Inhalt

VG München, Beschluss v. 08.03.2024 – M 7 E 24.593
Titel:

Kommunalverfassungsstreit, Besetzung von Ausschüssen im Stadtrat, Ausschusswirksamkeit von Fraktionsbeitritten, Kein Beitritt nur zum Schein oder zur Rechtsumgehung

Normenketten:
VwGO § 123
GO Art. 33 Abs. 1 S. 2
GO Art. 33 Abs. 1 S. 5
GO Art. 33 Abs. 3 S. 1
Schlagworte:
Kommunalverfassungsstreit, Besetzung von Ausschüssen im Stadtrat, Ausschusswirksamkeit von Fraktionsbeitritten, Kein Beitritt nur zum Schein oder zur Rechtsumgehung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 12791

Tenor

I. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache verpflichtet, über die Besetzung des Haupt- und Tourismusausschusses, des Finanzausschusses sowie des Bau- und Umweltausschusses ihres Stadtrats unter Zugrundelegung der Rechtsaufassung des Gerichts bis spätestens 9. April 2023 erneut zu entscheiden. Bei Einlegung eines Rechtsmittels verlängert sich die Frist bis zum Ablauf von vier Wochen nach Ergehen einer verfahrensabschließenden Entscheidung durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof im Beschwerdeverfahren.
II. Die Antragsgegnerin und die Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte. Ihre außergerichtlichen Kosten tragen sie jeweils selbst.
III. Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin, die Fraktion der Bürgerliste … – BLR – im Stadtrat der Antragsgegnerin, begehrt im Wege einer einstweiligen Anordnung die Neubesetzung mehrerer Ausschüsse entsprechend ihrer aktuellen Fraktionsstärke nach Fraktionsbeitritt zweier Stadtratsmitglieder.
2
Die 24 Stadtratssitze im Stadtrat der Antragsgegnerin waren nach der Kommunalwahl im Jahr 2020 (in der Reihenfolge der Stimmenanteile) wie folgt verteilt: CSU: 8 Sitze, FWG: 4 Sitze, Die GRÜNEN: 4 Sitze, BLR: 3 Sitze, Liste Lackner: 3 Sitze, SPD: 1 Sitz, AfD: 1 Sitz).
3
Stadträtin ..., welche der Fraktion der GRÜNEN angehörte, trat im Juni 2021 aus der Fraktion aus. Im Februar 2022 trat sie auch aus der Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aus. Stadträtin ..., welche ebenfalls der Fraktion der GRÜNEN angehörte, legte ihr Stadtratsmandat mit Wirkung des Stadtratsbeschlusses vom 14. November 2023 nieder. In derselben Stadtratssitzung wurde Stadtrat ... als deren Listennachfolger vereidigt. Stadtrat ..., der mit Stadträtin ... verheiratet ist, gehörte nicht der Partei BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN an und trat der Fraktion der GRÜNEN nicht bei. Die beiden verbliebenen Stadträte dieser Fraktion schlossen sich infolge des Verlusts der maßgeblichen Fraktionsstärke von mindestens drei Mitgliedern im Folgenden mit dem Stadtrat der SPD zusammen.
4
Nachdem der Stadtrat mit Geschäftsordnung vom 17. Dezember 2021 in Bezug auf Ausschüsse zunächst eine Abschaffung und Kompetenzänderung beschlossen hatte, wurde auf fraktionsübergreifenden (FWG, Die GRÜNEN, Liste Lackner, BLR, SPD) Antrag vom 20. September 2023 in der Sitzung vom 12. Dezember 2023 beschlossen, ab Januar 2024 den Finanzausschuss sowie den Haupt- und Tourismusausschuss mit den bis zum 17. Dezember 2021 vorgesehenen Kompetenzen wiedereinzuführen und dem Bau- und Umweltausschuss die vormaligen Kompetenzen wieder zuzuordnen.
5
Die Stadträte ... teilten dem Oberbürgermeister mit einem gemeinsamen Schreiben vom 27. Dezember 2023 mit, dass sie sich ab Januar 2024 der Fraktion der BLR anschließen würden. In einem Presseinterview (erschienen am selben Tag) erläuterte Stadträtin ... die Beweggründe der Stadträte ... für den Beitritt zur BLR. Die BLR gab Anfang Januar 2024 eine Pressemitteilung zu dem beabsichtigten Fraktionseintritt heraus.
6
Mit Anträgen jeweils vom 2. Januar 2024 beantragten die Stadträte ... die Aufnahme als Mitglied in die BLR. Mit Erklärungen jeweils vom selben Tag stimmte der Vorstand der BLR dem Beitritt zur BLR zu, die Parteilosigkeit sei bestätigt worden, und erklärte die gleichzeitig mit dem Beitritt erfolgende Aufnahme der Stadträte ... in die Fraktion der BLR im Stadtrat.
7
Eine auf dieser Basis von der Stadtverwaltung vorgenommene Neuberechnung ergab, dass bei Berücksichtigung der Fraktionsbeitritte die FWG im Bau-, Finanz- und Hauptausschuss (jeweils acht Sitze) jeweils einen Ausschusssitz verlieren und die BLR jeweils einen Ausschusssitz gewinnen würde. Die Stadtverwaltung hatte zunächst keinen Anlass gesehen, an der Ernstlichkeit des Willens der Stadträte ... zum Fraktionsbeitritt zu zweifeln.
8
Mit Schreiben vom 10. Januar 2024 an den Oberbürgermeister trat die FWG durch ihren Fraktionssprecher dem beabsichtigten Fraktionsbeitritt der Stadträte ... entgegen. Dieser sei mit den von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien nicht vereinbar und daher rechtsmissbräuchlich und rechtswidrig. Die Stadträte verdankten ihre Sitze im Stadtrat in erster Linie der Kandidatur auf der Liste der GRÜNEN. Bei Stadträtin ... sei eine Abkehr von bisherigen Positionen und Wählerschaft nicht gegeben, wobei auf deren Presseäußerung vom Juni 2021 anlässlich ihres Fraktionsaustritts und ihre Pressemitteilung vom 11. Februar 2022 anlässlich ihres Parteiaustritts Bezug genommen wurde. Bei Stadtrat ... sei von einer Abkehr einerseits und einer Zuwendung andererseits überhaupt nichts bekannt. Mangels Mandat habe er sich bisher auch nie geäußert, weder öffentlich noch im Stadtrat. Auch das Abstimmungsverhalten von Stadträtin ... seit ihrem Fraktionsaustritt ließe keinen Schluss darauf zu, dass sie sich abgekehrt haben könnte. Regelmäßig habe sie auch bei Anträgen ihrer ehemaligen Fraktionskollegen mit diesen gestimmt. Sie habe, wie im Juni 2021 versprochen, weiter an „grünen Themen“ mitgearbeitet.
