Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 11.06.2024 – 206 StRR 191/24
Titel:

Grenzwert der nicht geringen Menge, besonders schwerer Fall und "Sich-Verschaffen" von Cannabis

Normenkette:
KCanG § 34 Abs. 1 Nr. 11, Nr. 12, Abs. 3 Nr. 4
Leitsätze:
1. Der Grenzwert für eine nicht geringe Menge Cannabis ist zwar auch unter der Geltung des KCanG bei 7,5 Gramm THC beizubehalten. Damit liegen die Voraussetzungen des Regelbeispiels des § 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG indes nicht automatisch vor. Es ist vielmehr eine Gesamtwürdigung aller relevanten Strafzumessungstatsachen vorzunehmen. Dem Grad der Überschreitung des Grenzwertes der nicht geringen Menge kommt dabei regelmäßig erhebliche Bedeutung zu. (Rn. 19) (red. LS Alexander Kalomiris)
2. Das KCanG hat mit den Begriffen des „Erwerbens“ und des „Sich-Verschaffens“ die Terminologie des Betäubungsmittelgesetzes in § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG übernommen. Hat der Angeklagte die gegenständliche Menge nach den Feststellungen gekauft, liegt Erwerb vor, womit eine Strafbarkeit wegen "Sich-Verschaffens" ausgeschlossen ist. Die Privilegierung dieser Art der Erlangung der Verfügungsgewalt durch den Gesetzgeber mittels Straflosstellung des Erwerbs einer Menge von bis zu 25 Gramm muss hingenommen werden. (Rn. 28 – 29) (red. LS Alexander Kalomiris)
Schlagworte:
nicht geringe Menge Cannabis, nicht geringe Menge, besonders schwerer Fall, Regelbeispiel, Grad der Überschreitung, Erwerb von Cannabis, Sich-Verschaffen, Sich-Verschaffen von Cannabis
Vorinstanz:
LG München I, Urteil vom 05.03.2024 – 21 Ns 368 Js 194096/21
Fundstelle:
BeckRS 2024, 13186

Tenor

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 5. März 2024 mit den dazugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen der Tat vom 10. Januar 2022 (Urteilsgründe III. B. 2.) verurteilt worden ist.
II. Der Schuldspruch hinsichtlich der Tat vom 6. Oktober 2021 (Urteilsgründe III. B. 1.) wird mit der zugehörigen Liste der angewandten Strafvorschriften wie folgt geändert:
„Der Angeklagte ist schuldig des Besitzes von Cannabis von mehr als 60 Gramm in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln.
Angewandte Strafvorschriften: § 1 Nrn. 4 und 8, § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 2 Nr. 1, § 34Abs. 1 Nr. 1 lit. b) KCanG, § 1 Abs. 1 i.V.m. Anl. III, § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG, § 52 StGB“.
III. Aufgehoben wird auch der Rechtsfolgenausspruch mit den zugrundeliegenden Feststellungen mit Ausnahme derjenigen, die der Bestimmung der Einzelstrafe für die Tat vom 6. Oktober 2021 zugrundeliegen.
IV. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.
V. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts München I zurückverwiesen.

Gründe

I.
1
Das Amtsgericht München hat den Angeklagten mit Urteil vom 26. Oktober 2022 „des vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tatmehrheit mit unerlaubtem gewerbsmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln“ schuldig gesprochen und gegen ihn deswegen eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verhängt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Das Amtsgericht hat ferner die Einziehung von Wertersatz in Höhe von 3700,00 Euro angeordnet.
2
Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Berufung eingelegt. Mit Beschluss des Berufungsgerichts vom 5. März 2024 wurde hinsichtlich der Tat vom 6. Oktober 2021 gemäß § 154 a Abs. 2 StPO die weitere Verfolgung auf den Umgang mit Marihuana und Tabletten mit dem Wirkstoff Ritalin beschränkt. Mit Berufungsurteil vom 5. März 2024 hat das Landgericht München I den Angeklagten des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tatmehrheit mit vorsätzlichem unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln schuldig gesprochen und ihn deswegen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und einem Monat verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Die Einziehung von Wertersatz ist entfallen.
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Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit der Revision, welche auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützt ist. Die Rüge wird dahin ausgeführt, dass aufgrund des Inkrafttretens des Konsum-Cannabisgesetzes und des MedizinalCannabisgesetzes das Urteil keinen Bestand haben könne.
