Titel:
Besteuerung von Spielbanken, Neutralitätsgrundsatz und Umsatzsteuer
Normenketten:
AO § 164 Abs. 3, § 168 S. 1, § 363 Abs. 2 S. 2
UStG § 4 Nr. 9 b, § 14 Abs. 2 Nr. 2
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3
SpielV § 12, § 13
MwStSystRL Art. 73, Art. 135 Abs. 1 Buchst. i
Leitsätze:
1. Eine steuerbare Dienstleistung liegt nicht nur dann vor, wenn der Gewinn bis auf wenige Prozentpunkte feststeht. Der EuGH hat entschieden, dass die Grundsätze aus seinem Urteil „Glawe“ auch dann gelten, wenn, wie in dem streitgegenständlichen Fall, die SpielV in ihrer auch in den Streitjahren gültigen Fassung Anwendung findet, mithin bei Umsätzen mit Geldspielautomaten die Kasseneinnahmen steuerpflichtig sind (EuGH -Urteile vom 24.10.2013 C- 440/12 „Metropol Spielstätten“, UR 2013,866; vom 05.05.1994 C- 38/93 „Glawe“, BStBl II 1994, 548). (Rn. 104) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Steuerbarkeit der Geldspielautomatenumsätze kommt es nicht darauf an, ob die Geldspielgeräte so konstruiert sind, dass sie einen vorhersehbaren Ertrag verschaffen, und ob aufgrund der Einstellungen der Automaten bis auf wenige Prozentpunkte genau feststehen muss, mit welchem Ertrag gerechnet werden kann. (Rn. 105) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für die Steuerbarkeit ist vielmehr entscheidend, dass sich die Parteien (hier die Klägerin als Automatenaufsteller und der einzelne Spielgast) in einem gegenseitigen Vertrag, der durch das Angebot (Aufstellen des Automaten) und Annahme (Einwurf des Geldes) zustande gekommen ist, in einem gegenseitigen Vertrag verpflichtet haben. Dass die konkrete Höhe des Gegenwerts dieses Leistungsaustausches nicht von vornherein feststeht, ist für die Annahme eines Leistungsaustausches und somit einer Steuerbarkeit nicht erforderlich. (Rn. 107) (redaktioneller Leitsatz)
4. Umsätze öffentlicher Spielbanken sind im Verhältnis zu Umsätzen der von der Klägerin betriebenen Geldspielgeräte aus der Sicht des Verbrauchers gleichartige und miteinander im Wettbewerb stehende Umsätze, die aus diesem Grund hinsichtlich der Mehrwertsteuer gleich behandelt werden müssen und seit 06.05.2006 auch gleich behandelt werden (EuGH-Urteile vom 17.02.2005 C-453/02 und C-462/02 „Linneweber und Akritidis“ HFR 2005, 487; vom 10.11.2011 C- 259/10 und C-260/10 „The Rank Group“, UR 2012,104). (Rn. 116) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Umsatzsteuer
Fundstellen:
EFG 2024, 1521
StEd 2024, 426
LSK 2024, 13459
BeckRS 2024, 13459
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
1
Streitig ist die Umsatzsteuerpflicht der Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten.
2
Die Klägerin betreibt Geldspielgeräte mit Gewinnchancen und ein Internetcafe.
3
Die Klägerin reichte bei dem Beklagten Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 2006 bis 2019 ein und deklarierte ihre Umsätze aus dem Betrieb der Geldspielgeräte als umsatzsteuerpflichtig.
4
Gegen die Steuerfestsetzung gemäß § 168 Satz 1 Abgabenordnung (AO) vom 24.01.2008 für 2006 legte die Klägerin am 25.02.2008 Einspruch ein, gegen den Bescheid vom 01.02.2010 für 2007 am 03.02.2010, gegen die Steuerfestsetzung gemäß § 168 Satz 1 AO vom 01.02.2010 für 2008 am 01.02.2010, gegen die Änderungsbescheide der Jahre 2010 bis 2011 nach Betriebsprüfung vom 01.09.2015 am 18.09.2015, gegen die Steuerfestsetzung gemäß § 168 Satz 1 AO vom 24.01.2014 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 01.09.2015 für 2012 am 24.01.2014, gegen die Steuerfestsetzungen gemäß § 168 Satz 1 AO vom 11.12.2014 für 2013 am 11.12.2014, vom 03.12.2015 für 2014 am 03.12.2015, vom 30.11.2016 für 2015 am 30.11.2016, vom 22.06.2017 für 2016 am 22.06.2017, vom 22.11.2018 für 2017 am 22.11.2018, vom 05.12.2019 für 2018 am 05.12.2019 und vom 29.09.2020 für 2019 am 29.09.2020.
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In den Streitjahren wurde die Umsatzsteuer – wie folgtfestgesetzt:
6
Mit ihren Einsprüchen wendete sich die Klägerin unter Hinweis auf die zu § 4 Nr. 9 b Umsatzsteuergesetz (UStG) anhängigen Verfahren beim BFH.
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Die gegen sämtliche Einspruchsverfahren beantragte und gewährte Verfahrensruhe gemäß § 363 Abs. 2 Satz 2 AO wurde mit Schreiben vom 21.07.2020 durch den Beklagten beendet.
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Mit Einspruchsentscheidung vom 12.10.2020 wies der Beklagte die Einsprüche als unbegründet zurück. Er begründete dies damit, dass der Bundesfinanzhof (BFH) in seinem Urteil vom 11.12.2019 erneut bekräftigt habe, dass gegen die Umsatzbesteuerung von Glücksspielumsätzen keine Bedenken bestünden (BFH-Urteil vom 11.12.2019 XI R 13/18, BStBl II 2020, 296).
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Zudem nahm der Beklagte Bezug auf die gegen das Urteil des BFH vom 11.12.2019 erhobenen Anhörungsrügen, die gleichermaßen als unbegründet zurückgewiesen wurden (BFH-Beschlüsse vom 30.06.2020 XI S 11/20, BFH/NV 2021, 26; vom 29.07.2020 XI S 8/20, BFH/NV 2021, 34).
10
Der Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 3 AO wurde für 2006 am 06.02.2009, für 2010 bis 2012 am 01.09.2015 und für 2007, 2008 und 2013 bis 2015 mit der Einspruchsentscheidung vom 12.10.2020 aufgehoben.
11
Die Klägerin hat gegen die Einspruchsentscheidung vom 12.10.2020 am 04.11.2020 Klage erhoben.
12
Die Klägerin trägt zur Begründung der Klage vor:
13
Bei ihr würde die Höhe der Kasseneinnahmen erst im Nachhinein feststehen und diese seien nicht vorhersehbar, da sie dem der Kasse im Nachhinein entnommenen Geldbetrag entsprechen würden. Damit fehle es an einem unmittelbaren Zusammenhang zwischen Leistung (Zurverfügungstellung der Geräte unter Einräumung einer Gewinnchance) und Gegenleistung (Kasseneinnahme am Ende eines Zeitraums) und damit an einem steuerbaren Umsatz.
14
Im Urteil vom 11.12.2019 (XI R 13/18, BStBl II 2020, 296) habe der BFH festgestellt, dass das Entgelt und damit die Gegenleistung, welche der Betreiber der Geldspielgeräte erhalte, vorliegend nicht der Spieleinsatz des einzelnen Spielgastes sei, sondern (nur) die (Netto-) Kasseneinnahme am Ende eines Monats.
15
Da nicht die Spieleinsätze der einzelnen Spielgäste das Entgelt / die Gegenleistung seien, fehle es insoweit an einem Leistungsaustausch zwischen dem Betreiber und den einzelnen Spielgästen.
16
Der EuGH habe im Urteil „Bastova“ die Leistung des Veranstalters gegen Entgelt nur deshalb bejaht, weil der Veranstalter seine Leistung mit der Zahlung einer (erfolgsunabhängigen) Anmeldegebühr und des (erfolgsunabhängigen) Startgeldes vergütet bekommen habe (EuGH-Urteil vom 10.11.2016 C-432/15 „Bastova“, UR 2016, 913).
17
Sowohl Anmeldegebühr als auch das Startgeld seien erfolgsunabhängige Vergütungen, welche der Pferderennveranstalter erhalte. Aus diesem Grunde bestehe zwischen der Leistung des Pferderennveranstalters und der Gegenleistung ein unmittelbarer Zusammenhang, und es handele sich dabei nach ständiger Rechtsprechung des EuGH um steuerbare Umsätze gegen Entgelt im Sinne des Art. 2 Abs. 1 Buchstabe c der RL 2006/112/EG. Anders verhalte es sich jedoch beim Betreiber von Geldspielautomaten. Der Betreiber der Automaten erhalte anders als der Veranstalter des Pferderennens als Gegenleistung weder eine Anmeldegebühr, noch ein Startgeld für seine Leistung. Zwar würden die Spieler einen Spieleinsatz leisten, dieser Spieleinsatz stelle aber, wie der BFH in Rz. 29 seines Urteils vom 11.12.2019 (XI R 13/18, BStBl II 2020, 296) zutreffend ausführen würde, gerade nicht das Entgelt dar, welches der Betreiber erhalten würde. Das Entgelt des Betreibers sei (nur) die Kasseneinnahme am Ende eines Zeitraums (Monat/ Jahr) und diese sei anders als eine Anmeldegebühr oder ein Startgeld vom Zufall abhängig, denn sie hänge davon ab, was die Spieler im Laufe des Zeitraums gewinnen oder verlieren würden.
18
Die Kasseneinnahmen, die der Betreiber eines Geldspielgerätes aus dem Betrieb des Gerätes erzielen könne, würden sich seit Geltung der Verordnung über Spielgeräte und andere Spiele mit Gewinnmöglichkeit in der Fassung der Bekanntmachung vom 27.01.2006 (BGBl I, 280) – Spielverordnung (SpielV) nicht bis auf wenige Prozentpunkte im Voraus besser kalkulieren lassen als die Preisgelder, die der Halter eines Rennpferdes aus der Teilnahme an Pferderennen oder der Berufspokerspieler aus der Teilnahme an einem Pokerspiel erzielen könne. Die Kasseneinnahmen würden erst am Ende eines Zeitraums und nicht von vornherein feststehen und starken Schwankungen unterliegen. Ein entscheidungserheblicher Unterschied zu den vom EuGH und BFH entschiedenen Fällen würde vorliegend darin bestehen, dass im Streitfall der Anteil der Spieleinsätze, der als Gewinn ausgeschüttet werde, von vornherein nicht feststehe.
19
Die Geldspielgeräte der neuen Generation (für die die SpielV gelte), um deren Umsätze es vorliegend gehe, seien nicht mehr so konstruiert, dass sie „dem Betreiber einen vorhersehbaren Ertrag verschaffen“ würden.
20
Die Abweichungen bei den Kasseneinahmen seien deutlich höher als nur wenige Prozentpunkte. Deshalb sei die Gewissheit für den Betreiber auch nicht so groß, „dass seine Einnahmen weniger als Gewinne angesehen werden könnten, denn als eine Gebühr für seine in der Bereitstellung der Automaten bestehende Dienstleistung.“
21
Dem Fall „Glawe“, in dem Generalanwalt J. seine Schlussanträge gehalten habe, liege eine gesetzliche Regelung zugrunde, nach der mindestens 60% der eingeworfenen Beträge wieder an die Spielgäste habe ausgeschüttet werden müssen (EuGH-Urteil vom 05.05.1994 C- 38/93 „Glawe“, BStBl II 1994, 548). Seit der seit 2006 geltenden Spielverordnung gäbe es eine solche feste Mindestauszahlungsquote nicht mehr.
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Zwar gebe es noch „zwingende gesetzliche Bestimmungen“, die nach der Rechtsprechung des EuGH (EuGH -Urteil vom 24.10.2013 C- 440/12 „Metropol Spielstätten“, UR 2013, 866) dazu führen würden, nicht den Spieleinsatz als Entgelt anzusehen, sondern die Kasseneinnahme, aber die Abweichungen bei den Kasseneinnahmen seien deutlich höher als nur wenige Prozentpunkte. Auch fortgesetzte Minuskassen seien möglich und nicht ungewöhnlich.
23
Darüber hinaus fehle es an einem Rechtsverhältnis zwischen ihr, der Klägerin, und der Gesamtheit der Spieler, welche die Kasseneinnahmen generiert hätten. Voraussetzung dafür, dass es sich bei der von ihr erbrachten Leistung um eine „Leistung gegen Entgelt“ handeln würde, wäre also, dass die Kasseneinnahmen im unmittelbaren Zusammenhang mit der von ihr erbrachten Dienstleistung stünden. Sie, die Klägerin, würde aber weder zur Gesamtheit der Spielgäste in einem Rechtsverhältnis stehen, noch würden die Spielgäste untereinander in einem Rechtsverhältnis zueinanderstehen. Rechtsverhältnisse könnten nur zwischen ihr und den einzelnen Spielgästen bestehen. Da nach der Rechtsprechung des BFH die Umsatzsteuer unselbständiger Teil des zivilrechtlichen Preises sei (BFH-Urteil vom 04.03.1982 V R 107/79, BStBl II 1982, 309), müsste die Umsatzsteuer folglich in jedem einzelnen Preis zwischen Betreiber und einzelnem Spielgast enthalten sein. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Damit würden Rechtsverhältnis und erhaltenes Entgelt auseinanderfallen.