9
Mit Schreiben jeweils vom 10. Januar 2024 hörte der Oberbürgermeister die Stadträte ... sowie die BLR über ihren Fraktionssprecher zu diesen Einwendungen an. Die Stadträte ... äußerten sich hierzu mit einem gemeinsamen Schreiben vom 15. Januar 2024 und traten diesen entgegen, ebenso die BLR mit Schreiben vom 17. Januar 2024.
10
In der Beschlussvorlage der Stadtverwaltung für die Stadtratssitzung am 30. Januar 2024 – die Rechtsaufsicht war im Vorfeld beteiligt worden – wird ausgeführt, dass nach Würdigung des Sachverhalts für den jeweiligen Einzelfall der Fraktionsbeitritt beider Stadtratssitze als rechtswirksam anzuerkennen sei.
11
In der Stadtratssitzung vom 30. Januar 2024 wurde der Beschlussvorschlag jedoch mehrheitlich abgelehnt, da die rechtlichen Voraussetzungen eines Fraktionsbeitritts nicht als gegeben angesehen worden waren. In den Ausschüssen erhielt die FWG folglich jeweils zwei Sitze, die BLR jeweils nur einen Sitz. Eine Beanstandung des Beschlusses auf Anregung des Fraktionssprechers der BLR durch den Oberbürgermeister erfolgte nicht. Die BLR wandte sich daraufhin am 2. Februar 2024 an die zuständige Rechtsaufsichtsbehörde mit der Bitte um Beanstandung und Verpflichtung des Stadtrats zur Neubesetzung.
12
Am 8. Februar 2025 beantragte der Bevollmächtigte der Antragstellerin den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Die Antragstellerin setze sich für die aktive Teilnahme an der politischen Willensbildung sowie die Mitgestaltung des kommunalen Lebens und der Kommunalpolitik der Stadt … … ein. Ihr Ziel sei es, Bürger in allen kommunalen Angelegenheiten ausschließlich nach sachbezogenen, parteipolitisch unabhängigen und ideologiefreien Grundsätzen zu vertreten. Sie sei seit etwa zehn Jahren im Stadtrat und trete u.a. für gute Bildung, eine verträgliche Stadtentwicklung, die Entwicklung von Gewerbe unter Berücksichtigung nachbarlicher Belange, für Chancengleichheit und Transparenz ein. Die Stadträte ... hätten die Aufnahme als Mitglieder in die BLR beantragt und deren Vorstand habe dem Beitritt der beiden Stadträte zur BLR zugestimmt. Die Parteilosigkeit sei bestätigt worden. Ein konkreter Zeitpunkt, zu dem die rechtsaufsichtliche Prüfung abgeschlossen sein werde, sei von der Rechtsaufsichtsbehörde nicht benannt worden. Im Hinblick auf die unmittelbar anstehende Stadtratssitzung am 20. Februar 2024 und die nächsten Ausschusssitzungen sei eine gerichtliche einstweilige Anordnung erforderlich. Die Antragstellerin könne auch einen Anordnungsanspruch auf Neubesetzung der Ausschüsse geltend machen, da die jetzige Zusammensetzung entgegen Art. 33 Abs. 1 Satz 2 GO nicht dem Stärkeverhältnis der im Stadtrat vertretenen Parteien und Wählergruppen Rechnung trage. Die Abstimmung sei nach einer hitzigen, politischen, persönlichen, wenig inhaltlichen Debatte im Stadtrat erfolgt. Die beiden in die Fraktion der Antragstellerin aufgenommenen Stadträte seien persönlich angegriffen und diffamiert worden, auch die Antragstellerin als Fraktion sei herabgewürdigt worden. Auf in einem Pressebericht zitierte Äußerungen von Seiten den GRÜNEN zugehöriger Stadträte wurde hingewiesen. Diese seien nicht nur persönlich diffamierend, sondern zeigten massive inhaltliche und nach außen erkennbare Differenzen bzw. Abwendung von der Wählerschaft. Stadträtin ... habe sich klar, eindeutig und nachvollziehbar im Sinne der einschlägigen Rechtsprechung von den Personen gelöst, die ihr ursprünglich zu ihrem Mandat verholfen hätten, also der Partei, auf deren Wahlvorschlag sie erfolgreich kandidiert habe. Zudem habe sie sich genauso nachvollziehbar und erkennbar der BLR zugewendet. In ihrer Presseerklärung zu dem Parteiaustritt vor zwei Jahren führe sie aus, dass sie die starre Haltung der GRÜNEN auf Bundes- und Landesebene zur Impfpflicht, das konsequente Unterstützen der restriktiven Maßnahmen sowie die Pauschalverurteilung der Teilnehmer von Demonstrationen und Montagsspaziergängen nun zum Austritt bewegt habe. Mit ihrem Austritt entspreche sie auch den Wünschen eines Großteils der Mitglieder des Ortsverbands … …, dem Vorstand sowie dem Kreisverband und vermeide ein mögliches Parteiausschlussverfahren aufgrund ihrer Teilnahme an verschiedenen Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen, die sie teils auch selbst organisiert habe. Stadträtin ... habe daher bereits vor zwei Jahren hervorgehoben, wie groß ihre Differenzen zu einem Großteil ihrer Wählerschaft und der Partei geworden seien, auf deren Liste sie kandidiert habe. Es gehe auch nicht um ein Nebenthema, sondern um die Pandemie, die über mehrere Jahre den gesellschaftlichen Diskurs massiv geprägt und zu nachhaltigen und vielfach noch andauernden Verwerfungen geführt habe. Sowohl die Corona-Maßnahmen als auch die Demonstrationen/Positionierungen gegen bestimmte Maßnahmen hätten vor Ort stattgefunden und seien dort unmittelbar wahrnehmbar gewesen. Auch wenn sie sich in der Presse für die bisherige Zusammenarbeit bedanke und kundtue, dass es durchaus auch noch Bereiche gebe, bei denen es Übereinstimmungegen gebe, sei dies nicht nur menschlich und gute demokratische Praxis, sondern ändere nichts daran, dass es in einem zentralen Bereich zu einer sehr klaren und nachhaltigen Loslösung von der bisherigen Wählerschaft/Partei gekommen sei. Mit machttaktischen Erwägungen habe dies nichts zu tun. Die von der FWG zitierten Presseartikel zeigten genau den von der Rechtsprechung geforderten „Abwendungsprozess“. Zunächst habe Stadträtin ... die Fraktion verlassen und noch nicht die Partei. Als sich herausgestellt habe, dass das Auseinanderdriften von ihr und der Partei/Wählerschaft größer geworden sei, habe sie auch die Partei verlassen. Die Hinwendung zur Antragstellerin sei ebenfalls anhand der Einlassungen nachvollziehbar. Nach den gemachten Erfahrungen gehe es den Stadträten ... um Kommunalpolitik, frei von landes- oder bundespolitischen Vorgaben. Dieses über mehrere Jahre erfahrungsbasiert entwickelte Ansinnen passe zum Selbstverständnis der Antragstellerin entsprechend ihrer Satzung. Da Stadtrat ... erst Ende 2023 in den Stadtrat aufgerückt sei, gebe es für ihn weniger öffentlich zugängliche Quellen als für