Inhalt

VG Würzburg, Urteil v. 29.01.2024 – W 6 K 23.30260
Titel:

Erfolglose Asylklage eines ivorischen Staatsangehörigen

Normenketten:
AsylG § 3, § 3e Abs. 1, § 4 Abs. 3, § 10 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
BGB § 187 Abs. 1
VwZG § 3 Abs. 2 S. 2
ZPO § 181 Abs. 1 S. 3, § 222 Abs. 1
VwGO § 57 Abs. 2
EMRK § 3
Leitsätze:
1. Im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung gibt es keine Quellen, die über eine aktuelle Verfolgung von Mitgliedern oder Anhängern der PDCI-RDA berichten, vielmehr wird von einer Annäherung des Parteichefs der PDCI-RDA und Präsident Ouattara berichtet. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es kann wegen der Verbesserung der politischen Lage gerade im Hinblick auf die Tätigkeit der Opposition nicht angenommen werden, dass dem Kläger im Falle einer oppositionellen Betätigung im Rahmen der geltenden Gesetze bei einer Rückkehr in sein Heimatland Verfolgungshandlungen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Annahme einer unmenschlichen Behandlung allein durch die humanitäre Lage und die allgemeinen Lebensbedingungen setzt ein sehr hohes Gefährdungsniveau voraussetzt, wobei entscheidend ist, dass die Person keiner Situation extremer materieller Not ausgesetzt wird, die es ihr unter Inkaufnahme von Verelendung verwehrt, elementare Bedürfnisse zu befriedigen. (Rn. 54) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Elfenbeinküste / Côte d’Ivoire, Klagefrist, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, politische Opposition in Côte d’Ivoire, hier: PDCI-RDA, keine beachtliche Wahrscheinlichkeit von Verfolgung, Änderung der politischen Lage, Asylklage, Elfenbeinküste, Zustellung, Kenntnisnahme, Präsidenten Alassane Ouattara, Oppositionsparteien, PDCI-RDA, Rückkehr, Abschiebungsverbot, humanitäre Situation, materielle Not, Verelendung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 13519

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen die Ablehnung seines Asylantrags und begehrt hilfsweise die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote hinsichtlich Côte d’Ivoire.
2
1. Der Kläger ist ivorischer Staatsangehöriger vom Volk der Baole und christlichen Glaubens. Er reiste am 26. Juli 2022 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 30. August 2022 einen Asylantrag.
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Bei der Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gab der Kläger im Wesentlichen an: Er habe nach der Wahl des ivorischen Präsidenten Outtara im Herbst 2020 gegen diesen protestiert und es dabei sei zu Straßenkämpfen gekommen. Im Februar 2021 habe er erfahren, dass sein Name auf einer Liste von Anhängern Outtaras gestanden habe. Die Regierung habe eine Untersuchung vorgenommen, wer gewalttätig gegen die Wiederwahl Outtaras protestiert habe. Sie hätten nicht seinen ganzen Namen, sondern nur den Vornamen gekannt, aber auch ein Foto von ihm gehabt. Es sei nach ihm gesucht und seine Wohnadresse aufgesucht worden. Er sei aber nicht zu Hause gewesen. Gegen seinen Bruder sei Gewalt ausgeübt worden, damit dieser den Aufenthaltsort des Klägers verrate. Er sei dann am 24. Februar 2021 nach T. geflüchtet, wo er sich bis zur Ausreise aufgehalten habe. Am 1. März 2021 habe man versucht, ihn an seiner Arbeitsstätte in V. aufzufinden. In T. habe er sich drei bis vier Monate aufgehalten. Sein Bruder habe ihm wiederholt telefonisch mitgeteilt, dass Männer in Zivil nach ihm gesucht hätten. Man suche nach ihm, weil er in den Augen der Anhänger Outtaras andere beeinflussen könne und ein Intellektueller sei. Er kenne sehr viele bekannte und einflussreiche Leute in den Oppositionsparteien PDCI und RDA. Im Falle einer Rückkehr fürchte er, in das Gefängnis zu kommen. Er habe zudem noch das Problem, dass die Brüder seines Vaters aufgrund des Erbes seines 2017 verstorbenen Vaters den Tod des Klägers wollten. Bei der Ausreise habe er Unterstützung von Politikern der Opposition erhalten. Er sei am 10. September 2021 mit dem Flugzeug über die Türkei nach Belarus geflogen und von dort am 10. Oktober 2021 mit einem PKW nach Russland gefahren. In Russland sei er bis zum 15. Juli 2022 gewesen und habe auf dem Bau und bei „M.“ gearbeitet. Er sei dann auf dem Landweg über Polen am 26. Juli 2022 nach Deutschland eingereist. In Côte d’Ivoire habe er die Schule mit dem Abitur abgeschlossen und eine Ausbildung in IT für Industrie und Wartung für drei Jahre gemacht, diese aber nicht abgeschlossen. Vor der Ausreise habe er als Dozent in einer privaten Hochschule Informatik und Physik unterrichtet.
