Inhalt

OLG Bamberg, Urteil v. 25.04.2024 – 1 U 180/23 e
Titel:

Prämienanpassung in der privaten Krankenversicherung - Nachprüfung der Limitierungsentscheidung

Normenketten:
VVG § 203 Abs. 2, Abs. 5
VAG § 155
BGB § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1
Leitsätze:
1. Im Rechtsstreit über die Wirksamkeit einer Beitragsanpassung in der privaten Krankenversicherung muss das Gericht dem Einwand des Versicherungsnehmers, dem Treuhänder seien die erforderlichen Unterlagen nicht vollständig vorgelegt worden, nicht nachgehen, wenn dieser nicht zugleich die kalkulatorische Richtigkeit der Beitragsanpassung angreift (Anschluss an OLG Köln BeckRS 2023, 14927 Rn. 13 ff.; OLG Nürnberg BeckRS 2023, 3605 Rn. 19 ff.). (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Fehlerhaftigkeit einer an § 155 Abs. 2 VAG zu messenden Limitierungsmaßnahme lässt die materielle Wirksamkeit einer Prämienanpassung, die im Übrigen auf einer den Anforderungen des § 155 Abs. 1 VAG entsprechenden Nachkalkulation beruht, unberührt. Die Fehlerhaftigkeit der Limitierungsentscheidung führt lediglich dann zu einer Anpassung der vom Versicherungsnehmer geschuldeten Prämie, soweit dieser durch die fehlerhafte Limitierungsentscheidung konkret beeinträchtigt ist (Anschluss an BGH BeckRS 2024, 7981). (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Versicherungsnehmer trägt die Beweislast dafür, dass die Limitierungsentscheidung den Anforderungen des § 155 Abs. 2 VAG nicht entspricht und er hierdurch in seinen Rechten beeinträchtigt ist (Anschluss an BGH BeckRS 2024, 7981). (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
4. Zu den Anforderungen an die formelle Rechtmäßigkeit von Prämienanpassungen in der privaten Krankenversicherung. (Rn. 12 – 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Krankenversicherung, Prämienanpassung, Beitragsanpassung, Treuhänder, Unterlagen, Vollständigkeit, Limitierungsmaßnahmen
Vorinstanz:
LG Bayreuth, Endurteil vom 28.09.2023 – 24 O 86/23
Fundstelle:
BeckRS 2024, 13617

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Bayreuth vom 28.09.2023, Az. 24 O 86/23, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Dieses Urteil und das in Ziffer 1 genannte Endurteil des Landgerichts Bayreuth sind jeweils ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 ZPO abgesehen, weil ein Rechtsmittel gegen dieses Urteil nicht gegeben ist.
II.
2
Die im Hinblick auf die Klageerweiterung gemäß §§ 525, 264 Abs. 1 Nr. 2 ZPO und auch im übrigen gemäß § 511 ff. ZPO zulässige Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Bayreuth vom 28.09.2023 ist unbegründet. Das Erstgericht ist mit überwiegend zutreffender Begründung und im Ergebnis vollständig zu Recht zu der Feststellung gekommen, dass dem Kläger gegenüber der Beklagten keiner der geltend gemachten Zahlungs- und Feststellungsansprüche zusteht.
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Zur Vermeidung von Wiederholungen wird daher zunächst auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen und im Hinblick auf das Berufungsvorbringen nur noch ergänzend folgendes ausgeführt:
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1. Wie von der Beklagten zu Recht vorgetragen, sind sämtliche mit Klageschrift vom 07.02.2023 geltend gemachten Ansprüche hinsichtlich der bis zum 31.12.2019 erfolgten Beitragszahlungen gemäß §§ 195, 199 BGB nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. BGH, Urteile vom 17.11.2021, Az. 113/20 und vom 22.06.2022, Az. IV ZR 193/20, aktuell bestätigt durch Beschluss vom 25.10.2023, Az. IV ZR 310/02) zweifelsfrei verjährt. Nachdem das vorgenannte Urteil des Bundesgerichtshofes vom 22.06.2022, Az. IV ZR 193/20, auch klägerseits bereits mit Klageschrift (dort auf S. 12) und zudem in der Berufungsbegründungsschrift (dort auf S. 33) zitiert worden und somit den Prozessbevollmächtigten des Klägers offensichtlich bereits bekannt ist, erübrigen sich zu der dennoch hiervon abweichend vorgetragenen Rechtsansicht des Klägers jegliche weiteren Ausführungen.
