Titel:
Asyl, Kuba: Erfolglose Klage auf Schutzgewährung
Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsätze:
1. Die Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland zieht als solche nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine politische Verfolgung unverfolgt und legal aus Kuba eingereister kubanischer Staatsangehöriger nach sich. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Kubanische Staatsangehörige können innerhalb von 24 Monaten rechtlich und tatsächlich ohne die Einholung einer Rückkehrberechtigung zurückkehren. Danach ist von einem Verlust der Rückkehrberechtigung auszugehen. Dies stellt aber keine Verfolgungsmaßnahme iSv § 3 AsylG dar; der Verlust der Rückkehrberechtigung knüpft nämlich an den Ablauf der Rückkehrfrist und nicht an die in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Merkmale an. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Behinderter Kläger aus Kuba (blind), Proteste als Behindertenbeauftragter, Asylantrag, Kuba, keine Nachfluchtgründe
Fundstelle:
BeckRS 2024, 13196
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2.Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
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Der 1982 geborene Kläger ist kubanischer Staatsangehöriger. Er reiste am 28. August 2022 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und war dabei im Besitz eines vom 7. Februar 2022 bis 7. Februar 2028 gültigen kubanischen Reisepasses und eines von der deutschen Auslandsvertretung ausgestellten, vom 28. August bis 9. September 2022 gültigen Schengenvisums. Er stellt am 24. Oktober 2022 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen Asylantrag.
2
Bei seiner Anhörung nach § 25 AsylG gab er am 5. Dezember 2022 an, dass er verheiratet sei, eine Tochter habe, evangelischer Christ und wegen einer Hornhautdegeneration seit seinem neunten Geburtstag blind sei. Dafür brauche er Augentropfen, die er aber seit vielen Jahren nicht genommen habe. In Deutschland sei er wegen seiner Erblindung nicht in Behandlung. Das Visum habe er erhalten, weil er zu einer kirchlichen Veranstaltung in …, die vom 29. August bis 9. September 2022 stattgefunden habe, eingeladen gewesen sei, um über Behinderte in Lateinamerika zu reden. Er habe als Physiotherapeut gearbeitet, zehn Jahre für den Staat und anschließend drei bis vier Jahr selbständig. Er habe ein regelmäßiges Einkommen gehabt, seine wirtschaftliche Situation sei schlecht gewesen. Seine Frau habe früher als Beamtin gearbeitet und arbeite jetzt in einem Statistikzentrum.
3
Er gab an, aus vielen Gründen Kuba verlassen zu haben. Zum einen wegen seiner politischen Meinung; er sei gegen das politische System auf Kuba und gegen den kubanischen Staat. Er sei Teilnehmer an ein paar Demonstrationen gewesen und habe Drohungen erhalten. Sie hätten ihm gesagt, er dürfe nicht mehr gegen den Staat demonstrieren, sonst würde er inhaftiert. Ein weiterer Grund sei, dass seine 12-jährigeTochter an einem gutartigen Tumor leide, der aber bösartig werden könne. Hierfür gebe es in Kuba keine Behandlung. Das Gesundheitssystem in Kuba sei schlecht. Es gebe nur alle sechs Monate einen Kontrolltermin, um zu sehen, ob der Tumor wachse. Dann würde er operiert. Außerdem würden in Kuba die Rechte der Behinderten nicht respektiert. Es gebe keine Barrierefreiheit und keinen Respekt für Behinderte. Es gebe auch eine Wirtschaftskrise auf Kuba und nichts zu essen. Demonstriert habe er einmal im Mai 2022 alleine für Barrierefreiheit. Er sei an einem Kanal gefallen. Am 19. Juli 2022 habe er an einer friedlichen Demonstration teilgenommen wegen der allgemeinen Situation in Kuba. Dort seien Videos und Fotos gemacht worden und ein paar Tage später seien zwei Polizisten in Zivil zu ihm nach Hause