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OLG München, Endurteil v. 16.05.2024 – 1 U 7268/19
Titel:

Vollständige Aufzehrung des Differenzschadens durch Vorteilsausgleichung in Dieselfall

Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Fahrzeugemissionen-VO Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
Leitsatz:
Dass für die Schätzung des Differenzschadens auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen ist, schließt eine schadensmindernde Berücksichtigung später eintretender Umstände im Wege der Vorteilsausgleichung nicht aus. Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeugs sind erst dann und nur insoweit schadensmindernd anzurechnen, als sie den Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags (gezahlter Kaufpreis abzüglich Differenzschaden) übersteigen (hier vollständige Schadensaufzehrung bejaht). (Rn. 15 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, Schutzgesetz, Dieselskandal, unzulässige Abschalteinrichtung, EG-Typgenehmigung, Übereinstimmungsbescheinigung, Differenzschaden, Vorteilsausgleichung, Schadensaufzehrung
Vorinstanz:
LG München I, Urteil vom 14.11.2019 – 10 O 7893/19
Fundstelle:
BeckRS 2024, 13178

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 14.11.2019, Az. 10 O 7893/19, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe

I.
1
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem von der Beklagten hergestellten PKW Mercedes-Benz E 250 CDI BE Avantgarde in Anspruch. Mit seiner Berufung wendet sich der Kläger gegen die erstinstanzliche Klageabweisung.
2
Auf die tatsächlichen Feststellungen des Endurteils des Landgerichts München I vom 14.11.2019 wird Bezug genommen. Am 08.05.2022 verkaufte der Kläger das streitgegenständliche Fahrzeug wegen eines Motorschadens für 4.800,- Euro und mit einem Kilometerstand von 160.000 km weiter, da ihm eine Reparatur des Motorschadens wegen Ölverlusts für etwa 8.000,- Euro zu teuer erschien. Die Beklagte stellte bereits vor dem Weiterverkauf des Fahrzeugs ein Software-Update zur Verfügung, zu dessen Aufspielung der Kläger ein entsprechendes Angebot erhalten hatte, das Update allerdings nicht aufspielen ließ.
3
Das Landgericht hat zur Begründung des klageabweisenden Urteils ausgeführt, dass dem Kläger gegen die Beklagte weder ein Schadensersatz gem. § 823 BGB i.V.m. § 263 BGB oder i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV noch gem. § 826 BGB zustehe. Der Kläger habe nicht dargelegt, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter der Beklagten zum Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs im Jahr 2016 gegenüber dem Kläger eine für die Erfüllung des Betrugstatbestands nach § 263 Abs. 1 StGB erforderliche Täuschungshandlung vorgenommen habe. Bei den öffentlich-rechtlichen Normen der EG-FGV handele es sich nicht um ein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB. Für einen Anspruch wegen sittenwidriger Schädigung fehle es u.a. am Schädigungsvorsatz der Beklagten; dieser sei nicht ausreichend dargelegt bzw. erwiesen.
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Der Kläger legte gegen das am 20.11.2019 zugestellte Endurteil mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 18.12.2019, eingegangen am selben Tag, Berufung ein und begründete diese fristgerecht mit Schriftsatz vom 20.01.2020.
5
Der Kläger ist nunmehr der Auffassung, dass ihm aufgrund von im gegenständlichen Fahrzeug verbauter unzulässiger Abschalteinrichtungen (insb. Thermofenster, Software zur Beeinflussung des Abgasverhaltens hinsichtlich der Stickoxidwerte) ein Differenzschadensersatz zustehe. Das im streitgegenständlichen Fahrzeug verbaute Thermofenster erfülle nicht die gesetzlichen Vorgaben. Der Differenzschaden sei auch nicht aufgezehrt; eine etwaige Vorteilsanrechnung komme nicht in Betracht. Als Restwert des Fahrzeugs sei allenfalls der durch den Weiterverkauf erlangte Erlös anzusetzen. Zudem sei von einer Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs in Höhe von mindestens 350.000 km auszugehen.