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2. Der Argumentation der Berufung zur materiellen Unwirksamkeit aller gegenständlichen Anpassungen wegen Unzulänglichkeiten des Treuhänderverfahrens und (angeblicher) Fehlerhaftigkeit der Limitierungsmittelvergabe kann ebenfalls nicht gefolgt werden.
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a) Zur klägerischen Argumentation bezüglich der Unvollständigkeit der Treuhänderunterlagen gilt Folgendes: Wenn – wie hier – ausdrücklich nicht gleichzeitig die Richtigkeit der versicherungsmathematischen Kalkulationen bestritten wird, ist die Frage der Vollständigkeit der dem Treuhänder zur Verfügung gestellten Unterlagen durch die Zivilgerichte in Prämienanpassungsverfahren nicht isoliert zu überprüfen, denn diese betrifft nicht die formelle oder materielle Wirksamkeit der Beitragsanpassungen als solcher, sondern ist Teil der aufsichtsrechtlichen Aufgaben des Treuhänders, die von der Aufsichtsbehörde zu kontrollieren sind (vgl. OLG Köln, Urteil vom 10.02.2023, Az. 20 U 355/22, Rn. 13 ff.; OLG Nürnberg, Beschluss vom 07.03.2023, Az. 8 U 3056/22, Rn. 20 ff., jeweils unter Bezugnahme auf BGH, Urteil vom 19.12.2018, Az. IV ZR 255/17). Dem pauschalen Einwand des Klägers, dem Treuhänder hätten die erforderlichen Unterlagen nicht vollständig vorgelegen, war daher von vornherein nicht nachzugehen.
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b) Soweit der Kläger erstinstanzlich außerdem vorgetragen hat, dass auch die Rechtmäßigkeit der Limitierungsmaßnahmen für die streitgegenständlichen Beitragsanpassungen bestritten werden solle, dringt er damit ebenfalls nicht durch.
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aa) Der Berufung ist zuzugeben, dass im Rückforderungsprozess prinzipiell der Versicherungsnehmer nicht das Fehlen einer materiell wirksamen Prämienerhöhung als Rechtsgrund für die Zahlung der erhöhten Beiträge darzulegen braucht, sondern umgekehrt der Versicherer darzulegen und zu beweisen hat, dass die Voraussetzungen für die erhöhte Prämie erfüllt sind (vgl. BGH, Urteil vom 22.06.2022, Az. IV ZR 193/20, Rn. 51; Beschlüsse vom 25.10.2023, Az. IV ZR 310/22, Rn. 14; Az. IV ZR 330/22, Rn. 16).
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bb) Allerdings hat der Kläger gerade nicht die materiellen Grundlagen der Neukalkulation der Beiträge anhand der geänderten Rechnungsgrundlagen (§ 155 Abs. 1 VAG) in Frage gestellt, sondern in beiden Instanzen explizit ausschließlich die Rechtmäßigkeit der in einem zweiten Schritt erfolgenden Limitierungsmittelvergabe (§ 155 Abs. 2 VAG) angezweifelt. Diesbezüglich trägt nach neuester höchstrichterlicher Rechtsprechung der Versicherungsnehmer die Beweislast dafür, dass die Limitierungsentscheidung den Anforderungen des § 155 Abs. 2 VAG nicht entspricht und er hierdurch in seinen Rechten beeinträchtigt ist (BGH, Urteil vom 20.03.2024, Az. IV ZR 68/22). Zudem sind bei einer gerichtlichen Kontrolle der Limitierungsmaßnahmen lediglich besonders schwerwiegende Verstöße gegen die schutzwürdigen Interessen der Versicherten geeignet, einen materiellen Verstoß gegen den sich aus § 155 Abs. 2 VAG ergebenden Prüfungsmaßstab zu begründen. Die Fehlerhaftigkeit einer Limitierungsmaßnahme lässt die materielle Wirksamkeit einer Prämienanpassung, die im Übrigen auf einer den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Nachkalkulation beruht, unberührt und führt lediglich dazu, dass dem einzelnen Versicherungsnehmer, soweit er dadurch konkret beeinträchtigt ist, ein individueller Anspruch auf (weitere) Limitierung, d. h. auf dauerhafte Absenkung seiner Prämie zustehen kann (BGH, Urteil vom 20.03.2024, Az. IV ZR 68/22).
