort des internen Schutzes, insbesondere der wirtschaftlichen und humanitären Verhältnisse einschließlich der Gesundheitsversorgung, sowie der persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Art. 4 RL 2011/95/EU zu prüfen, also insbesondere von familiärem und sozialem Hintergrund, Geschlecht und Alter (BVerwG, U.v. 18.2.2021 a.a.O. Rn. 30 f.).
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Zur Begründung verweist das Bundesverwaltungsgericht insbesondere darauf, dass § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG indirekt dem Refoulement-Schutz dient. Der Ausländer soll wegen der allgemeinen Verhältnisse, die für ihn am von Verfolgung freien, sicheren Ort des internen Schutzes herrschen, nicht gezwungen sein, die Verfolgungssicherheit aufzugeben, in das ursprüngliche Verfolgungsgebiet zurückzukehren oder sich in einen anderen Landesteil zu begeben, in dem möglicherweise Verfolgung oder andere Formen von schwerem Schaden drohen (a.a.O. Rn. 29, 41). Die Lebensverhältnisse am Ort des internen Schutzes und insbesondere die Sicherung der materiellen Existenz dürfen nicht so schlecht sein, dass der Betroffene keinen anderen Ausweg sieht, als sich in Gebiete zu begeben, in denen ihm Verfolgung oder ein ernsthafter Schaden droht. Diese Funktion begründet und begrenzt die Berücksichtigung auch nicht verfolgungsbedingter Dimension bei der Zumutbarkeit einer Niederlassung am Ort des internen Schutzes (a.a.O. Rn. 41 f.). Mit Blick auf die materiellen Existenzbedingungen, die für die Zumutbarkeit eine besondere Bedeutung haben (a.a.O. Rn. 34), führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass es an einem existenziellen Druck fehlt, in die Herkunftsregion zurückzukehren, wenn diese in dem menschenrechtlich gebotenen Umfang auf einem Niveau gesichert wird, das eine Verletzung des Art. 3 EMRK nicht besorgen lässt. Weitergehende Anforderung an das Niveau der Existenzsicherung bewirkten hingegen eine begründungsbedürftige Besserstellung gegenüber solchen Bewohnern, die ohne anderweitige Verfolgung oder ernsthaften Schaden bereits an dem Ort des internen Schutzes leben. Jedenfalls bei Existenzbedingungen, die das Mindestniveau nach Art. 3 EMRK wahren, könnten Lebensbedingungen, die von am Ort des internen Schutzes bereits Lebenden dauerhaft hinzunehmen sind, nicht für Binnenflüchtlinge als unzumutbar eingestuft werden (a.a.O. Rn. 42).
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bb) Diese Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts befasst sich zwar im Schwerpunkt mit den Anforderungen an die Sicherung der wirtschaftlichen Existenz. Sie verhält sich aber auch zu der im Vordergrund des Zulassungsantrags stehenden Frage, inwieweit am Ort des internen Schutzes andere grundlegende Menschenrechte gesichert sein müssen (vgl. auch Dörig, NVwZ 2021, 830/835). Das Bundesverwaltungsgericht klärt diese, wie ausgeführt, dahin, dass dort keine anderen Gefahren oder Nachteile drohen dürfen, die nach ihrer Intensität und Schwere einer für den internationalen Schutz relevanten Rechtsgutbeeinträchtigung gleichkommen, und auch sonst keine unerträgliche Härte drohen darf.
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Ferner gibt es danach keinen Raum für vernünftigen Zweifel daran, dass diese materiell-rechtlichen Maßstäbe auch bei der Prüfung des Anspruchs eines Kindes auf Gewährung subsidiären Schutzes gelten und nicht durch Erwägungen des Kindeswohls modifiziert werden.