6
Der Kläger beantragte zunächst:
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 26.000,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozent hieraus seit dem 19.05.2016 sowie 5 Prozentpunkten seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung (des) Fahrzeugs Mercedes-Benz E 250, Fahrgestellnummer: …99.
2.
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten seines Prozessbevollmächtigten in Höhe von 1.171,67 Euro freizustellen.
7
Mit Schriftsatz vom 01.08.2023 reagierte der Kläger auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und stellte seine Anträge auf Geltendmachung (nur noch) eines Differenzschadensersatzes um und beantragt gem. Schriftsatz vom 01.08.2023 zuletzt:
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Schadensersatz in Höhe von 3.900,00 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
2.
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten seines Prozessbevollmächtigten in Höhe von 1.171,67 Euro freizustellen.
8
Hinsichtlich des weitergehenden Umfangs des ursprünglichen Klageantrags zu 1) erklärt die Klägerseite den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt.
9
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
10
Die Beklagte verteidigt das klageabweisende Urteil des Landgerichts. Dem Kläger stehe insbesondere auch kein Anspruch auf Ersatz eines etwaigen Differenzschadens zu. Es liege bereits keine unzulässige Abschalteinrichtung vor. Das von der Beklagten angebotene Software-Update beseitige einen etwaigen Schaden vollständig; bei betriebswarmem Motor werde die Rate der Abgasrückführung nach Aufspielen des Software-Updates erst unterhalb von Umgebungslufttemperaturen von 0 °C und oberhalb von Umgebungslufttemperaturen von 40 °C schrittweise reduziert. Das KSR werde mit Aufspielen der Software entfernt. Zudem sei ein etwaiger Differenzschaden auch durch den Restwert des Fahrzeugs sowie die gezogenen Nutzungen aufgezehrt. Der tatsächliche Marktwert des vom Kläger verkauften Fahrzeugs sei tatsächlich höher gewesen als der vom Kläger angegebene Verkaufspreis in Höhe von 4.800,- Euro. Dem streitgegenständlichen Fahrzeug hinsichtlich Zulassungsdatum und Laufleistung vergleichbare Fahrzeuge würden auf dem Gebrauchtwagenmarkt für etwa 18.500,- Euro angeboten. Eine mit den dem streitgegenständlichen Fahrzeug entsprechenden Daten durchgeführte Abfrage in der Schwacke-Restwertdatenbank zum Stichtag 08.05.2022 (Weiterverkaufstag) habe einen Händlereinkaufspreis von 12.142,85 Euro netto bzw. einen Händlerverkaufspreis von 13.991,59 Euro netto ergeben. Etwaige den Mindererlös begründende Faktoren wie beispielsweise ein schlechter Pflegezustand, unsachgemäßer Gebrauch, Nichteinhaltung der Service-Intervalle, die Eigenschaft als Unfallwagen oder – wie sich aus dem Verkaufsdokument ergebe – ein Motorschaden seien vom Kläger zu vertreten und nicht der Beklagten zuzurechnen.
11
Im Übrigen wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
12
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 11.04.2024 teilte der Kläger mit, der Motorschaden des gegenständlichen Fahrzeugs sei nach Auskunft der Werkstatt auf einen Ölverlust zurückzuführen gewesen. Die Reparatur sei auf ca. 8.000,- Euro für einen Austauschmotor geschätzt worden. Daraufhin habe er das Fahrzeug nicht mehr reparieren lassen. Auf das Protokoll vom 11.04.2024 wird auch im Übrigen Bezug genommen.
II.
13
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Differenzschadensersatzanspruch vor dem Hintergrund etwaiger unzulässiger Abschalteinrichtungen zu.
14
1. Zunächst teilt der Senat die Bewertung des Landgerichts, dass dem Kläger kein Schadensersatzanspruch gem. § 826 BGB zusteht. Insoweit wird auf die Ausführungen im landgerichtlichen Urteil Bezug genommen.