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cc) Sowohl in den erstinstanzlichen Schriftsätzen als auch in der Berufungsbegründung fehlt es an hinreichendem Sachvortrag, um eine gerichtliche Überprüfung der Limitierungsmittelvergabe auszulösen. Der Kläger hat weder besonders schwerwiegende Verstöße gegen die schutzwürdigen Interessen der Versicherten noch eine tatsächliche Beeinträchtigung in eigenen Rechten konkret behauptet. Damit konnte auch keine sekundäre Darlegungslast des Beklagten ausgelöst werden.
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Ein Verstoß gegen den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG liegt damit nicht vor.
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3. Erfolglos bleibt die Berufung außerdem, soweit der Kläger die formelle Rechtmäßigkeit der Beitragsanpassungen für die Jahre 2014, 2015, 2016 und 2017 bestritten hat. Daher ergibt sich auch insofern kein Zahlungsanspruch des Klägers aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB. Ebenso sind die hierauf gerichteten Feststellungsanträge unbegründet.
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a) Zunächst ist festzustellen, dass es hinsichtlich der formellen Wirksamkeit der in den Jahren 2014 bis einschließlich 2017 vorgenommenen Beitragsanpassungen schon an einem ausreichenden Berufungsangriff gemäß § 520 Abs. 3 Nr. 3 ZPO fehlt. Die Berufungsbegründung setzt sich insoweit mit keinem Wort konkret mit den erstinstanzlich zutreffenden und ausführlich begründeten Darlegungen auseinander, sondern wiederholt nur wortgleich identisch den mit der Klageschrift auf den Seiten 22 bis 35 bereits hierzu erfolgten Vortrag, sodass an sich keine weiteren Ausführungen hierzu veranlasst sind.
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b) Dennoch und in der gebotenen Kürze führt der Senat zu den zum 01.03.2014 und zum 01.03.2017 vorgenommenen Beitragsanpassungen auch unter Bezugnahme seiner den Prozessbevollmächtigten der Parteien bereits aus vorangegangenen Verfahren bekannten Rechtsansicht (vgl. z.B.: Az. 1 U 265/22 und Az. 1 U 90/23) nur noch ergänzend folgendes aus:
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aa) Ob die Mitteilung einer Prämienanpassung den gesetzlichen Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG genügt, hat der Tatrichter im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden (ständige Rechtsprechung des BGH, vgl. Urteil vom 16. Dezember 2020, Az. IV ZR 294/19; Urteil vom 17.11.2021, Az. IV ZR 113/20, Rn. 24 und zuletzt Beschlüsse vom 17.01.2024, Az. IV ZR 309/22, Rn. 12 und Az. IV ZR 419/22, Rn.12; jew. m. w. N.). Dabei ist eine Gesamtbetrachtung von Anschreiben, Versicherungsschein und Informationsbeilage vorzunehmen (vgl. BGH, Urteil vom 09.02.2022, Az. IV ZR 337/20, Rn. 31, und zuletzt Beschlüsse vom 17.01.2024, Az. IV ZR 309/22, Rn. 12 und Az. IV ZR 419/22, Rn.12).