4
Mit Bescheid vom 17. März 2023 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1 des Bescheides), Anerkennung als Asylberechtigter (Nr. 2) und die Zuerkennung subsidiären Schutzes (Nr. 3) ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Die Abschiebung nach Côte d’Ivoire wurde angedroht (Nr. 5) und das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
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Ausweislich einer in der Akte befindlichen Postzustellungsurkunde wurde der Bescheid am 23. März 2023 bei der Postagentur in S. … … niedergelegt.
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2. Am 5. Mai 2023 ließ der Kläger Klage erheben und neben Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen:
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 17. März 2023, Geschäftszeichen … wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG zuzuerkennen.
Hilfsweise: Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger subsidiären Schutzstatus gemäß § 4 AsylG zuzuerkennen.
Hilfsweise: Die Beklagte wird verpflichtet, festzustellen, dass zu Gunsten des Klägers ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegt.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt: Dem Kläger sei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da er, wie sich aus der Postliste seiner Gemeinschaftsunterkunft ergebe, den streitgegenständlichen Bescheid tatsächlich erst am 21. April 2023 erhalten habe und daher die Klagefrist unverschuldet versäumt habe. Im Übrigen habe durch die Niederlegung in einer Postfiliale keine wirksame Ersatzzustellung nach § 181 Abs. 1 Satz 1 ZPO erfolgen können, da dies voraussetze, dass eine Zustellung nicht nach § 180 ZPO ausführbar sei. Es sei der Postzustellungsurkunde zu entnehmen, dass die Benachrichtigung über die Niederlegung in den Briefkasten eingeworfen worden sei, weshalb sich die Frage stelle, weshalb nicht auch der Bescheid durch Einlegen in den Briefkasten zugestellt worden sei. Im Übrigen sei auf die Anhörung des Klägers beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu verweisen.
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Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge beantragt für die Beklagte,
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen und weiter ausgeführt: Die Klage sei verfristet. Insbesondere sei der Bescheid vom 17. März 2023 ordnungsgemäß durch Niederlegung am 23. März 2023 zugestellt worden. Mit dem Briefkasten, in den die Mitteilung über die Niederlegung eingeworfen sei, sei wohl der Briefkasten der Gemeinschaftsunterkunft gemeint. Zudem sei eine Ersatzzustellung nach § 180 ZPO in einer Gemeinschaftseinrichtung grundsätzlich nicht vorgesehen und das Vorgehen des Zustellers nicht zu beanstanden.
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3. Auf richterliche Anfrage nahm die Regierung von Unterfranken als Betreiberin der Gemeinschaftsunterkunft, in welcher der Kläger zu Wohnen verpflichtet ist, mit Schreiben vom 6. November 2023 zur Organisation der Postzustellung Stellung und führte aus, dass die Post von der Hausverwaltung entgegengenommen und mit einem Eingangsstempel versehen werde. Es werde eine Postliste mit den Personen, die Post erhalten hätten, erstellt und ausgehändigt. Die Bewohnenden kämen zur Postausgabe und erhielten ihre Post gegen Unterschrift auf der Postliste.