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Die Generalstaatsanwaltschaft M. beantragt in ihrer Stellungnahme vom 9. Mai 2024, den Schuldspruch – nebst den anzuwendenden Strafvorschriften – dahingehend zu ändern, dass der Angeklagte schuldig wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Cannabis in Tatmehrheit mit unerlaubtem Verschaffen von Cannabis sei, und die weitergehende Revision als unbegründet zu verwerfen.
II.
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Die Revision des Angeklagten hat – allein wegen des nach Erlass des Berufungsurteils zum 1. April 2024 in Kraft getretenen Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz – CanG) – in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
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1. Die Anklageschrift vom 23. März 2022 hat, was vom Revisionsgericht als Verfahrensvoraussetzung von Amts wegen zu überprüfen war, trotz einer Formulierungsungenauigkeit die Tat vom 6. Oktober 2021 hinreichend genau im Sinne der §§ 155, 264 Abs. 1 StPO bezeichnet. Dem geschilderten Sachverhalt lässt sich aus der Formulierung noch entnehmen, dass der Angeklagte die näher bezeichneten Betäubungsmittel nicht nur „seit“ einem nicht näher konkretisierten Zeitpunkt „vor“ dem 6. Oktober 2021 in seiner Wohnung aufbewahrte, sondern dass der Umgang mit der gesamten Menge jedenfalls noch bis zum genannten Datum andauerte. Damit ist das dem Gericht zur Aburteilung unterbreitete tatsächliche Geschehen nebst seiner Beendigung zeitlich ausreichend umrissen.
2. Änderung des Schuldspruchs (Tat vom 6. Oktober 2021, Urteilsgründe III. B. 1.):
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a) Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte den Besitz an 72,17 Gramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 11,4 Gramm Tetrahydrocannabinol (THC) sowie an 502 Hartkapseln Ritalin mit einem Wirkstoffgehalt von insgesamt 10,66 Gramm Methylphenidat innehatte.
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Die Feststellungen beruhen auf einer nicht zu beanstandenden Beweiswürdigung. Das gilt auch insoweit, als das Landgericht festgestellt hat, der Angeklagte habe die Ritalin-Kapseln zwar auf der Grundlage ärztlicher Verordnungen erhalten, diese habe er sich jedoch jeweils durch unrichtige Angaben erschlichen (UA S. 10). Der Angeklagte hat selbst eingeräumt, dass er die ihm bereits seit seiner Kindheit verordneten Medikamente seit seinem 16. Lebensjahr nicht mehr in der verordneten Dosis (2 Kapseln täglich) eingenommen, sondern „gesammelt“ habe (UA S. 12). Zur Tatzeit war der Angeklagte 21 Jahre alt. Es ist nicht zu beanstanden, dass das Gericht hieraus den Schluss gezogen hat, dass ihm die (gesamte) gegenständliche Menge von den behandelnden Ärzten nicht verschrieben worden wäre, wenn er zutreffende Angaben über sein Einnahmeverhalten und seine Vorratshaltung gemacht hätte (UA S. 10).
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b) Der Schuldspruch des Landgerichts wegen dieser Tat und die von ihm angewandten Strafvorschriften entsprachen der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Rechtslage.
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Dies gilt im Ergebnis auch für die, wenn auch vom Landgericht nicht näher begründete, Rechtsauffassung, der Besitz der ärztlich verordneten RitalinKapseln falle unter § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG. Der enthaltene Wirkstoff Methylphenidat ist in Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG aufgeführt; es handelt sich um ein verkehrs- und verschreibungsfähiges Betäubungsmittel. Über eine wirksame schriftliche Erlaubnis für deren Erwerb verfügte der Angeklagte nicht. Etwaige ärztliche Verordnungen – den Feststellungen lässt sich nicht sicher entnehmen, ob solche für alle Kapseln vorlagen – konnten wie ausgeführt nur aufgrund unvollständiger Angaben gegenüber den ausstellenden Ärzten erlangt worden sein. Solche nur formell ordnungsgemäßen, aber unbegründeten ärztlichen Verschreibungen stellen keine ausreichende Erlaubnis gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG dar (Patzak/Volkmer/Fabricius/Patzak, BtMG, 10. Aufl. 2022, § 29 Rn. 1336; OLG Celle, Urteil vom 9. November 2018, 1 Ss 63/17, BeckRS 2018, 29520 Rn. 49).
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c) Die Revision führt gleichwohl im Schuldspruch hinsichtlich der Tat vom 6. Oktober 2022 zu einem Teilerfolg. Auf den Besitz der gegenständlichen Menge an Marihuana findet nunmehr das am 1. April 2024 in Kraft getretene Konsumcannabisgesetz (KCanG) Anwendung, welches der Senat aufgrund der geringeren Strafdrohung als das mildere Gesetz gemäß § 2 Abs. 3 StGB i.V.m. § 354a StPO bei seiner Rechtsprüfung anzuwenden hat.