24
Es liege aus diesem Grund ein Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) vor, da nach der Rechtsprechung des BFH der Leistungsaustausch im Rahmen eines Rechtsverhältnisses nicht mit den einzelnen Spielern bestünde, so dass das Recht des Unternehmers, eine Rechnung gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 2 erster Halbsatz UStG auszustellen, unterlaufen werden würde.
25
Das Ermessen eines Mitgliedstaates zur Versteuerung von Glücksspielumsätzen sei durch die Einräumung des Rechts auf Rechnungsausstellung begrenzt. Der BFH habe sich in seiner Entscheidung vom 11.12.2019 (XI R 13/18, BStBl II 2020, 296) mit der nationalen Rechtslage zur Rechnungsausstellung nicht ausreichend auseinandergesetzt. Die Rechtssache EuGH „Careda“, die der BFH herangezogen habe, sei im vorliegenden Fall nicht einschlägig gewesen da es in Spanien kein gesetzlich geregeltes Recht zur Rechnungsausstellung gebe.
26
Es sei fraglich, ob Art. 1 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 73 Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL) der Anwendung der Bemessungsgrundlage „Kasseneinnahmen“ bei Geldspielgeräten mit Gewinnmöglichkeit entgegenstehe. Dies sei durch den EuGH bisher nicht entschieden worden, Zweifel an der Vereinbarkeit ergäben sich allerdings aus dem EuGH-Urteil vom 26.09.2013 (C-189/11 „Kommission / Spanien“, UR 2013, 835). Dort habe der EuGH entschieden, es sei unzulässig, die Steuerbemessungsgrundlage pauschal für jeden Besteuerungszeitraum zu bestimmen.
27
Die Umsätze seien nach alledem nicht steuerbar, hilfsweise seien sie gemäß Art. 135 Abs. 1 Buchstabe i der RL 2006/112/EG von der Steuer befreit.
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Sie, die Klägerin, könne sich unmittelbar auf die durch die Richtlinie gewährte Umsatzsteuerfreiheit berufen, weil die Umsätze der mit ihr im Wettbewerb stehenden öffentlichen Spielbanken sich gar nicht unionsrechtskonform besteuern lassen könnten.
29
Nach der Rechtsprechung des EuGH dürften die Betreiber gewerblicher Geldspielautomaten und die Betreiber der öffentlichen Spielbanken hinsichtlich der Mehrwertsteuer nicht unterschiedlich behandelt werden. Die Besteuerung der Geldspielumsätze verstoße auch gegen den unionsrechtlichen Neutralitätsgrundsatz.
30
Der XI. Senat des Bundesfinanzhofs in seinem Urteil vom 11.12.2019 (XI R 13/18, BStBl II 2020, 296) entnehme der Rechtsprechung des EuGH, dass Art. 1 Abs. 2 Satz 1 und 2 und Art. 73 MwStSystRL dahin auszulegen seien, dass sie auch einer nationalen Regelung oder Praxis nicht entgegenstünden, nach der beim Betrieb von Spielgeräten mit Gewinnmöglichkeit, deren Einnahmen nicht durch zwingende gesetzliche Vorschriften begrenzt seien – und damit seien solche Geldspielgeräte gemeint, wie sie in den öffentlichen Spielbanken aufgestellt seien –, der Kasseninhalt des Geräts nach Ablauf eines bestimmten Zeitraums als Bemessungsgrundlage zugrunde gelegt werden würde.
31
Eine solche Rechtsprechung des EuGH gebe es jedoch entgegen der Annahme des BFH nicht. Vielmehr habe der EuGH im Urteil „Metropol Spielstätten“ und „Glawe“ entschieden, dass in den Fällen, in denen gemäß § 12 und § 13 SpielV Begrenzungen für Einsätze, Gewinne und Verluste von Spielern vorgesehen seien, die Gegenleistung, die der Betreiber für die Bereitstellung der Automaten tatsächlich erhalte, durch „zwingende gesetzliche Vorschriften“ festgelegt sei und daher nur „in dem Teil der Einsätze, über den er effektiv selbst verfügen könne, bestehe. Der EuGH habe also im Urteil Metropol Spielstätten, wie auch bereits zuvor im Urteil Glawe die Anwendung der Kasseneinnahme als Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer ausdrücklich auf die Umsätze aus solchen Spielgeräten beschränkt, bei denen die Gegenleistung, die der Betreiber für die Bereitstellung der Automaten tatsächlich erhalte, durch „zwingende gesetzliche Vorschriften“ festgelegt sei.
32
Bei den Spielgeräten, die in den öffentlichen Spielbanken aufgestellt sind, seien die Umsätze jedoch gerade nicht durch zwingende gesetzliche Vorschriften beschränkt. Mangels gesetzlicher Vorgaben betreffend die Spieleinsätze und Auszahlungen könnten die Betreiber der öffentlichen Spielbanken über sämtliche Spieleinsätze „verfügen“. Die von den Spielern in den öffentlichen Spielbanken getätigten Einsätze seien auch nicht technisch und gegenständlich von den Einsätzen getrennt, die der Spielbankbetreiber tatsächlich für sich verbuchen könne. Die dort aufgestellten Geldspielgeräte würden über keine Münzstapelrohre oder Hopper verfügen, die als Auszahlvorrichtung dienten.
33
Richtigerweise seien bei diesen nicht nur die Kasseneinnahmen am Ende eines Zeitraums, sondern die Spieleinsätze insgesamt das Entgelt für die von ihnen erbrachte Leistung. Dies habe auch der BFH in seinem Urteil vom 01.09.2010 (V R 32/09, BStBl II 2011, 300) bestätigt.
34
Insoweit der XI. Senat des BFH also in seinem Beschluss vom 04.01.2023 (XI B 51/22, BFH/NV 2023, 279) in Rz 18 ausführe, dass hinsichtlich der Umsatzsteuer eine unterschiedlich hohe steuerliche Belastung der gewerblichen Spielhallenbetreiber und der öffentlichen Spielbanken im Übrigen nicht ersichtlich sei, da die umsatzsteuerliche Belastung in beiden Fällen auf der Anwendung der gleichen Bemessungsgrundlage unter Anwendung des gleichen Steuersatzes beruhe, übersehe der BFH, dass eine den Gleichheitsgrundsatz verletzende Ungleichbehandlung auch dadurch gegeben sein könne, dass wesentliches Ungleiches willkürlich gleichbehandelt werde.
35
Nach diesen Grundsätzen sei für die Rechtfertigung der benachteiligenden Gleichbehandlung eine strengere Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen (BVerfG-Beschluss vom 07.04.2022 1 BvL 3/18, BVerfGE 161, 163).
36
In Bezug auf das Unionsrecht sei darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung, der in den Art. 20 und 21 der Charta der Grundrecht der Europäischen Union verankert sei, nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs verlange, vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich zu behandeln, es sei denn, dass eine solche Behandlung objektiv gerechtfertigt sei (EuGH-Urteile vom 12.11.2014 C-580/12 „Guardian Industries und Guardian Europe/Kommission“, ECLI:EU:C:2014:2363, Rz 51; vom 04.05.2016 C-477/14 „Pillbox 38“, ECLI:EU:C:2016:324, Rz 35).
37
Der unionsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz werde also vorliegend dadurch verletzt, dass die Umsätze der öffentlichen Spielbanken willkürlich mit der gleichen Bemessungsgrundlage besteuert würden wie ihre Umsätze, obwohl die Umsätze in Bezug auf die anzuwendende Bemessungsgrundlage nach den Vorgaben des EuGH wesentlich ungleich seien, da die Besteuerung der öffentlichen Spielbanken nur unter Anwendung des Nettospielertrages als Bemessungsgrundlage besteuert würde und nicht wie zutreffend unter Anwendung des Spieleinsatzes (BVerfG-Urteil vom 27.06.1991 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239) .
38
Bei konsequenter Anwendung der vom EuGH angewandten und vom BFH übernommenen Grundsätze würde eine tatsächliche Unmöglichkeit der Besteuerung der Umsätze der öffentlichen Spielbanken eintreten. Denn würde man konform mit der Rechtsprechung des EuGH und des BFH für diese Umsätze tatsächlich sämtliche Spieleinsätze als Entgelt und damit als Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer ansetzen, könnten die Betreiber der öffentlichen Spielbanken die Umsatzsteuer nicht abwälzen und daher nicht mehr bezahlen, da mindestens 95% der geleisteten Spieleinsätze wieder als Gewinne an die Spielgäste ausgezahlt würden. Aus den maximal 5% der Spieleinsätze bei den Betreibern verbleibenden Spieleinsätzen müssten die Betreiber also 19% der gesamten Spieleinsätze an Umsatzsteuer abführen, was sich als tatsächlich unmöglich darstellen würde.
39
Vorliegend werde der steuerliche Neutralitätsgrundsatz primär durch eine Wettbewerbsverzerrung verletzt, die darin bestehe, dass der Betreiber der öffentlichen Spielbank ohne rechtfertigenden Grund systematisch mit der gleichen Bemessungsgrundlage besteuert werde, obwohl die Sachverhalte nicht die Gleichen seien.
40
Es sei in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass sich bislang soweit ersichtlich weder der EuGH noch der BFH mit der Frage, ob die Umsätze der öffentlichen Spielbanken mangels geeigneter Bemessungsgrundlage von der Steuer zu befreien seien und folglich auch die Anbieter gewerblicher Automatenspiele sich auf die Befreiung berufen könnten, befasst habe.
41
Dies habe der Gesetzgeber bei der Änderung des § 4 Nr. 9 Buchstabe b UStG übersehen. Die danach unzutreffende Besteuerung öffentlicher Spielbanken, die sich wie dargestellt praktisch nicht unionsrechtskonform durchführen lasse, führe zu einem strukturellen Vollzugsdefizit in der Form eines normativen Defizits und zu einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG, welche jedenfalls zur Verfassungswidrigkeit der Besteuerung der klägerischen Umsätze führe. Es liege ein Verstoß gegen die Belastungsgleichheit vor. Daran ändere sich auch nichts dadurch, dass die Umsätze der öffentlichen Spielbanken seit dem Wegfall der Steuerfreiheit zum 06.05.2006 tatsächlich besteuert würden, indem bei ihnen als Entgelt und damit als Bemessungsgrundlage wie bei den Betreibern gewerblicher Geldspielautomaten die Kasseneinnahmen am Ende eines Zeitraums herangezogen würden. Denn Inhalt des normativen Befehls der Änderung des § 4 Nr. 9 Buchstabe b UStG sei nicht lediglich gewesen, die Umsätze der öffentlichen Spielbanken irgendeiner Besteuerung zu unterwerfen, sondern es sei darum gegangen, sie einer unionsrechtskonformen und dem Neutralitätsgrundsatz entsprechenden Besteuerung zu unterwerfen. Dass es dem Gesetzgeber bei der Gesetzesänderung um die Herstellung des Neutralitätsgrundsatzes gegangen sei, ergebe sich schon aus der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 16/634).
42
Eine Herstellung des unionsrechtlichen Neutralitätsgrundsatzes, dessen Nichteinhaltung vom EuGH im Urteil „Linneweber und Akritidis“ gerügt worden sei, wäre nur dadurch möglich gewesen, durch eine entsprechende Änderung des § 4 Nr. 9 Buchstabe b UStG neben den Umsätzen der Betreiber der öffentlichen Spielbanken, die sich aus den dargelegten Gründen für eine Besteuerung nicht eignen würden, auch die Umsätze der Betreiber der gewerblichen Spielautomaten von der Steuer zu befreien.
43
Darüber hinaus erfolge die Besteuerung der öffentlichen Spielbanken nur formal durch die Umsatzsteuer.
44
Aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ergäben sich vier wesentliche Merkmale einer Mehrwertsteuer, die maßgeblich seien, damit eine Steuer den Charakter einer Umsatzsteuer aufweise: (1) Allgemeine Geltung der Steuer für alle sich auf Gegenstände und Dienstleistungen beziehenden Geschäfte; (2) Festsetzung ihrer Höhe proportional zum Preis, den der Steuerpflichtige als Gegenleistung für die Gegenstände und Dienstleistungen erhalten würde; (3) Erhebung der Steuer auf jeder Produktions- und Vertriebsstufe, einschließlich der Einzelhandelsstufe, ungeachtet der Zahl der vorher bewirkten Umsätze; (4) Abzug der auf den vorhergehenden Stufen bereits entrichteten Beträge von der vom Steuerpflichtigen geschuldeten Steuer, so dass sich die Steuer auf einer bestimmten Stufe nur auf den auf dieser Stufe vorhandenen Mehrwert beziehe und die Belastung letztlich vom Verbraucher getragen werde. (EuGH-Urteile vom 03.10.2006 C-475/03 „Banca popolare di Cremona“, ECLI:EU:C:2006:629, Rz 28; vom 08.06.1999 C-338/97, C-334/97 und C-390/97 „Pelzl u. a.“, ECLI:EU:C:1999:285, Rz 21); vom 07.05.1992 C-347/90 „Bozzi“, ECLI:EU:C:1992:200, Rz 12).