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4. Mit Beschluss vom 21. November 2023 übertrug die Kammer den Rechtsstreit auf den Einzelrichter zur Entscheidung.
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In der letzten mündlichen Verhandlung am 26. Januar 2024 war für die Beklagte niemand erschienen. Der Kläger wurde informatorisch gehört.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Behördenakte und die Protokolle über die mündlichen Verhandlungen am 10. Januar und 26. Januar 2024 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage, über die nach § 102 Abs. 2 VwGO in Abwesenheit eines Vertreters der Beklagten verhandelt und entschieden werden konnte, hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber nicht begründet.
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Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 17. März 2023 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG), subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) oder die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Auch die Abschiebungsandrohung in Nr. 5 und das in Nr. 6 des Bescheides angeordnete und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Das Gericht folgt den Feststellungen und der Begründung im angefochtenen Bescheid und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer nochmaligen Darstellung ab (§ 77 Abs. 3 AsylG). Die Ausführungen decken sich mit der Erkenntnislage des Gerichts (vgl. insbesondere Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Côte d’Ivoire, 10.8.2021; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt Elfenbeinküste (Côte d’Ivoire), Gesamtaktualisierung 28.1.2022).
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Der Kläger hat im gerichtlichen Verfahren nichts vorgetragen, was eine abweichende Beurteilung rechtfertigen würde.
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Ergänzend ist auszuführen:
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1. Über die Klage konnte nach § 102 Abs. 2 VwGO verhandelt und entschieden werden, obwohl für die Beklagte niemand zur mündlichen Verhandlung erschienen ist.
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Die Beklagte wurde mit Schreiben vom 12. Januar 2024 zum Termin am 26. Januar 2024 geladen und hat mit Schriftsatz vom 10. Mai 2023 auf förmliche Zustellung der Ladung gegen Empfangsbekenntnis verzichtet. Die Ladung enthielt den Hinweis, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.
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2. Die Klage ist zulässig.
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Insbesondere ist keine Verfristung eingetreten. Jedenfalls war dem Kläger auf seinen fristgerecht gestellten Antrag hin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da, selbst wenn man von einer ursprünglich verspäteten Klageerhebung ausginge, er ohne sein Verschulden am Einhalten der Klagefrist gehindert war (§ 60 Abs. 1 VwGO).
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Die Klage war vorliegend gemäß § 74 Abs. 1 Hs. 1 AsylG innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des streitgegenständlichen Bescheides zu erheben. Ausweislich der in der Behördenakte befindlichen Postzustellungsurkunde (Bl. 131 f.) wurde der Bescheid am 23. März 2023 durch Niederlegung in einer Postfiliale nach Maßgabe von § 10 Abs. 5 AsylG, § 3 Abs. 2 Satz 2 VwZG, § 181 ZPO zugestellt und eine Mitteilung über die Niederlegung in den zur Unterkunft des Klägers gehörenden Briefkasten eingelegt (§ 181 Abs. 1 Satz 3 ZPO). Der Postzustellungsurkunde kommt als öffentlicher Urkunde dabei volle Beweiskraft über die darin bezeugten Tatsachen zu (§ 418 Abs. 1 ZPO). Grundsätzlich galt der Bescheid daher mit der Abgabe der schriftlichen Mitteilung und damit am 23. März 2023 als zugestellt (§ 181 Abs. 1 Satz 4 ZPO).
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Ausgehend hiervon hätte, da dem Bescheid eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung(vgl. § 58 Abs. 1 VwGO) beigefügt war, die zweiwöchige Klagefrist gemäß § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1 BGB am 24. März 2023 zu laufen begonnen und mit Ablauf des 6. April 2023 (§ 188 Abs. 2 BGB) geendet. Die Klageerhebung am 5. Mai 2023 wäre somit verspätet erfolgt.
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Gleichwohl spricht vorliegend einiges dafür als maßgeblichen Zeitpunkt für den Fristbeginn auf den 21. April 2023 und damit den Tag, an dem aufgrund der im Verfahren vorgelegten Postliste für die Gemeinschaftsunterkunft des Klägers erstmals mit einer Kenntnisnahme von dem Bescheid durch den Kläger vernünftigerweise zu rechnen war, abzustellen (vgl. auch: § 8 VwZG).