gekommen. Sie hätten ihn bedroht; er komme ins Gefängnis wegen seiner Behinderung und werde vergewaltigt. Hierüber solle er wegen seiner Frau und seiner Tochter nachdenken. Er habe auch für den Rat der Kirchen in Kuba gearbeitet, der mit dem Staat zusammengearbeitet habe. Sie hätten seine politische Meinung gekannt und gewusst, dass er den Staat wegen der Barrieren in der Stadt kritisiere. Früher habe er nie Schwierigkeiten gehabt und zuvor auch nie an Demonstrationen teilgenommen. Bei der Demonstration vom 19. Juli 2022 seien sie eine Gruppe von Leuten gewesen, die geredet und Parolen gerufen habe. Sein Vater habe ihn dann abgeholt, weil er Angst gehabt habe, dass ihm etwas passiere. Er sei nur Teilnehmer der Demonstration gewesen. Mitglied einer Gruppe, die gegen den Staat gewesen sei, sei er nicht gewesen, lediglich Mitglied staatlicher Organisationen, weil er gemusst habe. Die zwei Polizisten seien kurz vor seiner Ausreise Anfang August 2022 bei ihm gewesen. Sie hätten an seiner Haustüre geklingelt und, nachdem er sie reingelassen habe, gesagt, dass sie ihn bei der Demonstration im Juli 2022 gesehen hätten und auch wüssten, dass er im Frühjahr demonstriert habe. Sie hätten gesagt, dass er nicht mehr demonstrieren solle und hätten ihm die Situation in Kuba erklärt, dass es nicht genug Geld gebe. Er habe gefühlt, dass sie ihn nicht ernst genommen haben. Sie verwiesen darauf, dass es für ihn im Gefängnis gefährlich würde. Er habe ein Video von dem Gespräch aufnehmen wollen, das hätten sie aber nicht zugelassen und ihm das Handy abgenommen und erst später wieder zurückgegeben. Persönlich habe er kein juristisches Problem mit dem Staat gehabt, aber man habe immer ein Problem, wenn man etwas kritisiere. Bei der Ausreise habe er keine Schwierigkeiten gehabt. Wenn er nach Kuba zurückkehre, befürchte er, inhaftiert zu werden und Schwierigkeiten zu bekommen, weil er in Deutschland geblieben sei. Der Rat der Kirchen arbeite mit dem Staat zusammen. Sie wüssten also, dass er nicht aus Deutschland zurückgekehrt sei. Wenn er zurückkehre, dürfe er dann acht Jahre nicht mehr ausreisen. Er würde auch aus der Organisation für Sehbehinderte rausgeworfen. Er habe auch Befürchtungen wegen des Tumors seiner Tochter und müsse warten, bis der Tumor von selbst verschwinde. Er könnte seine freiwillige Arbeit im Rat der Kirche, die Koordination mit der Behindertenorganisation im Ostteil der Insel, nicht fortführen. Er möchte, dass seine Frau und seine Tochter so schnell wie möglich nach Deutschland kommen.
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Mit Bescheid vom 22. Dezember 2022 erkannte das Bundesamt die Flüchtlingseigenschaft nicht zu (Ziffer 1), lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab (Ziffer 2), erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Ziffer 3), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen (Ziffer 4), drohte dem Kläger die Abschiebung – in erster Linie – nach Kuba an, wenn er die Bundesrepublik Deutschland nicht innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens verlasse (Ziffer 5) und ordnete ein Einreise- und Aufenthaltsverbote gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG an und befristete diese auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6).
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Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die vorgetragene Bedrohung durch zwei Polizisten keine asylerhebliche Intensität habe. Gegen eine Verfolgung spreche auch seine problemlose Ausreise. Der Kläger sei nicht in einer Weise aufgetreten, die das kubanische System als Gefahr betrachte. Beschwerden im Rahmen der Erblindung, die bei einer Rückkehr eine wesentliche Verschlechterung erführen, habe der Kläger nicht vorgetragen.
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Am 29. Dezember 2022 erhob der Kläger vor der Rechtsantragstelle des Verwaltungsgerichts Ansbach Klage und beantragte,
den Bescheid des Bundesamts vom 22. Dezember 2022 aufzuheben und das Bundesamt zu verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen, ihm die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutz zuzuerkennen und zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 bis Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
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Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 5. Januar 2023,
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Zur Klagebegründung legte die Klägerseite am 13. Februar 2023 ein Schreiben der Ehefrau des Klägers vor. Sie bezeuge, dass in den ersten Tagen des Monats August 2022 gegen fünf Uhr nachmittags zwei Kollegen in ihr Haus gekommen seien und sich mündlich als Polizisten ausgegeben hätten. Sie hätten berichtet, dass ihr Mann bei einer Protestkundgebung identifiziert worden sei und auch bei einem Sturz in einen der vielen offenen Abwasserkanäle von … Die Warnungen seien auf einschüchternde und spöttische Weise durchgeführt worden. Es sei von möglichen körperlichen, psychischen und sogar sexuellen Misshandlungen gesprochen worden. Als ihr Mann sein Telefon gesucht habe, um Beweise für den Besuch zu sammeln, hätten sie es ihm aus der Hand genommen. Von da an habe ihr Mann unter Überwachung, Verfolgung und Drohung der Inhaftierung, falls er sich erneut gegen das System ausspreche, gelebt. Dieser ständige Druck habe zu depressiven Zuständen geführt.
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Für den Kläger wurde vom Zentrum Bayern Familie und Soziales mit Bescheid vom 28. März 2023 ein Grad der Behinderung von 100 festgestellt. Nach einer augenärztlichen Stellungnahme vom 7. Februar 2023 bestehen ein „Visus R/L Nulla lux“ und keine therapeutischen Möglichkeiten zur Verbesserung der Sehschärfe.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogene Behördenakte und die Gerichtsakte Bezug genommen. Für den Verlauf der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet und deshalb abzuweisen. Der streitgegenständliche Bescheid vom 22. Dezember 2022 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Dem Kläger steht weder ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a GG oder Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG, noch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG oder auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu. Auch im Übrigen stößt der angegriffene Bescheid auf keine rechtlichen Bedenken.
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1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder Asylanerkennung. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (jeweils näher definiert in § 3b Abs. 1 AsylG) außerhalb seines Herkunftslandes befindet und in dieses nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will, wobei nach § 3b Abs. 2 AsylG unerheblich ist, ob die verfolgte Person tatsächlich die Merkmale, aufgrund derer sie verfolgt wird, aufweist oder ihr die Merkmale vom Verfolger nur zugesprochen werden. Als Verfolgung in diesem Sinn gelten gemäß § 3a AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte darstellen (Nr. 1) oder eine Kumulierung von Maßnahmen, die so gravierend ist, das eine Person in vergleichbarer Weise betroffen ist (Nr. 2). Als Verfolgungshandlungen in Sinn des Abs. 1 sind nach § 3a Abs. 2 AsylG u.a. die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden und eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung, anzusehen. Zwischen den Verfolgungsgründen und den Verfolgungshandlungen muss eine Verknüpfung bestehen, § 3a Abs. 3 AsylG. Ergänzende Regelungen ergeben sich für die Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, aus § 3c AsylG und zu den Akteuren, die Schutz bieten können, aus § 3d AsylG. Kein Schutz wird nach § 3e Abs. 1 AsylG gewährt, wenn der Verfolgte in einem Teil seines Herkunftslandes sicher vor Verfolgung ist und diesen Landesteil sicher und legal erreichen kann, dort aufgenommen wird und eine Niederlassung dort vernünftigerweise erwartet werden kann (inländische Fluchtalternative).
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Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG begründet ist, gilt der Prognosemaßstab der tatsächlichen Gefahr („real risk“). Erforderlich ist eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass der Betroffene bei einer Rückkehr verfolgt werden wird. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – NVwZ 2011, 1463; U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – NVwZ 2013, 936). Dabei ist die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie in Form einer widerlegbaren Vermutung zu beachten, wenn der Asylbewerber bereits Verfolgungshandlungen oder Bedrohungen mit Verfolgungscharakter erlebt hat und sich seine Furcht hinsichtlich einer Rückkehr in sein Heimatland aus einer Wiederholung bzw. Fortsetzung der erlittenen Verfolgung ergibt.
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Mit Rücksicht darauf, dass sich der Schutzsuchende hinsichtlich asylbegründender Vorgänge in einem gewissen, sachtypischen Beweisnotstand befindet, genügt bezüglich der Vorgänge im Herkunftsland für die nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO gebotene richterliche Überzeugungsgewissheit in der Regel die Glaubhaftmachung durch den Antragsteller und darf das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen. Es hat sich vielmehr mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit zu begnügen (vgl. BVerwG, U.v. 29.11.1977 – 1 C 33/71 – NJW 1978, 2463). Andererseits muss der Asylbewerber von sich aus unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen, widerspruchsfreien Sachverhalt schildern. Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag kann ihm in der Regel nur bei einer überzeugenden Auflösung der Unstimmigkeiten geglaubt werden (vgl. BVerwG B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – NVwZ 1990, 171).
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Dies zu Grunde gelegt ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass dem Kläger im Falle einer Rückkehr nach Kuba mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine dem Schutzbereich des § 3 Abs. 1 AsylG unterfallende Gefährdung droht.
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a) Eine Vorverfolgung im o.g. Sinne hat der Kläger nicht glaubhaft gemacht. Der von ihm geltend gemachte Protest im Mai 2022 wegen schlechter Straßenverhältnisse für Behinderte hat selbst nach dem Vortrag des Klägers zunächst zu keinen Problemen geführt. Da es sich um einen spontanen Protest des Klägers wegen eines eigenen Sturzes an einem Abwasserkanal gehandelt hat, ist es auch unwahrscheinlich, dass ein solche Unmutsäußerung von der Obrigkeit als Protest gegen das politische System im Allgemeinen verstanden worden ist. Offenbar hat der Protest auch nicht im öffentlichen Raum stattgefunden, wie die insoweit sehr oberflächlichen Angaben des Klägers beim Bundesamt zunächst glauben machten, sondern hat sich der Kläger im Regierungsbüro seines Viertels beschwert. Die ungenauen und kursorischen Angaben beim Bundesamt zeigen zum einen, dass der Kläger dem Vorfall selbst keine große Bedeutung im Hinblick auf einen Asylgrund beigemessen hat. Zum anderen lassen das nachgeschobene und gesteigerte Vorbringen auch Zweifel am Wahrheitsgehalt dieses Vorbringens aufkommen. Jedenfalls aber war der Kläger nach seiner Aussage Behindertenvertreter seiner Kirche und als solcher den Behörden bekannt. Nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung habe er sich in dieser Funktion für das Leben der Behinderten eingesetzt und den zuständigen Behörden die Probleme der Behinderten aufgezeigt. Auf Frage nach Schwierigkeiten insoweit äußerte der Kläger in der mündlichen Verhandlung lediglich, dass er mit seinem Anliegen nicht durchgedrungen sei und man ihm die Türe vor der Nase zugeschlagen habe. Er äußerte aber keine persönlichen Angriffe oder asylrelevanten Schwierigkeiten ihm gegenüber aufgrund dieser Tätigkeiten. Das Ausbleiben einer unmittelbaren Reaktion auf den geschilderten Protest bestätigt auf jeden Fall, dass der Kläger in der Funktion als Behindertenvertreter und wegen der konkreten Beschwerde keine Verfolgung im Sinne von § 3 AsylG zu befürchten hatte und damit auch bei einer Rückkehr nicht rechnen müsste.