45
Dies würde voraussetzen, dass im Moment der Ausführung des Umsatzes (d. h. im Moment der Verbraucherversorgung) die Höhe der Steuer – wie dies bei der Mehrwertsteuer der Fall sei – feststünde. Da diese aber erst am Ende des Jahres berechnet werden könne und abhängig von der Höhe der Jahresumsätze sei, würde das leistende Spielbankunternehmen eine gegebenenfalls überzuwälzende Steuerbelastung im Moment der Leistungsausführung noch gar nicht, jedenfalls nicht genau der Höhe nach, kennen. Insofern liege auch keine auf Überwälzung angelegte Steuer vor (vgl. dazu die Schlussanträge der Generalanwältin Juliane Kokott vom 04.07.2019 C-323/18 „Tesco-Global Áruházak Zrt“, ECLI:ECLI:EU:C:2019:567, Rz 29 bis 35).
46
Tatsächlich unterlägen die Umsätze jedoch keiner Besteuerung mittels einer Umsatzsteuer im (materiellen) Sinne der MwStSystRL, insbesondere da die Steuer weder tatsächlich noch kalkulatorisch auf die Verbraucher abgewälzt und auch nicht jeder Umsatz proportional nach Maßgabe seines Preises besteuert werde, somit seien das 2. und 4. Merkmal nicht erfüllt. Es handele sich nicht um eine indirekte Steuer, da sie den Endverbraucher nicht erreiche und sie ihn nach der Gesetzesbegründung auch nicht erreichen solle. Aus der Konzeption der Steuer ergebe sich, dass die Spielbankenunternehmen direkt besteuert werden sollten, es handele sich dabei mithin um eine Ertragsteuer. Auch aus der Gesetzesbegründung zur Änderung des § 4 Nr. 9 Buchstabe b UStG (BT-Drucksache 16/634) ergebe sich, dass der Gesetzgeber selbst davon ausgehe, die „Umsatzsteuer“ belaste wirtschaftlich die Spielbanken. Insbesondere gehe der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung davon aus, die „Umsatzsteuer“ solle nur mittelbar (z.B. bei Serviceleistungen) und auch nur teilweise an den Endverbraucher weitergegeben werden. Die demnach verbleibende Belastung für Unternehmer sei der Umsatzsteuer jedoch wesensfremd. Der Neutralitätsgrundsatz gebiete es, dass die Unternehmer nicht mit der Mehrwertsteuer belastet würden.
47
Entgegen der Bezeichnung im Urteil des BFH vom 11.12.2019 (XI R 13/18, BStBl II 2020, 296) gebe es in der Rechtsprechung nicht den Begriff einer kalkulatorischen Mehrwertsteuer.
48
Nach der Rechtsprechung des EuGH sei die Mehrwertsteuer als indirekte Steuer auf eine Abwälzung auf den zivilrechtlichen Vertragspartner angelegt. Das setze grundsätzlich voraus, dass der abzuwälzende Mehrwertsteuerbetrag zum Leistungszeitpunkt feststehe und nicht erst rückwirkend ermittelbar sei (Schlussanträge der Generalanwältin J. K. vom 06.09.2018 C 531/17 „Vetsch Int. Transporte“, ECLI:ECLI:EU:C:2018:677, Rz 64, m.w.N.). Insbesondere den Ausführungen in Rz 31 und Rz 32 der Schlussanträge der Generalanwältin J. K. in der Rechtssache C-323/18 „Tesco-Global“ vom 04.07.2019 lasse sich entnehmen, dass die Mehrwertsteuer jedenfalls dann nicht auf Abwälzung angelegt sei, wenn diese erst am Ende des Jahres berechnet werden könne und abhängig von der Höhe der Jahresumsätze sei, da dann das leistende Unternehmen eine gegebenenfalls überzuwälzende Steuerbelastung im Moment der Leistungsausführung noch gar nicht kenne, jedenfalls nicht genau der Höhe nach. Genau das sei aber vorliegend der Fall. Die Höhe des Entgelts sowie der daraus abzuführende Umsatzsteuerbetrag ergebe sich erst am Jahresende, da die Kasseneinnahmen am Ende des Jahres das Entgelt seien. Zwar gebe sie, die Klägerin, monatliche Umsatzsteuervoranmeldungen ab, diese würden aber nur zu einer vorläufigen Berechnung des Entgelts und damit zu der vorläufigen Umsatzsteuer führen. Erst am Jahresende stünde dann fest, wie hoch das Entgelt, die Kasseneinnahme, sei und welcher Mehrwertsteuerbetrag sich daraus ergebe. Gewinnende Spielgäste würden keine Umsatzsteuer bezahlen.
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Die erst am Ende feststehende Steuer könne daher vorliegend auch nicht konkret auf den Verbraucher übergewälzt werden. Eine nur kalkulatorische Abwälzbarkeit reiche bei der Mehrwertsteuer, wie die Generalanwältin K. ausdrücklich zutreffend ausführen würde, gerade nicht aus. Damit sei die bei ihr, der Klägerin, erhobene „Umsatzsteuer“ nicht auf Abwälzbarkeit angelegt, wenn das Entgelt in der Kasseneinnahme am Ende eines Zeitraumes bestünde. Leistungszeitpunkt sei beim Betrieb von Geldspielgeräten der Zeitpunkt, in dem der Betreiber das Geldspiel an dem Gerät zur Verfügung stelle. Die Kasseneinnahme als Entgelt bzw. Gegenleistung und der darin enthaltene Mehrwertsteuerbetrag würden erst nach Ablauf des Zeitraums und nicht bereits zum Leistungszeitpunkt feststehen.
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Das widerspreche den vom EuGH aufgestellten Grundsätzen einer Abwälzbarkeit der Steuer.
51
Überdies zeige die in allen Spielbankgesetzen der Länder vorgesehene Verrechnung der Umsatzsteuer mit der Spielbankabgabe, dass dem Gesetzgeber klar gewesen sei, dass die mittelbare Weitergabe der Steuer an Endverbraucher nicht ausreichen würde, die für die Unternehmen geschaffenen Belastungen aufzufangen. Zudem stelle der Umstand, dass dieser Belastung ausweislich der Gesetzesbegründung durch eine Senkung der Spielbankabgabe, der Sonderabgaben oder der zusätzlichen Gewinnabschöpfungen entgegengewirkt werden solle, gerade keine Abwälzung auf den Endverbraucher dar. Auch dies spreche gegen die Annahme, dass die Steuer für die Betreiber der öffentlichen Spielbanken auf Abwälzbarkeit angelegt sei.
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Im Ergebnis seien öffentliche Spielbanken noch immer von der Umsatzsteuer befreit. Hiervon gingen alle Landesgesetzgeber aus, da in allen Spielbankgesetzen der Länder eine Verrechnung der Spielbankabgabe mit der Umsatzsteuer vorgesehen sei. Etwas Anderes ergebe sich auch nicht aus dem EuGH-Urteil vom 24.10.2013 (C-440/12 „Metropol Spielstätten“, UR 2013, 866), denn die Umsätze der öffentlichen Spielbanken seien nicht durch zwingende gesetzliche Vorschriften begrenzt. Wenn also die Umsätze der öffentlichen Spielbanken von der Mehrwertsteuer befreit seien, müsse dies zur Wahrung des steuerlichen Neutralitätsgrundsatzes zur Folge haben, dass auch die Klägerin sich auf die Mehrwertsteuerbefreiung des Art. 135 Abs. 1 Buchstabe i MwStSystRL berufen könne.
53
Mit Beschluss vom 23.06 2023 (V S 9/22) habe auch der V. Senat des BFH bestätigt, dass durch die Einführung der Umsatzsteuer zum 06.05.2006 die Unternehmer mit der Steuer hätten belastet werden sollen. Im Urteil würde der V. Senat ausführen, dass durch die Einführung der Umsatzsteuerpflicht auf Spielbankenumsätze eine Belastung der Spielbankunternehmer eintrete, sei Zweck der Änderung des § 4 Nr. 9 Buchstabe b UStG gewesen.
54
Damit würde der V. Senat in bislang noch nie dagewesener Deutlichkeit einräumen, dass es sich bei der als „Umsatzsteuer“ bezeichneten Steuer gerade nicht um eine auf Abwälzbarkeit angelegte Steuer handele, sondern um eine Steuer, die zielgerichtet den Unternehmer belasten solle.
55
In diesem Zusammenhang sei ergänzend darauf hinzuweisen, dass gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des V. BFH-Senats vom 11.08.2022 (V B 66/20) wegen der Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, am 21.09.2022 durch den Prozessbevollmächtigten Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht eingelegt worden sei, über die das Bundesverfassungsgericht noch nicht entschieden habe (1 BvR 1283/23).
56
Sie, die Klägerin, könne vorliegend nicht auf die Konkurrentenklage verwiesen werden, insoweit sie wegen der nicht unionsrechtskonformen Besteuerung der Spielbankenumsätze öffentlicher Spielbanken eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes, Art. 3 Abs. 1 GG, rügen würde. Mit der Konkurrentenklage könne, wie der BFH ausführen würde, eine unzutreffende Nichtbesteuerung eines Konkurrenten geltend gemacht werden. Sie würde aber vorliegend gerade nicht rügen, dass die Spielbankenumsätze von der Finanzverwaltung unzutreffend umsatzsteuerfrei belassen werden, sondern dass sich die Umsätze der öffentlichen Spielbanken aus den vorstehend genannten Gründen überhaupt nicht unionsrechtskonform besteuern lassen würden und daher bereits ein strukturelles Vollzugsdefizit vorliegen würde.
57
Heilen ließe sich die gerügte Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nur dadurch, dass ihre (anders als die Umsätze der öffentlichen Spielbanken) durch zwingende gesetzliche Vorschriften begrenzten Umsätze mit einer niedrigeren Bemessungsgrundlage als der Kasseneinnahme besteuert würden oder – falls dies nicht möglich sein sollte – dadurch, dass die Umsätze der öffentlichen Spielbanken vollständig von der Steuer befreit werden würden, da diese sich schlecht für die Anwendung der Mehrwertsteuer eignen würden und gleichzeitig – zur Wahrung des steuerlichen Neutralitätsgrundsatzes – auch ihre Umsätze von der Steuer befreit werden müssten.
58
Ihre Einnahmen aus dem Betrieb von Geldspielautomaten seien nach Art. 135 Abs. 1 Buchstabe i MwStSystRL steuerfrei. Dies folge aus § 6 der Verordnung über öffentliche Spielbanken (SpielbkV) vom 27.07.1938, die nach Art. 125 GG weiterhin geltendes Bundesrecht sei.
59
Das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung wegen der Verletzung des Gebots der Tatbestandsbestimmtheit sowie das der Normenklarheit habe der BFH vorliegend verletzt, soweit er hierzu in 2016 entschieden habe, dass die Verordnung insoweit nicht mehr gelte, da § 6 Abs. 1 SpielbkV, welcher unter anderem eine Befreiung der Spielbankunternehmer von der Umsatzsteuer vorsehe, als Bundesrecht fortgelte.
60
Eine solche unzulässige Abänderung einer gesetzlichen Entscheidung und eine unzulässige Rechtsfortbildung nehme der BFH zudem in seinem Urteil vom 11.12.2019 vor, indem er den unverändert im Bundesgesetzblatt als geltendes Recht stehenden § 6 Abs. 1 SpielbkV entgegen des eindeutigen Wortlauts in Bezug auf die Umsatzsteuerbefreiung für nicht mehr geltend erklären würde und er damit eine unzulässige verfassungswidrige Rechtsfortbildung begehe.
61
Für den vorliegend streitgegenständlichen Zeitraum, insbesondere für die Zeit vor 2016, bestehe daher keinesfalls eine Normenklarheit und auch keine Verständlichkeit der Rechtsnorm. Vielmehr führe der Umstand, dass auch die Umsatzsteuerbefreiung für die Spielbanken gemäß § 6 Abs. 1 SpielbkV im Bundesgesetzblatt weiter unverändert fortgelten würde dazu, dass für sie, die Klägerin, vor dem BFH-Beschluss aus 2016 gerade nicht hinreichend klar gewesen sei, dass für die Spielbanken keine Umsatzsteuerbefreiung mehr gelte. Aus diesem Grund seien auch die Einnahmen privater Unternehmer aus Glückspiel steuerfrei zu stellen.
62
Die Vorschrift des § 4 Nr. 9 Buchstabe b UStG verstoße gegen das GG, da die Durchsetzung des Steueranspruchs gegen ausländische Betreiber von Online-Casinos, welche gleichartige (virtuelle) Automatenspiele wie sie, die Klägerin, anböten, wegen struktureller Vollzugshindernisse weitgehend vereitelt werde. Es liege ein Verstoß gegen die Belastungsgleichheit und damit auch eine Verletzung des Grundrechts auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG vor. Dies gelte auch im Streitzeitraum vor dem 01.07.2021. Es habe den ausländischen Anbietern im Ergebnis freigestanden, ihre Leistungen in Deutschland zur Steuer anzumelden oder nicht.