seine Ehefrau. Er sei auch nicht Mitglied einer anderen Partei als den GRÜNEN gewesen. Es sei fraglich, ob die von der Rechtsprechung für einen Fraktionswechsel erarbeiteten Kriterien überhaupt übernommen werden könnten. Strenger könnten die Anforderungen jedenfalls nicht sein. Für die kurze Zeit, die er Stadtrat sei, sei die gegenseitige Abwendung von Wählerschaft/Partei und ihm klar öffentlich erkennbar. Das gemeinsame Schreiben der Stadträte ... vom 15. Januar 2024, mit dem sie ihre Entfremdung zu wesentlichen Positionen der GRÜNEN nochmals dargestellt hätten, sei Bestandteil der öffentlichen und ins Internet eingestellten Ratsvorlage. Auch werde aus der öffentlichen Diskussion rund um die Ratssitzung vom 30. Januar 2024 deutlich, dass Partei/Wählerschaft für die Stadträte ... die gleichen Maßstäbe/Entfremdungen ansetzten. Sie seien nicht nur tatsächlich Eheleute, sondern würden auch politisch/öffentlich gemeinsam wahrgenommen. Die diffamierenden Äußerungen in der Stadtratssitzung hätten auch Stadtrat ... betroffen. Ein GRÜNEN-Fraktionsbeitritt sei von beiden Seiten aus nicht in Frage gekommen. Ein Anordnungsgrund liege vor, was weiter ausgeführt wurde. Eine vollständige Vorwegnahme der Hauptsache erfolge nicht, hilfsweise lägen auch die Voraussetzungen für die Vorwegnahme der Hauptsache vor. Die Fraktionsaufnahme der Stadträte ... sei evident rechtmäßig und wirksam. Mit Schriftsätzen vom 16. Februar 2024, vom 20. Februar 2024 und vom 4. März 2024 wurde das Vorbringen weiter vertieft und ergänzt. Statt der von der Rechtsaufsicht (überflüssigerweise) angeregten Möglichkeit der Stadträte ..., ihre Gründe darzulegen, sei es in der Stadtratssitzung zu einer (fast) inquisitorisch anmutenden, beleidigenden und unwürdigen Auseinandersetzung gekommen. Der Antragstellerin fehle nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Ein Abwarten auf das Ergebnis der Rechtsaufsicht zu einem unklaren Zeitpunkt und mit einem unklaren Ergebnis sei von der Antragstellerin nicht zu erwarten. Die Antragsgegnerin verkenne, dass die Abwendung von der Wählerschaft häufig einen zeitlichen/gestuften Prozess darstellen könne. Die Aussage von Stadträtin ... im Juni 2021 sei bald drei Jahre her. Seitdem habe sich die politische und gesellschaftliche Situation extrem verändert (weiterer Pandemieverlauf, stark emotionale Debatten über Lockerungen bei den Corona-Schutzmaßnahmen, über eine Impfpflicht, Ukrainekrieg, Energiekrise, etc.). Entscheidungserheblicher Zeitpunkt sei nicht der Juni 2021, sondern die Entwicklung bis zur Entscheidung des Gerichts. Die Situation sei inzwischen eine völlig andere, die Stadträte ... hätten sich von ihrer Wählerschaft von 2020 nach außen erkennbar abgewandt, wie auch die Wählerschaft und die örtliche Parteiführung mit aller Deutlichkeit von ihnen. Nach Presseberichten über Umfragen seien 79% der GRÜNEN-Wähler gegen Corona-Lockerungen gewesen, und 74% GRÜNEN-Anhänger hätten eine allgemeine Impfpflicht unterstützt, weiterhin hätten 78% GRÜNEN-Anhänger Waffenlieferungen unterstützt. Die Hinwendung zur Antragstellerin hätten beide Stadträte ebenfalls öffentlich klar und deutlich begründet. Dort gebe es nur die kommunalpolitische Ebene. U.a. auch die Antragstellerin setze sich für den Umwelt- und Naturschutz und die Stärkung des ÖPNV ein. Soweit die Antragsgegnerin erwähne, dass es auch einmal ein Gespräch zwischen Stadträtin ... und der FWG gegeben habe, sei das ohne Belang. Denn in einer Demokratie müssten gewählte Personen miteinander reden können. In der Rechtsprechung werde deutlich, dass sich aus einem (teilweise) weiterhin gemeinsamen Abstimmen mit der früheren Fraktion/Partei ein Nichtabwenden von der Wählerschaft gerade nicht entnehmen lasse. Alles andere würde bedeuten, dass ein Stadtrat immer schon per se gegen seine alte Fraktion stimmen müsste, obwohl es in kommunalen Themen häufig fraktionsübergreifend ähnliche Sichtweisen gebe. Die von der Antragsgegnerin vertretene Auffassung, die Abkehr von der Wählerschaft müsse sich tragend aus kommunalpolitischen Gründen ergeben, sei falsch, was weiter ausgeführt wurde. Aus dem Umstand, dass der Fraktionssprecher der Antragstellerin früher einmal Generalstabsoffizier gewesen sei, lasse sich nicht irgendeine politische Ausrichtung ablesen. Für die Entscheidung ohne Belang, in der Sache aber zurückzuweisen sei es, dass die Antragstellerin „rechts-konservativ“ sei. Sie ordne sich weder links noch rechts ein, sondern arbeite rein sachbezogen. Das sei laut Satzung gerade der Kern der Antragstellerin. Eine derartige Zuordnung sei nicht nur falsch, sondern zuvor auch nie vorgenommen worden und fernliegend. Vor etwa acht Jahren habe es sogar eine gemeinsame Fraktion mit den GRÜNEN gegeben, über die damals sowohl die GRÜNEN als auch die Antragstellerin positiv berichtet hätten. Den Vorwurf (einer „kollusiven geplanten Aktion“ bereits im September 2023) habe der Fraktionssprecher der Antragstellerin gegenüber dem Unterzeichner in einem Telefonat am 19. Februar 2024 nachdrücklich zurückgewiesen. Stadtrat ... sei erst durch den überraschend am 3. November 2023 bekannt gewordenen Rücktritt von Stadträtin ... in den Stadtrat nachgerückt. Wie sich aus dem Antrag ergebe, seien es rein sachliche Gründe gewesen, weshalb sich etliche Fraktionen für einen gemeinsamen Antrag für die Wiedereinführung der Ausschüsse eingesetzt hätten. Auch Stadträtin ... habe das in der Sache für vernünftig gehalten und daher zugestimmt. Mit dem späteren Beitritt zur Antragstellerin habe dies alles nichts zu tun gehabt. Laut Aussage des Fraktionssprechers der Antragstellerin habe der Beitritt der Stadträte ... bereits Anfang Januar 2024 lediglich dazu dienen sollen, allen Fraktionen und der Antragsgegnerin den Aufwand und die Arbeit zu ersparen, die es bedeutet hätte, die Ausschüsse nach kurzer Zeit geändert besetzen zu müssen. Zur zweitgrößten Fraktion könne die Antragstellerin nur werden, wenn ihr zwei Stadträte beiträten. Der Rücktritt von Stadträtin ... sei überraschend gekommen, sodass zur Zeit des gemeinsamen Antrags zur Wiedereinführung der Ausschüsse niemand gewusst habe, dass es durch einen Rücktritt zu Änderungen kommen könnte.
