Titel:
Gegenseitige Abstandsflächenüberschreitung: Etwaige Verletzung von Abstandsflächen kann der Nachbar nicht geltend machen – Treu und Glauben
Normenketten:
BauGB § 31 Abs. 2
BayBO Art. 6, Art. 63
BGB § 242
Leitsatz:
Eine Nachbar-Anfechtungsklage gegen die Baugenehmigung wegen einem Verstoß gegen das Abstandsflächenrecht führt trotz eines etwaigen Verstoßes gegen das Abstandsfächenrecht jedenfalls dann nicht zu einem Erfolg der Anfechtungsklage, falls sich die klagenden Nachbarn aufgrund der wechselseitigen Abstandsflächenüberschreitung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben hierauf nicht berufen können (vorliegend: konnten sich die Kläger hierauf nicht berufen. Beidseitigen Abstandsflächenabweichungen waren in Bezug auf die mit ihnen einhergehenden Beeinträchtigungen der abstandsflächenrechtlichen Belange qualitativ als gleichwertig anzusehen). (Rn. 17) (Rn. 21) (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarklage, Abweichung, Abstandsflächen, Befreiung, Unzulässige Rechtsausübung (bejaht), Treu und Glauben, unzulässige Rechtsausübung (bejaht), Baugenehmigung, Abstandsflächenrecht, Wechselseitigkeit, Gegenseitigkeit
Fundstelle:
BeckRS 2024, 13498
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens gesamtschuldnerisch zu tragen, einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Die Kläger wenden sich gegen eine Baugenehmigung für die Errichtung eines Carports, die der Beklagte den Beigeladenen erteilt hat.
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Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks FlNr. 941/124 Gem. …, das mit einem Einfamilienhaus bebaut ist. Mit Bescheid vom 9. August 2021 wurde ihnen die Tekturgenehmigung für die Errichtung einer Doppelgarage erteilt. Gleichzeitig erteilte der Beklagte eine Abweichung von den Abstandsflächen, weil die Wandhöhe der Garage im Mittel eine Höhe von 3,25 m aufweist, sowie eine Befreiung vom Bebauungsplan „… Höhe“, Festsetzung Nr. 3.4 (Baufenster für die Errichtung von Garagen). Der Bescheid ist bestandskräftig. Die Doppelgarage befindet sich an der östlichen Grundstücksgrenze zu den Beigeladenen hin.
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Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 10. August 2021 erteilte der Beklagte den Beigeladenen die streitgegenständliche Baugenehmigung zur Errichtung eines Carports auf deren Grundstück FlNr. 941/125 an der Grundstücksgrenze zu den Klägern. Zugleich erteilte der Beklagte eine Abweichung von den Anforderungen des Abstandsflächenrechts, weil die Grenzbebauung der Beigeladenen, die zudem deckungsgleich mit den Klägern eine Garage an der Grundstücksgrenze und anschließend einen grenzständigen Wintergarten errichtet haben, die insgesamt zulässige Grenzbebauung überschreitet. In der Begründung ist ausgeführt, die Überschreitung sei für die Nachbarn verträglich und auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar, insbesondere seien ein ausreichender Brandschutz sowie eine ausreichende Belichtung und Besonnung gewährleistet. Ausweislich des Eingabeplans – Ansicht Westen – besteht der Carport aus Pfosten, auf welchen eine durchsichtige Überdachung liegt. In den gestempelten Eingabeplänen sind an der Grundstücksseite zu den Klägern hin vier Sichtschutzelemente eingezeichnet. Zugleich erteilte der Beklagte eine Befreiung von der Festsetzung Nr. 3.4 des Bebauungsplans.
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Am … August 2021 haben die Kläger Klage gegen den Bescheid erhoben und beantragt,
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den Bescheid aufzuheben.
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Das Bauvorhaben widerspreche zum einen Nr. 3.4. des Bebauungsplans, mit der festgesetzt werde, dass Garagen und Carports außerhalb der Baufenster nur zulässig sind, wenn sie dem Abstandsflächenrecht entsprechen, dabei überschreite der Carport die Länge der danach maximal zulässigen Grenzbebauung von 9 m. Hinsichtlich der erteilten Abweichung sei nicht ersichtlich, inwiefern geprüft wurde, dass die Überschreitung der zulässigen Grenzbebauung tatsächlich nachbarverträglich sei. Dabei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass der Carport, der nicht nur auf der Grundstücksgrenze, sondern darüber hinaus teilweise auf dem Grundstück der Kläger stehe, direkt an die Straße grenze. Zu den Klägern hin ergebe sich insgesamt eine Grenzbebauung von ca. 15 m. Die im Bebauungsplan vorgesehene Läge von maximal 9 m Grenzbebauung werde somit um mehr als die Hälfte überschritten. Der Carport schränke die Belichtung des Vorgartens der Kläger ein und erschwere die Sicht beim Ein- und Ausfahren aus der eigenen Einfahrt. Auch die erteilte Befreiung berücksichtige die nachbarlichen Belange nicht und verstoße daher gegen das Gebot der Rücksichtnahme zulasten der Kläger.
