Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 28.05.2024 – 204 StObWs 187/24
Titel:

Antrag auf gerichtliche Entscheidung im Maßregelvollzugsverfahren

Normenketten:
StVollzG § 109 Abs. 1, § 119 Abs. 2
BaySvVollzG Art. 103
Leitsätze:
1. Ein zulässiger Antrag auf gerichtliche Entscheidung gehört zu den allgemeinen Verfahrensvoraussetzungen, die im Rechtsbeschwerdeverfahren von Amts wegen zu prüfen sind und deren Fehlen zur Unzulässigkeit der Rechtsbeschwerde führt. (Rn. 11)
2. Aus § 119 Abs. 2 StVollzG und der revisionsähnlichen Ausgestaltung einer reinen Rechtskontrolle folgt auch, dass im Rechtsbeschwerdeverfahren nach dem Strafvollzugsgesetz weder der Beschwerdeführer noch der Beschwerdegegner oder die Aufsichtsbehörde neue Tatsachen vortragen können. (Rn. 14)
3. Die gerichtliche Fürsorgepflicht erfordert es im Strafvollzugsverfahren grundsätzlich, auf gegebenenfalls vorhandene Mängel hinzuweisen und Nachbesserung anzuregen. Bei Antragstellern, die vollzugsrechtlich erfahren sind, besteht eine solche Hinweispflicht jedoch nicht. (Rn. 15)
Schlagworte:
Sicherungsverwahrung, gerichtliche Entscheidung, Maßregelvollzug, Antrag, Zulässigkeit, Substantiierung, Tatsache, Tatsachenvortrag, Hinweispflicht
Fundstelle:
BeckRS 2024, 12866

Tenor

1. Dem Sicherungsverwahrten S. wird bezüglich seiner Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg beim Amtsgericht Straubing vom 22.02.2024 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Rechtsbeschwerdefrist gewährt.
2. Die Rechtsbeschwerde des Sicherungsverwahrten gegen den Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg beim Amtsgericht Straubing vom 22.02.2024 wird auf seine Kosten einstimmig als unzulässig verworfen.
3. Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 100,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Sicherungsverwahrte S. derzeit in der Einrichtung für Sicherungsverwahrte der Justizvollzugsanstalt … untergebracht.
2
Mit Schreiben vom 11.12.2023, eingegangen bei Gericht am selben Tage, stellte der Sicherungsverwahrte einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Zur Begründung führte er aus, dass durch Allgemeinverfügungen der Anstalt vom 23.04.2015 und 17.02.2022 die Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Zusendung von Lebensmittelpaketen für Sicherungsverwahrte in einer Art und Weise geregelt worden seien, die seine Rechte verletzen würden.
3
Zu diesem Schreiben nahm die Einrichtung für Sicherungsverwahrte der Justizvollzugsanstalt … am 22.01.2024 Stellung. In ihrer Stellungnahme verwies sie darauf, dass der Antrag unzulässig wäre, weil die Jahresfrist des § 113 StVollzG nicht eingehalten worden wäre, jedenfalls jedoch unbegründet wäre, da die Regelungen in den angegriffenen Allgemeinverfügungen rechtmäßig wären.
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Hierauf entgegnete der Sicherungsverwahrte mit Schreiben vom 12.02.2024, indem er ausführte, dass sich sein Antrag auf eine bestimmte Maßnahme beziehe, nämlich um die Nicht-Aushändigung von Inhalt eines ihm zugesandten Lebensmittelpakets ca. Mitte Dezember 2023.
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Mit Beschluss vom 22.02.2024 wies die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg beim Amtsgericht Straubing den Antrag vom 11.12.2023 in der Form, den er durch das Schreiben vom 12.02.2024 erhalten hat, als unzulässig zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass der Antragsteller sein Begehren nicht ausreichend substantiiert vorgetragen habe.
