Titel:
Voraussetzungen für Kürzung der Sachverständigenvergütung nach § 8a Abs. 3, 4 JVEG
Normenketten:
JVEG § 4 Abs. 1 S. 1, § 8a Abs. 3, Abs. 4
BGB § 138
Orientierungsätze:
Eine Überschreitung des angeforderten Auslagenvorschusses in Höhe von 20% stellt keine überhebliche Überschreitung im Sinne von § 8a Abs. 4 JVEG dar. (Rn. 4)
Die Sachverständigenvergütung steht frühestens und erst dann in einem erheblichen Missverhältnis zum Streitwert im Sinne von § 8a Abs. 3 JVEG, wenn der Streitwert um das Doppelte überschritten wird. Der Rechtsgedanke des BGH zur Auslegung eines "auffälligen Missverhältnisses" im Sinne des § 138 Abs. 2 BGB ist entsprechend anzuwenden. Wenn bereits bei einem (sittenwidrigen) Wuchergeschäft ein Missverhältnis erst beim Überschreiten des Doppelten angenommen werden kann, so darf bei einer rechtmäßigen Beweisaufnahme im Rahmen eines Zivilprozesses kein strengerer Maßstab gelten. (Rn. 9 und 15 – 17)
Schlagworte:
Festsetzung Sachverständigenvergütung, Kürzung Sachverständigenvergütung, Auslagenvorschussüberschreitung, Missverhältnis zwischen Streitwert und Vergütung, Sachverständigenvergütung
Fundstellen:
JurBüro 2024, 376
BeckRS 2024, 13693
Tenor
Die Vergütung des Sachverständigen betreffend die Erstellung des Sachverständigengutachtens vom 05.02.2024 wird auf 5.994,26 € festgesetzt.
Gründe
1
Die Festsetzung erfolgt gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 JVEG.
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Der Vergütungsanspruch war nicht gemäß § 8a Abs. 4 JVEG zu kürzen.
3
Der angeforderte Auslagenvorschuss betrug mittlerweile insgesamt 5.000,00 €. Dieser wurde lediglich um 994,26 € überschritten.
4
Eine Überschreitung von ca. 20% stellt keine erhebliche Überschreitung dar.
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Aus diesem Grund musste der Sachverständige darauf auch nicht hinweisen.
6
Der Vergütungsanspruch war nicht gemäß § 8a Abs. 3 JVEG zu kürzen.
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Zunächst hat der Sachverständige aus Sicht des Gerichts rechtzeitig darauf hingewiesen, dass der Auslagenvorschuss nicht ausreichend ist.
8
Eine weitergehende Hinweispflicht bestand nicht, insbesondere weil die Vergütung gerade nicht erheblich außer Verhältnis zum Streitgegenstandswert steht.
9
1. § 8a Abs. 3 JVEG ist auszulegen.
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Der Wortlaut der Vorschrift gibt nicht an, ab wann von einem Missverhältnis zwischen Streitwert und Vergütung auszugehen ist.
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Eine Auslegung nach Sinn und Zweck der Vorschrift ergibt lediglich, dass ein einfaches Missverhältnis nicht ausreicht. Viel mehr bedarf es eines „erheblichen“ Missverhältnisses.
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Eine systematische Auslegung mit Blick auf eine ähnliche Problematik bei § 138 Abs. 2 BGB ergibt folgendes:
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§ 138 Abs. 2 BGB stellt für einen Wucher darauf ab, ob ein „auffälliges Missverhältnis“ zwischen Leistung und Gegenleistung besteht. Der BGH hat in diesem Zusammenhang ein „auffälliges“ Missverhältnis angenommen, wenn die vom Schuldner zu erbringende Leistung um 100% über dem Marktpreis liegt (vgl. Grüneberg/Ellenberger, Bürgerliches Gesetzbuch, 82. Aufl. 2023, BGB § 138 Rn. 67).
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Überträgt man diesen höchstrichterlichen Rechtsgedanken auch auf die vorliegende Konstellation, darf nichts anderes gelten. Die Formulierung „erheblich außer Verhältnis“ und „auffälliges Missverhältnis“ drücken im Ergebnis den gleichen Maßstab aus.
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Aus diesem Grund ist davon auszugehen, dass ein Missverhältnis frühestens dann angenommen werden kann, wenn der Streitwert um das Doppelte überschritten wird.
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Der Rechtsgedanke des § 138 Abs. 2 BGB lässt sich auch übertragen, weil es bei beiden Vorschriften letztlich um die Frage eines angemessenen Verhältnisses zweier Gegenstände handelt.
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Etwaigen anderen Ansichten schließt sich das Gericht nicht an. Wenn bereits bei einem (sittenwidrigen) Wuchergeschäft ein Missverhältnis erst beim Überschreiten des Doppelten angenommen werden kann, so darf bei einer rechtmäßigen Beweisaufnahme im Rahmen eines Zivilprozesses kein strengerer Maßstab gelten. Der redliche Sachverständige darf nicht schlechter stehen als jemand, der in unsittlicher Weise gegen die guten Sitten verstößt.
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2. Unter Anwendung dieser Grundsätze ist noch lange kein erhebliches Missverhältnis erreicht.
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Die Sachverständigenvergütung bleibt bislang sogar hinter dem Streitwert in Höhe von 6.645,46 € zurück.