Titel:
Voraussetzungen einer die steuerliche Mitunternehmerstellung auslösenden Ehegatteninnengesellschaft
Normenketten:
AO § 34 Abs. 2, § 90 Abs. 1, § 149 Abs. 1, § 150 Abs. 2, § 180 Abs. 1 Nr. 2, § 181, § 370 Abs. 1 Nr. 2
EStG § 15, § 25
GewStG § 5, § 14a
UStG § 18
BGB § 705
Leitsatz:
Wesentliche Voraussetzung für die Annahme einer durch schlüssiges Verhalten zustande gekommenen Ehegatteninnengesellschaft ist ein über die Verwirklichung der Ehegemeinschaft hinausgehender Zweck, wie er etwa vorliegt, wenn die Eheleute durch den Einsatz von Vermögenswerten und Arbeitsleistungen gemeinsam ein Unternehmen aufbauen oder gemeinsam eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausüben. Ferner muss die Tätigkeit des mitarbeitenden Ehegatten von ihrer Funktion her als gleichberechtigte Mitarbeit anzusehen sein; er muss für die Gesellschaft einen nennenswerten und für den erstrebten Erfolg bedeutsamen Beitrag geleistet haben. (Rn. 17 – 25) (red. LS Alexander Kalomiris)
Schlagworte:
Steuerhinterziehung, Mitunternehmerstellung, Ehegatteninnengesellschaft, schlüssiges Verhalten, gleichberechtigte Mitarbeit, Innengesellschaft
Vorinstanz:
LG München I, Urteil vom 16.10.2023 – 15 Ns 65 Js 46761/20
Fundstelle:
BeckRS 2024, 13562
Tenor
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 16. Oktober 2023 hinsichtlich der Höhe der Tagessätze mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Übrigen wird die Revision des Angeklagten als unbegründet verworfen.
II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts München I zur erneuten Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zurückverwiesen.
Gründe
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Das Amtsgericht hat den Angeklagten mit Urteil vom 11. November 2022 der gemeinschaftlichen Steuerhinterziehung mit der Mitangeklagten in 10 Fällen schuldig gesprochen und gegen ihn eine Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 2 Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung sowie zusätzlich eine Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 60 Euro verhängt. Ferner hat es die Einziehung von 127.439,64 Euro angeordnet.
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Auf die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht mit Urteil vom 16. Oktober 2023 unter Verwerfung der Berufung im Übrigen das Strafmaß gegen den Angeklagten auf eine Gesamtgeldstrafe von 300 Tagessätzen zu je 50 Euro reduziert.
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Gegen diese Verurteilung wendet sich die auf formelle und materielle Rügen gestützte Revision des Angeklagten mit dem Antrag, das landgerichtliche Urteil aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen.
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Die Mitangeklagte hat nicht revidiert.
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Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Vorlageschreiben vom 24. April 2024 beantragt,
die Revision als unbegründet kostenpflichtig zu verwerfen.
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Der Angeklagte hat hierauf mit Schreiben vom 6. Juni 2024 erwidert.
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Der Verurteilung liegen folgende Feststellungen zu Grunde:
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Die Mitangeklagte – seinerzeit mit dem Angeklagten verheiratet – meldete am 01.02.2008 beim Gewerbeamt eine Einzelfirma an, deren Name sich aus den Anfangssilben der Vornamen beider Angeklagter mit dem Zusatz „Catering“ zusammensetzte. Geschäftszweck war die Durchführung von Veranstaltungen, Catering und Imbiss. Entgegen dem äußeren Anschein der behördlichen Anmeldung wurde das Gewerbe nicht von der Mitangeklagten allein, sondern von beiden Angeklagten zusammen in Form einer Ehegatteninnengesellschaft betrieben. Die Anmeldung des Unternehmens als alleiniger Gewerbebetrieb der Mitangeklagten erfolgte lediglich deshalb, weil der Angeklagte aufgrund eines gegen sein ehemaliges Unternehmen laufenden Insolvenzverfahrens kein eigenes Unternehmen mehr anmelden konnte. Aus dem (insolventen) Unternehmen des Angeklagten übernahmen die Eheleute mehrere Aufträge und betrieben zusammen durch den gemeinsamen Einsatz von Vermögenswerten und Arbeitsleistungen ein Unternehmen, welches über die Verwirklichung ihrer ehelichen Lebensgemeinschaft hinausging. Die Angeklagten hatten ihre Aufgaben derart aufgeteilt, dass der Angeklagte, der bei einem bekannten „Sternekoch“ gelernt hatte, in erster Linie für Küche und Einkauf zuständig war, während die Mitangeklagte vorwiegend Aufgaben der Verwaltung und Organisation wahrnahm. Das Unternehmen erwirtschaftete erhebliche Umsätze und Gewinne. In den Veranlagungsjahren 2011 bis 2014 gaben die Angeklagten keine Feststellungs-, Einkommens-, Gewerbe- und Umsatzsteuererklärungen ab und verkürzten dadurch Steuern in Höhe von insgesamt 174.060,69 Euro. Der Angeklagte kümmerte sich nicht um die Erstellung und Abgabe der Steuererklärungen. Er nahm sowohl die Verletzung der Steuererklärungspflichten als auch die eingetretenen Steuerverkürzungen billigend in Kauf.