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Denn insbesondere unter Berücksichtigung der Ausführungen der Regierung von Unterfranken vom 6. November 2023, welche die vom Kläger bewohnte Gemeinschaftsunterkunft betreibt, ist für den erkennenden Einzelrichter nicht ersichtlich, dass der Kläger vor dem 21. April 2023 überhaupt realistischer Weise Kenntnis vom streitgegenständlichen Bescheid nehmen konnte. Die Regierung von Unterfranken hat ausgeführt, dass die Postzustellung grundsätzlich durch Entgegennahme durch die Hausverwaltung erfolgt und in der Folge eine Postliste erstellt und ausgehängt wird. Unter Berücksichtigung der Angaben in der Postzustellungsurkunde, denen insoweit wie ausgeführt volle Beweiskraft zukommt, war eine Übergabe an den Leiter der Einrichtung oder einen zum Empfang ermächtigten Vertreter nicht möglich, sodass die Zustellung durch Niederlegung erfolgte. Es lässt sich vorliegend nicht mehr weiter aufklären, ob die schriftliche Mitteilung über die Niederlegung erst verspätet aus dem Briefkasten der Unterkunft entnommen oder aus welchen sonstigen Gründen eine Benachrichtigung des Klägers über die Postliste verspätet erfolgt ist. Unklarheiten hierzu gehen zu Lasten der Beklagten.
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Letztlich ergeben sich weder aus den vorgelegten Unterlagen noch den Ausführungen der Regierung von Unterfranken oder der Beklagten Anhaltspunkte, dass der Kläger tatsächlich zu einem früheren Zeitpunkt als dem 21. April 2023 vom streitgegenständlichen Bescheid Kenntnis nehmen konnte, sodass dieser Tag als maßgeblich für den Anlauf der Klagefrist anzusehen ist.
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Die Einreichung der Klage am 5. Mai 2023 erfolgte vor diesem Hintergrund noch fristgerecht.
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Selbst wenn man dies anders sehen wollte, wäre dem Kläger jedenfalls auf seinen fristgerecht (§ 60 Abs. 2 Satz 1 Hs. 1 VwGO) gestellten Antrag hin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand betreffend die Klagefrist zu gewähren gewesen, da nach obigen Ausführungen von einem unverschuldeten Versäumen der Klagefrist auszugehen wäre.
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3. Die Klage ist unbegründet.
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Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG), subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) oder die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Côte d’Ivoire (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Auch die übrigen im Bescheid getroffenen Entscheidungen sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
32
a.) Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG oder Anerkennung als Asylberechtigter (Art. 16a Abs. 1 GG).
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Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge (BGBl 1953 II S. 559, 560), wenn er sich (1.) aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (2.) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, (a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder (b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung ausgehen von (1.) dem Staat, (2.) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder (3.) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Aus § 3a AsylG ergibt sich, welche Handlungen als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten. Zwischen derartigen Handlungen und den in § 3b AsylG näher definierten Verfolgungsgründen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG).
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Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG; vgl. hierzu auch Art. 9 Abs. 1 Buchst. a RL 2011/95/EU – Qualifikationsrichtlinie), oder Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1.) beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG; siehe hierzu auch Art. 9 Abs. 1 Buchst. b Qualifikationsrichtlinie).
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Zudem müssen die genannten Folgen und Sanktionen dem Ausländer im Herkunftsland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung“ des Art. 2 Buchst. d Qualifikationsrichtlinie (vgl. jetzt § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk“), was dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entspricht (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 32 m.w.N.). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG; vgl. hierzu bereits BVerwG, U.v. 5.11.1991 – 9 C 118.90 – juris; BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25.10 – juris).
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Das Gericht muss dabei die volle Überzeugung von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals und hinsichtlich der zu treffenden Prognose, dass dieses die Gefahr politischer Verfolgung begründet, erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu (BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 –, Buchholz 402.25, § 1 AsylVfG Nr. 32). Demgemäß setzt ein Asyl- oder Flüchtlingsanspruch voraus, dass der Schutzsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asyl- bzw. Flüchtlingsbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141/83 –, Buchholz, § 108 VwGO Nr. 147).