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Gegen diesen, dem Sicherungsverwahrten am 29.02.2024 zugestellten Beschluss, legte dieser am 03.04.2024 zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Straubing Rechtsbeschwerde ein. Zur Begründung führte er aus, dass ihm bei etwaigen Unklarheiten seines Vortrages ein gerichtlicher Hinweis hierauf hätte gegeben werden müssen. Zugleich beantragte er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Hinblick auf die versäumte Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde. Er habe den Urkundsbeamten rechtzeitig zur Aufnahme der Rechtsbeschwerde angefordert.
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Die Generalstaatsanwaltschaft M. beantragt mit Schreiben vom 12.04.2024, dem Sicherungsverwahrten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, die Rechtsbeschwerde aber als unbegründet zu verwerfen.
8
Hierzu nahm der Sicherungsverwahrte mit Schreiben vom 22.04.2024 Stellung.
II.
9
Dem Sicherungsverwahrten war gemäß Art. 103 BaySvVollzG, § 120 Abs. 1 S. 2 StVollzG, § 44 S. 1, § 45, § 46 Abs. 1 StPO antragsgemäß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde zu bewilligen, da er die Frist trotz rechtzeitigem Bemühen zur Einlegung der Rechtsbeschwerde wegen der ihm nicht zurechenbaren Verzögerungen des angeforderten Urkundsbeamten – wie von diesem bestätigt – unverschuldet versäumt hat.
III.
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Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil bereits kein zulässiger Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach Art. 103 BaySvVollzG i.V.m. § 109 Abs. 1 StVollzG vorliegt und der Beschwerdeführer diesen unzulässigen Antrag mit seiner Rechtsbeschwerde weiterverfolgt.
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1. Ein zulässiger Antrag auf gerichtliche Entscheidung gehört zu den allgemeinen Verfahrensvoraussetzungen, die nach überwiegender Auffassung im Rechtsbeschwerdeverfahren von Amts wegen zu prüfen sind und deren Fehlen zur Unzulässigkeit der Rechtsbeschwerde führt [st. Rspr. des Senats, Beschlüsse vom 19.03.2020 – 204 StObWs 2688/19, vom 24.01.2022 – 204 StObWs 9/22, vom 29.06.2022 – 204 StObWs 263/22, vom 01.12.2022 – 204 StObWs 198/22, jeweils nicht veröffentlicht, vom 23. Januar 2024 – 204 StObWs 578/23 –, juris Rn. 17; KG, Beschlüsse vom 18.05.2009 – 2 Ws 8/09 Vollz, juris Rn. 6, vom 01.02.2017 – 2 Ws 253/16 Vollz, juris Rn. 8, vom 25.09.2017 – 2 Ws 145/17 Vollz, juris Rn. 5; OLG Koblenz, Beschluss vom 23.06.2010 – 2 Ws 184/10 (Vollz) –, juris Rn. 11; Laubenthal in Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, StVollzG, 7. Auflage 2020, 12. Kap., Abschn. J, Rn. 3].