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Auch hinsichtlich der Teilnahme an einer Demonstration vom 19. Juli 2022 ergibt sich für den Kläger nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungsgefahr. Zum einen sind die Angaben des Klägers insoweit – zum Anlass, dem Verlauf, der Örtlichkeit, dem konkreter Beitrag des Klägers etc. – sowohl beim Bundesamt als auch in der mündlichen Verhandlung äußert oberflächlich und von daher nicht glaubhaft, zum anderen ist selbst nach den Angaben des Klägers bei der geschilderten spontanen Demonstration kein Teilnehmer festgenommen worden oder auch nur die Personalien der Teilnehmer festgestellt worden. Unglaubhaft, weil unverständlich und hierzu nicht passend ist dann, dass die Polizei von der spontanen Demonstration mit 50 bis 100 Teilnehmern aber Videoaufnahmen gemacht habe und den Kläger im Nachhinein, zu Hause, damit konfrontiert habe. Wie der Kläger zu den angebotenen Videoaufnahmen der Demonstration gekommen ist, blieb ebenfalls im Dunkeln. Er gab selbst an, dass den Teilnehmern die Aufnahme von Fotos verboten worden sei und ihnen die Handys abgenommen worden seien. Wer das Video dann aufgenommen hat und wie und von wem ihm (bzw. seiner Frau, die ihm dies weitergereicht habe) dies „zugespielt“ worden ist, blieb rätselhaft und nicht nachvollziehbar. Dem Kläger kann insoweit somit nicht geglaubt werden. Auch nach seinen Angaben ist ihm aber beim Aufsuchen durch die Polizei nichts passiert und auch nicht gedroht worden. Er ist nach seiner Schilderung beim Bundesamt vielmehr lediglich – höflich – aufgefordert worden, nicht weiter zu demonstrieren und ihm sei erklärt worden, dass es nicht genug Geld gebe. Nach seinen Angaben beim Bundesamt hat er sich lediglich nicht ernst genommen gefühlt, was aber keinesfalls eine Maßnahme mit Asylrelevanz darstellt. Für eine fehlende politische Verfolgung des Klägers in Kuba bzw. dafür, dass er nicht in den Fokus des Regimes geraten ist, spricht außerdem, dass er keinerlei berufliche Probleme oder Einschränkungen erfahren hat (er hatte nach eigenen Angaben eine staatliche Stelle inne und hat diese lediglich aus ökonomischen Gründen gegen eine selbständige Arbeit aufgegeben), dass er Mitglied in regimetreuen staatlichen Organisationen gewesen ist und auch seine Familie in Kuba nach seiner Ausreise keine Schwierigkeiten bekommen hat. Auch die eingereichten schriftlichen Äußerungen seiner Frau belegen keine Verfolgungsgefahr. Zum einen kommt derartigen schriftlichen Bekundungen von Familienangehörigen, die nicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden können, schon allgemein kein nennenswerter Beweiswert zu, zum anderen stimmen die Ausführungen darin mit den Äußerungen des Klägers selbst nicht überein. Von ständigem Druck und depressiven Zuständen hat der Kläger selbst nicht gesprochen.
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Die Erkrankung seiner Tochter stellt ebenfalls keinen Asylgrund dar. Eine Verfolgung aus Gründen des § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b AsylG ist insoweit nicht gegeben und beträfe auch nicht den Kläger, sondern seine sich nicht in Deutschland aufhaltende Tochter.
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b) Auch Nachfluchtgründe sind für den Kläger nicht ersichtlich. Insbesondere zieht die Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland als solche nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine politische Verfolgung unverfolgt und legal aus Kuba eingereister kubanischer Staatsangehöriger nach sich (BVerwG, B.v. 7.12.1999 – 9 B 474.99; BayVGH, U.v. 29.7.2002 – 7 B 01.31054; B.v. 5.6.2008 – 15 ZB 07.30102; ständige Rechtsprechung des VG Ansbach, U.v. 24.9.2015 – AN 3 K 14.30542; B.v. 6.10.2020 – AN 17 K 20.30350 – alle juris). Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass den kubanischen Behörden die Asylantragstellung des Klägers bekannt geworden ist. Nachfluchtaktivitäten, die den Kläger im Falle einer Rückkehr nach Kuba dort der Gefahr politischer Verfolgung aussetzen, hat der Kläger nicht vorgetragen. Aus seiner Teilnahme an einer kirchlichen Veranstaltung in Deutschland als Behindertenvertreter aus Kuba leitet der Kläger selbst keine Verfolgungsgefahr ab. Es ist auch nicht ersichtlich, dass er sich insoweit regimekritisch geäußert hat und insoweit überhaupt Informationen an die kubanischen Staatsorgane gelangt sind.