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aa) Der Besitz von Cannabis, zu dem auch gemäß § 1 Nrn. 1 und 4 KCanG Marihuana zählt, ist gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 1 lit. b), wenn der Besitz wie hier am Wohnsitz bzw. am gewöhnlichen Aufenthaltsort ausgeübt wird, ab einer Menge von mehr als 60 Gramm, bei Blüten, blütennahen Blättern oder sonstigem Pflanzenmaterial der Cannabispflanze bezogen auf das Gewicht nach dem Trocknen, strafbewehrt.
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bb) Nach den Feststellungen hatte der Angeklagte mit 72,17 Gramm eine übersteigende Menge in Besitz. Der Senat hat im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in den Tenor zur Klarstellung den Grenzwert von 60 Gramm, dessen Überschreitung die Strafbarkeit erst begründet, aufgenommen (so BGH, Beschluss vom 23. April 2024, 5 StR 153/24, BeckRS 2024, 9736; vgl. auch BGH, Beschluss vom 18. April 2024, 1 StR 106/24, BeckRS 2024, 7982 zum Besitz von lebenden Cannabispflanzen). Für den Besitz einer nicht geringen Menge von Cannabis sieht das Gesetz keinen Qualifikationstatbestand mehr vor, sondern enthält lediglich eine Strafzumessungsbestimmung, § 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG. Eine etwaige nicht geringe Menge ist damit nicht in den Schuldspruch aufzunehmen.
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Die Verwirklichung des § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG durch den Besitz der Ritalin-Kapseln steht zu § 34 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) in Tateinheit, § 52 StGB.
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d) Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass die Änderung des Schuldspruchs den Bestand der ihm zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen unberührt lässt.
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e) Die insoweit weitergehende Revision des Angeklagten, die auf eine umfängliche Aufhebung abzielt, war zu verwerfen.
3. Aufhebung der Rechtsfolgenentscheidung (Tat vom 6. Oktober 2021):
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Entgegen dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft kann die Einzelfreiheitsstrafe von zehn Monaten für diese Tat nicht aufrechterhalten bleiben, denn es wird der konkreten Strafbemessung nach der neuen Gesetzeslage nicht ausschließbar ein milderer Strafrahmen zugrunde zu legen sein. Da es sich lediglich um Wertungsfragen handelt, können die fehlerfrei getroffenen zugrundeliegenden Feststellungen jedoch aufrecht erhalten werden.
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a) Das Landgericht hat das Vorliegen eines minderschweren Falls angenommen und den Strafrahmen des § 29a Abs. 2 BtMG angewendet, der von Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren reicht (UA S. 15).
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b) Ob der gleichlautende Strafrahmen des § 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG (Umgang mit nicht geringer Menge) anzuwenden ist, kann der Senat nicht selbst entscheiden. Zwar ist nach der Rechtsprechung des Bundegerichtshofs der Grenzwert für eine nicht geringe Menge Cannabis auch unter der Geltung des KCanG bei 7,5 Gramm THC beizubehalten (BGH BeckRS 2024, 7982 Rn. 12; BeckRS 2024, 9736 Rn. 14 f.). Vorliegend hat das Gericht eine Wirkstoffmenge von 11,4 Gramm THC festgestellt. Damit liegen die Voraussetzungen des Regelbeispiels indes nicht automatisch vor. Es wird vielmehr eine Gesamtwürdigung aller relevanten Strafzumessungstatsachen vorzunehmen sein (vgl. BayObLG, Beschluss vom 12. April 2024, 206 StRR 129/24, BeckRS 2024, 7585 Rn. 10). Vorliegend hat das Landgericht (nach damaliger Rechtslage) einen minderschweren Fall angenommen (UA S. 16) und eine Vielzahl gewichtiger Milderungsgründe dargelegt (UA S. 16), die für sich nicht zu beanstanden sind. Diese können auch gegen die Anwendung des erhöhten Sonderstrafrahmens des § 34 Abs. 3 KCanG sprechen. Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass der Grenzwert der nicht geringen Menge, bezogen auf das Marihuana, vorliegend lediglich nicht sehr erheblich überschritten ist, und dem Grad der Überschreitung des Grenzwertes für die Frage, ob ein minderschwerer Fall vorliegt, regelmäßig erhebliche Bedeutung zukommt (BGH, Beschluss vom 15. November 2023, 2 StR 327/23, BeckRS 2023, 38499 Rn. 7 m.w.N.). Für die Beurteilung, ob ein besonders schwerer Fall gemäß § 34 Abs. 3 KCanG zu bejahen ist, wird dieser Gedanke entsprechend heranzuziehen sein.
