Titel:
Erlöschen einer Niederlassungserlaubnis
Normenketten:
AufenthG § 51 Abs. 1 Nr. 6, Nr. 7, Abs. 2 S. 1, Abs. 3
ARB 1/80 Art. 13
VwGO § 108 Abs. 1 S. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 1
Leitsatz:
Die Grenze der Freiheit der richterlichen Überzeugungsbildung nach § 108 Abs. 1 S. 1 VwGO ist noch nicht dann überschritten, wenn ein Beteiligter den Sachverhalt einer Entscheidung anders würdigt oder aus ihm andere Schlüsse zieht als das Gericht. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erlöschen der Niederlassungserlaubnis, Erlöschen einer Niederlassungserlaubnis, Sicherung des Lebensunterhalts, Berufungszulassungsantrag, ernstliche Zweifel, richterliche Überzeugungsbildung
Vorinstanz:
VG Augsburg, Urteil vom 24.10.2023 – Au 1 K 22.2229
Fundstelle:
BeckRS 2024, 1369
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,-- Euro festgesetzt.
Gründe
1
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage, mit der er begehrt, einen das Erlöschen seiner Niederlassungserlaubnis feststellenden Bescheid der Beklagten aufzuheben, festzustellen, dass seine Niederlassungserlaubnis nicht erloschen sei und die Beklagte zu verpflichten, ihm eine Bescheinigung über die Fortgeltung der Niederlassungserlaubnis auszustellen, weiter.
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Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Der allein geltende gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist nicht dargelegt und liegt auch nicht vor.
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Solche ernstlichen Zweifel bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16; B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33). Die von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO geforderte Darlegung dieses Zulassungsgrundes erfordert innerhalb der Zulassungsbegründungsfrist von zwei Monaten eine konkret fallbezogene und hinreichend substantiierte Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung; es muss dargelegt werden, dass und weshalb das Verwaltungsgericht entscheidungstragende Rechts- und Tatsachenfragen unrichtig entschieden hat (BayVGH, B.v. 29.4.2020 – 10 ZB 20.104 – juris Rn. 3), wobei „darlegen“ schon nach allgemeinem Sprachgebrauch mehr als lediglich einen allgemeinen Hinweis bedeutet; „etwas darlegen“ bedeutet vielmehr so viel wie „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“ (BVerwG, B.v. 9.3.1993 – 3 B 105.92 – juris Rn. 3 m.w.N.).
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Gemessen daran werden mit dem Zulassungsantrag ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht dargelegt.
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Soweit das Zulassungsvorbringen zunächst rügt, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht offengelassen, welcher Erlöschenstatbestand eingreife, geht das an den Entscheidungsgründen vorbei. Das Verwaltungsgericht hat angenommen, die Niederlassungserlaubnis des Klägers sei gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG und gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erloschen. Es hat die einschlägige Rechtsgrundlage also gerade nicht offengelassen, sondern beide Tatbestände als erfüllt angesehen. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die tatbestandlichen Voraussetzungen der § 51 Abs. 1 Nr. 6 und Nr. 7 AufenthG seien im Fall des Klägers erfüllt, greift das Zulassungsvorbringen nicht an.
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Auch die Ausführungen des Klägers zum Einfluss der Stand-still-Klausel des Art. 13 ARB 1/80 auf die Anwendung von § 51 Abs. 1 Nr. 6 und 7, Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 AufenthG führen nicht zur Zulassung der Berufung. Der Kläger hält § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG wegen der Stand-still-Klausel des Art. 13 ARB 1/80 für unanwendbar und folgert anschließend (der Sache nach), dass § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG (zu dessen Anwendbarkeit im Zusammenhang mit Art. 13 ARB 1/80 vgl. BVerwG, U.v. 30.4.2009 – 1 C 6/08 – BVerwGE 134, 27 – juris Rn. 21) mit der Maßgabe anzuwenden sei, dass bei türkischen Staatsangehörigen, die in der Türkei ihren Militärdienst abgeleistet haben, hinsichtlich des Erlöschenszeitpunkts im Sinne von § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG die Regelung des § 51 Abs. 3 AufenthG heranzuziehen sei, die ihrem Wortlaut nach nur für Fälle des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG gilt. Für seinen Fall kommt der Kläger selbst zu der Auffassung, im Rahmen des § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG sei auf den Zeitpunkt drei Monate nach dem Ende des Militärdienstes und damit auf den 17. Januar 2007 abzustellen. Diese Ausführungen ziehen, selbst wenn ihnen zu folgen wäre, die Annahme des Verwaltungsgerichts, § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG stehe dem Erlöschen der Niederlassungserlaubnis nicht entgegen, nicht durchgreifend in Zweifel, weil im Rahmen des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO entscheidend ist, ob das Urteil des Verwaltungsgerichts im Ergebnis richtig ist (Roth in BeckOK VwGO, Stand 1.7.2023, § 124 Rn. 25 m.w.N. zur stRspr). Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, abzustellen sei auf den Zeitpunkt des Erlöschens der Niederlassungserlaubnis nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG i.V.m. § 51 Abs. 3 AufenthG drei Monate nach Ende des Militärdienstes, also auf den 17. Januar 2007. Zwar sei die Aufenthaltserlaubnis nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG im Zeitpunkt der Ausreise im Juli 2005 erloschen, dies mache im Ergebnis jedoch keinen Unterschied, da sich zwischen diesen Zeitpunkten im Hinblick auf die Lebensunterhaltssicherung keine wesentlichen Änderungen ergeben hätten. Damit gelangt das Verwaltungsgericht – wenn auch mit anderer Begründung – zum vom Kläger für richtig gehaltenen Ergebnis. Für die Zulassung der Berufung fehlte es demnach am erforderlichen Beruhen des Urteils auf dem vom Kläger behaupteten Begründungsfehler.
