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VG München, Beschluss v. 28.05.2024 – M 18 E 24.2143
Titel:

Einstweilige Anordnung (Ablehnung), Anspruch auf Nachweis eines Betreuungsplatzes in einer Kindertageseinrichtung, Rechtsschutzbedürfnis (verneint), Verfrühte Anrufung des Gerichts

Normenketten:
VwGO § 123
SGB VIII § 24 Abs. 3
Schlagworte:
Einstweilige Anordnung (Ablehnung), Anspruch auf Nachweis eines Betreuungsplatzes in einer Kindertageseinrichtung, Rechtsschutzbedürfnis (verneint), Verfrühte Anrufung des Gerichts
Fundstelle:
BeckRS 2024, 13490

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

I.
1
Der am ... 2021 geborene Antragsteller begehrt den Nachweis eines Betreuungsplatzes.
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Die Eltern des Antragstellers meldeten dessen Bedarf für einen Betreuungsplatz ab 1. September 2024 am 14. Februar 2024 bei der Wohnortgemeinde B. an.
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Mit E-Mail vom 17. April 2024 forderte die Mutter des Antragstellers den Antragsgegner auf, bis 13. Mai 2024 einen geeigneten Kindergartenplatz nachzuweisen. Mit E-Mail vom selben Tag antwortete der Antragsgegner hierauf, dass er nicht über eigene Betreuungsplätze verfüge und keinen Einfluss auf die Vergabe der Betreuungsplätze habe. Nach Rücksprache mit der Wohnortgemeinde sei diese bemüht, für jedes Kind einen Betreuungsplatz bereit zu stellen.
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Mit Schriftsatz vom 29. April 2024 ließ die Antragspartei durch ihre Bevollmächtigten beim Verwaltungsgericht München beantragen,
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Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller ab dem 01.09.2024 einen bedarfsgerechten und zumutbaren Betreuungsplatz in einer Tageseinrichtung mit einer Betreuungszeit von täglich (Montag bis Freitag) durchgängig sechs Stunden nachzuweisen. Die Tageseinrichtung muss von der Wohnung des Antragstellers aus in maximal 30 Minuten erreichbar sein.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antragsteller zum Zeitpunkt des Bedarfs das dritte Lebensjahr vollendet und daher einen Anspruch auf Förderung in einer Tageseinrichtung gemäß § 24 Abs. 3 SGB VIII habe. Die Eltern hätten sich rechtzeitig an den Antragsgegner gewandt und um die Zurverfügungstellung eines Betreuungsplatzes gebeten. Die gegenwärtige Betreuung durch die Kinderkrippe sei nur noch bis 31. August 2024 möglich, da der Antragsteller dann zu alt sei und nicht mehr betreut werden könne und dürfe.
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Der Antragsgegner legte die Behördenakten elektronisch vor.
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Mit Schriftsätzen vom 7. und 24. Mai 2024 erwiderte der Antragsgegner auf den Antrag. Der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz werde nicht in Frage gestellt. Der Antragsgegner sei bemüht, dem Antragsteller einen Betreuungsplatz anzubieten. Eine Rückmeldung der Wohnortgemeinde des Antragstellers werde für den 29. Mai 2024 erwartet. Eine Antragstellung unterblieb.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird ergänzend auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
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Der Antrag hat keinen Erfolg.
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Einstweilige Anordnungen sind nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller das von ihm behauptete streitige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO.
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Voraussetzung für das Vorliegen eines Anordnungsgrunds ist grundsätzlich, dass es dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen, der öffentlichen Interessen und der Interessen anderer Personen nicht zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