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bb) Die maßgebliche Rechnungsgrundlage Versicherungsleistungen ist in den jeweiligen Mitteilungen hinreichend deutlich genannt. So heißt es auf der Rückseite des Schreibens vom 28.01.2014 (Anl. B 3-1) unter der Überschrift „Rechtsgrundlage für die Anpassung infolge der Kostenentwicklung“: „Voraussetzung für eine Beitragsanpassungen ist gem. § 8 b der Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB), dass die erforderlichen Versicherungsleistungen die kalkulierten um 10% übersteigen. […] Die Anpassungen bedürfen der Zustimmung eines unabhängigen Treuhänders, der die Rechte und Interessen der Versicherten vertritt. Die Zustimmung des Treuhänders liegt vor.“ Bei der Mitteilung zur Beitragsanpassung zum 01.03.2017 findet sich der einschlägige Text bereits auf Seite 1 des Anschreibens vom 26.01.2017 (Anl. B 3-4), in welchem es auszugsweise heißt: „Damit Ihre Leistungen dauerhaft gesichert sind, müssen wir die Prämien jedes Jahr überprüfen. Dabei vergleichen wir, ob die Ausgaben für die Leistungen [als Synonym für die Rechnungsgrundlage Versicherungsleistungen, vgl. BGH, Urteil vom 16.12.2020, Az. IV ZR 314/19, Rn. 37] höher oder niedriger sind als erwartet. Weicht dieser Vergleich um einen vertraglich festgelegten Prozentsatz (je nach Tarif 5% oder 10%) ab, werden die Beiträge angepasst. Dies ist gesetzlich vorgeschrieben. … Ein unabhängiger Treuhänder muss die Voraussetzungen für die Beitragsänderung vorher überprüfen und bestätigen. Er hat der Anpassung zugestimmt.“
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cc) Der Tarifbezug ergibt sich jeweils daraus, dass zum einen die Informationen ausweislich der Überschriften in den Anschreiben und Mitteilungsblättern ganz konkret die Beitragsanpassungen zum März des jeweiligen Jahres betreffen und zum anderen, dass aus den Versicherungsscheinen ersichtlich ist, bei welchen Tarifen eine Beitragsänderung stattgefunden hat.
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dd) In den Mitteilungen ist gemäß den oben zitierten Passagen der Schwellenwertmechanismus explizit erläutert. Zudem wird auf die erteilte Zustimmung des Treuhänders verwiesen. Den Mitteilungen lässt sich daher im Gesamtzusammenhang (noch) hinreichend deutlich entnehmen, dass die jeweilige konkrete Beitragsanpassung durch eine relevante Schwellenwertüberschreitung (allein) der maßgeblichen Rechnungsgrundlage Versicherungsleistungen ausgelöst worden ist (vgl. dazu BGH, Urteile vom 09.02.2022, Az. IV ZR 337/20, Rn. 30; vom 31.08.2022, Az. IV ZR 252/20, Rn. 13; vom 21.07.2021, Az. IV ZR 191/20, Rn. 26).
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ee) Dass die Veränderung der Versicherungsleistungen nicht nur als vorübergehend anzusehen ist, ergibt sich zwanglos aus dem Gesamtkontext der Anschreiben und Informationsblätter, in denen langfristige Entwicklungen skizziert und nicht etwa Einmaleffekte o. Ä. dargestellt werden.
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ff) Der Senat bewertet die Mitteilungen ohne weiteres als hinreichend klar, verständlich und widerspruchsfrei. Insbesondere umfassen sie lediglich zwei Seiten (eine Seite Anschreiben, eine Seite Informationsblatt) zuzüglich Versicherungsschein und sind damit auch vom Umfang her überschaubar.
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c) Nachdem die formelle Wirksamkeit der weiteren Beitragsanpassungen ab dem 01.03.2018 klägerseits nicht bestritten worden und somit auch in der Berufungsinstanz als unstreitig zu Grunde zu legen ist, kommt es auf die formelle Wirksamkeit der Prämienänderungen im Tarif BA 30 zum 01.03.2015 in Höhe von 7,54 € und im Tarif im KHTB 25,00 zum 01.03.2016 in Höhe von 0,96 € nicht mehr an. Denn im Tarif BA 30 ist durch die unstreitig formell wirksame Folgeanpassung zum 01.03.2018 und im Tarif KHTB 25,00 durch die unstreitig formell wirksame Folgeanpassung zum 01.03.2019 jeweils eine Neukalkulation erfolgt, welche die früheren Kalkulationen überholt hat (vgl. dazu BGH, Urteil vom 16.12.2020, Az. IV ZR 314/19, Rn. 54). Infolgedessen kommen bezüglich dieser früheren Beitragsänderungen keine Ansprüche des Klägers (namentlich Rückzahlungsansprüche gemäß condictio indebiti, § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB) mehr in Betracht – auch nicht im Hinblick auf Nutzungsersatz, § 217 BGB.
III.
22
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
23
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) sind nicht erfüllt. Der Sache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Soweit Rechtsfragen zu beantworten waren, weicht der Senat nicht von der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung ab. Es handelt sich um eine im Rahmen tatrichterlicher Würdigung getroffene Entscheidung unter Berücksichtigung der Umstände und Besonderheiten des konkreten Einzelfalls.