63
Dies würde sich aus dem „Jahresbericht 2019 über das Ergebnis der Prüfungen im Geschäftsjahr 2018“ des Landesrechnungshofs Nordrhein-Westfalen, insbesondere aus Tz. 22 „Besteuerung der Lotterien und der Renn- und Sportwetten“ (S. 263 ff. des Berichts), ergeben. Der Landesrechnungshof komme zu dem Ergebnis, aufgrund unzureichender gesetzlicher Regelungen bestehe ein strukturelles Defizit bei der Besteuerung des Online-Glücksspiels in Deutschland.
64
Bei den von Online-Casino-Betreibern im Internet angebotenen Automatenspielen handele es sich im Vergleich zu den von ihr angebotenen terrestrischen Spielen um gleichartige Automatenspiele. Insoweit würden die Onlineanbieter die Spieler aus den Spielhallen im Internet gezielt anwerben.
65
Die von Online-Casinos angebotenen Automatenspiele wären vor dem 01.07.2021, obwohl nach § 4 Abs. 4 Glücksspielstaatsvertrag 2012 (GlüStV) illegal, nach § 40 AO der Umsatzbesteuerung unterlegen.
66
Insbesondere seien diese Spiele im Streitzeitraum nicht den Bestimmungen des Rennwett- und Lotteriegesetzes unterlegen und seien daher nicht nach § 4 Nr. 9 Buchstabe b UStG von der Umsatzsteuer befreit gewesen. Die virtuellen Automatenspiele seien erst seit 01.07.2021 in den §§ 36 ff des Rennwett- und Lotteriegesetzes (RennwLottG) geregelt (vgl. BT-Drs. 19/28400). Erst seit dem 01.07.2021 seien Automatenspiele im Internet gemäß § 4 Abs. 4 GlüStV 2021 unter bestimmten Umständen legal.
67
Beim EuGH seien noch zwei Vorabentscheidungsverfahren (C 73/23 und C 741/22) anhängig. In Belgien seien, anders als in Deutschland, aufgrund praktischer Probleme bei der Besteuerung terrestrische Glücksspiele mit Geldeinsatz, also auch solche, wie sie die Klägerin veranstalte, von der Mehrwertsteuer befreit. Online veranstaltete Glücksspiele würden hingegen nicht dieser Befreiung unterliegen. Damit sei die Situation genau spiegelverkehrt zur Situation in Deutschland, wo terrestrische Automatenspiele nicht der Steuerbefreiung unterliegen, anders als die seit dem 01.07.2021 zugelassenen Online-Automatenspiele, die anstelle der Umsatzsteuer mit einer Sonderabgabe in Höhe von 5,3% aus dem Spieleinsatz belegt werden würden.
68
Nachdem der BFH zuletzt mit Beschluss vom 26.09.2022 (XI B 9/22, BFH/NV 2022, 1417) die ungleiche Behandlung von terrestrischem und virtuellem Automatenspiel für unproblematisch erachtet habe, da er beide Glücksspiele als nicht gleichartig ansehe, stelle sich diese Frage aufgrund des Vorlagebeschlusses aus Belgien im Verfahren C-73/23 nun erneut. Der Ausgang dieses Vorabentscheidungsersuchen (C-73/23) sei für das vorliegende Klageverfahren vorgreiflich. Nach der Zusammenfassung des Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art. 98 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes (C-73/23) vom 10.02.2023 gehe es in diesem Verfahren um die Frage, ob Glückspiele, wie sie die Klägerin betreibe, der Umsatzsteuer unterworfen werden dürften, wenn Lotterien von der Umsatzsteuer nach § 4 Nr. 9 Buchstabe b UStG befreit seien.
69
Im Hinblick auf die Rechtsprechung des BVerfG vom 27.06.1991 (2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239) würde eine Verletzung des Bestimmtheitsgrundsatzes vorliegen, da die Bemessungsgrundlage für Glücksspiele mit Geldeinsatz gesetzlich nicht geregelt sei.
70
Darüber hinaus ergebe sich aus dem Antwortschreiben vom Bayerischen Staatsminister der Finanzen und Heimat vom 27.10.2023 an die Präsidentin des bayerischen Landtags zur schriftlichen Anfrage der FDP vom 13.09.2023 zu „Bayerische Spielbanken“ als Antwort zu Frage 1.1 und 1.2, dass die Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer auf Spielbankumsätze der um die enthaltene Umsatzsteuer geminderte Bruttospielertrag sei.
71
Die Klägerin trägt zudem vor, dass das Verfahren auszusetzen sei, und regt an, die folgenden Fragen dem EuGH zur Vorabentscheidung nach Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) vorzulegen:
72
1. Ist Art. 135 Abs. 1 Buchstabe i MwStSystRL dahin auszulegen, dass sich ein Steuerpflichtiger in einem Mitgliedstaat unmittelbar auf die darin enthaltene Steuerbefreiung berufen darf, wenn die Veranstaltung eines solchen Glücksspiels durch eine zugelassene öffentliche Spielbank nach der entsprechenden nationalen Rechtsvorschrift infolge einer Gesetzesänderung, die nach dem Urteil vom 17.02.2005 in den verbundenen Rechtssachen „Linneweber und Akritidis“ (C-453/02 und C-462/02) erfolgte, zwar nicht mehr steuerfrei ist, aber die Besteuerung der Spielbankenumsätze praktisch unmöglich ist, da diese keinen Beschränkungen durch zwingende gesetzliche Vorschriften unterliegen, weshalb die Kasseneinnahmen als Bemessungsgrundlage nicht in Betracht kommen („Metropol Spielstätten“, C-440/12), jedoch eine Besteuerung der gesamten Spieleinsätze aufgrund tatsächlich hoher Auszahlquoten wegen fehlender Abwälzungsmöglichkeiten nicht möglich ist?
73
2. Liegt ein das Grundrecht auf Gleichbehandlung, Art. 3 Abs. 1 GG, verletzendes strukturelles Vollzugsdefizit vor, wenn die Umsätze aus dem Betrieb gewerblicher Geldspielgeräte der Umsatzsteuer unterliegen, die Veranstaltung eines mit dem Betrieb im Wettbewerb stehenden gleichartigen Glücksspiels durch eine zugelassene öffentliche Spielbank nach der Vorschrift des § 4 Nr. 9 Buchstabe b UStG infolge einer Gesetzesänderung, die nach dem Urteil vom 17.02.2005 in den verbundenen Rechtssachen „Linneweber und Akritidis“ erfolgte, zwar nicht mehr steuerfrei ist, aber die Besteuerung der Spielbankenumsätze auf praktische Probleme stößt, da diese Umsätze keinen Beschränkungen durch zwingende gesetzliche Vorschriften unterliegen, weshalb die Kasseneinnahme als Bemessungsgrundlage nicht in Betracht kommt (C-440/12 „Metropol Spielstätten“), jedoch eine Besteuerung der gesamten Spieleinsätze aufgrund tatsächlich hoher Auszahlquoten wegen fehlender Abwälzungsmöglichkeiten nicht möglich ist?
74
3. Ist die Möglichkeit zur Teilnahme am Spiel an Geldgewinnspielgeräten, deren Umsätze durch zwingende gesetzliche Vorschriften im Sinne der Rechtsprechung des EuGH (C-440/12 „Metropol Spielstätten“) begrenzt sind, gegen Einräumung einer Gewinnchance, vor dem Hintergrund des EuGH-Urteils vom 10.11.2016 (C-432/15 „Bastova“) eine Erbringung einer Dienstleistung gegen Entgelt im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchstabe c der Mehrwertsteuerrichtlinie und somit eine Leistung, die der Mehrwertsteuer unterliegt, wenn als Entgelt, welches der Dienstleister von den Spielgästen erhält, die monatlichen Kasseneinnahmen zugrunde gelegt werden, die ihrerseits von der Höhe der Gewinne und Verluste der jeweiligen Spieler abhängen und das Entgelt damit anders als der Spieleinsatz, der platzierungsunabhängig im Voraus zu leisten ist, vom Zufall abhängt?
75
4. Verstößt es gegen den unionsrechtlichen Neutralitätsgrundsatz in Verbindung mit dem verfassungsmäßigen Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung, dass die Klägerin sich für das Streitjahr 2007 nicht auf die Steuerbefreiung gemäß Art. 135 Abs. 1 Buchstabe i der RL 2006/112/EG berufen kann, obwohl nach § 6 Abs. 1 SpielbkV der Spielbankunternehmer für den Betrieb der Spielbank von den laufenden Steuern des Reichs, die vom Einkommen, vom Vermögen und vom Umsatz erhoben werden, sowie von der Lotteriesteuer und von der Gesellschaftssteuer befreit ist und das Recht aus der Zeit vor dem Zusammentritt des Bundestages fortgilt, soweit es dem GG nicht widerspricht (Art. 123 Abs. 1 GG) und § 6 SpielbkV daher als Bundesrecht fortgilt?
76
5. Handelt es sich bei der Umsatzsteuer, die auf Umsätze auf den Betrieb von Geldspielgeräten erhoben wird, bei welcher sich das Entgelt und damit auch der Mehrwertsteuerbetrag aus der Kasseneinnahme am Ende eines Zeitraums ergibt, um eine auf Abwälzung auf den zivilrechtlichen Vertragspartner angelegte Steuer?
77
6. Steht Art. 1 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 73 MwStSystRL der Anwendung der Bemessungsgrundlage „Kasseneinnahme“ bei Geldspielgeräten mit Gewinnmöglichkeit entgegen?
78
7. Stehen Art. 135 Abs. 1 Buchstabe i der RL 2006/112/EG in Verbindung mit Art. 20 und Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union in Verbindung mit dem steuerlichen Neutralitätsgrundsatz einer nationalen Regelung oder Praxis eines Mitgliedsstaates entgegen, bei welcher Umsätze aus Glücksspielen mit Geldeinsatz, die durch zwingende gesetzliche Vorschriften begrenzt sind, einer Besteuerung ihrer Umsätze anhand der Bemessungsgrundlage der Kasseneinnahme (Einzahlungen minus Auszahlungen) unterliegen, wenn zugleich auch die Umsätze von aus Sicht des Verbrauchers gleichartigen Glücksspielen in öffentlichen Spielbanken, deren Umsätze jedoch nicht durch zwingende gesetzliche Vorschriften begrenzt sind, einer Besteuerung ihrer Umsätze anhand der Bemessungsgrundlage der Kasseneinnahme unterliegen? Falls ja zu Frage 7:
79
Lässt sich die steuerliche Neutralität dadurch herstellen, dass die Umsätze der öffentlichen Spielbanken, welche nicht durch zwingende gesetzliche Vorschriften begrenzt werden, höher besteuert werden, dergestalt, dass der gesamte Spieleinsatz für die Bemessungsgrundlage herangezogen wird, selbst wenn dadurch aufgrund hoher Auszahlquoten den Spielbankunternehmern nicht genügend Ertrag verbleibt, um daraus die Mehrwertsteuerschuld zu begleichen? Falls nein zu Frage 7:
80
Wenn sich die steuerliche Neutralität nicht durch eine höhere Besteuerung der Umsätze der öffentlichen Spielbanken herstellen lässt, wie hat die Herstellung des steuerlichen Neutralitätsgrundsatzes dann zu erfolgen?
81
8. Sind Art. 135 Abs. 1 Buchstabe i der RL 2006/112/EG in Verbindung mit dem steuerlichen Neutralitätsgrundsatz sowie Art. 17 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass sie der Einführung einer Mehrwertsteuer entgegenstehen, die den Zweck hat den Unternehmer zu belasten?
82
Der Klägervertreter regt in der mündlichen Verhandlung an, statt Fragen zur Übereinstimmung mit dem Grundgesetz dem EuGH eine Frage zur Vereinbarkeit von § 14 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG zum Recht auf Rechnungsausstellung im Kontext eines Automatenspielbetreibers zu stellen, wenn das zu besteuernde Entgelt in der Kasseneinnahme am Ende eines Besteuerungszeitraums liegen soll, statt in der Leistung des einzelnen Spielgastes.
83
Das Verfahren sei zudem nach Art. 100 Abs. 1 GG auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorzulegen, ob § 4 Nr. 9 Buchstabe b UStG in der für den Veranlagungszeitraum maßgeblichen Fassung des Umsatzsteuergesetzes (§ 4 Nr. 9 Buchstabe b UStG n.F., geändert durch Artikel 2 G v. 28.04.2006, BGBl I, 1095) mit dem Grundgesetz insoweit unvereinbar sei, als die Vorschrift die Umsätze aus Geldspielgeräten mit Gewinnmöglichkeit nicht von der Umsatzsteuer befreien würde, die Durchsetzung des Steueranspruchs gegen die Betreiber der Online-Casinos, welche gleichartige (virtuelle) Automatenspiele wie die Klägerin anbieten würden, wegen struktureller Vollzugshindernisse aber weitgehend vereitelt werde.
84
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags der Klägerin wird auf die Schriftsätze vom 04.11.2020, 16.03.2021, 04.11.2021, 22.01.2024, 20.02.2024 und 26.02.2024 Bezug genommen.