13
Die Antragstellerin beantragt,
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, über die Besetzung des Bau- und Umweltausschusses, des Finanzausschusses und des Haupt- und Tourismusausschusses ihres Stadtrats unter Zugrundelegung der Rechtsaufassung des Gerichts vor den nächsten Sitzungen der vorgenannten Ausschüsse erneut zu entscheiden.
14
Die Antragsgegnerin beantragt,
Der Antrag wird abgelehnt.
15
Sie trägt hierzu vor, der Antrag sei bereits wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Die Rechtsaufsicht habe mitgeteilt, dass mit einer baldigen Entscheidung zu rechnen sei, sodass ein schnellerer, einfacherer und billigerer Weg zur Verfügung stehe. Er sei aber auch unbegründet. Art. 33 Abs. 3 Satz 1 GO sehe vor, dass während der Wahlzeit im Gemeinderat eintretende Änderungen des Stärkeverhältnisses der Parteien und Wählergruppen auszugleichen seien. Bei einem Fraktionswechsel sei eine besonders sorgfältige Prüfung geboten, wenn auch nur die bisherige Verbundenheit zur bisherigen Partei erkennbar aufrechterhalten bliebe. Der Eintritt oder Übertritt eines Ratsmitglieds in eine aus den Mitgliedern einer anderen Partei oder Wählergruppe gebildeten Fraktion müsse eine Abkehr von den bisherigen Positionen und Wählerschaften darstelle. Mit der Abkehr müsse zugleich eine Hinwendung zu der neuen Gruppierung verbunden sei. Denn nur dann werde deren Mitgliederzahl vergrößert und das Stärkeverhältnis verändert. Ein besonders strenger Maßstab sei dann anzulegen, wenn sich der Beitritt zu einer Fraktion – wie hier – auf die Ausschusssitze auswirke. Notwendig seien nicht nur irgendwie geartete Differenzen persönlicher Art oder landes- oder bundespolitischer Natur, sondern es seien spezifisch kommunale Aspekte nötig, weil das Gebot der Spiegelbildlichkeit zu beachten sei. Lediglich geringfügige Meinungsunterschiede zur Parteilinie seien noch keine politische Abkehr von der bisherigen Fraktion. Erforderlich sei vielmehr, dass ein politisch-inhaltlicher Grundkonsens nicht mehr vorhanden sei. Vor diesem Hintergrund sei die Subsumtion für Stadträtin ... und Stadtrat ... streng genommen gedanklich getrennt vorzunehmen. Selbst nach dem Austritt bei den GRÜNEN habe Stadträtin ... öffentlich im Reichenhaller Tagblatt im Juni 2021 betont, dass sie mit den Mitgliedern der GRÜNEN-Fraktion trotz ihres Austritts verbunden sei und mit ihnen im Austausch bleibe, worauf auch die FWG ihren Antrag vom 10. Januar 2024 gestützt habe. In der gemeinsamen Stellungnahme der Eheleute vom 15. Januar 2024 werde anschließend an eine Einlassung zur „Impfpflicht“ dargestellt, dass „sich Hauptpositionen der Grünen Politik in den letzten zwei Jahren immer weiter entgegen unserer persönlichen Einstellung entwickelt“ hätten. Damit werde betont, dass es weniger um eine Veränderung der eigenen Einstellung der Stadträte ... gehe, sondern sich die Bundespartei von ihnen wegentwickelt habe. Maßgeblich für die Entscheidung des Stadtrats sei sicherlich der Verlauf der Stadtratssitzung gewesen. Darin hätten die Stadträte ... Gelegenheit zur Stellungnahme bezüglich ihrer Beweggründe gehabt. Beide hätten auf die Haltung der GRÜNEN zum Ukraine-Krieg und zur Corona-Politik abgestellt. Auf die Vorhaltung des Stadtrats ... (GRÜNE), Stadträtin ... habe das Wahlprogramm als stellvertretende Vorsitzende des Ortsvereins maßgeblich mitverfasst und er frage sich, welche Punkten sie davon nicht mehr mittragen könne, sei ihrerseits keine Antwort erfolgt. Überhaupt hätten beide Stadträte die Gelegenheit verstreichen lassen, in der Sitzung glaubhafte kommunalpolitische Gründe für ihr Verhalten geltend zu machen. Der Stadtrat habe die Argumente für und wider die ausschusswirksame Anerkennung eines Fraktionsbeitritts der Stadträte ... abgewogen. Er sei dabei pflichtgemäß auch von deren Aussagen in der Sitzung selbst ausgegangen und zu der Auffassung gelangt, dass keine hinreichende Abwendung von den GRÜNEN, von ihren Wählerschaften und der Programmatik vorliege. Auch sei dem Antrag nicht zu folgen, weil dies eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache bedeuten würde. Ein Eingreifen des Gerichts würde die FWG ohne weitere persönliche Anhörung einen Ausschusssitz kosten. Ob sich dies bis zum Ablauf der Wahlperiode rückgängig machen ließe, sei fraglich. Jedenfalls wäre der FWG das Recht genommen, in den bis dahin stattfindenden Ausschusssitzungen in bisheriger Stärke mitzuberaten und zu entscheiden, was auf eine faktische Vorwegnahme der Hauptsache hinauslaufe. Vor dem Hintergrund der Bedeutung des Partizipationsrechts eines gewählten Gemeinderats an Ausschusssitzungen scheine es vorzugswürdig, vor einer gerichtlichen Aufhebung der Stadtratsentscheidungen alle Betroffenen anzuhören. Mit Schriftsätzen vom 22. Februar 2024 und vom 4. März 2024 wurde das bisherige Vorbringen ergänzt. Alle Betroffenen hätten gemäß der rechtsaufsichtlichen Empfehlung Gehör gefunden, explizit abschließend die Stadträtin ... und der Stadtrat ... Diese hätten ihre Abwendung von den GRÜNEN lediglich mit bundespolitischen Themen untermauert und sich selbst in der Stadtratssitzung vom 30. Januar 2024 nicht auf kommunalpolitische Themen eingelassen. Eine Differenzierung von Bundes-, Landes- und Kommunalpolitik in tatsächlicher Hinsicht sei sehr wohl möglich und auch praktikabel. Die Aufgabenbereiche des Stadtrats befassten sich allesamt und konsequent mit Themen der kommunalen Selbstverwaltung bzw. mit den einer Großen Kreisstadt übertragenen Aufgaben und gerade nicht mit bundespolitischen Themen und Aufgaben. Dies sei Ausfluss der kommunalen Selbstverwaltung und damit Sinn und Zweck der Kommunalpolitik mit besonderer Nähe zur örtlichen Wählerschaft. Themen, die beispielsweise in der Corona-Pandemie auf bundespolitischer Ebene (durchgreifend auch auf landespolitischer Ebene) behandelt worden seien, hätten keine Beschlussfassung oder gesonderte Behandlung in kommunalpolitischen Gremien gefunden, weil sie direkt ohne Stadtratsbeschluss umzusetzen gewesen seien. Es fehle vorliegend tatsächlich an einer Darlegung, inwiefern die Abkehr kommunalpolitischer Interessen und Themen der GRÜNEN seitens der Stadträte ... hin zur gemeinsamen Interessenbekundung mit der Bürgerliste vonstattengegangen sei.
