Titel:
Nachbarklage gegen Errichtung eines Einfamilienhauses mit Doppelgarage
Normenketten:
GG Art. 14 Abs. 1 S. 1
BauGB § 34 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Eine etwaige Schadhaftigkeit eines Abwasserkanals lässt die Eigenschaft als öffentliche Entwässerungsanlage nicht entfallen. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Hinblick auf Belästigungen und Störungen des Nachbarn durch ein Bauvorhaben bestimmen die einfachgesetzlichen Regelungen den Umfang und Grenzen des Nachbarschutzes umfassend, sodass neben dem Rücksichtnahmegebot für weitergehende Ansprüche aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG kein Raum ist. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gebot der Rücksichtnahme, Gesicherte Erschließung hinsichtlich Abwasserbeseitigung, Nachbarklage, Baugenehmigung, Nachbarschutz, Rücksichtnahmegebot, Abwasserkanal, öffentliche Entwässerungsanlage
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 24.02.2022 – M 11 K 19.5098
Fundstelle:
BeckRS 2024, 1367
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Der Kläger wendet sich gegen die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Errichtung eines Einfamilienhauses mit Doppelgarage auf einer vormaligen Teilfläche des Grundstücks FlNr. …, Gemarkung S. …, nunmehr Grundstück FlNr. …2, das von dem Geltungsbereich des einfachen Bebauungsplans „E. …straße A. …“ berührt wird. Er ist Eigentümer des mit einem landwirtschaftlichen Stadel bebauten Grundstücks FlNr. …, das getrennt durch eine Freifläche auf dem Grundstück FlNr. …3 südöstlich des Vorhabengrundstücks liegt.
2
Den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner gegen die Baugenehmigung erhobenen Klage hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 12. Februar 2020 (M 11 SN 19.5100) abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat der Senat mit Beschluss vom 21. Juni 2020 (1 CS 20.576) zurückgewiesen.
3
Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Es könne offenbleiben, ob der Kläger, dessen Grundstück nicht unmittelbar an das Baugrundstück angrenze, überhaupt in nachbarlichen Rechten verletzt sein könne. Die Klage sei jedenfalls unbegründet. Die Baugenehmigung verletze keine Nachbarrechte. Dem planungsrechtlichen Erfordernis einer gesicherten Erschließung komme grundsätzlich keine nachbarschützende Funktion zu. Es könne dahinstehen, ob durch eine nicht einwandfrei gesicherte Abwasserbeseitigung wegen der Überlastung einer Erschließungsanlage das Gebot der Rücksichtnahme verletzt sein könne. Denn hier sei nach dem Vortrag des Klägers nicht von einer Überlastung der Erschließungsanlage aufgrund Erreichens der Kapazitätsgrenze, sondern von deren Schadhaftigkeit auszugehen. Eine etwaige Schadhaftigkeit des Kanals sei nicht Gegenstand der Prüfung im vereinfachten Genehmigungsverfahren und damit nicht von der Feststellungswirkung erfasst, sodass eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme durch die Baugenehmigung nicht in Betracht komme.
4
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegen nicht vor bzw. sind nicht dargelegt.
5
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist hier nicht der Fall.
6
Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Baugenehmigung den Kläger nicht in nachbarschützenden Rechten verletzt. Das Zulassungsvorbringen zeigt einen Verstoß der Baugenehmigung gegen nachbarschützende Vorschriften nicht auf. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug auf seine Ausführungen im Beschluss vom 21. Juni 2020. Nach der Begründung der Klage ist der Entwässerungskanal bereits seit längerem beschädigt und es soll bereits in der Vergangenheit auch ohne das streitgegenständliche Vorhaben regelmäßig zu Überschwemmungen auf seinem Grundstück gekommen sein. Die Ursache der vom Kläger geltend gemachten Beeinträchtigung geht daher nicht von dem mit der Baugenehmigung zugelassenen Bauvorhaben aus, sondern von einem etwaig schadhaften Kanal, sodass keine vorhabenbedingte Überlastung der Erschließungsanlage vorliegt. Im Übrigen ist auch nicht dargelegt, dass es infolge des Vorhabens, das bereits realisiert und seit September 2020 bezogen ist, zu einer Verschlechterung der Situation auf dem Grundstück des Klägers gekommen ist. Dass die Kapazität der öffentlichen Entwässerungsanlage grundsätzlich nicht ausreichen würde, ist insbesondere vor dem Hintergrund, dass die fachkundige Stelle Wasserwirtschaft beim Landratsamt ihr Einverständnis zur Einleitung des Niederschlagswassers in den öffentlichen Abwasserkanal erteilt hat, nicht hinreichend substantiiert dargetan. Die Schadhaftigkeit des Kanals ist nicht Prüfungsgegenstand des Baugenehmigungsverfahrens. Eine etwaige Schadhaftigkeit des Kanals lässt die Eigenschaft als öffentliche Entwässerungsanlage nicht entfallen. Es ist dem Kläger zumutbar, sich an die Gemeinde, die nach dem vorgelegten Zeitungsbericht an einem Sanierungskonzept arbeitet, zur Behebung etwaiger Schäden am öffentlichen Kanalnetz zu wenden. Soweit der Kläger geltend macht, dass möglicherweise eine Verletzung in seinem Eigentumsgrundrecht vorliege, lässt er unberücksichtigt, dass im Hinblick auf Belästigungen und Störungen des Nachbarn durch ein Bauvorhaben die einfachgesetzlichen Regelungen den Umfang und Grenzen des Nachbarschutzes umfassend bestimmen, sodass neben dem Rücksichtnahmegebot für weitergehende Ansprüche aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG kein Raum ist (vgl. BVerwG, U.v. 26.9.1991 – 4 C 5.87 – BVerwGE 89, 69).
7
2. Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich zugleich, dass die Streitsache keine besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aufweist, die eine Zulassung der Berufung erforderlich machen würden.
8
Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen, da sein Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO). Es entspricht der Billigkeit, ihm auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen nach § 162 Abs. 3 VwGO aufzuerlegen. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
9
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).