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Dem in Art. 24 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie in Art. 3 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes niedergelegten Grundsatz, dass das Wohl des Kindes bei allen Maßnahmen öffentlicher Stellen, die Kinder betreffen, eine vorrangige Erwägung sein muss bzw. vorrangig zu berücksichtigen ist, kommt zwar bei der Prüfung eines Anspruchs auf internationalen Schutz durchaus Bedeutung zu (vgl. dazu auch Thym in Thym/Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 3. Aufl. 2022, Kapitel 7 Rn. 56 ff.). Dies ergibt sich auch aus Erwägungsgrund 18 der RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl L 337 S. 9) sowie Erwägungsgrund 33 der RL 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl L 180 S. 60). Insbesondere sind etwaige erhöhte Risikofaktoren für Kinder, etwa kinderspezifische Formen der Verfolgung oder eines ernsthaften Schadens, im Verfahren zu ermitteln und bei der Bewertung der Schutzbedürftigkeit zu beachten (vgl. EASO-Praxisleitfaden zum Wohl des Kindes im Asylverfahren, 2019, S. 26; in diese Richtung auch EuGH, U.v. 14.1.2021 – C-441/19 – NVwZ 2021, 550 Rn. 43 ff.). Mit anderen Worten hat die Beurteilung aus der Perspektive des Kindes zu erfolgen (vgl. UNHCR, Guidelines on International Protection, Child Asylum Claims under Articles 1(A)2 and 1(F) of the 1951 Convention and/or 1967 Protocol relating to the Status of Refugees, HCR/GIP/09/08 v. 22.12.2009, S. 6). Danach kann z.B. eine Behandlung, die bei einem Erwachsenen nicht die Schwelle der Verfolgung erreicht, im Fall eines Kindes durchaus so einzuordnen sein (vgl. UNHCR, a.a.O. S. 6). Diese Grundsätze gelten auch bei der Prüfung einer internen Flucht- bzw. Schutzalternative (vgl. EASO, a.a.O. S. 26; UNHCR, a.a.O. S. 20 f.). Denn bei der Prüfung der Zumutbarkeit der internen Alternative ist die jeweils schutzsuchende Person in den Blick zu nehmen (vgl. UNHCR, a.a.O. S. 21; BVerwG, U.v. 18.2.2021 – 1 C 4.20 – BVerwGE 171, 300 Rn. 31). So kann etwa eine interne Fluchtalternative, die für einen Erwachsenen bloß als ungelegen anzusehen ist, für ein Kind unzumutbar sein (vgl. UNHCR, a.a.O. S. 21).
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Die Verpflichtung zur Berücksichtigung des Kindeswohls verschiebt jedoch nicht die abstrakten Maßstäbe, nach denen sich die Beurteilung eines Anspruchs auf internationalen Schutz materiell bemisst (vgl. insoweit zum Flüchtlingsschutz auch UNHCR, a.a.O. S. 3 f.). Insbesondere setzt die Gewährung subsidiären Schutzes, die hier inmitten steht, voraus, dass dem Schutzsuchenden in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff wird durch die Fallgruppen des § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG näher konkretisiert und ermöglicht zwar eine Würdigung der Interessen des Kindes unter Berücksichtigung von Art. 24 Abs. 2 der EU-Grundrechte-Charta und von Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention, etwa bei der Beurteilung des Vorliegens einer „unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung“. § 4 Abs. 1 AsylG bietet jedoch keinen Raum für eine Berücksichtigung des Kindeswohls jenseits seiner tatbestandlichen Voraussetzungen. Darin liegt auch kein Verstoß gegen die vorgenannten völker- und unionsrechtlichen Vorgaben. Die Konvention zum Schutz der Kinder verpflichtet zwar dazu, das Kindeswohl zu berücksichtigen, verleiht aber keinen Anspruch auf Aufenthalt bzw. Schutzgewähr (vgl. dazu auch Schmahl, UN-Kinderrechtskonvention, 2. Aufl. 2017, Art. 22 Rn. 1, Thym in Thym/Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 3. Aufl. 2022, Kapitel 7 Rn. 57; Fritzsch, ZAR 2014, 137/138 ff.; EGMR, E.v. 8.3.2016, Nr. 25960/13, I.A.A. u.a./Vereinigtes Königreich, Rn. 46; NdsOVG, B.v. 2.10.2012 – 8 LA 209/11 – InfAusR 2013, 19 = juris Rn. 33; BayVGH, B.v. 25.9.2019 – 9 ZB 19.31543 – juris Rn. 7).