16
Mit Beschluss vom 14. Februar 2024 wurde nach Anhörung der Beteiligten die Fraktion der FWG zum Verfahren beigeladen.
17
Die Beigeladene beantragt,
Der Antrag wird zurückgewiesen.
18
Mit Schriftsatz vom 19. Februar 2024 führten deren Bevollmächtigte aus, nach Auffassung der Beigeladenen habe das Gericht zu prüfen, ob der Beschluss des Stadtrats vom 30. Januar 2024 rechtmäßig gewesen sei. Es habe also bei der Entscheidung den Wissens- und Erkenntnisstand des Stadtratsgremiums vom 30. Januar 2024 zu unterstellen. Neue Erkenntnisse müssten unberücksichtigt bleiben. Bis zur Stellungnahme der Stadträte ... mit Schreiben vom 15. Januar 2024 habe von der „Abkehr von bisherigen Positionen und ihrer Wählerschaft“, wie es die Rechtsprechung fordere, nicht ansatzweise ausgegangen werden können. Im Zusammenhang mit dem Parteiaustritt werde Stadträtin ... mit der Aussage zitiert, dass sie auf kommunalpolitischer Ebene weiterhin hinter den mit dem Ortsverband erarbeiteten Zielen für die Stadt und den Landkreis stehe. Ein klareres Bekenntnis zu den örtlichen Zielen und ihrer örtlichen Wählerschaft könne man wohl nicht abgeben, auch wenn man aus der Partei austrete. Von Stadtrat ... sei bis zum 10. Januar 2024 nicht ansatzweise etwas bekannt gewesen, weshalb er nicht mehr in der Fraktion der Partei sein wolle, für die er in den Stadtrat gewählt worden sei. Stadträtin ... habe auch in ihrer Stellungahme vom 15. Januar 2024 nicht ansatzweise etwas Tragendes vorgebracht. Dass ihr Ehemann nun im Stadtrat sei und nicht in die Fraktion der GRÜNEN wolle, könne per se nicht für eine Abwendung von grünen Idealen sprechen. Die Haltung der GRÜNEN auf Bundesebene zur Impfpflicht könne kein Argument vor Ort sein, denn es komme auf die Abkehr des Stadtratsmitglieds von bisherigen (kommunalpolitischen) Positionen an (so wörtlich und richtig die Vorlage der Stadtverwaltung). Meinungsverschiedenheiten in einzelnen Punkten seien darüber hinaus nicht ausreichend. Einen Fraktionszwang gebe es nicht, also auch keine Weisungen von oben, die Stadträtin ... einzuhalten hätte, zumal sie ja nicht mehr in der Partei sei. Die Behauptung, Hauptpositionen der grünen Politik hätten sich in den letzten zwei Jahren immer weiter entgegen ihren persönlichen Einstellungen entwickelt, sei an Allgemeinheit und Unverbindlichkeit nicht zu übertreffen. Zusammenfassend seien die Einlassungen nicht hinreichend gewesen, um die Voraussetzungen für einen Fraktionswechsel zu begründen. Stadtrat ... habe sich den Ausführungen seiner Ehefrau, die zumeist auch noch in der ersten Person Singular gehalten gewesen seien, durch Unterschrift angeschlossen. Dabei hätte er noch deutlich mehr an Argumenten vorbringen müssen, nachdem von ihm weder öffentlich noch im Stadtrat bekannt gewesen sei, wieso er sich von seinen Wählern und vom Programm der Gruppe entfernt haben sollte. Die Ausführungen der Antragstellerin seien insgesamt irrelevant, da es auf deren Position nicht ankomme. Die Sitzung des Stadtrats habe die Fraktion insgesamt nicht als hitzig, mit einer Ausnahme auch nicht als persönlich und schon gar nicht politisch oder wenig inhaltlich empfunden, im Gegenteil sei überwiegend auf rechtliche Argumente abgehoben worden. Auf das beigelegte Redekonzept des Fraktionssprechers wurde hingewiesen. Aus der Nichtantwort von Stadträtin ... auf Vorhalt und Frage des Stadtrats ... (GRÜNE), dessen Beitrag deutlich emotionaler gewesen sei, sei für die Mehrheit des Gremiums offenbar gefolgt, dass eine Abkehr von dem Wahlprogramm des Ortsverbands der GRÜNEN, das sie als damals 2. Ortsvorsitzende maßgeblich beeinflusst habe, nicht stattgefunden habe. Eine Abkehr habe sie gerade nicht bekundet. Auch Stadtrat ... habe auf Vorhalt, welche Ziele des Ortsverbands der GRÜNEN er nicht mehr mittragen könne, sinngemäß die Waffenlieferungen an die Ukraine und den Impfzwang erwidert und kommunalpolitische Punkte nicht erwähnt. Der Fraktionssprecher der CSU habe schließlich eine Sitzungsunterbrechung beantragt. In dieser hätten alle Fraktionen intern die Sach- und Rechtslage beraten. Der Fraktionssprecher der CSU habe dann in der weiteren Sitzung ausgeführt, dass das Vorbringen der Stadträte ... nicht überzeugend gewesen sei. Es sei bemerkenswert, dass Herr ... die Waffenlieferungen an die Ukraine kritisiere, aber gleichzeitig der Fraktion beitreten wolle, der als Fraktionssprecher ein ehemaliger Generalstabsoffizier der Bundeswehr vorstehe. Da könne man sich schwerlich eine Annäherung vorstellen. Die Stadträte ... hätten nicht glaubhaft machen können, ja noch nicht einmal dazu etwas vorgetragen, dass sie sich – mit Ausnahme zweier bundespolitscher Gründe – von den kommunalpolitischen Positionen des Ortsverbands der GRÜNEN und deren Wählerschaft nachhaltig distanziert hätten. Eine Annäherung an die BLR sei überhaupt nicht dargetan. Erschwerend komme folgender Sachverhalt hinzu: Auf fraktionsübergreifende Antragsinitiative, die in diesem Punkt besonders von dem Fraktionssprecher der Antragstellerin betrieben worden sei, habe der Stadtrat in seiner Sitzung vom 10. Oktober 2023 mehrheitlich gegen die Stimmen der CSU einen Auftrag an die Verwaltung beschlossen, bis Dezember 