15
2. Ein etwaiger Differenzschaden gem. § 823 Abs. 2 i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV ist jedenfalls – ganz unabhängig von der Frage, ob im vorliegenden Fall von einem Differenzschaden in Höhe von 5, 10 oder 15 Prozent des Kaufpreises ausgegangen wird und ob bzw. in welcher Höhe das von der Beklagten angebotene Software-Update einen etwaigen Schaden kompensiert – durch den Restwert des streitgegenständlichen Fahrzeugs sowie die gezogenen Nutzungen vollständig aufgezehrt.
16
Der BGH führte in seiner richtungsweisenden Entscheidung vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21 unter Randnummer 80 wie folgt aus:
„Dass für die Schätzung des Differenzschadens auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen ist, schließt eine schadensmindernde Berücksichtigung später eintretender Umstände im Wege der Vorteilsausgleichung, deren Voraussetzungen der Fahrzeughersteller darzulegen und zu beweisen hat, allerdings nicht aus. (…). Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeugs sind erst dann und nur insoweit schadensmindernd anzurechnen, als sie den Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags (gezahlter Kaufpreis abzüglich Differenzschaden) übersteigen (…). Beruft sich der Fahrzeughersteller auf die nachträgliche Verbesserung des Fahrzeugs durch ein Software-Update, kann damit eine Schadensminderung indessen nur verbunden sein, wenn und soweit das Software-Update die Gefahr von Betriebsbeschränkungen signifikant reduziert. Das wiederum kann nur dann der Fall sein, wenn es nicht seinerseits eine unzulässige Abschalteinrichtung beinhaltet. Die Vorteilausgleichung kann der Gewährung auch eines Schadensersatzes aus § 823 Abs. 2 BGB entgegenstehen, wenn der Differenzschaden vollständig ausgeglichen ist.“
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So liegt es hier. Ein etwaiger Differenzschaden ist durch den Restwert des streitgegenständlichen Fahrzeugs und die gezogenen Nutzungen vollständig ausgeglichen.
18
Der Senat schätzt den Restwert des streitgegenständlichen Fahrzeugs gemäß § 287 ZPO unter Berücksichtigung der von der Beklagten vorgelegten Angebote auf dem Gebrauchtwagenmarkt (BB14), der Auswertung der Schwacke-Restwertdatenbank zum Stichtag 08.05.2022 (BB15) sowie der Angaben des Klägers, dass eine Reparatur des Motorschadens des streitgegenständlichen Fahrzeugs vor einem Weiterverkauf etwa 8.000,- Euro gekostet hätte, und unter Berücksichtigung der Laufleistung und des Datums der Erstzulassung wie in der mündlichen Verhandlung vom 11.04.2024 erläutert auf jedenfalls mehr als 12.000,- Euro. Nach Auffassung des Senats ist für den Restwert des streitgegenständlichen Fahrzeugs der Restwert des Fahrzeugs ohne Motorschaden anzusetzen, der der Beklagten nicht zuzurechnen ist. Hätte der Kläger entsprechend dem Rechtsgedanken des § 254 BGB den Schaden vor einem Weiterverkauf während des laufenden Berufungsverfahrens ordnungsgemäß reparieren lassen, hätte er nach Überzeugung des Senats einen Verkaufspreis etwa in Höhe der von der Beklagten vorgelegten Ergebnisse der Schwacke-Restwertdatenbank erzielt.
19
Bei der Bestimmung des Werts der gezogenen Nutzungen geht der Senat auf der Grundlage des § 287 ZPO von einer Laufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs von 250.000 km aus. Damit ergibt sich als anzusetzender Nutzungswert bei einem Kaufpreis in Höhe von 26.000,- Euro und einem Kilometerstand beim Kauf von 38.600 km sowie am 08.05.2022 von 160.000 km ein Betrag in Höhe von 14.930,94 Euro.
20
Als Summe aus Restwert und gezogenen Nutzungen ergibt sich damit mindestens ein Betrag in Höhe von 26.930,94 Euro. Dieser Betrag übersteigt den vom Kläger bezahlten Kaufpreis. Damit ist ein etwaiger Differenzschadensersatz jedenfalls bereits durch den Restwert sowie die gezogenen Nutzungen vollständig aufgezehrt.
III.
21
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10 ZPO.
IV.
22
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Der Rechtsstreit wirft weder Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.