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Gemessen hieran hat der Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Insbesondere droht ihm zur Überzeugung des erkennenden Einzelrichters im Falle einer Rückkehr nach Côte d’Ivoire keine Verfolgung aufgrund seiner politischen Überzeugung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit.
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Der Kläger hat im Rahmen der Anhörung beim Bundessamt für Migration und Flüchtlinge und in der mündlichen Verhandlung, insoweit übereinstimmend und grundsätzlich nachvollziehbar, angegeben, Unterstützer bzw. Mitglied der PDCI-RDA („Parti Démocratique de la Côte d’Ivoire – Rassamblement Démocratique Africain“) und damit einer ivorischen Partei der derzeitigen parlamentarischen Opposition zu sein und an Demonstrationen gegen die dritte Amtszeit des amtierenden Präsidenten Alassane Ouattara im Jahr 2020 teilgenommen zu haben.
39
Allein dies führt unter Berücksichtigung der Erkenntnislage zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 AsylG) nicht zur Annahme, dass dem Kläger im Falle einer Rückkehr Verfolgungshandlungen im Sinne von § 3a AsylG aufgrund der Anhängerschaft bzw. Mitgliedschaft bei der PDCI-RDA mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen würden.
40
Eine generelle (Gruppen-)Verfolgung von Anhängern der politischen Opposition in Côte d’Ivoire, auch solchen, die an den Demonstrationen gegen die dritte Amtszeit des amtierenden Präsidenten im Jahr 2020 teilgenommen haben, kann den vorliegenden Erkenntnismitteln nicht entnommen werden. Es ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass sich die innenpolitische Lage in Côte d’Ivoire seit den gewaltsamen Auseinandersetzungen rund um die Wiederwahl des amtierenden Präsidenten Ende des Jahres 2020, welche von der Opposition weitgehend boykottiert wurde, insoweit stabilisiert hat, als dass ein Dialog zwischen Regierung und Opposition stattgefunden hat und die Zivilgesellschaft und politische Opposition seither freier agieren können (Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 4; Freedom House, Freedom in the World Côte d’Ivoire 2023, S. 1 ff.). Insbesondere verliefen die Parlamentswahlen im Jahr 2021 vergleichsweise friedlich, frei, fair, transparent und unter Beteiligung der Opposition und auch im September 2023 abgehaltene Kommunal- und Regionalwahlen verliefen ruhig (Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 4; Freedom House, a.a.O., S. 4; BAMF, Briefing Notes, 11.9.2023, S. 2). Hinsichtlich Anhängern der PDCI-RDA gibt es nach Information des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich keine Quellen, welche über eine aktuelle Verfolgung von Mitgliedern berichten würden. Vielmehr wird von einer Annäherung des Parteichefs der PDCI-RDA und Präsident Ouattara berichtet (BFA, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Elfenbeinküste, Verfolgung von Mitgliedern der PDCI, 30.6.2021). Der UNHCR sieht die Änderung der politischen Lage in Côte d’Ivoire als fundamental, stabil und dauerhaft an und empfiehlt daher die Rücknahme des Flüchtlingsstatusses für ivorische Staatsangehörige (https://www.unhcr.org/news/news-releases/unhcr-recommends-cessation-refugee-status-ivorians; 7.10.2021).
41
Eine andere Sichtweise ergibt sich auch nicht aus dem klägerischen Vorbringen betreffend seine eigene persönliche Situation. Insbesondere konnte der Kläger keine individuell für seine Person gefahrerhöhenden Aspekte schlüssig darlegen, die zu einer abweichenden Beurteilung hinsichtlich der beachtlichen Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung im Falle einer Rückkehr führen würden.