2023 dem Stadtrat die entsprechende Änderung der Geschäftsordnung (Wiedereinrichtung der Ausschüsse bzw. Kompetenzwiederherstellung) zum Beschluss vorzulegen. Stadträtin ... habe in der Sitzung für den Antrag gestimmt. Die Satzung sei am 12. Dezember 2023 mehrheitlich mit den Stimmen der Stadträte ... beschlossen worden. Schon 10 Tage später hätten die Stadträte ... dem Oberbürgermeister ihre Absicht mitgeteilt, der Fraktion der BLR beitreten zu wollen. Dies sei ein deutliches Indiz dafür, dass die Stadträte ... den Beitritt nur vollziehen wollten, um über die Ausschüsse mehr Einfluss in der Öffentlichkeit für sich, aber auch eine neu gestärkte Bürgerliste zu haben. Dies werde mit der geplanten Ausschussbesetzung deutlich (die Stadträte ... wurden als stellvertretende Ausschussmitglieder benannt), dies womöglich geplant als kollusive Aktion gemeinsam mit der BLR. Dafür spreche auch, dass der Antrag der Stadträte auf Aufnahme in die Wählergruppe BLR erst am 2. Januar 2024 gestellt worden sei, offenbar in unmittelbarem Zusammenhang mit der Wiedereinführung der Ausschüsse und dem geplanten Fraktionsbeitritt. Wenn Stadtrat ..., der erst im Dezember 2023 als Nachrücker in den Stadtrat gekommen sei, für das kommunale Programm der Partei nicht mehr stehe, hätte er sich die Frage stellen müssen, ob allein die erhaltenen persönlichen Stimmen eine Annahme des Stadtratsmandats (und damit eventuell schon einen beliebigen „Fraktionswechsel“) rechtfertigten. Nachdem es auch um die Frage eines Ausschusssitzes gehe, sei ein strengerer Maßstab anzulegen. Zum weiteren Vorbringen der Antragstellerin wurde mit Schriftsatz vom 22. Februar 2024 weiter vorgetragen, es sei nie Gegenteiliges dazu ausgeführt worden, dass es sich bei dem Stadtratsbeschluss vom 30. Januar 2024 um eine rechtliche, nicht um eine politische Entscheidung gehandelt habe. Die Beigeladene habe versucht, in chronologischer Abfolge darzustellen, ob sich die Einstellungen der Stadträtin ... seit ihren seinerzeitigen Treueschwüren zur grünen Positionen geändert hätten und dies dem Stadtrat in der Sitzung vom 30. Januar 2024 bekannt gewesen sei. Nach den Einlassungen der Stadträte ... in der Sitzung habe das Gremium nur schlussfolgern können, dass eine Abkehr von bisherigen Positionen und Wählerschaften wohl nicht stattgefunden habe und lediglich eine Unzufriedenheit mit einzelnen Maßnahmen der Bundesregierung bestehe. Der Verweis auf die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 28. September 2009 – 4 ZB 09.858 – gehe am Ziel der Antragstellerin vorbei und führe zur gegenteiligen Schlussfolgerung, was weiter ausgeführt wurde. Die Einordnung der BLR als „rechts-konservativ“ sei eine Einschätzung des Unterfertigten zu deren politischer Grundausrichtung, die in keiner Weise ehrenrührig sein solle. Sie basiere auf den gesammelten Wortmeldungen namentlich des Fraktionssprechers in nahezu 15 Jahren. Zwar sei in der letzten Wahlperiode eine gemeinsame Fraktion mit den GRÜNEN gebildet worden, die Bürgerliste habe diese aber vor der laufenden Wahlperiode aufgekündigt. Das werde schon seine Gründe gehabt haben und diese würden nicht in gemeinsamen Zielen und Ansichten liegen. Der Rücktritt von Stadträtin ... sei nicht überraschend und im November 2024 gekommen, sondern sei von ihr in der Sitzung des Stadtrats vom 24. Oktober 2024 verkündet worden. Er sei schon längere Zeit in der Luft gelegen, da sie wohl aus beruflichen Gründen sehr häufig in der Sitzung entschuldigt gewesen sei. Jedenfalls sei er in der Sitzung vom 10. Dezember 2023 bekannt gewesen, in der der Stadtrat seine Geschäftsordnung geändert habe. Mit Schriftsatz vom 5. März 2024 wurde auf weiteres Vorbringen der Antragstellerseite erwidert.
19
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und den vorgelegten Verwaltungsvorgang Bezug genommen.
II.
20
Der zulässige Antrag hat auch in der Sache Erfolg.
21
Der Antrag ist zulässig.
22
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO ist im Hinblick auf § 123 Abs. 5 VwGO statthaft, da er auf eine erneute Beschlussfassung des Stadtrats über die Verteilung der streitgegenständlichen Ausschusssitze und damit auf eine innerorganisatorische Maßnahme ohne Verwaltungsaktqualität gerichtet ist. In der Hauptsache ist in diesem Fall die allgemeine Leistungsklage statthaft (vgl. BayVGH, U.v. 19.10.2022 – 4 BV 22.871 – juris Rn. 21).
23
Der Antragstellerin als Stadtratsfraktion einer Wählergruppe, deren Beteiligtenfähigkeit aus § 61 Nr. 2 VwGO folgt, steht auch die analog § 42 Abs. 2 VwGO erforderliche Antragsbefugnis zu. Sie kann eine mögliche Verletzung ihres aus Art. 33 Abs. 1 Satz 2 GO i.V.m. Art. 33 Abs. 3 Satz 1 GO abzuleitenden Rechts auf eine dem Gesetz entsprechende Vertretung in den streitgegenständlichen Ausschüssen nach grundsätzlich zulässiger Änderung des Stärkeverhältnisses der im Stadtrat vertretenen Wählergruppe geltend machen. Die einzelnen Fraktionen haben wegen des Gebots der Spiegelbildlichkeit grundsätzlich einen Anspruch auf Berücksichtigung bei der Ausschussbesetzung nach Maßgabe ihrer jeweiligen Mitgliederzahl (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2003 – 8 C 18/03 – juris Rn. 13).