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Eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften wegen der Überschreitung der nach Art. 6 Abs. 7 BayBO maximal zulässigen Grenzbebauung habe rechtmäßigerweise erteilt werden können, weil eine nicht hinnehmbare Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks hinsichtlich Belichtung und Belüftung schon bauartbedingt nicht gegeben sei. Zudem befinde sich der Carport im Bereich der Garagenzufahrt der Kläger. Weder Aufenthaltsräume noch schützenswerte Freibereiche würden tangiert. Auch in brandschutztechnischer Hinsicht sei der Carport unbedenklich, bestehe er doch ausschließlich aus Metall und berge daher keine nennenswerte Brandlast. Im Übrigen wirkten sich die Sichtschutzelemente unter dem Gesichtspunkt des Sozialabstands eher zu- als abträglich aus. Die Straßeneinsicht von der Garagenausfahrt der Kläger werde nicht in gefährlichem Maße eingeschränkt, zumal zwischen dem vorderen Stützpfeiler und der Fahrbandkante ein mindestens ein Meter langer freier Abschnitt liege, welcher, neben der Sicht durch die perforierten Sichtschutzelemente, ein hinreichendes Sichtfeld freigebe. Daneben sei beim Ausfahren vornehmlich der Verkehr aus Richtung Westen in den Blick zu nehmen, ein Gehweg existiere nicht. Ebenso sei die Befreiung rechtmäßig, denn sie sei städtebaulich vertretbar. Im Übrigen liege eine bodenrechtliche Sonderlage vor. Dies beruhe vor allem auf den topographischen Verhältnissen, weil das Gelände im Bereich der Garagen stark abfalle. Deshalb habe auch den Klägern eine gleichlautende Befreiung für die Verlängerung der Garage erteilt werden können. Hinsichtlich der Würdigung der nachbarlichen Belange werde auf die diesbezüglichen Ausführungen zur Abweichung verwiesen.
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Die Beigeladenen beantragen
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Die Kläger profitierten hinsichtlich ihrer Grenzgarage in gleicher Weise von einer Abweichung von den Abstandsflächen und einer Befreiung. Eine Brandübertragung durch einen nur aus Stahl und Glas bestehenden Carport sei nicht zu befürchten. Eine ausreichende Belichtung und Belüftung des klägerischen Grundstücks sei gewährleistet, eine unangemessene optische Beengung und Störung des Wohnfriedens finde nicht statt. Auch werde die Sicht beim Ein- und Ausparken nicht beeinträchtigt, seitdem eine dort früher vorhandene Hecke entfernt worden sei. Die Stützsäulen des Carports wiesen einen Durchmesser von 12,1 m auf, die vordere sei 1,41 m von der Straße entfernt. Von einer Einmauerung des Klägergrundstücks könne nicht gesprochen werden, zumal diese ihrerseits einen verschraubten Sichtschutz an der Grenze montiert hätten.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Die angefochtene Baugenehmigung verstößt nicht gegen im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens zu prüfende nachbarschützende Vorschriften und verletzt die Kläger nicht in Nachbarrechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Aus § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO ergibt sich, dass Nachbarn eine Baugenehmigung nur dann mit Erfolg anfechten können, wenn sie durch die Genehmigung in einem ihnen zustehenden subjektiv-öffentlichen Recht verletzt werden. Es genügt daher nicht, wenn die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht – auch nicht teilweise – dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke dienen (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20). Dementsprechend findet im gerichtlichen Verfahren aufgrund einer Nachbarklage keine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle statt. Die Prüfung hat sich vielmehr darauf zu beschränken, ob durch die angefochtene Baugenehmigung drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch gegen das Vorhaben vermitteln, verletzt sind. Zudem kann ein Nachbar eine Baugenehmigung nur dann mit Erfolg anfechten, wenn diese Rechtswidrigkeit sich aus einer Verletzung von Vorschriften ergibt, die im jeweiligen Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren.