42
Das Gericht stellt dem Kläger, wie oben bereits ausgeführt, nicht in Abrede, dass er Anhänger bzw. Mitglied der Oppositionspartei PDCI-RDA ist und für diese im Heimatland auch in gewissem Umfang politisch aktiv war und an den Protesten gegen die dritte Amtszeit des amtierenden Präsidenten teilgenommen hat. Gleichwohl geht aus dem Vortrag des Klägers nicht hervor, dass er dabei eine derart herausgehobene Stellung innehatte, als dass ihm im Falle einer Rückkehr – unter Berücksichtigung der sich aktuell darbietenden politischen Lage – Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen würde. Allein der Vortrag, dass er als Lehrer und Intellektueller junge Leute beeinflussen könne und er Kontakte zu namhaften Mitglieder der Führungsriege der PDCI-RDA gehabt und für einen Regionalpolitiker Wahlkampf gemacht habe, reicht für diese Annahme nicht aus. Der Kläger hat weder im Rahmen der persönlichen Anhörung beim Bundesamt noch in der mündlichen Verhandlung schlüssig aufzeigen können, weshalb im Falle einer Rückkehr seitens des ivorischen Staates noch ein Interesse bestehen sollte, gerade ihn zu verfolgen.
43
Hiergegen spricht insbesondere auch, dass der Kläger nach eigenen Angaben in der Lage gewesen ist, problemlos auf dem Luftweg mit seinem eigenen Reisepass aus Côte d’Ivoire auszureisen und sich zuvor mehrere Monate in T. bei einem Freund aufgehalten hat, ohne von den ivorischen Sicherheitsbehörden aufgegriffen zu werden, obwohl er nach eigenen Angaben aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung habe verhaftet werden sollen. Vor diesem Hintergrund ist kein gesteigertes Verfolgungsinteresse an der Person des Klägers zu erkennen. Die vorgebrachte Verbindung zum verstorbenen Lokalpolitiker A. J. und die vom Kläger geäußerten, durch nichts belegten, Vermutungen über dessen Tod (Vergiftung durch Anhänger der ivorischen Regierung) führen ebenfalls zu keiner anderen Sichtweise.
44
Zuletzt drohen dem Kläger zur Überzeugung des Gerichts im Falle einer oppositionellen Betätigung im Rahmen der geltenden Gesetze bei einer Rückkehr in sein Heimatland keine Verfolgungshandlungen i.S.v. § 3a AsylG mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit. Dies kann aufgrund der oben näher ausgeführten Verbesserung der politischen Lage, gerade im Hinblick auf die Tätigkeit der Opposition, aufgrund der zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel nicht angenommen werden.
45
Die vorgebrachte Auseinandersetzung hinsichtlich des Erbes des verstorbenen Vaters des Klägers knüpft an keines der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, § 3b AsylG Merkmale an und kann schon deshalb nicht zu einem Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen.
46
Nach alledem hat der Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG.
47
b.) Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG.
48
Das Gericht folgt insoweit den Feststellungen und der Begründung im angefochtenen Bescheid, macht sich diese aus eigener Überzeugung zu Eigen und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer nochmaligen Darstellung ab (§ 77 Abs. 3 AsylG). Ergänzend wird zudem auf die obigen Ausführungen Bezug genommen.
49
Die vorgebrachte Auseinandersetzung um das Erbe des im Jahr 2017 verstorbenen Vaters des Klägers führt ebenfalls nicht zu einem Anspruch des Klägers auf Zuerkennung subsidiären Schutzes. Ungeachtet dessen, dass der Kläger insoweit weder beim Bundesamt noch in der mündlichen Verhandlung konkret hat ausführen können, weshalb ihm in dieser Hinsicht ein ernsthafter Schaden im Sinne von § 4 Abs. 1 AsylG drohen sollte, handelt es sich jedenfalls um einen Konflikt aus dem privaten Bereich, welcher von nichtstaatlichen Akteuren ausgeht. Ein solcher ist jedoch nur dann schutzrelevant, wenn die in § 3d Abs. 2 AsylG genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor einem ernsthaften Schaden zu bieten, § 3c Nr. 3 AsylG (§ 4 Abs. 3 AsylG). Dies kann für Côte d’Ivoire auch unter Berücksichtigung etwaiger Strafverfolgungsdefizite nach den zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln nicht in dieser Pauschalität angenommen werden. Dem Kläger ist es zuzumuten, sich im Bedarfsfalle an die ivorischen Sicherheitsbehörden zu wenden, um Schutz nachzusuchen.