24
Der Antragstellerin fehlt auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis für den gerichtlichen Antrag. Sie hat durch ihren Fraktionssprecher unmittelbar nach der hier streitigen Beschlussfassung am 30. Januar 2024 gegenüber dem Oberbürgermeister der Antragsgegnerin die Beanstandung angeregt und sich anschließend bereits am 2. Februar 2024 schriftlich an die Rechtsaufsichtsbehörde mit der dringlichen Bitte um Beanstandung und Verpflichtung des Stadtrats zur Neubesetzung gewandt. Eine Entscheidung der Rechtsaufsichtsbehörde ist vor Antragstellung und auch weiterhin bislang nicht erfolgt.
25
Das Rechtsschutzbedürfnis entfällt nicht dadurch, dass sich das sich beeinträchtigt fühlende Organ an die Rechtsaufsichtsbehörde wenden kann. Denn zum einen besteht auf rechtsaufsichtliches Tätigwerden kein Anspruch (vgl. bereits BayVGH, U.v. 15.7.1955 – 97 IV 54 – VGH n.F. 8, 97), zum anderen besteht gemäß Art. 19 Abs. 4 GG ein Anspruch auf gerichtlichen Rechtsschutz, der nicht durch eine behördliche Streitentscheidung ersetzt werden kann. Das gilt auch dann, wenn die Aufsichtsbehörde bereits zugunsten des betroffenen Organs eine rechtsaufsichtliche Beanstandungsverfügung erlassen hätte, diese aber noch nicht bestandskräftig wäre oder nicht vollzogen würde. Denn der Streit um die Beanstandungsverfügung hätte sowohl andere Verfahrensbeteiligte als auch einen anderen Streitgegenstand wie der Kommunalverfassungsstreit (vgl. Hölzl/Hien/Huber, Gemeindeordnung mit Verwaltungsgemeinschaftsordnung, Landkreisordnung und Bezirksordnung, Stand März 2015, Art. 29 GO Erl. 5.6). Bei der Einschaltung der Rechtsaufsichtbehörde vor Klageerhebung handelt es sich lediglich um eine Obliegenheit, die im Hinblick auf die Frage der Erstattung der Prozesskosten von Bedeutung sein kann (vgl. BayVGH, U.v. 14.8.2006 – 4 B 05.939 – juris Rn. 28; VG Bayreuth, U.v. 5.5.2022 – B 9 K 20.647 – juris Rn. 75).
26
Der Antrag ist auch begründet.
27
Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen, nötig erscheint. Nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 Abs. 1 ZPO sind dabei sowohl ein Anordnungsanspruch, d.h. der materielle Grund, für den der Antragsteller vorläufig Rechtsschutz sucht, als auch ein Anordnungsgrund, der insbesondere durch die Eilbedürftigkeit der Regelung begründet wird, glaubhaft zu machen. Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. BayVGH, B.v. 29.6.2007 – 21 CE 07.1224 – juris Rn. 3).
28
Grundsätzlich gilt, dass entsprechend dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung das Gericht regelmäßig nur vorläufige Entscheidungen treffen und einem Antragsteller noch nicht in vollem Umfang das gewähren kann, was er nur in einem Hauptsacheverfahren erstreiten könnte. Wird mit der beantragten einstweiligen Anordnung eine – wenn auch nur vorläufige – (teilweise) Vorwegnahme der Hauptsache begehrt, ist anerkannt, dass diese nur ausnahmsweise aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) in Betracht kommt, wenn das Abwarten in der Hauptsache für den Antragsteller schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile zur Folge hätte und der Erfolg der Hauptsache überwiegend wahrscheinlich ist, die Sache also bei Anlegung eines strengen Maßstabs an die Erfolgsaussichten erkennbar Erfolg haben wird. Dabei ist dem jeweils betroffenen Grundrecht und den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes Rechnung zu tragen (vgl. BVerwG in st. Rspr., z.B. B.v. 26.11.2013 – 6 VR 3.13 – juris Rn. 5 m.w.N.; OVG NW, B.v. 17.4.2023 – 22 B 336/23.AK – juris Rn. 5 m.w.N.; BayVGH, B.v. 16.3.2023 – 11 CE 23.60 – juris Rn. 16 m.w.N.). Diese Grundsätze dürften auf die hier inmitten stehenden organschaftlichen Rechte im Wesentlichen entsprechend übertragen werden können (vgl. zu diesbezüglichen Maßstäben im Falle eines Organstreits VG Bayreuth, B.v. 15.9.2020 – B 9 E 20.668 – juris Rn. 54; vgl. auch VG München, B.v. 29.8.2023 – M 7 S 23.1068 – juris Rn. 29).
29
Eine unzulässige (vollständige) Vorwegnahme der Hauptsache ist mit dem Eilrechtsschutz hier nicht verbunden. Sowohl im Rechtssinne als auch – angesichts der noch bis zum 30. April 2026 laufenden Wahlperiode – in faktischer Hinsicht stellt er keine vollständige Vorwegnahme der Hauptsache dar, mit der sich – eine noch zu erhebende – Klage erledigen würde. Die bloße Tatsache, dass sich eine auf einer stattgebenden Eilentscheidung beruhende Neuverteilung der Ausschusssitze im Falle einer späteren Klageabweisung nicht mehr ungeschehen machen ließe, ändert daran nichts. Von einer (grundsätzlich unzulässigen) Vorwegnahme der Hauptsache ließe sich vielmehr erst dann sprechen, wenn sich aus der einstweiligen Anordnung auch noch nach Abschluss des Hauptverfahrens irreversible Folgen ergäben (vgl. BayVGH, B.v. 26.10.2020 – 4 CE 20.2238 – juris Rn. 21; vgl. auch U.v. 19.10.2022 – 4 BV 22.871 – juris Rn. 22).
30
Unter Berücksichtigung der im Übrigen zur Anwendung kommenden erhöhten Maßstäbe in Bezug auf eine teilweise Vorwegnahme der Hauptsache hat die Antragstellerin sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
31
Die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, dass ihr als Fraktion einer Wählergruppe im Stadtrat der Antragsgegnerin mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ein Anspruch darauf zusteht, dass die Antragsgegnerin ihrem geänderten Stärkeverhältnis Rechnung trägt und dieses im Wege einer teilweisen Neubesetzung der streitgegenständlichen Ausschüsse ausgleicht. Die mit Stadtratsbeschluss vom 30. Januar 2024 erfolgte Ausschussbesetzung dürfte eine Verletzung des organschaftlichen Rechts der Antragstellerin aus Art. 33 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 GO, § 6 Abs. 1 und § 7 Abs. 1 Satz 7 Geschäftsordnung für den Stadtrat Bad Reichenhall – GeschOStR – darstellen.