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Die zulässige Revision erweist sich lediglich hinsichtlich der festgesetzten Tagessatzhöhe von 50 Euro als begründet, im Übrigen als unbegründet.
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1. Die formellen Rügen greifen nicht durch:
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a) Die formelle Rüge der Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes gem. § 338 Nr. 6 StPO ist schon deshalb unzulässig, weil die Revision das Geschehen unvollständig schildert. Sie behauptet, nachdem auf Grund eines (im Sitzungsaal unbemerkten) Feueralarms der Eingang des Strafjustizzentrums geschlossen gewesen sei, sei „eine Heilung (…) nicht erfolgt“. Der in „nicht öffentlicher Hauptverhandlung durchgeführte Teil der Haupthandlung (sei) nicht wiederholt oder sonst geheilt“ worden (Rev.Begr. S. 46). Ausweislich der dienstlichen Stellungnahmen sowohl des Vorsitzenden als auch des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft, denen die Revision nicht widersprochen hat, wurden jedoch – nachdem der Feueralarm nach seiner Aufhebung im Sitzungssaal bemerkt wurde – die gegenständlichen „letzten Minuten“ der Hauptverhandlung „wiederholt“ (Vorsitzender) bzw. „zusammengefasst“ (Sitzungsvertreter). Dies wird von der Revision verschwiegen, was sie bereits unzulässig macht (BGH, Beschluss vom 21. November 2007 – 1 StR 539/07 –, juris).
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b) Die Aufklärungsrüge (die Urkunde über den „Gesamtvergleich“ zwischen dem Insolvenzverwalter des Angeklagten einerseits und den Eheleuten andererseits sei nicht verlesen worden) greift schon deshalb nicht durch, weil die Revision den Inhalt der Urkunde nicht mitteilt, sondern nur das (erhoffte) Beweisergebnis (Rev.Begr. S. 51 mittig). Überdies stützt das Landgericht, wie die Revision selbst zitiert (Rev.Begr. S. 50), seine Beweiswürdigung gerade auch zum „Gesamtvergleich“ auf die Aussage des Insolvenzverwalters. Es drängte sich für das Landgericht nicht auf, dass dessen Aussage unzutreffend war und die nicht verlesene Urkunde einen anderen Inhalt hatte. Mit dem im Übrigen urteilsfremden Vorbringen kann die Revision nicht durchdringen.
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2. Die Sachrüge hat nur betreffend die festgesetzte Tagessatzhöhe Erfolg, ist im Wesentlichen jedoch unbegründet.
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a) Die Verurteilung wegen Steuerhinterziehung wird von den Urteilsfeststellungen getragen. Der Angeklagte hat die Finanzbehörde pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen und dadurch Steuern verkürzt (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO)
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aa) Die Steuererklärungspflicht des Angekl. folgt aus dessen Mitunternehmerstellung (§§ 34 Abs. 2, 90 Abs. 1, 149 Abs. 1, 150 Abs. 2, 180 Abs. 1 Nr. 2, 181 AO, 15, 25 EstG, 5, 14a GewStG, 18 UStG).
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Die Mitunternehmerstellung des Angeklagten folgt aus der Ehegatteninnengesellschaft, die er mit der Mitangeklagten konkludent gegründet hatte.
17
Anders als die Revision meint, tragen die Urteilsgründe (UA S. 41/44) die festgestellte Ehegatteninnengesellschaft.
