Inhalt

OLG München, Beschluss v. 12.06.2024 – 16 UF 465/24 e
Titel:

Gerichtliche Bestimmung des Kindergeldberechtigten - Wert des Beschwerdegegenstands, Beschwerdeberechtigung des Jugendamtes

Normenketten:
FamFG § 61, § 81, § 84
EStG § 64 Abs. 3 S. 2, S. 3, § 67 S. 2, § 74 Abs. 2
SGB VIII § 39
FamGKG § 51 Abs. 3
Leitsätze:
1. Geht es bei einem Rechtsmittel lediglich um die Aufteilung des Kindergeldes im Verhältnis der Eltern, indem das Kindergeld mit dem Anspruch auf Unterhalt verrechnet wird, ist die gemäß § 61 FamFG erforderliche Beschwer von 600,- € regelmäßig nicht erreicht (ebenso BGH BeckRS 2014, 4470). (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Kann mangels Bestimmung des Kindergeldberechtigten das Kindergeld nicht an das berechtigte Kind abgezweigt werden (§ 74 EStG), mit der Folge, dass der Beschwerdeführer auch insoweit für den Lebensunterhalt des Kindes aufkommen muss (§ 39 SGB VIII), ist für den die Leistung finanzierenden Beschwerdeführer die gemäß § 61 FamFG erforderliche Beschwer von 600,- € erreicht. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
3. Maßgeblich für die Auswahl des Kindergeldberechtigten sind vor allem Gesichtspunkte des Kindeswohls. Dem Kindeswohl entspricht es am besten, wenn zu erwarten ist, dass der Kindergeldberechtigte sich einer Auskehr des Kindergeldes im Wege der Abzweigung nicht widersetzen wird. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wert des Beschwerdegegenstands, Beschwer, Kindergeld, Kindergeldberechtigter, Leistungen zum Lebensunterhalt, Abzweigung
Vorinstanz:
AG Fürstenfeldbruck, Beschluss vom 08.11.2023 – 056 F 10088/23
Fundstellen:
FamRZ 2024, 1537
FuR 2024, 595
BeckRS 2024, 13310
LSK 2024, 13310

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Fürstenfeldbruck vom 08.11.2023 aufgehoben.
2. Die Mutter des betroffenen Kindes, Frau S. S., wird als Kindergeldberechtigte bestimmt.
3. Von der Erhebung der Gerichtskosten wird für beide Instanzen abgesehen. Die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten werden nicht erstattet.
4. Der Verfahrenswert wird für das Beschwerdeverfahren auf 500,-- € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Frau S. S. und Herr T. K. sind die Eltern des Kindes J. S., geboren am …2003. Für dieses Kind wurde seit 2018 Hilfe zur Erziehung in stationärer Form gewährt. Ein Kostenbeitrag wurde von den Eltern nicht erhoben. Bis zum Eintritt der Volljährigkeit wurde das Kindergeld an die Mutter des betroffenen Kindes ausbezahlt.
2
Mit Erreichen der Volljährigkeit stellte das betroffene Kind einen Antrag auf Abzweigung des Kindergeldes. Die Familienkasse B. S. forderte mit Schreiben vom 21.03.2023 das Kreisjugendamt F. auf, für den Bezug des Kindergeldes den Berechtigten zu bestimmen, damit eine Auszahlung des Kindergeldes an das Kind bzw. das Kreisjugendamt erfolgen könne. Die Eltern wirkten an der Bestimmung des Kindergeldberechtigten nicht mit. Auch zahlten sie keinen Unterhaltsbeitrag. Mit Schriftsatz vom 28.03.2023 stellte das Kreisjugendamt F. beim Amtsgericht – Familiengericht – F. sodann einen Antrag auf Bestimmung des Kindergeldberechtigten. Diesen Antrag wies das Amtsgericht – Familiengericht – F. durch Beschluss vom 08.11.2023 zurück. Ein Kindergeldberechtigter könne nicht bestimmt werden, da sich das Kind weder im Haushalt der Mutter noch des Vaters oder eines anderen Kindergeldberechtigten aufhalte. Der Beschluss wurde dem Kreisjugendamt F. am 22.01.2024 zugestellt. Gegen den Beschluss richtet sich die Beschwerde vom 07.02.2024, die mit Schriftsatz vom 02.05.2024 begründet wurde. Das Kreisjugendamt F. weist darauf ihn, dass gemäß § 64 Abs. 3 Satz 2 und 3 EStG der Kindergeldberechtigte auch dann zu bestimmen ist, wenn sich das Kind, für das Kindergeld zu bewilligen ist, nicht im Haushalt der Eltern aufhält und diese keinen Unterhalt zahlen.
3
Die Beschwerdebegründung wurde den Beteiligten zugestellt. Auch im Beschwerdeverfahren haben die Eltern keine Erklärung dazu abgegeben, welcher Elternteil von ihnen zum Bezug des Kindergeldes berechtigt sein sollte.
II.
4
Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Die gemäß § 61 FamFG erforderliche Beschwer von 600,- € ist erreicht. Geht es lediglich um die Aufteilung des Kindergeldes im Verhältnis der Eltern, indem das Kindergeld mit dem Anspruch auf Unterhalt verrechnet wird, ist zwar die Beschwer regelmäßig nicht erreicht (vgl. hierzu BGH FamRZ 2014, 646; MüKo/FamFG-Pasche 3. Aufl. 2018 § 231 Rn. 35; Sternal/Weber, FamFG, 21. Aufl. 2023, § 231 Rn. 25 m.w.N.). Der vorliegende Fall unterscheidet sich hiervon dadurch, dass mangels Bestimmung des Kindergeldberechtigten das Kindergeld nicht an das berechtigte Kind abgezweigt werden kann (§ 74 EStG) mit der Folge, dass der Beschwerdeführer auch insoweit für den Lebensunterhalt des Kindes aufkommen muss (§ 39 SGB VIII). Dies führt dazu, dass im vorliegenden Fall für den die Leistung finanzierenden Beschwerdeführer die Beschwer erreicht ist, weil er in vollem Umfang den Ausfall des Kindergeldes durch eine entsprechende Aufstockung der Leistungen zum Lebensunterhalt zu tragen hat. Bereits die Auszahlung von 3 Raten des Kindergeldes an den Beschwerdeführer bzw. im Wege der Abzweigung das berechtigte Kind führt dazu, dass die Beschwer von 600,- € überschritten ist.
5
Der Beschwerdeführer ist antragsbefugt. Die Voraussetzungen gemäß §§ 64 Abs. 3 Satz 2 und 3, 67 Satz 2, 74 Abs. 2 EStG sind erfüllt. Der Beschwerdeführer hat ein berechtigtes Interesse daran, dass im Wege der Abzweigung das Kindergeld an das betroffene Kind zur Auszahlung gelangt, da er gem. § 39 SGB VIII den Unterhalt des betroffenen Kindes zu tragen hat, soweit dieses den Bedarf nicht selbst durch eigene Einnahmen wie Kindergeld decken kann, und die leiblichen Eltern keine Unterhaltszahlungen erbracht haben. Die Bestimmung des Kindergeldberechtigten ist Voraussetzung für die Festsetzung des Kindergeldes und damit auch die Auszahlung im Wege der Abzweigung an das betroffene Kind.
6
Als Kindergeldberechtigte ist die Mutter des betroffenen Kindes zu bestimmen. Maßgeblich für die Auswahl des Kindergeldberechtigten sind vor allem Gesichtspunkte des Kindeswohls (Conradis in Rancke/Pepping, Mutterschutz, 6. Aufl. 2022, § 64 EStG Rn. 6 m.w.N.). Es entspricht dem Wohl des Kindes am besten, wenn seine Mutter als Kindergeldberechtigte bestimmt wird. An diese wurde auch in der Vergangenheit während der Minderjährigkeit des Kindes das Kindergeld ausgezahlt. Weiterhin ist aufgrund des Schreibens der Mutter des betroffenen Kindes vom 26.05.2024 davon auszugehen, dass diese sich einer Auskehr des Kindergeldes im Wege der Abzweigung nicht widersetzen wird.
7
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 81, 84 FamFG. Es entspricht billigem Ermessen, für beide Instanzen von der Erhebung der Gerichtskosten abzusehen. Die Durchführung des Beschwerdeverfahrens wurde erforderlich, weil das Amtsgericht – Familiengericht – F. die Bestimmung des Kindergeldberechtigten abgelehnt hat. Im Übrigen sind die Eltern mit diesem Vorgang ersichtlich überfordert.
8
Die Festsetzung des Verfahrenswerts beruht auf § 51 Abs. 3 FamGKG.