50
Im Übrigen steht dem Kläger jedenfalls auch eine zumutbare inländische Aufenthaltsalternative im Sinne des § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3e Abs. 1, Abs. 2 AsylG zur Verfügung. Es erscheint dem Gericht nicht als beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger im Falle einer Rückkehr ein ernsthafter Schaden droht, wenn er seinen ursprünglichen Heimatort meidet und sich in einer ivorischen Großstadt, beispielsweise in Abidjan oder Yamoussoukro niederlässt. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass Côte d’Ivoire weder über Adressen noch ein Meldewesen verfügt (vgl. Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 23).
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Eine etwaige Relokation des Klägers innerhalb von Côte d’Ivoire kann auch vernünftigerweise erwartet werden (vgl. § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Der Kläger ist arbeitsfähig und ohne erkennbare gesundheitliche Einschränkungen, weshalb keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass er nicht in der Lage sein wird, sich einen den Anforderungen des Art. 3 EMRK genügenden Lebensstandard (vgl. BVerwG, U.v. 18.2.2021 – 1 C 4/20 – juris Rn. 33 ff.) ggf. an einem anderen als dem ursprünglichen Wohnort durch Erwerbstätigkeit zu erwirtschaften, wie in der Vergangenheit als Lehrer, zumal es ihm möglich und zumutbar ist, auf Rückkehr- und Starthilfen für freiwillige Rückkehrer nach Côte d’Ivoire zurückzugreifen.
52
c.) Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK.
53
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Die Abschiebung eines Ausländers ist danach unzulässig, wenn ihm im Zielstaat unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK droht oder wenn im Einzelfall andere in der Europäischen Menschenrechtskonvention verbürgte, von allen Vertragsstaaten als grundlegend anerkannte Menschenrechtsgarantien in ihrem Kern bedroht sind (vgl. BVerwG, U.v. 24.5.2000 – 9 C 34/99 – juris Rn. 11).
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Dabei können unter bestimmten Umständen auch schlechte humanitäre Bedingungen eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen. Jedoch können schlechte humanitäre Verhältnisse nur in ganz außergewöhnlichen Fällen zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK führen, nämlich dann, wenn es sich hierbei um zwingende humanitäre Gründe handelt (vgl. OVG NW, U.v. 24.3.2020 – 19 A 4470/19.A – juris m.w.N.). Aus der Rechtsprechung des EGMR (U.v. 28.6.2011 – Nr. 8319/07 und 11449/07 – BeckRS 2012, 8036 – Rn. 278) und des Bundesverwaltungsgerichts (B.v. 13.2.2019 – 1 B 2.19 – juris; U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12) ergibt sich, dass die Annahme einer unmenschlichen Behandlung allein durch die humanitäre Lage und die allgemeinen Lebensbedingungen ein sehr hohes Gefährdungsniveau voraussetzt. Nur dann liegt ein außergewöhnlicher Fall vor, in dem die gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechenden humanitären Gründe zwingend sind. Entscheidend ist, dass die Person keiner Situation extremer materieller Not ausgesetzt wird, die es ihr unter Inkaufnahme von Verelendung verwehrt, elementare Bedürfnisse zu befriedigen.
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Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 21.4.2022 – 1 C 10.21 – juris) ist bei der dabei anzustellenden Gefahrenprognose grundsätzlich nur darauf abzustellen, ob der vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer nach seiner Rückkehr in der Lage ist, gegebenenfalls durch ihm gewährte Rückkehrhilfen seine elementarsten Bedürfnisse über einen absehbaren Zeitraum zu befriedigen. Nicht entscheidend ist hingegen, ob das Existenzminimum eines Ausländers in dessen Herkunftsland nachhaltig oder gar auf Dauer sichergestellt ist. Hierbei ist insbesondere auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Rückkehr- und Starthilfen für freiwillige Rückkehrer nach Côte d’Ivoire nach dem REAG/GARP-Programm (https://www.returningfromgermany.de/de/countries/ivory-coast) hinzuweisen.