18
Maßgeblich ist der Wille der Ehegatten. Dieser ist vorliegend – über die eheliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft hinaus – auf gemeinsam geschaffenes Vermögen, welches den Ehegatten gemeinsam zustehen sollte, gerichtet gewesen (vgl. Koch in Münchner Komm. zum BGB, 9. Aufl. 2023, Rn. 77 zu § 516 BGB).
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Wesentliche Voraussetzung für die Annahme einer durch schlüssiges Verhalten zustande gekommenen Ehegatteninnengesellschaft ist nach der Rechtsprechung des BGH ein über die Verwirklichung der Ehegemeinschaft hinausgehender Zweck, wie er etwa vorliegt, wenn die Eheleute durch den Einsatz von Vermögenswerten und Arbeitsleistungen gemeinsam ein Unternehmen aufbauen oder gemeinsam eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausüben. Das gilt auch dann, wenn das Betreiben des Geschäfts nur der Sicherung des Familienunterhalts dient (BGH, Urteil vom 28. September 2005 – XII ZR 189/02 –, BGHZ 165, 1-11, juris, Rn 13 m. w. N.).
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Eine weitere Voraussetzung stellt das Erfordernis dar, dass die Tätigkeit des mitarbeitenden Ehegatten von ihrer Funktion her als gleichberechtigte Mitarbeit anzusehen ist, auch wenn dieser Gesichtspunkt bei einem Vermögenserwerb im Rahmen einer Ehegatteninnengesellschaft mit Rücksicht auf die unterschiedlichen Möglichkeiten der Beteiligungen nicht überbewertet werden darf, solange nur ein Ehegatte für die Gesellschaft einen nennenswerten und für den erstrebten Erfolg bedeutsamen Beitrag geleistet hat (BGH a. a. O. Rn. 14).
21
Die Ausgleichsansprüche des Angeklagten gegenüber der Mitgesellschafterin (der Mitangeklagten) bei Beendigung der Gesellschaft, welche an den Insolvenzverwalter des Angeklagten im Zuge eines „Gesamtvergleichs“ abgetreten wurden (UA S. 21), mithin nach übereinstimmendem Willen als bestehend anerkannt gewesen sein müssen, sprechen vorliegend deutlich für das Bestehen einer Gesellschaft (vgl. BGH, Beschluss vom 6. März 2024, XII ZB 159/23, WM 2024, 756-759, juris, Rn. 12). Gegen die diesbezügliche, ausführliche Beweiswürdigung des Landgerichts (UA S. 42 unten) ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern.
22
Soweit die Revision einen „Gesellschaftsvertrag“ vermisst, ist darauf hinzuweisen, dass dieser nicht nur ausdrücklich, sondern – wie ausgeführt – auch konkludent geschlossen werden kann. Ein solcher Vertragsschluss wird im angegriffenen Urteil gut begründet festgestellt (UA S. 41/44). Die rechtsfehlerfrei über den vorerwähnten Gesamtvergleich hinaus festgestellten weiteren Umstände, insbesondere
- aus den Vornamen der Angeklagten zusammengesetzter Gesellschaftsname
- Interesse des Angeklagten, auf Grund der Insolvenz nicht nach außen aufzutreten
- Einbringung unterschiedlicher beruflicher Fähigkeiten der Eheleute
- Federführung des Angeklagten in seinem Bereich (der Küche)
- Auftreten nach Außen als „gleichwertig“ und „gemeinsames Familienunternehmen“
- gleichanteilige Miteigentümerstellung an der als Betriebstätte genutzten Immobilie
- gemeinsame Schuldnerstellung gegenüber der finanzierenden Bank
- kein Arbeitsvertrag, insbesondere keine regelmäßigen Zahlungen an den im Unternehmen arbeitenden Angeklagten
- Verfügungsmöglichkeit des Angeklagten über die Firmenkonten
werden vom Landgericht in einer umfassenden Gesamtwürdigung zur Grundlage seiner Feststellung gemacht, dass die Angeklagten eine Ehegatteninnengesellschaft gegründet haben.
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Hierbei kommt es nicht auf einzelne Umstände, die für sich allein das Bestehen einer rechtlich gewollten Gesellschaft nicht zu begründen vermögen, sondern auf die Gesamtschau sämtlicher Umstände an.