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Dies zugrunde gelegt, bleibt die vorliegende Klage erfolglos, denn die Kläger können sich nicht mit Erfolg auf eine Verletzung nachbarschützender Normen, die Gegenstand des Prüfprogramms des hier einschlägigen vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens nach Art. 59 Satz 1 BayBO waren, berufen. Auch ergibt sich weder durch die erteilte Abweichung, noch durch die Befreiung eine Rechtsverletzung der Kläger in nachbarschützenden Rechten.
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1. Unabhängig davon, ob die Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften zugunsten der Beigeladenen rechtmäßig erteilt werden durfte, führt ein etwaiger Verstoß gegen das Abstandsflächenrecht jedenfalls nicht zum Erfolg der Anfechtungsklage, da sich die Kläger aufgrund der wechselseitigen Abstandsflächenüberschreitung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben hierauf nicht berufen können.
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Gemäß Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO soll die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen von Anforderungen der BayBO zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen, insbesondere den Anforderungen des Art. 3 Satz 1 BayBO, vereinbar sind. Subjektivöffentliche Rechte werden hierdurch insoweit vermittelt, als die jeweilige Vorschrift, von der abgewichen wird, auch dem Nachbarn zu dienen bestimmt ist. Die Vorschriften über die Abstandsflächen dienen in ihrer Gesamtheit auch dem Nachbarschutz (BayVGH, B.v. 30.11.2005 – 1 CS 05.2535 – juris Rn. 19).
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Dennoch bedarf es vorliegend keiner Klärung, ob die rechtlichen Voraussetzungen für die Abweichung von den Abstandsflächen zugunsten der Beigeladenen tatsächlich vorgelegen haben (zur systematischen Einordnung des Grundsatzes von Treu und Glauben in das bauordnungsrechtliche Prüfprogramm s. BayVGH, B.v. 1.9.2016 – 2 ZB 14.2605 – juris Rn. 16 m.w.N.); jedenfalls ist es den Klägern vorliegend nach Treu und Glauben verwehrt, sich hierauf zu berufen.
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Das Recht des Nachbarn, sich grundsätzlich gegen jede Unterschreitung der Mindestabstandsflächen zur Wehr setzen zu können, ohne den Nachweis einer gerade dadurch hervorgerufenen tatsächlichen Beeinträchtigung führen zu müssen, unterliegt mit Rücksicht auf den das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben Grenzen. Der baurechtliche Nachbarschutz beruht auf dem Gedanken der gegenseitigen Rücksichtnahme; seine Grundlage ist das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis, in dessen Rahmen jeder Eigentümer zugunsten seines Nachbarn bestimmten Beschränkungen unterworfen ist und im Austausch dafür verlangen kann, dass der Nachbar diese Beschränkungen gleichfalls beachtet (vgl. BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 4 C 28.91 – juris Rn. 12). Aus diesem System nachbarlicher Ausgleichs- und Rücksichtnahmepflichten folgt, dass derjenige, der selbst mit seinem Gebäude den erforderlichen Grenzabstand nicht einhält, billigerweise nicht verlangen kann, dass der Nachbar die Abstandsfläche freihält. Demzufolge kann aus dem Gesichtspunkt unzulässiger Rechtsausübung ein Nachbar gehindert sein, die Verletzung des Grenzabstandes zu rügen (zum Ganzen: BayVGH, B.v. 2.5.2023 – 2 ZB 22.2484 – juris Rn. 5). Dies setzt jedoch voraus, dass die beidseitigen Abweichungen etwa gleichgewichtig sind und nicht zu schlechthin untragbaren Ergebnissen führen. Dabei ist unerheblich, ob der klagende Nachbar den Grenzabstand in Übereinstimmung mit den geltenden Bauvorschriften errichtet hat – maßgeblich ist allein, dass der klagende Nachbar den jetzt erforderlichen Grenzabstand nicht einhält und nicht, ob er sich dabei rechtmäßig verhält (zu den Voraussetzungen, unter denen einem klagenden Nachbarn das Berufen auf eine etwaige Abstandsflächenverletzung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben verwehrt ist, s. jüngst BayVGH, B.v. 2.5.2023 – 2 ZB 22.2484 – juris Rn. 7f.).
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Hieran gemessen, bleibt es den Klägern verwehrt, sich auf eine etwaige Rechtswidrigkeit der Abweichung von den Abstandsflächen zu berufen, weil die beidseitigen Abweichungen etwa gleichgewichtig sind (1.1) und nicht zu schlechthin untragbaren, als Missstand zu qualifizierenden Verhältnissen führen (1.2).