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c) Die Beibehaltung des Strafrahmens des § 29a Abs. 3 BtMG kommt auch nicht unter dem Gesichtspunkt in Betracht, dass der Angeklagte sich wegen des tateinheitlich verwirklichten Besitzes von 10,66 Gramm Methylphenidat strafbar gemacht hat und gemäß § 52 Abs. 2 Satz 1 StGB der die schwerste Strafe androhende Strafrahmen anzuwenden ist. Der Grenzwert der nicht geringen Menge bei Methylphenidat beträgt 15 Gramm (vgl. BGH, Beschluss vom 8. März 2022, 3 StR 136/21, BeckRS 2022, 8755 Rn. 37) und ist hier nicht erreicht.
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d) Die Höhe der Strafe beruht auf der Anwendung der für den Besitz des Cannabis nicht mehr geltenden, dem Angeklagten ungünstigeren Gesetzeslage.
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Wenn das neue Tatgericht, was nicht fern liegt, keinen besonders schweren Fall gemäß § 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG annehmen wird, ist gemäß § 52 Abs. 2 Satz 1 StGB der Strafrahmen des § 29 Abs. 1 BtMG (wegen des Besitzes von Methylphenidat) anzuwenden. Dieser sieht anders als der vom angegriffenen Urteil angewandte § 29a Abs. 2 BtMG keine Mindeststrafe vor. Da die Freiheitsstrafe von zehn Monaten nicht an der Untergrenze dieses möglicherweise anzuwendenden Strafrahmens liegt, kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Strafe in diesem Fall geringer ausfallen wird. Die verhängte Strafe ist daher aufzuheben, § 353 Abs. 1 StPO.
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e) Die tatsächlichen Feststellungen, die das Gericht der Strafbestimmung zugrunde gelegt hat, bedürfen nicht der Aufhebung. Sie sind fehlerfrei getroffen worden und bedürfen lediglich einer an der aktuellen Gesetzeslage ausgerichteten neuen Bewertung. Feststellungen, die die bisherigen ergänzen, ihnen aber nicht widersprechen, können vom neuen Tatgericht getroffen werden.
4. Zur Tat vom 10. Januar 2022
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Hinsichtlich der Tat vom 10. Januar 2022 hat die Revision Erfolg.
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Der Schuldspruch kann weder aufrecht erhalten werden noch ist seine bloße Änderung möglich, denn auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen ist nach der neuen Gesetzeslage kein Straftatbestand erfüllt. Da die Feststellungen jedoch teilweise unklar sind und es weiterer Aufklärung bedarf, kann der Senat den Angeklagten insoweit nicht nach § 354 Abs. 1 StPO freisprechen.
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a) Nach den Feststellungen, die das Berufungsgericht getroffen hat, hat der Angeklagte am Tattag 24,99 Gramm Marihuana für den Eigenkonsum gekauft (UA S. 10).
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Der Schuldspruch wegen Erwerbs von Betäubungsmitteln kann nicht in einen Schuldspruch wegen Erwerbs von Cannabis abgeändert werden, denn ein solcher ist erst ab einer Menge von 25 Gramm pro Tag mit Strafe bedroht, § 34 Abs. 1 Nr. 12 lit b) KCanG.
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Anders als von der Generalstaatsanwaltschaft beantragt kann auch kein Schuldspruch wegen Sich-Verschaffens von Cannabis gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 11 KCanG, der keine Mindestmenge vorsieht, erfolgen. Das Gesetz hat mit den Begriffen des „Erwerbens“ und des „Sich-Verschaffens“ die Terminologie des Betäubungsmittelgesetzes in § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG übernommen. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll die betäubungsmittelrechtliche Auslegung der Handlung, sich Cannabis zu verschaffen, auch im Rahmen des KCanG gelten (BT-Drucksache 20/8704, Seite 94, „Zu „Nummer 7“).