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Es bedarf zur Feststellung eines konkludent geschlossenen Vertrages über die Gründung einer Ehegatteninnengesellschaft keiner Abreden der Eheleute über jede Einzelheit des gemeinsamen Unternehmens. Es genügt vielmehr, dass diese sich grundsätzlich darüber einig sind, durch gemeinsames unternehmerisches Wirken einen über das gemeinsame eheliche Wirtschaften hinaus reichenden wirtschaftlichen Zweck zu verfolgen. Die daraus resultierenden rechtlichen Folgen müssen – anders als die Revision meint (Schr. v. 6. Juni 2024) – von den Vertragsparteien nicht bis ins Einzelne geregelt werden oder ihnen auch nur bewusst sein.
25
Die Rügen der Revision decken auch im Übrigen keinen Rechtsfehler auf. So bestand nach den Urteilsfeststellungen – anders als die Revision meint (Rev.Begr. S. 40/42) – durchaus ein (nicht unerhebliches) Mitunternehmerrisiko des Angeklagten. Er war nicht nur als Darlehensschuldner vom Wohl und Wehe des Unternehmens abhängig, sondern auch, weil er – mit der Mitangeklagten zusammen – praktisch ausschließlich von den Unternehmenserträgen lebte. Auch hat er sich seinen eigenen Angaben zufolge den restlichen Veräußerungserlös des gemeinsamen Unternehmens mit der Mitangeklagten geteilt (UA S. 13 Mitte).
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Soweit die Revision Feststellungen des Tatgerichts „bestreitet“ (RevBegr. S. 40) handelt es sich um urteilsfremdes Vorbringen. Es ist im Übrigen nicht Sache des Revisionsgerichts, seine eigene Beweiswürdigung an die des Tatgerichts zu setzen.
27
bb) Der Steuerschaden wird vom Landgericht für die betroffenen Veranlagungsjahre und Steuerarten für das Revisionsgericht nachvollziehbar berechnet (UA S. 26/40).
28
cc) Der bedingte Vorsatz des Angeklagten wird vom Landgericht knapp, aber noch nachvollziehbar bejaht (UA S. 10). Obwohl die Mitangeklagte „vorwiegend Aufgaben der Verwaltung und Organisation wahrnahm“ (UA S. 10 oben), mithin für die Abgabe der Steuererklärungen intern zuständig war, war der Angeklagte seiner eigenen Steuererklärungspflicht nicht enthoben, zumal die Mitangeklagte, wie der Angeklagte wusste, auf Grund bestehender Alkoholprobleme zunehmend unzuverlässig war. Der Angeklagte hat sich – trotz seiner offenkundigen Mitunternehmerstellung – jahrelang nicht um die Erstellung von Steuererklärungen gekümmert, ausweislich der Urteilsfeststellungen nicht einmal nachgefragt. Die Feststellung seines bedingten Vorsatzes ist daher vom Revisionsgericht hinzunehmen.
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Die Revision war daher insoweit als unbegründet zurückzuweisen.
30
b) Die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts sind zur Tagessatzanzahl rechtsfehlerfrei.
31
aa) Die lange Verfahrensdauer wird vom Landgericht zu Recht erheblich strafmildernd berücksichtigt. Dass der Angeklagte härter als die – intern für die Steuererklärungen „eigentlich“ zuständige – Mitangeklagte bestraft wird, lässt sich mit deren umfassendem Geständnis rechtfertigen.
32
bb) Die festgesetzte Tagessatzhöhe von 50 Euro wird von den Urteilsfeststellungen allerdings nicht getragen. Danach verdient der Angeklagte 1400,- bis 1600,- Euro netto. Er ist allein sorgeberechtigt für seinen Sohn, den er gemeinsam mit der Mitangeklagten hat (UA S. 8). Ob er Unterhaltszahlungen erhält, teilt das Urteil nicht mit. Davon ist angesichts der Einkommenslosigkeit der Mitangeklagten (UA S. 7) auch nicht ohne weiteres auszugehen. Darüber hinaus teilt das Urteil mit, dass der Angeklagte hoch verschuldet ist (UA S. 8).
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Das angegriffene Urteil war daher hinsichtlich der Tagessatzhöhe mitsamt den diesbezüglichen Feststellungen aufzuheben und an eine andere Strafkammer des Landgerichts München I zurückzuverweisen, §§ 353 Abs. 2, 354 Abs. 2 StPO.
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Für das weitere Verfahren weist der Senat auf § 42 StGB hin, dessen Voraussetzungen von Amts wegen zu prüfen sind (Fischer, Kommentar zum StGB, 71. Auflage, 2024, Rn. 2 zu § 42).