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Das Zulassungsvorbringen zieht schließlich die Annahme des Verwaltungsgerichts, im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlöschens der Niederlassungserlaubnis sei der Lebensunterhalt des Klägers nicht im Sinne von § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG gesichert gewesen, nicht ernsthaft in Zweifel. Das Erstgericht hat dazu ausgeführt, im Januar 2007 sei der Lebensunterhalt des Klägers nicht gesichert gewesen, eine positive Erwerbsprognose habe nicht gestellt werden können. Die unternehmerischen Tätigkeiten des Klägers in der Türkei, die erst im Laufe des Jahres 2007 begonnen hätten, müssten dabei außer Betracht bleiben. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger seinen Bedarf nicht durch eigene Arbeit hätte decken können. Der Kläger verfüge zwar über einen qualifizierten Hauptschulabschluss und auch eine Berufsausbildung als Einzelhandelskaufmann und sei bereits erwerbstätig gewesen. Die Erwerbsbiografie des Klägers sei jedoch von einer hohen Anzahl von, teils auch langen, Phasen der Arbeitslosigkeit geprägt gewesen. Die Beschäftigungsverhältnisse des Klägers seien nicht von langer Dauer gewesen, die längste Festanstellung habe ein Jahr und neun Monate bestanden. Bei einer Zeitarbeitsfirma habe er – unter Nichtanrechnung der nach Angaben des Klägers vom Arbeitgeber veranlassten Arbeitslosenmeldung – insgesamt nur acht Monate gearbeitet. Zwischen dem Ende seines ersten Beschäftigungsverhältnisses im Jahr 2002 und der Eingehung des nächsten hätte ein Zeitraum von einem Jahr gelegen. Auch bei Antritt seines Auslandsaufenthalts im Juli 2005 sei der Kläger bereits seit drei Monaten arbeitslos gewesen, ohne eine neue Stelle in Aussicht gehabt zu haben.
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Zweifel an dieser tatrichterlichen Würdigung der vom Verwaltungsgericht festgestellten und vom Kläger nicht durchgreifend in Frage gestellten Tatsachen, hat der Kläger mit dem Zulassungsvorbringen nicht aufgezeigt.
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Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Diese Freiheit ist nur dann überschritten, wenn es entweder seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zu Grunde legt, sondern nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt, oder wenn die von ihm gezogenen Schlussfolgerungen gegen gesetzliche Beweisregeln, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen. Dass ein Beteiligter den Sachverhalt anders würdigt oder aus ihm andere Schlüsse zieht, reicht hierfür nicht aus (vgl. BayVGH, B.v. 5.2.2019 – 10 ZB 17.1743 – juris Rn. 5). Eine solche Überschreitung der Grenzen der richterlichen Überzeugungsbildung legt das Zulassungsvorbringen nicht substantiiert dar.
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Das Verwaltungsgericht hat ausführlich und detailliert die Erwerbsbiographie des Klägers gewürdigt und dabei auch dessen mit der Klage vorgebrachte Einwände gegen die entsprechende Würdigung durch die Beklagte berücksichtigt. Der Kläger teilt die Auffassung des Gerichts, es sei maßgeblich auf die Umstände im Januar 2007 abzustellen, ausdrücklich. Der umfangreiche Vortrag in der Zulassungsbegründung zu den Gründen für die jeweiligen Kündigungen durch den Kläger, den Gründen für die unterbliebene Vorlage bestimmter Nachweise, der vermeintlich besseren konjunkturellen Lage im Jahr 2007, den Ausbildungszeiten, der Besonderheiten der Arbeitsverhältnisse, der allgemeinen relativen Häufigkeit von Arbeitgeberwechsel am Anfang des Berufslebens sowie zu Fleiß, Flexibilität, Leistungswilligkeit und Integration des Klägers zeigt dabei – teilweise unter Wiederholung des erstinstanzlichen Vortrags – allenfalls Umstände auf, die zu einer anderen Bewertung führen könnten, ohne durchgreifende Beweiswürdigungsfehler des Erstgerichts im oben dargelegten Sinne darzulegen. Vielmehr beschränkt sich das Zulassungsvorbringen über weite Teile darauf, Bewertungen des Verwaltungsgerichts (z.B. „lange“ Zeiten der Erwerbslosigkeit, „häufige“ Arbeitgeberwechsel) durch eigene Bewertungen zu ersetzen. Im Ergebnis ist die Würdigung des Verwaltungsgerichts, beim Kläger, der einschließlich seiner Berufsausbildung lediglich von 1997 bis 2005 in Deutschland erwerbstätig, dabei aber auch schon mehrfach und bis zu einem Jahr erwerbslos und auch zum Zeitpunkt der Ausreise im Juli 2005 schon seit drei Monaten keiner Beschäftigung nachgegangen war, sei eine positive Erwerbsprognose nicht mit hinreichender Sicherheit möglich, rechtlich nicht zu beanstanden, zumal Zweifel an der Sicherung des Lebensunterhalts zu Lasten des Betroffenen gehen (BVerwG, U.v. 23.3.2017 – 1 C 14/16 – juris Rn. 15).
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Auf die Frage, ob der Kläger noch über ausreichenden Krankenversicherungsschutz verfügt hatte bzw. bei einer Rückkehr als Bezieher von Arbeitslosengeld I verfügt hätte, kommt es nach alledem nicht mehr entscheidungserheblich an.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).