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Dass es sich bei Kuba nicht um einen demokratischen und rechtstaatlichen Staat mit Meinungs- und Versammlungsfreiheit handelt und ein Leben der Bevölkerung dort von Einschränkungen in der persönlichen Freiheit geprägt ist und auch willkürliche Maßnahmen des Staates gegenüber Bürgern möglich sind, genügt für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht. Die Wahrscheinlichkeit, von einer derartigen Willkürmaßnahme des Staates, der von der Schwere auch asylrechtliche Relevanz zukommt, betroffen zu sein, erreicht die notwendige Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit nicht. Allenfalls bei einer Zusammenschau mit gefahrerhöhenden Umständen des Einzelfalls, insbesondere wenn eine Person als politischer Dissident in Erscheinung getreten ist, kann eine Verfolgungsgefahr anzunehmen sein, was aber für den Kläger – wie dargelegt – nicht der Fall ist.
22
Eine Rückkehr nach Kuba ist für den Kläger derzeit auch möglich. Kubanische Staatsangehörige können nach den dem Gericht vorliegenden und zum Verfahren beigezogenen Erkenntnisquellen innerhalb von 24 Monaten rechtlich und tatsächlich ohne die Einholung einer Rückkehrberechtigung zurückkehren (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Kuba, Gesamtaktualisierung vom 23.7.2019). Danach ist von einem Verlust der Rückkehrberechtigung auszugehen. Dies stellt aber keine Verfolgungsmaßnahme im Sinne von § 3 AsylG dar; der Verlust der Rückkehrberechtigung knüpft nämlich an den Ablauf der Rückkehrfrist und nicht an die in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Merkmale an (VG Ansbach, U.v. 6.10.2020 – AN 17 K 20.30350; U.v. 14.9.2015 – AN 3 K 14.30542 – jeweils juris).
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2. Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 AsylG zu.
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Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär schutzberechtigt, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AsylG), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG). Vorliegend sind keine Gründe ersichtlich, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland ein ernsthafter Schaden in diesem Sinne droht. Auch wegen seiner Behinderung, aufgrund seiner Erblindung, ergibt sich insoweit keine Befürchtung einer entsprechenden Behandlung. Dies hat der Kläger auch selbst nicht geltend gemacht.
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3. Auch nationale Abschiebungsverbote sind nicht gegeben. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK – ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach § 60 Abs. 7 AufenthG ist eine Abschiebung unzulässig, wenn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit des Asylantragstellers bei einer Rückkehr nach Kuba vorliegt. Trotz seiner Behinderung führte der Kläger in Kuba ein geordnetes Leben mit zuletzt selbständiger, vormals staatlicher Beschäftigung, Familie und Engagement als Behindertenvertreter in kirchlichen Strukturen. Es ist damit nichts dafür erkennbar, dass die schlechte allgemeine wirtschaftliche und teilweise auch humanitäre Lage in Kuba sich für ihn persönlich als derart prekär darstellt, dass bei einer Rückkehr nach Kuba ein menschwürdiges Leben für ihn nicht möglich wäre. Er ist in Kuba auch nicht auf sich alleine gestellt, sondern hat Familie.
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4. Die im angefochtenen Bescheid enthaltene Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung begegnen ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Die Voraussetzungen der §§ 34 Abs. 1, 38 Abs. 1 AsylG liegen vor.
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5. Gleiches gilt für die Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots mit Befristung in Ziffer 6 des Bescheids gemäß §§ 11 Abs. 1, Abs. 2, 75 Nr. 12 AufenthG. Die Befristung steht dabei im Ermessen der Behörde, vgl. § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, womit das Gericht die Festsetzung in zeitlicher Hinsicht nur auf – im vorliegenden nicht vorgetragene und erkennbare – Ermessensfehler hin überprüft (§ 114 Satz 1 VwGO).
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6. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen, wobei Gerichtskosten gemäß § 83b AsylG nicht erhoben werden.