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Damit ist die Finanzierung eines einfachen Lebensunterhalts in den ersten Monaten nach der Rückkehr nach Côte d‘Ivoire grundsätzlich möglich. Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die genannten Start- und Reintegrationshilfen ganz oder teilweise nur für freiwillige Rückkehrer gewährt werden, also teilweise nicht bei einer zwangsweisen Rückführung. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Asylbewerber, der durch eigenes zumutbares Verhalten – wie insbesondere durch freiwillige Rückkehr – im Zielstaat drohende Gefahren abwenden kann, nicht die Feststellung eines Abschiebungsverbots verlangen (vgl. BVerwG, U.v. 3.11.1992 – 9 C 21/92 – BVerwGE 91, 150; U.v. 15.4.1997 – 9 C 38.96 – BVerwGE 104, 265; VGH BW, U.v. 26.2.2014 – A 11 S 2519/12 – juris). Dementsprechend ist es dem Kläger möglich und zumutbar, gerade zur Überbrückung der ersten Zeit nach einer Rückkehr nach Côte d‘Ivoire freiwillig Zurückkehrenden gewährte Reisehilfen sowie Reintegrationsleistungen in Anspruch zu nehmen (vgl. zur Berücksichtigung von Rückkehrhilfen: BVerwG, U.v. 21.4.2022 – 1 C 20.21 – juris Rn. 25 ff.).
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Im Übrigen stellen sich die allgemeinen Lebensverhältnisse in Côte d’Ivoire nach den vorliegenden Erkenntnismitteln (Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 20 ff.; BFA, a.a.O., S. 30 f.) ausgehend von obigen Ausführungen nicht generell als derartig defizitär dar, als dass für arbeitsfähige und gesunde Personen, wie den Kläger generell von einer Verletzung von Art. 3 EMRK im Falle einer Rückkehr auszugehen wäre, wie das Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid bereits ausführlich dargestellt hat und worauf im Einzelnen verwiesen wird (§ 77 Abs. 3 AsylG).
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Der Kläger hat nach dem Abitur, eine Ausbildung im IT-Bereich begonnen und zuletzt als Lehrer für Mathematik, Physik und Informatik an einer privaten Hochschule gearbeitet. Es ist vor diesem Hintergrund nichts dafür ersichtlich, weshalb der Kläger im Falle einer Rückkehr nicht in der Lage sein sollte, sich einen den Anforderungen des Art. 3 EMRK genügenden Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit – wie in der Vergangenheit auch – zu erwirtschaften.
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d.) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt ebenfalls nicht vor. Das Gericht verweist insoweit auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheides und sieht von einer weiteren Darstellung ab (§ 77 Abs. 3 AsylG). Der Kläger hat diesbezüglich nichts vorgetragen, was eine abweichende Beurteilung rechtfertigen würde.
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e.) Zuletzt sind auch die Abschiebungsandrohung in Nr. 5 des streitgegenständlichen Bescheides sowie das angeordnete Einreise- und Aufenthaltsverbot einschließlich dessen Befristung auf 30 Monate (Nr. 6) rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Hinsichtlich der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung in Nr. 5 des Bescheids und die entsprechende Begründung wird auf den angefochtenen Bescheid Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung abgesehen (§ 77 Abs. 3 AsylG).
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Das in Nr. 6 des Bescheids angeordnete und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot findet seine Rechtsgrundlage in § 11 Abs. 1 AufenthG und ist auch im Übrigen rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Insbesondere sind hinsichtlich der Befristung, die sich innerhalb des gemäß § 11 Abs. 3 AufenthG zulässigen Rahmen bewegt, keine Ermessensfehler ersichtlich (§ 114 VwGO), zumal diesbezüglich keine schützenswerten Belange (vgl. hierzu insbesondere BayVGH, B.v. 6.4.2017 – 11 ZB 17.30317 – juris Rn. 13) vorgetragen wurden.
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4. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen.