Titel:
Rundfunkbeitrag im privaten Bereich für eine Wohnung, Kein Zurückbehaltungs- oder Leistungsverweigerungsrecht wegen angeblicher Nicht- oder Schlechtleistung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Manifest für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland
Normenketten:
RBStV § 2
RBStV § 3
Schlagworte:
Rundfunkbeitrag im privaten Bereich für eine Wohnung, Kein Zurückbehaltungs- oder Leistungsverweigerungsrecht wegen angeblicher Nicht- oder Schlechtleistung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Manifest für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland
Fundstelle:
BeckRS 2024, 13497
Tenor
I.Die Klage wird abgewiesen.
II.Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen die Heranziehung zu Rundfunkbeiträgen nebst Säumniszuschlag durch den Beklagten.
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Mit Festsetzungsbescheid vom 1. November 2022 setzte der Beklagte unter der Beitragsnummer … … … für den Zeitraum April 2022 bis September 2022 für die Wohnung H* … … in 8* … G* … rückständige Rundfunkbeiträge in Höhe von 110,16 EUR und einen Säumniszuschlag in Höhe von 8,00 EUR, mithin zusammen 118,16 EUR fest.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 22. Dezember 2022 wies der Beklagte den gegen diesen Festsetzungsbescheid erhobenen Widerspruch des Klägers vom 29. November 2022 zurück. Die Qualität von Rundfunksendungen sei durch die Rundfunkgremien sicherzustellen und keine Frage des Rundfunkbeitrags. In der Programmgestaltung seien die Rundfunkanstalten frei. Das sei der Sinn der Rundfunkfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG).
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Mit am 29. Dezember 2022 beim Beklagten eingegangenen Schreiben vom … Dezember 2022 begründete der Kläger seinen Widerspruch. Der öffentliche Rundfunk versäume seit Jahrzehnten die drei wichtigen Säulen seiner gesetzlichen Verpflichtung wahrzunehmen: Pluralismus, Ausgewogenheit und Staatsferne. Als Teil des Souveräns und Geldgeber der öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten sei er nicht bereit, dafür zu zahlen, dass die öffentlich-rechtlichen Medien als Hofberichterstatter einer Politik fungieren, die ständig Gesetze breche.
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Mit am 25. Januar 2023 bei Gericht eingegangenem Schreiben vom … Januar 2023 erhob der Kläger Klage mit dem Antrag,
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den Festsetzungsbescheid des Beklagten vom 1. November 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Dezember 2022, postalisch zugestellt am 30. Dezember 2022, aufzuheben.
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Der Festsetzungsbescheid vom 1. November 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Dezember 2022 seien aufzuheben, da er keinen Beitrag zahlen müsse für eine vom Beklagten nicht erbrachte Leistung. Das Leistungsverweigerungsrecht bzw. Zurückbehaltungsrecht gelte auch im öffentlichen Recht mit der Folge, dass er seine wie auch immer geartete öffentlich-rechtliche Verpflichtung aus einem Gegenseitigkeitsverhältnis so lange nicht erbringen müsse, wie die öffentliche Einrichtung ihrer gesetzlichen oder wie hier verfassungsrechtlichen Verpflichtung ihm gegenüber nicht nachkomme. Der Beklagte erfülle seinen verfassungsrechtlichen Auftrag nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG nicht, da er weder frei noch umfassend noch wahrheitsgemäß informiere. Soweit von Seiten der Verwaltungsgerichte auf die Möglichkeit der Programmbeschwerde verwiesen werde, sie diese ein gänzlich untaugliches Mittel und entsprechend einer Dienstaufsichtsbeschwerde formlos, fristlos und fruchtlos. Wegen der besonderen Bedeutung der Rechtssache werde das Gericht gebeten, seiner Aufklärungspflicht nach § 86 VwGO umfassend nachzukommen, insbesondere die Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Sachen Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg daraufhin zu untersuchen, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinem verfassungsrechtlichen Auftrag nachgekommen ist.
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Mit Schreiben vom 8. Februar 2023 legte der Beklagte die Verfahrensakte vor. Mit Schriftsatz vom 11. Februar 2023 zeigten die Bevollmächtigten des Beklagten dessen Vertretung an und beantragten,
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Mit Schriftsatz vom 23. März 2023 nahmen die Bevollmächtigten des Beklagten zur Klage Stellung. Die Klage sei unbegründet, da der Kläger durch die angegriffenen Bescheide nicht in seinen Rechten verletzt sei. Es sei nicht Aufgabe eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, gewissermaßen journalistisch die „Richtigkeit“ von Programmbeiträgen zu überprüfen, zumal sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinerseits auf die Presse- und Rundfunkfreiheit berufen könne. Es bestehe keine Anspruchsgrundlage für die Feststellung, inwieweit der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinen Funktionsauftrag nicht oder nur schlecht erfülle. Dies zu überwachen sei grundsätzlich Aufgabe der Rundfunkgremien. Die Geltendmachung, der öffentlich-rechtliche Rundfunk erfülle seinen Funktionsauftrag nicht (mehr), begründe kein subjektiv öffentliches Recht des Beitragspflichtigen auf Freistellung vom Rundfunkbeitrag oder Ermäßigung desselben. Angesichts der pluralistischen Ausrichtung und Vielfalt des Rundfunkangebots liege es auf der Hand, dass einzelne Programmangebote vor dem Hintergrund persönlicher Ansprüche, Erwartungen, Alters- und Geschmacksfragen Anlass zu Kritik bieten mögen. Auch würden die Kommentare die Meinung einzelner Journalisten wiedergeben. Der Beitragspflichtige sei gehalten, etwaige Verstöße gegen die Programmgrundsätze durch eine Programmbeschwerde geltend zu machen. Selbst wenn in den genannten Punkten der öffentlich-rechtliche Rundfunk – was nicht der Fall sei – seinen Programmauftrag nicht erfüllen würde bzw. „unsachlich“ oder „unausgewogen“ berichten würde, so befreie dies den Kläger nicht von der Rundfunkbeitragspflicht.
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Mit Schreiben vom 25. Januar 2024 wies das Gericht den Kläger – unter Übersendung der genannten Urteile in Kopie – darauf hin, dass der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) mit Urteil vom 17. Juli 2023, Aktenzeichen 7 BV 22.2642 in einem vergleichbar gelagerten Verfahren entschieden habe, dass die Rundfunkbeitragspflicht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie des Bundesverwaltungsgerichts stehe. Insbesondere habe der BayVGH in seiner Entscheidung ein Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 21. September 2022, Aktenzeichen M 6 K 22.2507, bestätigt, wonach ein Zurückbehaltungsrecht wegen angeblicher Nicht- oder Schlechtleistung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht besteht.
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Mit Beschluss vom 28. März 2024 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
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In der mündlichen Verhandlung vom 13. Mai 2024, zu der von Seiten des Beklagten niemand erschienen war, übergab der Kläger ein „Manifest für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland“ vom April 2024 und bat, dieses bei der gerichtlichen Entscheidung zu berücksichtigen. Für die Art der Berichterstattung, wie sie derzeit praktiziert werde, könne er es mit seinem Gewissen nicht vereinbaren, den Rundfunkbeitrag zu bezahlen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet und war daher abzuweisen.
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1. Das Gericht konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 13. Mai 2024 entscheiden, obwohl von Seiten des Beklagten niemand zur mündlichen Verhandlung erschienen war. Denn in dem Ladungsschreiben vom 3. April 2024 war darauf hingewiesen worden, dass bei Nichterscheinen eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
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Aufgrund des Kammerbeschlusses vom 28. März 2024 ist die Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung über die Klage berufen (§ 6 Abs. 1 VwGO).
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2. Die erhobene Anfechtungsklage ist zulässig, insbesondere innerhalb der Monatsfrist nach § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO erhoben worden. Da sich in dem vorgelegten Verwaltungsakt des Beklagten kein Nachweis über die formgerechte Zustellung des Widerspruchsbescheides vom 22. Dezember 2022 (§ 73 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 VwGO) befindet und der Kläger seinen Angaben in der Klageschrift vom … Januar 2023 zufolge den Widerspruchsbescheid am 30. Dezember 2022 erhalten hat, dem der Beklagte auch nicht entgegengetreten ist, wurde mit der am 25. Januar 2023 bei Gericht eingegangenen Klage die Monatsfrist gewahrt.
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3. Die Klage hat in der Sache jedoch keinen Erfolg, weil der Festsetzungsbescheid vom 1. November 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Dezember 2022 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Beklagte hat gegenüber dem Kläger in rechtmäßiger Weise Rundfunkbeiträge für eine Wohnung festgesetzt.
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3.1. Rechtsgrundlage für die Erhebung von Rundfunkbeiträgen ist der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag – RBStV – vom 7. Juni 2011 (GVBl S. 258) sowie § 8 des Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrags – RFinStV – vom 27. Juli 2001 (GVBl S. 566) in der für die jeweiligen Beitragszeiträume gültigen Fassung. Der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag ist nach Zustimmung der Landesparlamente und Hinterlegung der Ratifikationsurkunden in Kraft getreten (siehe Art. 7 Abs. 2 des 15. Rundfunkänderungsstaatsvertrags und BayVerfGH, E.v.14.5.2014 – Vf. 8-VII-12, Vf. 24-VII-12 – juris Rn. 57). Mit dem Zustimmungsbeschluss des Bayerischen Landtags vom 17. Mai 2011 in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. Juni 2011 (GVBl. S. 258) kommt ihm die Wirkung eines bayerischen Landesgesetzes zu.
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3.2. Die Tatbestandsvoraussetzungen für die Heranziehung zur Beitragspflicht gemäß §§ 2 und 3 RBStV sind vorliegend erfüllt.
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Nach § 2 Abs. 1 RBStV ist im privaten Bereich grundsätzlich für jede Wohnung von deren Inhaber (Beitragsschuldner) ein Rundfunkbeitrag zu entrichten. Inhaber einer Wohnung ist jede volljährige Person, die die Wohnung selbst bewohnt. Als Inhaber wird jede Person vermutet, die dort nach dem Melderecht gemeldet ist oder im Mietvertrag für die Wohnung als Mieter genannt ist (§ 2 Abs. 2 RBStV). Der Begriff der Wohnung ist in § 3 RBStV definiert.
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Der Kläger hat nicht in Abrede gestellt, im streitgegenständlichen Zeitraum Inhaber einer Wohnung gewesen zu sein. Er war demnach als Wohnungsinhaber Beitragsschuldner und für den festgesetzten Zeitraum verpflichtet, einen monatlichen Rundfunkbeitrag zu zahlen.
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3.3. Die Beitragsschuld besteht kraft Gesetzes. Der Rundfunkbeitrag ist monatlich geschuldet. Er ist in der Mitte eines Dreimonatszeitraums für jeweils drei Monate zu leisten. Die Festsetzung durch Bescheid durfte erfolgen, weil die Rundfunkbeiträge trotz deren Fälligkeit nicht rechtzeitig und vollständig gezahlt wurden (§ 10 Abs. 5 Satz 1, § 7 Abs. 3 RBStV).
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Die Höhe des Rundfunkbeitrags ergibt sich aus § 8 RFinStV, zuletzt geändert durch den Ersten Medienänderungsstaatsvertrag vom 9. November 2020. Dieser betrug bis zum 31. März 2015 17,98 EUR pro Monat, seit 1. April 2015 17,50 EUR pro Monat und seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juli 2021 – 1 BvR 2756/20 u.a. – 18,36 EUR pro Monat, für den Zeitraum von April 2022 bis September 2022 mithin 110,16 EUR.
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Rechtsgrundlage für die Festsetzung des Säumniszuschlags in Höhe von 8,00 EUR ist § 11 Abs. 1 der Satzung des Bayerischen Rundfunks über das Verfahren zur Leistung der Rundfunkbeiträge – Rundfunkbeitragssatzung – vom 5. Dezember 2016, in Kraft getreten am 1. Januar 2017 (StAnz Nr. 51-52/2016) i.V.m. § 9 Abs. 2 Satz 1
Nr. 5 Alt. 3 RBStV. Danach wird, wenn Rundfunkbeiträge nicht innerhalb von vier Wochen nach Fälligkeit in voller Höhe entrichtet werden, ein Säumniszuschlag in Höhe von einem Prozent der rückständigen Beitragsschuld, mindestens aber ein Betrag von 8,00 EUR fällig. Der Säumniszuschlag wird zusammen mit der Rundfunkbeitragsschuld durch Bescheid nach § 10 Abs. 5 RBStV festgesetzt. Mit jedem Bescheid kann nur ein Säumniszuschlag festgesetzt werden (§ 11 Abs. 1 Satz 3 Rundfunkbeitragssatzung).
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3.4. Die vom Kläger vorgebrachten Einwände gegen die Heranziehung zur Beitragspflicht, durch die er sich in seinen verfassungsgemäßen Rechten, insbesondere seiner Gewissensfreiheit, verletzt sieht, und seine Programmkritik, woraus er für sich ein Leistungsverweigerungs- bzw. Zurückbehaltungsrecht ableitet, haben keinen Erfolg.
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Wie oben bereits ausgeführt wurde, ist der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag nach Zustimmung der Landesparlamente und Hinterlegung der Ratifikationsurkunden in Kraft getreten und damit demokratisch legitimiert. Die Verfassungsmäßigkeit des seit 1. Januar 2013 geltenden Beitragsmodels ist höchstrichterlich durch Grundsatzentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, U.v. 18.7.2018 – 1 BvR 1675/16 u.a. – juris), des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 18.3.2016 – 6 C 6/15 – juris) sowie des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs (BayVerfGH, E.v. 15.5.2014 – Vf. 8-VII-12, Vf. 24-VII-12 – juris) geklärt. Das Gericht sieht keine Veranlassung von dieser Rechtsprechung abzuweichen.
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Demnach ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, die Erhebung des Rundfunkbeitrages an die potentielle Möglichkeit zu knüpfen, das öffentlich-rechtliche Rundfunkangebot zu nutzen. Der Beitrag dient dabei dem Ausgleich des Vorteils, der in der Möglichkeit der Nutzung des Rundfunkangebots besteht. Es ist zulässig, den Kreis der Vorteilsempfänger im privaten Bereich anhand der Inhaberschaft einer Wohnung zu bestimmen, wobei die Erhebung des Beitrags auch unabhängig von dem Besitz eines Empfangsgerätes erfolgen darf, da nicht erforderlich ist, dass der beitragsrelevante Vorteil auch tatsächlich wahrgenommen wird. Da die Beitragspflicht an die potentielle Möglichkeit anknüpft, Rundfunkangebote zu nutzen, lässt ein freiwilliger Verzicht auf die Nutzungsmöglichkeit die Beitragspflicht nicht entfallen. Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Belastungsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz) verlangt nicht, Wohnungsinhaber, die bewusst auf eine Rundfunkbeitragsmöglichkeit verzichten, von der Rundfunkbeitragspflicht auszunehmen. Auf das Vorhandensein von Empfangsgeräten kommt es ebenso wenig an wie auf die Bereitschaft des Beitragspflichtigen, das Rundfunkangebot zu nutzen (vgl. BVerfG, U.v. 18.7.2018 – 1 BvR 1675/16 u.a. – juris Rn. 87, 89; BVerwG, U.v. 18.3.2016 – 6 C 6/15 – juris Rn. 34; BayVerfGH, E.v. 15.5.2014 – Vf. 8-VII-12 u.a. – juris Rn. 98). Maßgeblich ist vielmehr, dass eine realistische Nutzungsmöglichkeit besteht. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zwingt den Gesetzgeber nicht etwa dazu, eine Befreiungsmöglichkeit für Personen vorzusehen, die von der ihnen eröffneten Nutzungsmöglichkeit keinen Gebrauch machen wollen oder vortragen, aus Gewissensgründen keinen Rundfunkbeitrag leisten zu können (subjektive Unmöglichkeit). Eine Befreiung vom Rundfunkbeitrag kommt gemäß § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV in besonderen Härtefällen auf Antrag dann in Betracht, wenn der Rundfunkempfang objektiv unmöglich ist. Das kann etwa in seltenen Fällen aus technischen Gründen der Fall sein (z.B. dauerhaftes „Funkloch“) oder aber aus Gründen, die in der Person des Beitragspflichtigen liegen. Letzteres ist dann anzunehmen, wenn der Rundfunkempfang für die Person schon von vornherein von keinem denkbaren Nutzen ist (z.B. für taubblinde Menschen, vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 10 RBStV). Darüber hinaus reduziert der Staatsvertrag die Beitragspflicht auf Antrag auf 1/3 für diejenigen, die das Angebot nur teilweise nutzen können, insbesondere für Taube oder blinde Menschen (§ 4 Abs. 2 RBStV) (vgl. BVerfG, U.v. 18.7.2018 – 1 BvR 1675/16 u.a. – juris Rn. 85, 93, 102; BVerwG, U.v. 18.3.2016 – 6 C 6/15 – juris Rn. 34; BayVerfGH, E.v. 15.5.2014 – Vf. 8-VII-12, Vf. 24-VII-12 – juris Rn. 130).
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Die Heranziehung zur Rundfunkbeitragspflicht verstößt auch nicht gegen die grundrechtlich geschützte Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG). Eine Gewissensentscheidung im Sinne des Art. 4 Abs. 1 GG ist nach der Definition des Bundesverfassungsgerichts eine ernste, sittliche, d.h. an den Kriterien von „Gut“ und „Böse“ orientierte Entscheidung, die der Einzelne in einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt verpflichtend erfährt, so dass er gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot handeln könnte (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.1960 – 1 BvL 21/60 – juris; U.v. 13.4.1978 – 2 BvF 1/77, 2/77, 4/77, 5/77 – juris; VG des Saarlandes, U.v. 23.12.2015 – 6 K 43/15 – juris, Rn. 62).
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Die Programmentscheidung liegt nicht im Verantwortungsbereich des Klägers. Die Gewissensfreiheit reicht aber nur soweit wie der eigene Verantwortungsbereich (VG des Saarlandes, a. a. O., Rn. 63 m. w. N.). Denn die Zahlung einer Abgabe wie des Rundfunkbeitrags als solche ist nicht mit der Äußerung eines Bekenntnisses verbunden. Der Rundfunkbeitrag dient allgemein der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, wobei dieser aufgrund der Programmfreiheit über die Programmgestaltung und damit über die Beitragsverwendung eigenverantwortlich entscheidet. Ähnlich wie bei der Steuer steht auch hier nicht fest, für welche Programme und Programminhalte der Beitrag des jeweiligen Schuldners verwendet wird. Der Beitragsschuldner, der sich auf seine Gewissensfreiheit beruft, muss und kann nicht davon ausgehen, dass sein konkreter Beitrag für Sendungen verwendet wird, deren Inhalt er für rechtswidrig hält oder aus Gewissensgründen ablehnt (OVG Rheinland-Pfalz, B.v. 16.11.2015 – 7 A 10455/15- juris). Der Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 GG sowie des Art. 9 EMRK wird durch die Beitragserhebung als solche daher nicht tangiert (OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 1.2.2017 – OVG 11 N 91.15 – juris Rn. 127; VG des Saarlandes, a. a. O., Rn. 70 m. w. N.).
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Vor diesem Hintergrund ist es auf der Grundlage der bestehenden verfassungsrechtlichen Beurteilung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ausgeschlossen, die Vereinbarkeit der Programminhalte mit den Wertvorstellungen der einzelnen Beitragspflichtigen zum Maßstab für die Frage der Zumutbarkeit der Beitragszahlung zu machen, so dass auch für eine Gewissensprüfung durch die Rundfunkanstalten bzw. die Gerichte kein Raum ist. Da der Rundfunkbeitrag nach dem Gebot der Belastungsgleichheit zu vollziehen ist und es sich hierbei um ein Massenverfahren handelt, können objektiv nicht nachprüfbare Kriterien wie weltanschauliche Gründe oder politische Anschauungen, die von der Programmgestaltung teilweise abweichen, allein grundsätzlich eine Beitragsbefreiung nicht rechtfertigen.
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Auch der Vorwurf, der öffentlich-rechtliche Rundfunk komme seinem Auftrag einer sachlichen und ausgewogenen Berichterstattung nicht nach, lässt die Rechtmäßigkeit der Beitragspflicht unberührt. Zwar haben die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten bei der Berichterstattung die anerkannten journalistischen Grundsätze, die Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung zu berücksichtigen (§ 11 Abs. 2 Rundfunkstaatsvertrag – RStV). Verstöße gegen dieses gesetzliche Gebot haben im Einzelfall jedoch nicht die Rechtswidrigkeit des Rundfunkbeitrags, welcher für die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks unverzichtbar ist, zur Folge, sondern sind im Wege der Programmbeschwerde nach dem Bayerischen Rundfunkgesetz gegenüber dem jeweiligen Aufsichtsgremium (Rundfunkrat) geltend zu machen (BayVGH, B.v. 30.3.2017 – 7 ZB 17.60 – juris Rn. 9; OVG RhPf, B.v. 16.11.2015 – 7 A 10455/15 – juris Rn. 21. m.w.N.). Eine Zustimmung bzw. Übereinstimmung mit dem Programminhalt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist jedenfalls für die Pflicht zur Zahlung des Rundfunkbeitrags gerade nicht erforderlich (BayVGH, U.v. 19.6.2015 – 7 BV 14.1707, juris Rn. 35).
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Diese Rechtsprechung, der sich die erkennende Einzelrichterin anschließt, wurde vom Bayerische Verwaltungsgerichtshof in neuerer Zeit mit Urteil vom 17. Juli 2023 (BayVGH, U.v. 17.07.2023 – 7 BV 22.2642 – juris), dem ein Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München (VG München, U.v. 21.09.2022 – M 6 K 22.2507 – juris) zugrunde lag, in dem ein Zurückbehaltungsrecht wegen angeblicher Nicht- oder Schlechtleistung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verneint wurde, bestätigt. Danach obliegt die Überprüfung der Einhaltung der staatsvertraglichen Vorgaben durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten deren jeweils zuständigen plural besetzten Gremien. Der Rundfunkbeitragspflicht können daher weder Bedenken hinsichtlich mangelnder Programm- und Meinungsvielfalt noch ein gänzliches Verfehlen des verfassungsmäßigen Funktionsauftrags des öffentlich-rechtlichen Rundfunks entgegengehalten werden. Hierfür stehen den Rundfunkbeitragspflichtigen die Eingabe- und Beschwerdemöglichkeiten zu den normativ vorgesehenen Stellen der Rundfunkanstalten offen. Insoweit ist der Kläger nicht rechtlos gestellt.
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Vor diesem Hintergrund bestand nach der maßgeblichen materiell-rechtlichen Rechtsauffassung des Gerichts auch keine Veranlassung, im Wege der Amtsermittlung gemäß § 86 Abs. 1 VwGO der Frage nachzugehen, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinen verfassungsrechtlichen Funktionsauftrag nachkommt bzw. im Beitragszeitraum nachgekommen ist. Auch das vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 13. Mai 2024 vorgelegte „Manifest für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland“ vom April 2024, das von 134 Personen, davon vorgeblich 33 (nicht namentlich genannten) Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, deren Unterschriften bei einem Rechtsanwalt hinterlegt sein sollen, unterzeichnet wurde, führt zu keinem anderen Ergebnis. Die darin geäußerten Zweifel an der Ausgewogenheit des Programms, die aufgeführten gegenwärtigen Probleme des derzeitigen öffentlich-rechtlichen Rundfunks und die Thesen für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk von morgen, die im Übrigen u.a. auch die Beibehaltung des Prinzips der Rundfunkbeitragszahlung, das die Unabhängigkeit des neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunks sichere, enthalten, ändert nichts daran, dass – wie oben umfangreich ausgeführt wurde – der Rundfunkbeitrag unabhängig von subjektiv empfundener Nicht- oder Schlechtleistung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu leisten ist.
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Nach alledem hat die Klage gegen den Festsetzungsbescheid vom 1. November 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Dezember 2022 keinen Erfolg und war daher abzuweisen.
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4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens trägt.
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5. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff der Zivilprozessordnung (ZPO).