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Daraus ergibt sich zugleich, dass Gesichtspunkte des Kindeswohls nicht die abstrakten Anforderungen modifizieren können, nach denen sich die Zumutbarkeit einer internen Schutzalternative beurteilt. Insoweit greift ebenfalls die Erwägungen, dass weitergehende, aus dem Kindeswohl abgeleitete Anforderungen an die Zumutbarkeit eine ungerechtfertigte Besserstellung gegenüber solchen Kindern bewirkten, die ohne anderweitige Verfolgung oder ernsthaften Schaden bereits an dem Ort des internen Schutzes leben. Bei Existenzbedingungen, die keiner für den internationalen Schutz relevanten Rechtsgutbeeinträchtigung gleichkommen und auch sonst keine unerträgliche Härte darstellen, können Lebensbedingungen, die von am Ort des internen Schutzes lebenden Kindern hinzunehmen sind, nicht für Binnenflüchtlinge als unzumutbar eingestuft werden. Zudem fehlt es dann, wenn dort keine Nachteile und Gefahren drohen, die nach ihrer Intensität und Schwere einer für den internationalen Schutz relevanten Rechtsgutbeeinträchtigung gleichkommen, und auch sonst keine unerträgliche Härt droht, gleichfalls an einem existenziellen Druck, in die Herkunftsregion zurückzukehren (so für das Mindestniveau des Art. 3 EMRK wahrende wirtschaftliche Existenzbedingungen BVerwG, U.v. 18.2.2021 a.a.O. Rn. 42; VGH BW, U.v. 29.11.2019 – A 11 S 2376/19 – Asylmagazin 2020, 124 = juris Rn. 49).
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cc) Weitergehende Fragen wirft der Zulassungsantrag nicht auf, waren für das Verwaltungsgericht aber auch nicht entscheidungserheblich. Insbesondere ist es davon ausgegangen, dass der Vater der Klägerin zu 2 ein ggf. erforderliches Schulgeld aufbringen könnte (vgl. auch Art. 27 Abs. 2 der UN-Kinderrechtskonvention).
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2. Der geltend gemachte Verfahrensmangel in Gestalt einer Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) vermag die Zulassung der Berufung ebenfalls nicht zu rechtfertigen.
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a) Die Bevollmächtigten der Klägerinnen rügen, der Klägerin zu 2, die bereits 8 Jahre alt sei, sei keine Gelegenheit zur Äußerung auf kindgerechte Art und Weise gegeben worden. In der mündlichen Verhandlung seien allein die Eltern angehört worden. Dies verstoße gegen Art. 12 Abs. 2 der UN-Kinderrechtskonvention als Ausprägung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG. Danach müsse dem Kind Gelegenheit gegeben werden, in allen es berührenden Gerichts- oder Verwaltungsverfahren entweder unmittelbar oder durch einen Vertreter oder eine geeignete Stelle im Einklang mit den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften gehört zu werden.
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b) Die Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO besteht nach obergerichtlicher Rechtsprechung darin, jedem Verfahrensbeteiligten die Gelegenheit zu geben, sich zu dem gesamten, nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblichen Stoff des gerichtlichen Verfahrens in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu äußern (BVerwG, B.v. 7.6.2017 – 5 C 5.17 D u.a. – juris Rn. 8 m.w.N.; Funke-Kaiser in GK-AsylG, Stand Dezember 2023, § 78 Rn. 259, 272 f.). Sie verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, jedoch nicht, ihnen in der Sache zu folgen (BVerwG, a.a.O.; Funke-Kaiser, a.a.O. § 78 Rn. 261). Für den Fall, dass eine mündliche Verhandlung stattfindet, begründet der Anspruch auf rechtliches Gehör vor allem das Recht der Beteiligten auf Äußerung in dieser Verhandlung (vgl. BVerwG, a.a.O.).