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1.1 Bei der Frage, ob wechselseitige Verletzungen der Abstandsflächenvorschriften annähernd vergleichbar sind, ist keine zentimetergenaue quantitative Entsprechung gefordert, sondern es ist eine wertende Betrachtung in Bezug auf die Qualität der mit der Verletzung der Abstandsflächenvorschriften einhergehenden Beeinträchtigungen anzustellen (OVG Berlin, U.v.11.2.2003 – 2 B 16.99 – juris Rn. 30; VG München, U.v. 29.2.2016 – 8 K 14.5609 – juris Rn. 50). Bei einer derartigen wertenden Betrachtung ergibt sich, dass die beidseitigen Abstandsflächenabweichungen bezüglich der mit ihnen jeweils einhergehenden Beeinträchtigungen qualitativ zumindest annähernd vergleichbar sind.
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Zwar führt die streitgegenständliche Abweichung dazu, dass an der gemeinsamen Grenze für die Beigeladenen eine Grenzbebauung auf einer Länge von insgesamt ca. 14,67 m ermöglicht wird (Länge des Carports 4,67 m, der Bestandsgarage ca. 6 m, des Wintergartens ca. 4 m), während der klägerischen Grenzgarage inkl. Vordach lediglich eine Länge von ca. 8,45 m zukommt. Allerdings weist diese südseitig eine Höhe von 4,93 m auf. Das quantitative „Mehr“ des Vorhabens der Beigeladenen erstreckt sich in Richtung Norden in den Bereich, der von den Klägern nur als teilweise überdachter und eingehauster Garagenvorplatz genutzt wird, damit nicht dem dauerhaften Aufenthalt von Menschen dient. Zusätzlich von Bedeutung für die qualitative Bewertung der Auswirkungen des streitgegenständlichen Vorhabens auf die abstandsflächenrechtlich geschützten Belange der Belichtung, Belüftung und Besonnung sowie dem Wohnfrieden ist die bautechnische Ausführung des Carports. So ist dieser mit einem lichtdurchlässigen Glasdach ausgeführt, das auf schlanken Stützsäulen (nach unbestrittenen Angaben der Beigeladenen weisen diese einen Durchmesser von 12,1 cm auf; siehe hierzu zudem die in der Akte befindlichen Lichtbilder) ruht. Anders als die Kläger, welche ihren Garagenvorplatz im überdachten Bereich auf einer Länge von 2,60 m mittels einer sichtundurchlässigen Holzwand eingehaust haben, wird der Carport zu den Seiten mit vier Sichtschutzelementen (hiervon zwei parallel zur Holzwand der Kläger) aus perforiertem Metall begrenzt, welche eine gewisse Lichtdurchdringung ermöglichen. Die bautechnische Konstruktion des Carports lässt zudem eine Beeinträchtigung des Brandschutzes zulasten der Kläger nicht befürchten.
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Bei wertender Gesamtbetrachtung dieser Aspekte ergibt sich, dass die beidseitigen Abstandsflächenabweichungen in Bezug auf die mit ihnen einhergehenden Beeinträchtigungen der abstandsflächenrechtlichen Belange qualitativ als gleichwertig anzusehen sind. Die Kläger können sich daher auf einen etwaigen Rechtsverstoß im Zusammenhang mit der Erteilung der streitgegenständlichen Abweichung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht berufen.
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Lediglich ergänzend sei ausgeführt, dass es auf die Bewertung der von den Klägern ins Feld geführten Sichtbehinderung beim Beparken der Garagen insoweit nicht ankommt, weil dieser Aspekt vom Abstandsflächenrecht schon nicht geschützt ist.
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1.2. Dass es hierdurch zu schlechthin untragbaren, als Missstand zu qualifizierenden Verhältnissen kommt, ist nicht ersichtlich. Insbesondere wirkt sich der streitgegenständliche Carport durch seine besonders licht- und luftdurchlässige Ausführung auf die Belichtung und Belüftung nicht wesentlich aus und es ist bei keinem der beiden Grundstücke ein Bereich betroffen, welcher dem dauerhaften Aufenthalt von Menschen dient.
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2. Auch im Zusammenhang mit der zugunsten der Beigeladenen erteilten Befreiung von Festsetzung Nr. 3.4 des Bebauungsplans werden keine Rechte der Kläger verletzt. Diese Festsetzung bestimmt, dass Garagen, sofern sie sich nicht innerhalb der für das Hauptgebäude festgesetzten Baugrenzen befinden, Carports und Stellplätze außerhalb der für das Hauptgebäude festgesetzten Baugrenzen errichtet werden dürfen, wenn sie den bauordnungsrechtlichen Vorschriften, insbesondere den Bestimmungen des Art. 6 Abs. 9 BayBO entsprechen.
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Bei Befreiungen von den Festsetzungen eines Bebauungsplans hängt der Umfang des Rechtsschutzes des Nachbarn davon ab, ob die Festsetzungen, von deren Einhaltung im Einzelfall dispensiert wird, dem Nachbarschutz dienen oder nicht. Im Falle einer Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung ist der Nachbar schon dann in seinen Rechten verletzt, wenn die Befreiung rechtswidrig ist, weil eine der Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB nicht erfüllt ist (BVerwG, B.v. 27.8.2013 – 4 B 39/13 – juris Rn. 3). Bei einer Befreiung von einer Festsetzung, die nicht (auch) den Zweck hat, die Rechte der Nachbarn zu schützen, sondern nur dem Interesse der Allgemeinheit an einer nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung dient, richtet sich der Nachbarschutz nach den Grundsätzen des im Tatbestandsmerkmal „unter Würdigung nachbarlicher Interessen“ enthaltenen Rücksichtnahmegebots. Nachbarrechte werden in diesem Fall nicht schon dann verletzt, wenn die Befreiung aus irgendeinem Grund rechtswidrig ist, sondern nur, wenn der Nachbar durch das Vorhaben infolge der zu Unrecht erteilten Befreiung unzumutbar beeinträchtigt wird (zum Ganzen: BVerwG, B.v. 8.7.1998 – 4 B 64.98 – juris Rn. 5 f.; BayVGH, B.v. 5.9.2016 – 15 CS 16.1536 – juris Rn. 25 m.w.N.).
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Es kann offen bleiben, ob die o.g. Festsetzung auch dem Nachbarschutz dient oder, wie dies bei Festsetzungen zu den überbaubaren Grundstücksflächen im Regelfall anzunehmen ist (auch aus der Begründung des Bebauungsplans (s. dort S. 8) ergibt sich nicht, dass dem Drittschutz zukommen sollte), allein städtebauliche Zwecke verfolgt. Denn selbst wenn ein Drittschutz anzunehmen wäre, ergebe sich keine Rechtsverletzung zulasten der Kläger. Die Befreiung, welche der Beklagte unter Berufung auf die Vereinbarkeit mit den Grundzügen der Planung gemäß § 31 Abs. 1 Nr. 2 BauGB erteilt hat, stellt sich nämlich als rechtmäßig dar. Insbesondere hat der Beklagte die nachbarlichen Interessen der Kläger ausreichend gewürdigt. Die Frage, ob die nachbarlichen Interessen hinreichend gewürdigt sind, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Bei der dabei vorzunehmenden Interessenabwägung kommt es auf die Berücksichtigung der Interessen des Nachbarn wie der des Bauherrn an. Dabei geht es nicht um eine umfassende Abwägung aller öffentlichen und privaten Belange, sondern ob das Vorhaben die gebotene Rücksicht nimmt auf den Nachbarn oder diese Rücksichtnahme vermissen lässt, weil es ihn unzumutbar beeinträchtigt (Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand: 152. EL Oktober 2023, Rn. 69d zu § 31). Für eine derartige Rücksichtslosigkeit ist vorliegend nichts ersichtlich. Die Kläger nehmen ihrerseits für ihre an der Grenze zu den Beigeladenen hin errichtete Garage eine Befreiung von Nr. 3.4. des Bebauungsplans in Anspruch, sodass bereits aus diesem Grunde eine Rücksichtslosigkeit ausscheidet. Diese ergibt sich auch nicht aus einer rücksichtslosen Sichtbehinderung der Kläger beim Beparken ihrer Garage. Angesichts der Tatsache, dass der vordere, schlanke Stützpfeiler des Carports mindestens einen knappen Meter von der Straße entfernt ist, ist eine solche nicht zu befürchten.
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3. Die Klage war daher mit der sich aus § 154 Abs. 1 VwGO ergebenden Kostenfolge abzuweisen, wobei es der Billigkeit im Sinne von § 162 Abs. 3 VwGO entsprach, den Klägern auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, weil diese sich mit Antragstellung ihrerseits einem Kostenrisiko ausgesetzt haben, vgl. § 154 Abs. 3 VwGO.
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4. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt § 167 VwGO i.V.m. §§ 709 ff. ZPO.