85
Die Klägerin beantragt,
den Umsatzsteuerbescheid für 2006 vom 06.02.2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.10.2020 dahingehend zu ändern, dass die festgesetzte Umsatzsteuer um 29.533,62 € auf 51.222,43 € herabgesetzt wird, den Umsatzsteuerbescheid für 2007 vom 01.02.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.10.2020 dahingehend zu ändern, dass die festgesetzte Umsatzsteuer um 107.256,30 € auf 44.018,93 € herabgesetzt wird, den Umsatzsteuerbescheid für 2008 vom 01.02.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.10.2020 dahingehend zu ändern, dass die festgesetzte Umsatzsteuer um 59.912,61 € auf 9.020,90 € herabgesetzt wird, den Umsatzsteuerbescheid für 2010 vom 01.09.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.10.2020 dahingehend zu ändern, dass die festgesetzte Umsatzsteuer um 116.563,75 € auf -1.066,21 € herabgesetzt wird, den Umsatzsteuerbescheid für 2011 vom 01.09.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.10.2020 dahingehend zu ändern, dass die festgesetzte Umsatzsteuer um 77.185,82 € auf -1.176,35 € herabgesetzt wird, den Umsatzsteuerbescheid für 2012 vom 01.09.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.10.2020 dahingehend zu ändern, dass die festgesetzte Umsatzsteuer um 95.796,83 € auf -5.762,06 € herabgesetzt wird, den Umsatzsteuerbescheid für 2013 vom 22.12.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.10.2020 dahingehend zu ändern, dass die festgesetzte Umsatzsteuer um 96.118,69 € auf -11.226,04 € herabgesetzt wird, den Umsatzsteuerbescheid für 2014 vom 03.12.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.10.2020 dahingehend zu ändern, dass die festgesetzte Umsatzsteuer um 148.158,30 € auf -8.820,01 € herabgesetzt wird, den Umsatzsteuerbescheid für 2015 vom 30.11.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.10.2020 dahingehend zu ändern, dass die festgesetzte Umsatzsteuer um 184.554,73 € auf 1.972,73 € herabgesetzt wird, den Umsatzsteuerbescheid für 2016 vom 22.06.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.10.2020 dahingehend zu ändern, dass die festgesetzte Umsatzsteuer um 156.867,43 € auf 1.141,61 € herabgesetzt wird, den Umsatzsteuerbescheid für 2017 vom 22.11.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.10.2020 dahingehend zu ändern, dass die festgesetzte Umsatzsteuer um 141.758,65 € auf 9.665,40 € herabgesetzt wird, den Umsatzsteuerbescheid für 2018 vom 05.12.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.10.2020 dahingehend zu ändern, dass die festgesetzte Umsatzsteuer um 107.705,20 € auf 1.195,11 € herabgesetzt wird, den Umsatzsteuerbescheid für 2019 vom 29.09.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.10.2020 dahingehend zu ändern, dass die festgesetzte Umsatzsteuer um 113.804,25 € auf -3.975,54 € herabgesetzt wird,
das Verfahren auszusetzen und den EuGH gem. Art. 267 Abs. 2 AEUV um eine Vorabentscheidung zu ersuchen,
das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gem. Art. 100 Abs. 1 GG einzuholen.
86
Der Beklagte beantragt,
87
Der Beklagte nimmt zur Begründung Bezug auf den Inhalt seiner Einspruchsentscheidung vom 12.10.2020 und trägt ergänzend insbesondere vor, dass die Besteuerung aufgrund gesicherter BFH- und EuGH-Rechtsprechung erfolgt sei. Die Auslegung des BFH finde auch in der Literatur Zustimmung.
88
Die Steuerbarkeit und die Steuerpflicht von Erlösen aus dem Betrieb von Geldspielautomaten sei bereits mehrfach vom Europäischen Gerichtshof und vom Bundesfinanzhof bestätigt worden. Diese Erlöse würden Entgelt für eine sonstige Leistung i.S.d. §§ 1 Abs. 1 Nr. 1 und 3 Abs. 9 UStG darstellen. Die sonstige Leistung bestehe in der Zulassung zum Spiel mit Gewinnchance. Die entgeltliche Gegenleistung der Teilnehmer sei der Spieleinsatz. Die Gegenleistung sei damit weder freiwillig noch ungewiss. Dass letztlich nicht der Umsatz, sondern der Gewinn des Unternehmers besteuert werde, habe der EuGH bereits mit Urteil vom 05.05.1994 (C-38/93 „Glawe“, BStBl II 1994, 548) entschieden. Auch die von der Klägerin aufgeworfenen Fragen zur nicht unionsrechtkonformen Besteuerung der Spielbanken seien vom EuGH in seinen Urteilen „Linneweber und Akriditis“, „Metropol Spielstätten“ und vom BFH entsprechend gewürdigt worden (EuGH-Urteile vom 17.02.2005 C-453/02 und C-462/02 „Linneweber und Akritidis“, HFR 2005, 487; vom 24.10.2013 C- 440/12 „Metropol Spielstätten“, UR 2013, 866; BFH-Urteil vom 11.12.2019 XI R 13/18, BStBl II 2020, 296; BFH-Beschlüsse vom 30.06.2020 XI S 11/20, BFH/NV 2021, 26; vom 29.07.2020 XI S 8/20, BFH/NV 2021, 34).
89
Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit (Glücksspiel mit Geldeinsatz) seien umsatzsteuerbar. Ein Aufsteller von Geldspielautomaten könne sich für Umsätze bis einschließlich 05.05.2006 auf die Steuerbefreiung des Art. 13 Teil B Buchst. f der RL 77/388/EWG berufen (Bestätigung des BFH-Urteils vom 12.05.2005 V R 7/02, BStBl II 2005, 617). Ein Aufsteller von Geldspielautomaten könne sich für Umsätze ab dem 06.05.2006 nicht auf die Steuerbefreiung des Art. 13 Teil B Buchst. f der RL 77/388/EWG oder des Art. 135 Abs. 1 Buchstabe i MwStSystRL berufen (Bestätigung des BFH-Urteils vom 10.11.2010 XI R 79/07, BStBl II 2011, 311).
90
§ 6 SpielbkV sei in Bezug auf die Umsatzsteuer zum 01.01.1968 außer Kraft getreten.
91
Bei Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit, die aufgrund zwingender gesetzlicher Vorschriften so eingestellt seien, dass ein bestimmter Prozentsatz der Spieleinsätze als Gewinn an die Spieler ausgezahlt werde, bestehe die vom Betreiber für die Bereitstellung der Automaten tatsächlich erhaltene Gegenleistung nur in dem Teil der Einsätze, über den er effektiv selbst verfügen könne (Bestätigung des EuGH-Urteils vom 05.05.1994 C- 38/93 „Glawe“, BStBl II 1994, 548).
92
Die Umsatzsteuer und eine innerstaatliche Sonderabgabe auf Glücksspiele dürften kumulativ erhoben werden, sofern die Sonderabgabe nicht den Charakter einer Umsatzsteuer habe. Ob es gegen das unionsrechtliche Beihilfeverbot verstoßen würde, dass bei öffentlichen Spielbanken die Umsatzsteuer auf die Spielbankabgabe angerechnet werde, sei im Klageverfahren wegen Umsatzsteuer nicht entscheidungserheblich. Eine erneute Vorlage von Rechtsfragen zur Umsatzbesteuerung von Glückspielen an den EuGH (die der Kläger angeregt hat) sei nicht erforderlich.
93
Die Anhörungsrüge gegen das BFH-Urteil vom 11.12.2019, XI R 23/18, BFH/NV 2020, 615, sei als unbegründet zurückgewiesen worden (BFH-Beschluss vom 29.07.2020 XI S 8/20, BFH/NV 2021, 34). Die Anhörungsrüge gegen das BFH-Urteil vom 11.12.2019, XI R 26/18, BFH/NV 2020, 616, sei als unbegründet zurückgewiesen worden (BFH-Beschluss vom 30.06.2020 XI S 11/20, BFH/NV 2021, 26).
Entscheidungsgründe
94
Die Klage ist unbegründet.
95
Die in den Streitjahren festgesetzten Umsatzsteuern sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –).
96
Mit dem Betrieb der Geldspielautomaten mit Geldeinsatz und Gewinnchance erzielte die Klägerin – entgegen ihrer Auffassung – in den Streitjahren steuerbare und steuerpflichtige Umsätze.
97
1. Die Klägerin hat durch den Betrieb von Geldspielautomaten in den Streitjahren sonstige Leistungen gegenüber den Spielern im Inland gegen Entgelt erbracht, die gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG umsatzsteuerbar sind.
98
a) Sowohl die Höhe der von der Klägerin erzielten Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten als auch die auf diese Umsätze entfallende Vorsteuer stehen – ebenso wie die Höhe der übrigen Umsätze und Vorsteuerbeträge – zwischen den Beteiligten nicht im Streit.
99
b) Für die Steuerbarkeit nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG muss zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis bestehen, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die vom Leistenden empfangene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für die dem Leistungsempfänger erbrachte bestimmbare Dienstleistung bildet. Dies ist dann der Fall, wenn zwischen der erbrachten Dienstleistung und dem erhaltenen Gegenwert ein unmittelbarer Zusammenhang besteht. Der Leistungsempfänger muss identifizierbar sein. Er muss einen Vorteil erhalten, der zu einem Verbrauch i.S. des gemeinsamen Mehrwertsteuerrechts führt (vgl. bspw. BFH-Urteil vom 10.042019 XI R 4/17, BStBl II 2019, 635, Rz 16). Leistung und Gegenleistung brauchen sich nicht objektiv gleichwertig gegenüberstehen (BFH-Urteil vom 22.06.1989 V R 37/84, BStBl II 1989, 913). Sämtliche Voraussetzungen der Steuerbarkeit liegen hier vor.
100
aa) Das Argument der Klägerin, es gebe vorliegend nur ein Rechtsverhältnis zwischen der Gesamtheit der Spielgäste, welche die Kasseneinnahmen generiert hätten, und der Klägerin, so dass es an einem Leistungsaustausch fehlen würde, greift nicht durch.
101
Das maßgebliche Rechtsverhältnis für den Leistungsaustausch besteht in den Spielverträgen mit den einzelnen Spielgästen, die Bemessungsgrundlage gemäß § 10 UStG für die Leistungen richtet sich nach der vom Betreiber für die Bereitstellung der Automaten tatsächlich erhaltenen Gegenleistung. Wie sich die Bemessungsgrundlage bemisst, hat allerdings keine Auswirkung auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Rechtsverhältnisses im Rahmen eines Leistungsaustausches (BFH-Beschluss vom 04.01.2023 XI B 51/22, BFH/NV 2023, 279).
102
bb) Die Geldeinsätze der Spieler stehen ungeachtet der Zufallsabhängigkeit in einem unmittelbaren Zusammenhang mit Leistungen der Klägerin, da nur durch den Geldeinsatz ein Spiel stattfindet (vgl. BFH-Urteil vom 11.12.2019 XI R 13/18, BStBl II 2020, 296, Rz 21).
103
cc) Entgegen der Ansicht der Klägerin steht die BFHRechtsprechung auch in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EuGH. Insbesondere hat der EuGH bereits im Jahre 2002 entschieden, dass Glücksspiele unionsrechtlich steuerbar sind (EuGH- Urteil vom 17.09.2002 C-498/99 „Town & County Factors“, UR 2002, 510). Unter Beachtung der durch den EuGH aufgestellten Grundsätze steht fest, dass die Leistung des Automatenaufstellers in der Einräumung einer Gewinnchance (unter Inkaufnahme des Risikos, den Gewinn auszahlen zu müssen) besteht, diese Leistung trotz der Zufallsabhängigkeit des Umstands, ob dem einzelnen Spieler ein Gewinn ausgezahlt werden muss oder nicht, in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fällt. Es kommt weder auf die Bauart der Geräte, den konkreten Spielablauf, die Gestaltung der Kassen oder auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Zufallsabhängigkeit an (BFH-Beschlüsse vom 04.01.2023 XI B 51/22, BFH/NV 2023, 279; vom 29.07.2020 XI S 8/20, BFH/NV 2021,34; BFH-Urteil vom 11.12.2019 XI R 13/18, BStBl II 2020, 296 unter Bezugnahme auf EuGH-Rechtsprechung).
104
dd) Nach der Rechtsprechung des EuGH steht ferner fest, dass eine steuerbare Dienstleistung nicht nur dann vorliegt, wenn der Gewinn bis auf wenige Prozentpunkte feststeht. Der EuGH hat entschieden, dass die Grundsätze aus seinem Urteil „Glawe“ auch dann gelten, wenn, wie in dem streitgegenständlichen Fall, die SpielV in ihrer auch in den Streitjahren gültigen Fassung Anwendung findet, mithin bei Umsätzen mit Geldspielautomaten die Kasseneinnahmen steuerpflichtig sind (EuGH -Urteile vom 24.10.2013 C- 440/12 „Metropol Spielstätten“, UR 2013,866; vom 05.05.1994 C- 38/93 „Glawe“, BStBl II 1994, 548).