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„Erwerb“ von Betäubungsmitteln im Sinne des BtMG liegt vor, wenn der Täter die eigene tatsächliche Verfügungsgewalt über das Betäubungsmittel auf abgeleitetem Wege, das heißt im einverständlichen Zusammenwirken mit dem Vorbesitzer durch ein Rechtsgeschäft erlangt (Patzak/Volkmer/Fabricius/Patzak, BtMG, 10. Aufl. 2022, § 29 Rn. 887 m.w.N.), wobei dies entgeltlich oder unentgeltlich erfolgen kann (Patzak a.a.O. Rn. 890). Beim Sichverschaffen erlangt der Täter das Betäubungsmittel in sonstiger Weise, also ohne rechtsgeschäftliche Vereinbarung (Patzak a.a.O. Rn. 962), also z.B. durch Diebstahl, Raub oder Erpressung (Patzak a.a.O. Rn. 959). Der Angeklagte hat die gegenständliche Menge nach den Feststellungen gekauft, also erworben. Die Privilegierung dieser Art der Erlangung der Verfügungsgewalt durch den Gesetzgeber mittels Straflosstellung des Erwerbs einer Menge von bis zu 25 Gramm muss hingenommen werden.
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Auch nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 lit a) KCanG (Besitz von Cannabis außerhalb des eigenen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltsortes) hat sich der Angeklagte insoweit nicht strafbar gemacht, denn die dort genannte Mindestmenge von 30 Gramm Cannabis ist nicht erreicht.
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b) Das Landgericht hat zwar mit seinem auf den Erwerb von BtM beschränkten Schuldspruch übersehen, dass hinsichtlich der Menge von 12,82 Gramm Marihuana, die der Angeklagte in seiner Wohnung aufbewahrte, nach damaliger Rechtslage eine Verurteilung wegen tateinheitlichen Besitzes hätte erfolgen müssen. Dieser Tatbestand konnte hinter den Schuldspruch wegen Erwerbs deshalb nicht zurücktreten, weil es sich um eine davon unterschiedene Menge handelte (vgl. nur Patzak a.a.O. Rn. 1082).
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Der Senat kann seinerseits eine Abänderung des Schuldspruchs in „Besitz von Cannabis“ nicht vornehmen, und zwar auch nicht, wenn er den Besitz auf die Gesamtmenge bezieht, denn diese erreicht nicht den Grenzwert von 60 Gramm, unterhalb dessen der Besitz straffrei bleibt § 34 Abs. 1 lit a) KCanG.
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c) Ein Freispruch des Angeklagten wegen der Tat vom 10. Januar 2022 nach § 354 Abs. 1 StPO scheidet aus, denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass noch ergänzende Feststellungen getroffen werden können, die zu einer Strafbarkeit führen können. Die Urteilsgründe weisen hinsichtlich der maßgeblichen Mengen nämlich geringfügige Widersprüche auf, die der Senat mit den ihm allein zur Verfügung stehenden Entscheidungsgrundlagen nicht aufklären konnte; insbesondere ist ihm diesbezüglich ein Blick in die Akten aus Rechtsgründen verschlossen.
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Die vom Landgericht festgestellte Gesamtmenge von Marihuana beläuft sich auf 37,81 Gramm. Das Ersturteil ist, wie die Gründe des Berufungsurteils referieren (UA S. 4), von einer Gesamtmenge von 38,57 Gramm ausgegangen. Der Senat kann nicht nachvollziehen, woraus sich dieser Schwund ergibt. Er kann deswegen auch nicht ausschließen, dass die vom neuen Tatgericht zu treffenden Feststellungen zu einer Erwerbsmenge von mehr als 25,00 Gramm Marihuana führen werden.
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d) Der Senat weist jedoch ergänzend auf die gesetzliche Wertung des § 35a Abs. 1 KCanG hin und regt an, hinsichtlich der Tat vom 10. Januar 2022 eine Verfahrenserledigung in Betracht zu ziehen, die keine weiteren tatsächlichen Feststellungen mehr erforderlich macht.
III.
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Auf die Revision des Angeklagten hin ist daher das angefochtene Urteil hinsichtlich der Tat vom 6. Oktober 2021 im Schuldspruch zu ändern wie aus dem Tenor ersichtlich sowie im Strafausspruch aufzuheben, wobei die zugrundeliegende Feststellungen bestehen bleiben können, §§ 349 Abs. 2, Abs. 4, 354 Abs. 1 StPO. Hinsichtlich der Tat vom 10. Januar 2022 ist das Urteil mit den zugrunde liegenden Feststellungen, (§§ 349 Abs. 4, 353 Abs. 1 und Abs. 2 StPO) aufzuheben. Die jeweiligen Aufhebungen ziehen auch den Wegfall der Gesamtstrafe nach sich.
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Im Umfang der Aufhebung ist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer zurückzuverweisen, § 354 Abs. 2 StPO.