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2. Gemäß § 109 Abs. 2 StVollzG ist ein Antrag nur zulässig, wenn der Antragsteller eine Verletzung in seinen Rechten geltend machen kann (Antragsbefugnis). Er muss also (innerhalb der Frist des § 112 Abs. 1 S. 1 StVollzG) Tatsachen vortragen, die, wenn sie gegeben wären, eine Rechtsverletzung als möglich erscheinen lassen (vgl. nur Arloth/Krä/Arloth, 5. Aufl. 2021, StVollzG § 109 Rn. 13 mwN). Der Antrag muss eine aus sich heraus verständliche Darstellung enthalten und darlegen, durch welche Maßnahmen der Vollzugsbehörde sich der Antragsteller in seinen Rechten verletzt sieht (BeckOK Strafvollzug Bund/Euler, 25. Ed. 01.08.2023, StVollzG § 109 Rn. 10). Wendet sich der Antragsteller gegen eine mündlich getroffene oder abgelehnte Maßnahme, ist zu beachten, dass im Vollzugsalltag täglich vielfach Bescheide unterschiedlichster Art ergehen, die meist Angelegenheiten des täglichen Lebens betreffen und die mitunter eine Maßnahme oder deren Ablehnung iSv § 109 StVollzG, teilweise aber auch nur die Beantwortung einer Frage, Verweisung auf die Rechtslage oder auf die Möglichkeit einer Antragstellung etc. zum Gegenstand haben. Daher muss der Antrag auf gerichtliche Entscheidung bei Behauptung einer mündlich getroffenen Maßnahme die angegriffene Maßnahme ausreichend konkretisieren. Auch müssen das Datum der Anordnung sowie regelmäßig der bescheidende Beamte bezeichnet werden (hierzu und zum Vorstehenden OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12.01.2021 – 2 Ws 146/20 –, juris Rn. 5, 6). Dem Gericht muss es zudem möglich sein, den zu Grunde liegenden Sachverhalt ohne Zuhilfenahme weiterer Erklärungen zu erfassen, wobei aber an das Vorbringen keine allzu hohen Anforderungen zu stellen sind (zum Ganzen: Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel/Baier/Bachmann, Strafvollzugsgesetze, 13. Auflage 2024, Kapitel P. Rechtsbehelfe Rn. 32; BeckOK Strafvollzug Bund/Euler, a.a.O., § 109 Rn. 10).
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Diesen Anforderungen wird, wie die Strafvollstreckungskammer zu Recht festgestellt hat, der Vortrag des Sicherungsverwahrten nicht gerecht. Weder hat der Sicherungsverwahrte das genaue Datum der Maßnahme benannt, noch welcher Beamte eine Anordnung getroffen hat, noch welche Gegenstände die Anordnung betroffen hat.
14
Soweit der Sicherungsverwahrte in der Rechtsbeschwerdebegründung ergänzende Ausführungen gemacht hat, kann er damit nicht gehört werden, da aus § 119 Abs. 2 StVollzG und der revisionsähnlichen Ausgestaltung einer reinen Rechtskontrolle folgt, dass im Rechtsbeschwerdeverfahren nach dem Strafvollzugsgesetz weder der Beschwerdeführer noch der -gegner oder die Aufsichtsbehörde neue Tatsachen vortragen können (Arloth/Krä/Arloth, a.a.O., § 119 Rn. 3; Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel/Baier/ Bachmann, a.a.O., Kapitel P Rechtsbehelfe Rn. 110).
15
Die Strafvollstreckungskammer war vorliegend auch nicht gehalten, den Sicherungsverwahrten auf die Unzulänglichkeiten und formellen Mängel seines Antrags auf gerichtliche Entscheidung hinzuweisen. Zwar erfordert es die gerichtliche Fürsorgepflicht grundsätzlich, auf ggf. vorhandene Mängel hinzuweisen und Nachbesserung anzuregen (Arloth/Krä/Arloth, a.a.O., § 109 Rn. 13 mwN). Bei Antragstellern, die vollzugsrechtlich erfahren sind, besteht eine solche Hinweispflicht jedoch nicht [OLG Koblenz, Beschluss vom 23.06.2010 – 2 Ws 184/10 (Vollz) –, juris Rn 15; Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel/Baier/Bachmann, a.a.O., Kapitel P. Rechtsbehelfe Rn. 32]. Vorliegend handelt es sich bei dem Beschwerdeführer um einen forensisch erfahrenen Sicherungsverwahrten, wie sich nicht nur aus den Darlegungen der Strafvollstreckungskammer in dem angegriffenen Beschluss, sondern auch aus Form und Inhalt sämtlicher Schreiben des Sicherungsverwahrten ergibt; diese lassen nicht unerhebliche Kenntnisse auf dem Gebiet des Strafvollzugsrechts erkennen.
IV.
16
1. Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus Art. 103 BaySvVollzG, § 121 Abs. 2 Satz 1 StVollzG.
17
2. Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8, § 65 Satz 1, §§ 60, 52 Abs. 1 GKG.