105
Aus diesem Grund kommt es für die Steuerbarkeit der Geldspielautomatenumsätze der Klägerin nicht darauf an, ob die Geldspielgeräte so konstruiert sind, dass sie einen vorhersehbaren Ertrag verschaffen, und ob aufgrund der Einstellungen der Automaten bis auf wenige Prozentpunkte genau feststehen muss, mit welchem Ertrag gerechnet werden kann. Aus dem Fall „Bastova“ ergibt sich nichts Anderes, da im streitgegenständlichen Fall die Klägerin zunächst, ohne jegliche Bedingungen, einen Spieleinsatz vom Spieler erhält und dieser Einsatz nicht vom Zufall abhängt (EuGH-Urteil vom 10.11.2016 C-432/15 „Bastova“, UR 2016, 913). Der vom EuGH entschiedene Fall ist nicht mit dem streitgegenständlichen Fall vergleichbar, da es dort um die Mehrwertsteuerpflicht des überlassenden Eigentümers ging, und nicht um die Mehrwertsteuerpflicht des Pferderennveranstalters. Darüber hinaus ist die Teilnahme eines Rennpferdes an einem Pferderennen nicht mit der Veranstaltung von Glücksspielen vergleichbar (BFH-Beschluss vom 04.01.2023 XI B 51/22, BFH/NV 2023, 279).
106
Die Ungewissheit in Bezug auf den Geldgewinn schließt nicht die Steuerbarkeit eines Umsatzes aus, sondern ist gerade ein wesentlicher Bestandteil der von den Benutzern von Geldspielautomaten angestrebten Unterhaltung. Der Aufsteller räumt dem Spieler eine Gewinnchance ein und nimmt im Gegenzug das Risiko in Kauf, den Gewinn auszahlen zu müssen. Nach den Regelungen der SpielV sind die Geldspielgeräte gerade darauf ausgerichtet, dass dem Betreiber ein gewisser Anteil an Spieleinsätzen verbleibt (§ 12 und § 13 SpielV).
107
c) Es kommt nicht darauf an, dass das Entgelt, das für die Leistung erbracht ist, die Nettokasseneinnahmen aus den Spielen aller Spieler besteht, das Rechtsverhältnis hingegen nur mit einem einzelnen Spielgast. Für die Steuerbarkeit ist vielmehr entscheidend, dass sich die Parteien (hier die Klägerin als Automatenaufsteller und der einzelne Spielgast) in einem gegenseitigen Vertrag, der durch das Angebot (Aufstellen des Automaten) und Annahme (Einwurf des Geldes) zustande gekommen ist, in einem gegenseitigen Vertrag verpflichtet haben. Dass die konkrete Höhe des Gegenwerts dieses Leistungsaustausches nicht von vornherein feststeht, ist für die Annahme eines Leistungsaustausches und somit einer Steuerbarkeit nicht erforderlich, da sich hierfür zum einen Leistung und Gegenleistung nicht gleichwertig gegenüberstehen müssen, und zum anderen der Leistende, die erwartete oder erwartbare Gegenleistung nicht oder nicht in dem zu erwartenden Umfang erhalten muss, da dies lediglich Einfluss auf die Höhe der Bemessungsgrundlage hat (BFHUrteile vom 11.12.2019 XI R 13/18, BStBl II 2020, 296; vom 22.06.1989 V R 37/84, BStBl II 1989,913).
108
d) Die von der Klägerin aufgezeigten Unterschiede in der EuGH-Rechtsprechung zu dieser Thematik betreffen einzig die Höhe der Gegenleistung und somit die Bemessungsgrundlage, der Senat hat jedoch keine Zweifel, dass der EuGH in seinen Urteilen bei Glücksspielumsätzen immer von einem steuerbaren Leistungsaustausch ausgeht.
109
Für die Frage der Steuerbarkeit eines Umsatzes ist die genaue Höhe der Gegenleistung nicht entscheidend, dies ist eine Frage der Bemessungsgrundlage gemäß § 10 UStG und nicht der Steuerbarkeit eines Umsatzes. Für die Frage der Steuerbarkeit kann somit dahingestellt bleiben, ob die Gegenleistung gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG im Spieleinsatz oder in den Kasseneinnahmen am Ende eines bestimmten Zeitraums besteht.
110
e) Der Vortrag der Klägerin und die damit in Zusammenhang stehende Vorlagefrage, dass sich das Urteil „Metropol Spielstätten“ nur auf Art. 1 Abs. 2 Satz 1 MwStSystRL beziehe, ist nicht überzeugend. So erklärt der EuGH ausdrücklich, das Vorabentscheidungsersuchen betreffe „die Auslegung von Art. 1 Abs. 2 …“ der MwStSystRL (vgl. in dem genannten Urteil unter Gründe, Ziff. 1), nicht hingegen (nur) die Auslegung von Art. 1 Abs. 2 Satz 1 MwStSystRL (EuGH-Urteil vom 24.10.2013 C-440/12 „Metropol Spielstätten“, UR 2013, 866).
111
2. Die steuerbaren Leistungen der Klägerin sind nicht nach § 4 Nr. 9 Buchstabe b UStG von der Umsatzsteuer befreit. Soweit das Jahr 2006 betroffen ist, waren in der Zeit vom 01.01.2006 bis 05.05.2006 nach § 4 Nr. 9 Buchstabe b Satz 1 UStG a. F. die Umsätze steuerfrei, die unter das Rennwett- und Lotteriegesetz fallen, sowie die Umsätze der zugelassenen öffentlichen Spielbanken.
112
Seit dem 06.05.2006 sind nach § 4 Nr. 9 Buchstabe b Satz 1 UStG nur noch die Umsätze steuerfrei, die unter das Rennwett- und Lotteriegesetz fallen. Die Klägerin war keine öffentliche Spielbank und führte auch keine Umsätze aus, die unter das Rennwett- und Lotteriegesetz fallen.
113
3. Die Klägerin kann sich für die Umsätze ab dem 06.05.2006 nicht auf eine unmittelbare Anwendung der unionsrechtlichen Befreiung gemäß Art. 135 Abs. 1 Buchstabe i MwStSystRL berufen.
114
a) Nach Art. 135 Abs. 1 Buchstabe i MwStSystRL haben die Mitgliedstaaten die Umsätze aus Wetten, Lotterien und sonstigen Glücksspielen mit Geldeinsatz unter den Bedingungen und Beschränkungen, die von jedem Mitgliedstaat festgelegt werden, von der Steuer zu befreien. Ein Einzelner kann sich zwar in Ermangelung fristgemäß erlassener Umsetzungsmaßnahmen auf Bestimmungen einer Richtlinie, die inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau erscheinen, gegenüber allen nicht richtlinienkonformen innerstaatlichen Vorschriften berufen (BFHUrteil vom 17.02.2009 XI R 67/06, BStBl II 2013, 967, Rz 35 m.w.N.) Der EuGH und der BFH haben entschieden, dass § 4 Nr. 9 Buchstabe b UStG in der Fassung ab 06.05.2006 mit Unionsrecht vereinbar ist und dass bei Glücksspielen mit Geldeinsatz Art. 135 Abs. 1 Buchstabe i MwStSysRL dahingehend auszulegen ist, dass es den Mitgliedstaaten in Ausübung ihrer Befugnis, Bedingungen und Beschränkungen für die in dieser Bestimmung vorgesehene Mehrwertsteuerbefreiung festzulegen, gestattet ist, nur bestimmte Glücksspiele mit Geldeinsatz von dieser Steuer zu befreien (BFHUrteil vom 11.12.2019 XI R 13/18, BStBl II 2020, 296, Rz 54 m.w.N.; u.a. EuGH-Urteil vom 24.10.2013 C-440/12 „Metropol Spielstätten“, UR 2013, 866; BFH-Beschluss vom 04.01.2023 XI B 51/22, BFH/NV 2023, 279). Dem schließt sich der erkennende Senat an.
115
b) Das Argument der Klägerin, eine unionsrechtskonforme Besteuerung der öffentlichen Spielbanken wäre nicht möglich und somit könne sich die Klägerin aufgrund der damit zusammenhängenden Verletzung des Neutralitätsgrundsatzes, des strukturellen Defizits und aufgrund eines Verstoßes gegen die Belastungsgleichheit und des Rechts aus Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 20 und Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union unmittelbar auf die Steuerbefreiung gemäß Art. 135 Abs. 1 Buchstabe i MwStSystRL berufen, greift nicht durch. Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verlangt für das Steuerrecht, dass die Steuerpflichtigen durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleich belastet werden (BFH-Beschluss vom 04.01.2023 XI B 51/22, BFH/NV 2023,279).
116
Es liegt vorliegend bereits keine – wie von der Klägerin vorgetragen – Gleichbehandlung wesentlich ungleicher Sachverhalte vor, da die Sachverhalte bei Glücksspielumsätzen gewerblicher und öffentlicher Spielbanken nicht ungleich sind. Nach der Rechtsprechung des EuGH sind Umsätze öffentlicher Spielbanken im Verhältnis zu Umsätzen der von der Klägerin betriebenen Geldspielgeräte aus der Sicht des Verbrauchers gleichartige und miteinander im Wettbewerb stehende Umsätze, die aus diesem Grund hinsichtlich der Mehrwertsteuer gleich behandelt werden müssen und seit 06.05.2006 auch gleich behandelt werden (EuGH-Urteile vom 17.02.2005 C-453/02 und C-462/02 „Linneweber und Akritidis“ HFR 2005, 487; vom 10.11.2011 C- 259/10 und C-260/10 „The Rank Group“, UR 2012,104).
117
aa) Umsätze aus Glücksspielumsätzen, sowohl öffentlicher Spielbankbetriebe als auch gewerblicher Spielbankbetriebe, sind beide seit dem Wegfall der Steuerfreiheit zum 06.05.2006 nicht nach § 4 Nr. 9 Buchstabe b UStG umsatzsteuerfrei, so dass für den erkennenden Senat aufgrund der Gleichbesteuerung kein in der Vorschrift des § 4 Nr. 9 Buchstabe b UStG angelegtes strukturelles Vollzugsdefizit und kein Verstoß gegen die Belastungsgleichheit ersichtlich ist. Sie sind steuerbar, nicht gemäß § 4 Nr. 9 Buchstabe b UStG steuerfrei und bei beiden wird als Bemessungsgrundlage nur die Gegenleistung angesetzt, über die der Veranstalter des Glücksspiels effektiv selbst verfügen kann, namentlich die Kasseneinnahmen am Ende eines Leistungszeitraums (BFH-Beschlüsse vom 04.01.2023 XI B 51/22, BFH/NV 2023,279; vom 20.04.2021 XI B 39/20, BFH/NV 2021,1209 unter Verweis auf EuGH-Urteile „Glawe“ und „Metropol Spielstätten“).
118
bb) Der Zusammenhang zwischen einer nach Ansicht der Klägerin zwingend anzuwendenden anderen Bemessungsgrundlage bei Glücksspielumsätzen öffentlicher Spielbanken in Höhe des Spieleinsatzes, der damit nach Ansicht der Klägerin einhergehenden Unmöglichkeit der Besteuerung der Umsätze der öffentlichen Spielbanken und der daraus resultierenden Steuerbefreiung der Umsätze der Klägerin erschließt sich dem erkennenden Senat nicht. Unionsrechtliche Vorschrift der Bemessungsgrundlage ist Art. 73 MwStSystRL und nicht Art. 135 Abs. 1 Buchstabe i MwStSystRL, nationalrechtlich § 10 UStG und nicht § 4 Nr. 9 Buchstabe b UStG, es handelt sich dabei um zwei verschiedene Vorschriften der Richtlinie und des Umsatzsteuergesetzes.
119
cc) Davon abgesehen könnte die Klägerin mit ihren Ausführungen zur nicht unionsrechtskonformen Besteuerung der öffentlichen Spielbanken mangels eigener Betroffenheit ohnehin nicht erreichen, dass ihre eigenen Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielgeräten von der Umsatzsteuer zu befreien wären. Denn die unionsrechtskonforme Besteuerung der Betreiber von öffentlichen Spielbanken ist nicht Gegenstand der Besteuerung der Klägerin. Selbst bei einer angenommenen nicht unionsrechtskonformen Besteuerung der öffentlichen Spielbanken bezogen auf den Spieleinsatz als Bemessungsgrundlage und nicht den Kasseneinnahmen am Ende eines Leistungszeitpunktes, könnte die Klägerin für sich keine andere Besteuerung fordern. Der Grundsatz der Neutralität ermöglicht es nicht, über die steuerlichen Verhältnisse bei nicht beteiligten Personen zu entscheiden (BFH-Beschluss vom 30.09.2015 V B 105/14, BFH/NV 2016, 84). Zudem wäre die Steuerbefreiung der Umsätze entgegen der Auffassung der Klägerin nicht die zwingend einzig denkbare Rechtsfolge einer vermeintlich unrichtigen Bemessungsgrundlage, da der Gesetzgeber andere gesetzliche Regelungen in Bezug auf die Bemessungsgrundlage erlassen könnte.
120
c) Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus der Annahme der Klägerin, dass es deswegen zu einer Verletzung des Neutralitätsgrundsatzes und somit zu einer Steuerbefreiung der Umsätze der Klägerin nach Art. 135 Abs. 1 Buchstabe i UStG kommen müsse, da weder eine Belastung der öffentlichen Spielbanken eintreten würde, noch die zu entrichtende Steuer eine Umsatzsteuer sei, da es hierfür am Merkmal der Proportionalität und Abwälzbarkeit auf den Verbraucher fehlen würde und somit die Umsätze öffentlicher Spielbanken nicht einer Umsatzsteuer im materiellen Sinne, sondern einer Ertragsteuer als direkter Steuer unterliegen würden.
121
aa) Der EuGH hat entschieden, dass eine hinreichende Abwälzung auf den Verbraucher auch dann anzunehmen ist, wenn als Bemessungsgrundlage die Kasseneinnahmen zugrunde gelegt werden. Auch bei den öffentlichen Spielbanken werden als Bemessungsgrundlage die Kasseneinnahmen zugrunde gelegt. Eine Abwälzung wird nicht verhindert, da die geschuldete Mehrwertsteuer von den Endverbrauchern tatsächlich gezahlt wird. Ein Erfordernis, dass die Höhe der Steuer im Moment der Ausführung des Umsatzes bereits feststehen muss, besteht vor allem im Hinblick auf die gesetzliche Regelung des § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a UStG, dass bei der Sollbesteuerung die Umsatzsteuer mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums entsteht, in dem die Leistungen ausgeführt wurden, nicht (BFH-Urteil vom 04.01.2023 XI B 52/22, BFH/NV 2023, 279 unter Verweis auf EuGH-Urteil vom 24.10.2013 C- 440/12 „Metropol Spielstätten“).
122
Die vom BFH in seinem Urteil vom 11.12.2019 unter Verweis auf die Gesetzesbegründung (BTDrucks 16/634, S. 11) getroffene Aussage, dass „durch die Einführung der Umsatzsteuerpflicht auf Spielbankumsätze eine Belastung der Spielbankunternehmer“ eintrete, was Zweck der Änderung des § 4 Nr. 9 Buchstabe b UStG gewesen sei, steht nach Auffassung des Senats einer Abwälzbarkeit nicht entgegen. Mit dem Wort „Belastung“ in diesem Kontext ist nach Auffassung des erkennenden Senats lediglich impliziert, dass aus den von den Endverbrauchern vereinnahmten Kasseneinnahmen ab 06.05.2006 nun auch die Umsatzsteuer abgeführt werden muss, was vorher aufgrund der Umsatzsteuerbefreiung nicht der Fall war. Dies ändert aber nichts daran, dass letztlich der Endverbraucher wirtschaftlich belastet ist und nicht der Unternehmer.
123
Hinsichtlich des Arguments der Klägerin, es dürfe keine nur „kalkulatorische“ Abwälzbarkeit der Steuer auf den Verbraucher geben, liegt hier nach Auffassung des Senats nicht lediglich eine kalkulatorische Abwälzbarkeit, sondern eine vollständige Abwälzbarkeit der Steuer auf den Verbraucher vor.
124
Für das Merkmal der Abwälzbarkeit reicht aus, dass eine Abwälzung generell möglich ist, sie wird dem einzelnen Unternehmer nur durch den Vorsteuerabzug und eine Bemessungsgrundlage garantiert, die nicht höher sein darf als die Gegenleistung, die der Endverbraucher tatsächlich erbracht hat. Denn für die Abwälzbarkeit kommt es ausschließlich darauf an, dass der Steuerbetrag in der vom Verbraucher erbrachten Gegenleistung enthalten ist und das verbleibende Entgelt im Übrigen noch zu einem Gewinn bei dem Unternehmer führen kann (BFH-Urteil vom 10.11.2010 XI R 79/07, BStBl II 2011, 311).
125
Gemäß der Vorschrift des § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG wird die Umsatzsteuer von den Spielern (sowohl der öffentlichen Spielbank als auch der gewerblichen Geldspielgerätebetreiber) getragen, da es sich bei den eingenommenen Kasseneinnahmen um den Bruttowert handelt, der die geschuldete Steuer mitumfasst. Die Umsatzsteuer wird aus diesem Betrag herausgerechnet und abgeführt, so dass die zu zahlende Umsatzsteuer nicht nur kalkulatorisch, sondern tatsächlich auf die Spieler als Leistungsempfänger abgewälzt und dabei der Spieler und nicht der Gerätebetreiber mit Umsatzsteuer belastet wird.
126
Im Übrigen ist nach Auffassung des BVerfG nicht zwangsläufig notwendig, dass die Möglichkeit einer Abwälzung in jedem Einzelfall besteht, auch eine rechtliche Gewähr dafür, dass dem Unternehmer eine Abwälzung tatsächlich gelingt, ist nicht erforderlich und somit auch eine kalkulatorische Abwälzbarkeit ausreichend. Dabei muss für den steuerpflichtigen Unternehmer nur generell die Möglichkeit bestehen, den von ihm geschuldeten Steuerbetrag in die Kalkulation seiner Selbstkosten einzusetzen und hiernach die zur Aufrechterhaltung der Wirtschaftlichkeit seines Unternehmens geeigneten Maßnahmen – Preiserhöhung, Umsatzsteigerung oder Senkung der sonstigen Kosten – zu treffen (BVerfG-Beschluss vom 13.04.2017 2 BvL 6/13, BVerfGE 145, 171).
127
bb) Eine Proportionalität der Umsatzsteuer zum Einsatz eines jeden Spielers, die nach der Auffassung der Klägerin deswegen nicht gegeben sein soll, da die Besteuerungsgrundlagen nicht die einzelnen Einsätze, sondern die monatlichen oder jährlichen Kasseneinnahmen seien, hat weder der EuGH gefordert, noch ergibt sich dies aus der Rechtsprechung des BFH.
128
Der EuGH hat im Urteil „Metropol Spielstätten“ entschieden, dass eine Besteuerungspraxis, bei der als Bemessungsgrundlage für Umsätze mit Spielgeräten die monatlichen Kasseneinnahmen zugrunde gelegt werden, die ihrerseits von der Höhe und Gewinne der jeweiligen Spieler abhängen, nicht insoweit gegen das Unionsrecht verstößt, als keine Proportionalität zwischen der geschuldeten Mehrwertsteuer und den isoliert betrachteten Einsätzen der einzelnen Spieler besteht (EuGH-Urteil vom 24.10.2013 C-440/12 „Metropol Spielstätten“; BFH-Urteil vom 04.01.2023 XI B 51/22, BFH/NV 2023, 279).
129
Auch im bereits durch den EuGH entschiedenen Fall „Metropol Spielstätten“ handelte es sich um eine Betreiberin gewerblicher Geldspielautomaten, die den gesetzlichen Bestimmungen der SpielV ebenso wie die Klägerin unterlag. In diesem Fall hat der EuGH und im weiteren Verlauf der BFH entschieden, dass die von der Klägerin in Zweifel gezogene Proportionalität besteht. Darüber hinaus beziehen sich sowohl der Grundsatz der Proportionalität als auch die Abwälzbarkeit nach Aussage des EuGH im Urteil „Metropol Spielstätten“ auf die Bemessungsgrundlage gemäß Art. 73 MwStSysRL und nicht auf den Steuerbefreiungstatbestand des Art. 135 Abs. 1 Buchstabe i MwStSystRL.
130
cc) Auch der Umstand, dass bei öffentlichen Spielbanken die Umsatzsteuer auf die Spielbankenabgabe angerechnet wird, ändert nichts an der Abwälzbarkeit, da es nach Auffassung des EuGH hinsichtlich des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität ohne Belang ist, dass die Mehrwertsteuer und eine andere allgemeine Abgabe auf Glücksspiel, die nicht den Charakter einer Umsatzsteuer hat, kumulativ erhoben werden (EuGH-Urteil vom 24.10.2013 C- 440/12 „Metropol Spielstätten“, UR 2013, 866 unter Verweis auf EuGH-Urteil vom 10.06.2010 C-58/09 „Leo Libera“ UR 2010, 494.)
131
4. Vorliegend ist zudem nicht zu entscheiden, ob es eine unzulässige Beihilfe darstellt, dass bei öffentlichen Spielbanken die Umsatzsteuer auf die Spielbankabgabe angerechnet wird, da eine etwaige Rechtswidrigkeit anderer Abgaben für die Rechtmäßigkeit der Umsatzsteuer rechtlich nicht erheblich ist (BFH-Urteil vom 11.12.2019 XI R 13/18, BStBl II 2020, 296).
132
5. Ein Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 GG liegt nicht vor, da die Vorschriften der Rechnungserteilung gemäß § 14 UStG das zivilrechtliche Verhältnis zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger betreffen, jedoch nicht den Anwendungsbereich der materiell-rechtlichen Befreiungstatbestände (BFH-Beschluss vom 30.09.2015 V B 105/14, BFH/NV 2016, 84). Der Besitz oder die Ausstellung der Rechnung sind kein wesentliches Merkmal der Umsatzsteuer (BFH-Urteil vom 11.12.2019 XI R 13/18, BStBl II 2020, 296).
133
6. Der Bestimmtheitsgrundsatz ist auch nicht deswegen verletzt, weil nach Ansicht der Klägerin die Bemessungsgrundlage für Glücksspiele mit Geldeinsatz gesetzlich nicht geregelt sei, da die tatbestandlichen Voraussetzungen des Entgelts und somit die Bemessungsgrundlage für Glücksspielumsätze in § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG i.V.m. Art. 73 MwStSystRL nicht genau definiert sind. Es ist nicht Aufgabe des Gesetzgebers jeden konkreten Einzelfall gesetzlich zu regeln.
134
7. Der BFH hat zudem entschieden, dass § 6 der Verordnung über öffentliche Spielbanken (SpielbkV) ab dem 01.01.1968 (mit dem Inkrafttreten des UStG 1967) nicht mehr galt und insoweit außer Kraft blieb, soweit die SpielbkV eine Befreiung von der Umsatzsteuer vorsah (BFH-Urteil vom 11.12.2019 XI R 13/18, BStBl. II 2020, 296 Rz 54). Eine verfassungswidrige Rechtsfortbildung oder ein Verstoß gegen das Gebot der Normenklarheit ist für den erkennenden Senat hierbei nicht erkennbar. Die zwingende Rechtsfolge des Außerkrafttretens des § 6 SpielbkV, insoweit eine Befreiung von der Umsatzsteuer vorgesehen war, ergibt sich zudem auch aus dem allgemeinen Verfassungsprinzip, dem Grundsatz der Normenhierarchie. Aus Art. 80 Abs. 1 GG geht hervor, dass im Fall von Widersprüchen höherrangige Rechtvorschriften (formelle Gesetze, hier § 4 Nr. 9 Buchstabe b UStG) niederrangigen Rechtsvorschriften (Rechtsverordnung, hier die SpielbkV) vorgehen.
135
Das Verfahren wird nicht aus den von der Klägerin vorgetragenen Gründen gemäß § 74 FGO ausgesetzt.
136
Nach § 74 FGO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.
137
1. Eine Aussetzung erfolgt vorliegend nicht wegen einer Vorlage entscheidungserheblicher Fragen an den EuGH zur Vorabentscheidung. Denn das Gericht sieht die entscheidungserheblichen Fragen hinsichtlich der Umsatzbesteuerung von Umsätzen aus dem Betrieb von Geldspielautomaten mit Geldeinsatz und Gewinnchancen durch den BFH und den EuGH als geklärt an, so dass eine Vorlage an den EuGH nicht angezeigt ist (Art. 267 AEUV).
138
a) Der EuGH ist befugt, über die Gültigkeit oder die Auslegung von Normen des EU-Rechts, bspw. Art. 135 Abs. 1 Buchstabe i MwStSystRL, zu befinden. Vorlagefragen betreffend bspw. allgemeine Einschätzungen zur Geeignetheit einer Umsatzbesteuerung, Verstöße gegen nationales Recht oder das Grundgesetz und Verletzung von allgemeinen Rechtsgrundsätzen ohne Zusammenhang zu einer bestimmten Norm, sind unzulässig. Nach der Rechtsprechung sind nur letztinstanzliche Gerichte (BFH) bei Erfüllung der Voraussetzungen zur Vorlage verpflichtet, Finanzgerichte dürfen, müssen aber nicht vorlegen (BFH-Urteil vom 24.09.2015 V R 9/14, BStBl II 2015, 1067). Der BFH hat entschieden, dass eine Vorlageverpflichtung der Finanzgerichte nicht besteht (BFH-Beschluss vom 03.02.1987 VII B 129/86, BStBl II 1987, 305). Der Senat kann daher nach freiem Ermessen über eine Vorlage entscheiden. Eine Ermessensreduzierung auf Null, wie vom Klägervertreter vorgetragen, gibt es somit in diesem Zusammenhang nicht.
139
b) Zulässigkeitsvoraussetzung des Vorabentscheidungsverfahrens sind Zweifel des vorlegenden Gerichts, ob eine Norm des nationalen Rechts mit der Auslegung einer Norm des EU-Rechts als höherrangigem Recht vereinbar ist. Das nationale Gericht hat das EU-Recht unmittelbar anzuwenden. Hat das Gericht keine Zweifel, sondern die Vereinbarkeit klar bejaht oder klar verneint, entscheidet es selbst in der Sache. Nur bei Zweifeln kommt ein Vorabentscheidungsverfahren in Betracht. Weitere Zulässigkeitsvoraussetzung ist die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage für das Gericht in einem konkret zu entscheidenden Rechtsstreit.
140
c) Nach der nationalen Regelung in § 4 Nr. 9 Buchstabe b UStG werden (ab dem Jahr 2006) alle Automaten-Glückspiele gleichbehandelt und sind steuerbar. Nach dem UStG existiert im Gegensatz zur früheren Rechtslage keine unterschiedliche Regelung mehr. Ein Verstoß gegen den Neutralitätsgrundsatz im Kontext von Art. 135 Abs. 1 Buchstabe i MwStSystRL ist nicht ersichtlich. Die Regelung eröffnet einen weiten Spielraum bei der Steuerbefreiung (EuGH-Urteil vom 10.06.2010 C-58/09 „Leo-Libera“, UR 2010,494).
141
d) Die Vorlagefragen 3. und 6. zur Steuerbarkeit und zur Höhe des Entgelts bei gewerblichen Geldspielgerätebetreibern sind bereits durch die Rechtsprechung des EuGH geklärt (EuGH-Urteil vom 24.10.2013 C-440/12 „Metropol Spielstätten“, UR 2013, 866), so dass hier für den erkennenden Senat keine Zweifel bestehen.
142
e) Eine Beantwortung der Vorlagefragen 1., 2. und 7. (nebst Alternativfragen) zur unionsrechtskonformen Besteuerung von öffentlichen Spielbanken sind vorliegend nicht entscheidungserheblich, da die Klägerin selbst keine öffentliche Spielbank ist. Zudem beziehen sich die Fragestellungen auf die Bemessungsgrundlage, so dass ein entscheidungserheblicher Zusammenhang mit Art. 135 Abs. 1 Buchstabe i MwStSystRL nicht vorliegt. Zudem betrifft die Vorlagefrage 2 (Fragestellung, die auf Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz abzielt) keine Frage der Auslegung des Unionsrechts gemäß Art. 267 Abs. 1 AEUV, für die der EuGH zuständig wäre.
143
f) Hinsichtlich Vorlagefragen 5 und 8. hat das erkennende Gericht keine Zweifel an der Vereinbarkeit des § 4 Nr. 9 Buchstabe b UStG mit Art. 135 Abs. 1 Buchstabe i MwStSystRL, da im Urteil „Metropol Spielstätten“ entschieden wurde, dass im Falle gewerblicher Glücksspielgerätebetreiber – wie die Klägerin – eine Abwälzbarkeit und somit keine Belastung des Unternehmers vorliegt (EuGH-Urteil vom 24.10.2013 C-440/12 „Metropol Spielstätten“). Für Fragestellungen, die auf die Rechtslage bei öffentlichen Spielbanken abzielen, fehlt es vorliegend an der Entscheidungserheblichkeit.
144
g) Die Vorlagefrage 4. betrifft keine Frage der Auslegung des Unionsrechts gemäß Art. 267 Abs. 1 AEUV, für die der EuGH zuständig wäre.
145
h) Wie bereits oben ausgeführt, ist die Frage, ob das Recht zur Rechnungsausstellung gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG mit der MwStSystRL in dem Zusammenhang im Einklang steht, dass das zu besteuernde Entgelt in der Kasseneinnahme am Ende eines Besteuerungszeitraums liegen soll statt in der Leistung des einzelnen Spielgastes, nicht entscheidungserheblich, da sie das zivilrechtliche Verhältnis zwischen dem Leistungsempfänger und dem Leistenden betrifft. Außerdem steht eine vermeintliche Ausstellung von Rechnungen in keinem Zusammenhang mit der Steuerbefreiung des Art. 135 Abs. 1 Buchstabe i MwStSystRL.
146
i) Aufgrund fehlender Zweifel der Vereinbarkeit der nationalen Vorschrift des § 4 Nr. 9 Buchstabe b UStG mit EU-Recht und fehlender Entscheidungserheblichkeit sind bereits die Zulässigkeitsvoraussetzungen für ein Vorabentscheidungsverfahren nicht erfüllt. Darüber hinaus ist das Finanzgericht ohnehin nicht zu einer Vorlage verpflichtet.
147
2. Eine Aussetzung nach § 74 FGO erfolgt auch nicht mangels Entscheidungserheblichkeit insoweit, als sich die Klägerin auf die Neuregelung der unterschiedlichen Besteuerung von terrestrischem und Online-Automatenspiel in Deutschland ab Juli 2021 beruft, da die Neuregelung für die Streitjahre 2006 bis 2019 nicht einschlägig ist.
148
Soweit sich die Klägerin auf ein Vorabentscheidungsersuchen in Belgien (C-73/23 und C-741/22) zur unterschiedlichen Besteuerung von terrestrischem und Online-Automatenspiel beruft, liegen schon aufgrund der von ihr selbst vorgetragenen unterschiedlichen Regelung der Besteuerung von Glücksspielumsätzen in Deutschland und Belgien keine Zweifel i.S.d. Art. 267 Abs. 2 AEUV vor. In Streit steht vorliegend eine Umsatzsteuerbefreiung von terrestrischen Geldspielumsätzen in Deutschland. Dafür ist allein entscheidend, ob die in Deutschland geltenden Regelungen unionsrechtskonform sind und nicht ob in Belgien geltende Regelungen mit dem Unionsrecht vereinbar sind. Im Hinblick auf für terrestrische und virtuelle Automatenspiele in Deutschland und Belgien diametral entgegenstehende Steuerbefreiungsregelungen bleibt auch darauf hinzuweisen, dass den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung des Art. 135 Abs. 1 Buchstabe i MwStSystRL in Ermangelung einer Harmonisierung der Regelung der Glücksspiele auf Unionsebene ein weites Ermessen zusteht und den Mitgliedstaaten in Ausübung ihrer Befugnis gestattet ist, Bedingungen und Beschränkungen für die in dieser Bestimmung vorgesehene Mehrwertsteuerbefreiung festzulegen, und nur bestimmte Glücksspiele mit Geldeinsatz von dieser Steuer zu befreien (EUGH-Urteile vom 10.06.2010 C-58/09 „Leo-Libera“, UR 2010, 494; vom 24.10.2013 C-440/12 „Metropol Spielstätten“, UR 2013, 866). Ein solches Ermessen beinhaltet auch die Möglichkeit gegensätzlicher Regelungen in den einzelnen Mitgliedstaaten. Allein entscheidend ist, ob die im jeweiligen Mitgliedstaat gefundene gesetzliche Regelung für sich gesehen unionsrechtskonform ist (so auch FG Münster-Beschluss vom 17.07.2023 5 V 2678/2 Ujuris). Eine Verwerfung der belgischen Regelung hätte aufgrund des weiten Ermessens des Art. 135 Abs. 1 Buchstabe i MwStsystRL keine unmittelbare Rechtsfolge für die deutschen Regelungen. Aus diesem weiten Ermessensspielraum resultiert auch die Möglichkeit gegensätzlicher Regelungen in den jeweiligen Mitgliedsstaaten.
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3. Das Verfahren ist nicht auszusetzen und nach Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen.
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a) Ein Verfassungsverstoß, insbesondere ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG, ist für den Senat nicht erkennbar. Die Verfassungsbeschwerde (mit den Verfahrensgegenständen: BFH-Beschluss vom 30.06.2020 XI S 11/20 und BFH-Urteil vom 11.12.2019 XI R 26/18 im Wesentlichen inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 11.12.2019 XI R 13/18) wurde gemäß §§ 93a, 93b BVerfGG nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG-Beschluss vom 06.02.2023 1 BvR 2540/20). Auch die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des BFH vom 26.09.2022 (XI B 9/22) wurde gemäß §§ 93a, 93b BVerfGG nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG-Beschluss vom 24.02.2023 1 BvR 289/23).
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b) Des Weiteren führt die mangelnde Durchsetzung des Steueranspruchs gegen die Betreiber von Online-Casinos vor dem 01.07.2021 nicht zu einem das Grundrecht auf Gleichbehandlung nach Art. 3 GG verletzenden strukturellen Vollzugsdefizit.
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aa) Vor Einführung einer spezialgesetzlichen Regelung für die Besteuerung von Online-Glückspielen durch eine Spieleinsatzsteuer ab Juli 2021 in §§ 36 RennwLottG unterlagen diese Spiele wie auch die terrestrischen Glückspielangebote der Klägerin mittels Geldspielautomaten einheitlich der Umsatzbesteuerung. Falls diese zu geringen Umsatzsteuereinnahmen in Deutschland führten, lag dies nicht an Vollzugsdefiziten, wie die Klägerin vortragen lässt, sondern an den sich aus Art. 43 ff. MwStSyStRl unionskonform in nationales Recht umgesetzten Regelungen zur Ortsbestimmung. Der Ort einer Dienstleistung bestimmt, welcher Mitgliedstaat das Besteuerungsrecht hat. Liegt der Ort im Drittland, hat kein Mitgliedstaat ein Besteuerungsrecht. Ein Glückspiel als sonstige Leistung (§ 3 Abs. 9 UStG) an Nichtunternehmer (Glückspiel ist immer nichtunternehmerisch veranlasst) wird dort ausgeführt, wo der Unternehmer sein Unternehmen betreibt (§ 3a Abs. 1 S. 1 UStG) bzw. am Ort der Betriebsstätte (§ 3a Abs. 1 S. 2 UStG), von der aus das Geschäft betrieben wird. Ein Online-Glückspiel wird dort betrieben, wo der Server steht, auf dem das Spiel ins Werk gesetzt wird, und der die entscheidenden Kriterien bestimmt, die zu einem auszuzahlenden Gewinn oder Verlust des Spieleinsatzes beim Spieler führen. Die Server stehen häufig in anderen Mitgliedstaaten oder in einem Drittland, so dass der Ort der Dienstleistung jeweils dort gelegen ist. Trotz Teilnahme eines Spielers vom Inland aus, steht in diesem Fall Deutschland kein Besteuerungsrecht zu. Da zwischen den EU-Mitgliedstaaten umfangreiche Amtshilfemöglichkeiten über die ZusammenarbeitsVO (EU) Nr. 904/2010 bestehen, sind Vollzugsdefizite nicht ersichtlich. Die für Bayern nicht einschlägige Prüfung des Landesrechnungshofes NRW ist im Ergebnis dahingehend zu verstehen, dass die der Umsatzsteuer immanenten Ortsregelungen als Teil des harmonisierten Rechts Steuereinnahmen anderen Ländern als Deutschland zuweisen. Als Folge davon haben die Gesetzgeber aller Bundesländer ab Mitte 2021 Regelungen eingeführt, die – außerhalb der harmonisierten Umsatzsteuer – Steuern auf Online-Glückspiele vorsehen, die als Ort der Dienstleistung Deutschland vorsehen und den Ertrag aus den Steuern den Ländern zuweisen. Diese Regelungen sind für die hier vorliegenden Streitjahre nicht einschlägig. Die Gewährung des vom Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung angeregten Schriftsatznachlasses zu diesem Aspekt war vorliegend nicht angezeigt, da es sich hierbei um eine rein rechtliche Subsumtion der Vorschriften des Art. 43 MwStSystRL und § 3a Abs. 1 UStG handelt, wodurch kein ergänzender Tatsachenvortrag der Klägerin erforderlich wurde (§ 155 FGO i.V.m. § 139 Abs. 1, Abs. 5 ZPO, Wendl in: Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 181. Ergänzungslieferung, März 2024, § 93 FGO, Rz 69).
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bb) Darüber hinaus handelt es sich bei den Umsätzen aus dem virtuellen Automatenspiel und den Umsätzen aus dem terrestrischen Betrieb von Geldspielautomaten ohnehin nicht um gleichartige Dienstleistungen, die nach dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität nicht unterschiedlich behandelt werden dürften. Somit kann die von der Klägerin geltend gemachte mangelnde Durchsetzung des Steueranspruchs gegen die Betreiber von Online-Casinos vor dem 01.07.2021 auch aus diesem Grund nicht zu einem das Grundrecht auf Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) verletzenden strukturellen Vollzugsdefizit führen (BFH-Beschlüsse vom 04.01.2023 XI B 51/22, BFH/NV 2023, 279; vom 26.09.2022 XI B 9/22, BFH/NV 2022, 1417).
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4. Auch sonstige Aussetzungsgründe nach § 74 FGO liegen nicht vor.
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a) Die noch anhängige Verfassungsbeschwerde beim BVerfG unter dem Aktenzeichen 1 BvR 1283/23, auf welche sich die Klägerin bezieht, begründet keinen Grund zur Aussetzung, da sich diese gegen zwei Entscheidungen des BFH (BFH-Beschluss vom 23.06.2023 V S 9/22 und Beschluss vom 11.08.2023 V B 66/20) richtet. Verfassungsbeschwerden gegen Entscheidungen des BFH ergeben keinen Anlass zur Aussetzung (BFH-Beschluss vom 08.11.2007 VIII B 170/06, BFH/NV 2008, 580).
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b) Auch bei anhängigen Nichtzulassungsbeschwerden beim BFH fehlt es an einem vorgreiflichen Rechtsverhältnis und somit an einem Aussetzungsgrund, selbst wenn bei diesem anhängigen Verfahren dieselbe Rechtsfrage streitig ist (BFH-Beschluss vom 14.02.2006 II B 30/05, BFH/NV 2006, 1056).
157
Die Revision war nicht zuzulassen, da keine Revisionszulassungsgründe gemäß § 115 Abs. 2 FGO vorliegen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.