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c) Davon ausgehend ist hier kein Verstoß gegen das rechtliche Gehör dargelegt. Die Klägerin zu 1 als Mutter sowie der Vater hatten im gerichtlichen Verfahren ausreichend Gelegenheit, sich zu äußern und dabei auch die spezifischen Belange der Klägerin zu 2 geltend zu machen. Ob es im Einzelfall geboten sein kann, einen begleiteten minderjährigen Schutzsuchenden im gerichtlichen Verfahren persönlich anzuhören, etwa weil es für die Beurteilung der Schutzbedürftigkeit auf den persönlichen Eindruck ankommt oder weil Interessengegensätze zwischen Eltern und Kind hinsichtlich der Rückkehr in das Heimatland drohen, kann dabei dahinstehen (vgl. zur Anhörung Minderjähriger vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge NdsOVG, B.v. 30.3.2020 – 2 LB 452/18 – juris Rn. 22 ff.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Juni 2023, § 24 AsylG Rn. 49 f.). Solche Umstände sind hier weder vorgetragen noch ersichtlich. Anders als in Kindschaftssachen, in denen der Gesetzgeber grundsätzlich eine persönliche Anhörung des Kindes vorsieht (§ 159 FamFG), liegen sie im Asylverfahren allgemein eher fern. Im Übrigen hatten auch die Bevollmächtigten umfassend Gelegenheit, sich für die Klägerin zu 2 zu äußern.
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Aus Art. 12 der UN-Kinderrechtskonvention ergibt sich entgegen der Auffassung der Bevollmächtigten nichts anderes. Danach sichern die Vertragsstaaten dem Kind, das fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden, das Recht zu, diese Meinung in allen das Kind berührenden Angelegenheiten frei zu äußern, und berücksichtigen die Meinung des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife (Abs. 1). Zu diesem Zweck wird dem Kind insbesondere Gelegenheit gegeben, in allen das Kind berührenden Gerichts- oder Verwaltungsverfahren entweder unmittelbar oder durch einen Vertreter oder eine geeignete Stelle im Einklang mit den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften gehört zu werden (Abs. 2). Das Kind kann nach der Konvention folglich unmittelbar, aber auch mittels eines Vertreters gehört werden. Eine genauere Ausgestaltung, wann ein Kind selbst gehört werden muss oder wer als Vertreter in Frage kommt, ist grundsätzlich der Auslegung und Umsetzung durch die Vertragsstaaten überlassen (vgl. Schmahl, UN-Kinderrechtskonvention, Art. 12 Rn. 16 f.). Damit bedarf hier keiner Erörterung, inwieweit der Grundsatz rechtlichen Gehörs im Lichte dieser völkerrechtlichen Vorgaben auszulegen ist.
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Abgesehen davon setzt eine erfolgreiche Gehörsrüge die Darlegung des Betroffenen voraus, dass er alles ihm in der konkreten prozessualen Situation Mögliche und Zumutbare unternommen habe, sich rechtzeitig rechtliches Gehör zu verschaffen und einen drohenden Gehörsverstoß abzuwenden (vgl. BVerwG; B.v. 29.11.2023 – 6 B 10.23 – juris Rn. 13 m.w.N.; BVerfG, B.v. 10.2.1987 – 2 BvR 314/86 – BVerfGE 74, 220 = juris Rn. 14). Ferner muss er substantiiert darlegen, was er bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs noch mit Aussicht auf Erfolg vorgetragen hätte (vgl. BVerwG, B.v. 29.1.2018 – 3 B 25.17 – AUR 2018, 142 – juris Rn. 24; B.v. 2.4.1985 – 3 B 75.82 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 165 = juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 12.9.2023 – 23 ZB 23.30669 – juris Rn. 32; vgl. auch BVerfG, B.v. 28.12.2023 – 1 BvR 2033/23 – juris Rn. 11). An beidem fehlt es hier.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
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4. Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).