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Zudem erfordert (auch) der einstweilige Rechtsschutz ein Rechtsschutzbedürfnis. Es fehlt grundsätzlich dann, wenn gerichtlicher Rechtsschutz nicht erforderlich ist. Bei Begehren um vorläufigen vorbeugenden Rechtsschutz ist zu beachten, dass bei befürchtetem Handeln durch Verwaltungsakt regelmäßig vorläufiger Rechtsschutz nicht vorbeugend erforderlich ist, sondern nach Erlass des Verwaltungsakts ggf. über § 80 VwGO gewährt werden kann. Für vorläufigen vorbeugenden Rechtsschutz gibt es in diesen Fällen daher nur dann ein rechtlich schützenswertes Interesse, wenn der Rechtsschutz über § 80 VwGO nicht möglich ist oder aber nicht ausreicht, um wesentliche Nachteile abzuwenden (Happ, in: Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 123 Rn. 34).
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Ein solches Rechtsschutzbedürfnis ist vorliegend nicht gegeben.
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Die Antragstellung bei Gericht bereits am 29. April 2024 ist ebenso wie im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung verfrüht.
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Unabhängig davon, dass der Antragsteller – mittlerweile nach Vollendung des dritten Lebensjahres am 13. Mai 2024 – (auch unbestritten) dem Grunde nach einen Anspruch nach § 24 Abs. 3 SGB VIII gegenüber dem Antragsgegner auf Nachweis eines geeigneten Betreuungsplatzes hat, wird dieser Anspruch erst zum 1. September 2024 geltend gemacht.
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Die vorliegende Anrufung des Gerichts bereits fünf Monate vor diesem Termin erscheint nicht erforderlich. Der Antragsteller ist zunächst auf den Fortgang des Verwaltungsverfahrens zu verweisen.
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Denn der Antragsgegner hat mehrfach ausgeführt, dass er bzw. die Wohnortgemeinde um die rechtzeitige Erfüllung des Anspruchs bemüht sind und er sich in ständigem Austausch mit dieser befindet. Eine abschließende Erklärung dahingehend, dass keine rechtzeitige Anspruchserfüllung erfolgen wird, liegt hingegen nicht vor.
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Zudem ist dem Antragsgegner auch eine angemessene Bearbeitungszeit zuzubilligen, die im Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht abgelaufen ist.
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Eine dem Antragsgegner wohl gemäß § 16 Abs. 2 Satz 2 SGB I zuzurechnende Bedarfsmeldung gegenüber der Wohnortgemeinde (vgl. hierzu VG München, B.v. 30.6.2023 – M 18 E 23.1161 – juris Rn. 9 m.w.N.; OLG Brandenburg, B.v. 18.10. 2022 – 2 U 66/21, juris Ls. 1) erfolgte erstmals am 14. Februar 2024. Auch wenn die Anmeldefrist des § 24 Abs. 5 SGB VIII i.V.m. Art. 45a AGSG auf den Anspruch des Antragstellers aus § 24 Abs. 3 SGB VIII keine Anwendung findet, so ist dem Antragsgegner jedoch ebenfalls eine gewisse Bearbeitungszeit auch unabhängig davon zuzubilligen (vgl. hierzu: VG Göttingen, B.v. 21.7.2021 – 2 B 122/21 – juris Rn. 18; VG Mainz, B.v. 9.3.2020 – 1 L 76/20.MZ – juris Rn. 10). Eine solche dürfte regelmäßig ebenfalls drei Monate betragen, sofern nicht aufgrund eines besonderen Einzelfalls eine besondere Dringlichkeit dargelegt wurde (vgl. VG Münster, B.v. 29.8.2023 – 6 L 676/23 – juris Rn. 29 ff; OVG B-Bbg., B.v. 28.5.2019 – OVG 6 S 25.19 – juris Rn. 4; VG Stuttgart, B.v. 14.9.2022 – 9 K 4400/22 – juris Rn. 33). Eine derartige Dringlichkeit für einen umgehenden Nachweis eines Betreuungsplatzes zum 1. September 2024 haben die Antragsteller hingegen weder gegenüber dem Antragsgegner noch im gerichtlichen Verfahren glaubhaft gemacht. Vielmehr hat der Antragsteller bis zum 31. August 2024 einen Betreuungsplatz inne.
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Unabhängig hiervon erscheint fraglich, ob der Anspruch auf Nachweis eines Betreuungsplatzes in der Zukunft überhaupt bereits Monate vor der beabsichtigten Inanspruchnahme begehrt werden kann (vgl. hierzu VG München, B.v. 6.8.2019 – M 18 E 3248 – juris Rn. 23).
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Der Antrag war daher derzeit abzulehnen.
23
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Das Verfahren ist nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.