32
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Bestehens des Anspruchs ist vorliegend die Entscheidung des Gerichts, der die aktuelle Erkenntnislage, mithin die Aktenlage und das gesamte Vorbringen der Beteiligten im gerichtlichen Verfahren zugrunde zu legen ist. Hingegen ist das Gericht nicht darauf beschränkt, nur den im Stadtratsgremium der Antragsgegnerin vorhandenen Erkenntnistand zum Zeitpunkt der Beschlussfassung am 30. Januar 2024 heranzuziehen (vgl. z.B. auch BayVGH, U.v. 1.3.2000 – 4 B 99.1172 – juris Rn. 17; VG München, B.v. 27.11.2014 – M 7 S 14.5089 – juris Rn. 23; VG Stuttgart, U.v. 23.11.2021 – 7 K 4080/20 – juris Rn. 24).
33
Gemäß Art. 33 Abs. 1 Satz 1 GO regelt die Zusammensetzung der Ausschüsse der Gemeinderat in der Geschäftsordnung (Art. 45 GO); die Mitglieder werden vom Gemeinderat für die Dauer der Wahlzeit aus seiner Mitte bestellt. Hierbei hat der Gemeinderat dem Stärkeverhältnis der in ihm vertretenen Parteien und Wählergruppen Rechnung zu tragen (vgl. Art. 33 Abs. 1 Satz 2 GO, vgl. auch § 7 Abs. 1 Satz 1 GeschOStR). Während der Wahlzeit im Gemeinderat eintretende Änderungen des Stärkeverhältnisses der Parteien und Wählergruppen sind auszugleichen (vgl. Art. 33 Abs. 3 Satz 1 GO, § 7 Abs. 1 Satz 7 GeschOStR). Stadtratsmitglieder können sich zur Erreichung gemeinsamer Ziele zu Fraktionen zusammenschließen (vgl. § 6 Abs. 1 Satz 1 GeschOStR).
34
Streitig ist hier, ob dem (unstreitig erfolgten) förmlichen Beitritt der zuvor partei- und fraktionslosen Stadträte ... sowohl zu der organisierten Wählergruppe BLR als auch zu deren Fraktion im Stadtrat – mit der Folge einer Änderung des Stärkeverhältnisses im Stadtrat – entsprechend dem Wortlaut des Art. 33 Abs. 3 Satz 1GO mit der Zuteilung weiterer Ausschusssitze an die Antragstellerin Rechnung zu tragen ist oder ob diesem Umstand im Wege einer einschränkenden Auslegung der Regelung die „Ausschusswirksamkeit“ abzusprechen ist mit der Folge, dass die fraglichen Ausschusssitze bei der Beigeladenen verbleiben. Einwände gegen die Richtigkeit der von der Stadtverwaltung hierzu vorgenommenen Neuberechnung auf der Grundlage von § 7 Abs. 1 GeschOStR wurden von den Beteiligten nicht erhoben und formale Aspekte (vgl. insbesondere § 6 Abs. 1 GeschOStR) von Seiten der Antragsgegnerin und der Beigeladenen nicht gerügt, sodass hierauf hier auch nicht weiter einzugehen sein dürfte.
35
Die im Gemeinderat vertretenen Parteien und Wählergruppen haben nach Art. 33 Abs. 1 Satz 2 GO einen Anspruch darauf, dass ihnen im Ausschuss (als dem verkleinerten Abbild des Gemeinderats) so viele Sitze zugeteilt werden, als dem Verhältnis ihrer Größe im Gemeinderat zueinander entspricht (vgl. bereits BayVGH, U.v. 26.11.1954 – 91 IV 54, VGH n.F. 8, 5/8). Eine Abweichung hiervon regelt Art. 33 Abs. 1 Satz 5 GO, wonach sich Gemeinderatsmitglieder zur Entsendung gemeinsamer Vertreter in die Ausschüsse zusammenschließen können. Solche Zusammenschlüsse müssen sich dabei auf sogenannte Einzelgänger sowie auf solche im Gemeinderat vertretenen Parteien und Wählergruppen beschränken, die nicht schon ohne Zusammenschluss einen Sitz im Ausschuss erhalten würden. Denn jede Möglichkeit des Zusammenschlusses bedeutet eine Schmälerung des Leitbilds nach Art. 33 Abs. 1 Satz 2 GO und der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit wird hierdurch wesentlich weniger beeinträchtigt, als wenn die Stimmenzahl der großen Parteien und Wählergruppen (bzw. Fraktionen und Gruppen im Gemeinderat) durch Zusammenschluss mit Einzelgängern oder Minderheiten oder gar durch Zusammenschluss mehrerer großer Parteien und Wählergruppen untereinander verändert würde (vgl. BayVGH, U.v. 26.11.1954 – 91 IV 54, VGH n.F. 8, 5/10). In den letzteren Fällen würde der Grundsatz vom verkleinerten Abbild des Plenums nicht nur eingeschränkt, sondern aufgegeben (vgl. BayVGH, U.v. 15.7.1955 – 97 IV 54 – VGH n.F. 8, 97/103).
36
Die Regelung in Art. 33 Abs. 3 Satz 1 GO setzt nachträgliche Fraktionswechsel von Gemeinderatsmitgliedern als grundsätzlich zulässig voraus. Dadurch wird die politische Zusammensetzung des Gemeinderats geändert und die Regelung will, dass diesem geänderten Stärkeverhältnis die Zusammensetzung der Ausschüsse nachgebildet wird. Durch Art. 33 Abs. 3 Satz 1 GO wird also klargestellt, dass der Ausschuss ein verkleinertes Abbild des Gemeinderats in seiner jeweiligen politischen Zusammensetzung sein soll, nicht etwa des Gemeinderats in der Zusammensetzung nach dem Ergebnis der Wahl durch das Volk (vgl. BayVGH, U.v. 15.7.1955 – 97 IV 54 – VGH n.F. 8, 97/101).
37
Eine Einschränkung dieses im Gesetz angelegten Grundsatzes des zulässigen Fraktionswechsels mit der Folge von Änderungen in den jeweiligen Ausschussbesetzungen auf sogenannte „ausschusswirksame“ Fraktionswechsel – nur diese sollen Änderungen in der Ausschussbesetzung zur Folge haben – hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof bereits in seiner frühen Rechtsprechung bezogen auf „Scheinbeitritte“ bzw. „Umgehungsbeitritte“ herausgearbeitet.
38
Das Staatsministerium des Innern hatte die Gefahr für gegeben gehalten, dass Mandatsträger, die als Einzelgänger oder Angehörige kleiner Fraktionen keine Vertretung im Ausschuss erhalten würden, in eine größere (im Ausschuss ohnehin vertretene) Fraktion eintreten würden, und daher die Auffassung vertreten, dass die Rechtsfolge der Regelung nur ausgelöst werde, wenn die übertretenden Mandatsträger die Mitgliedschaft bei der politischen Partei erwerben würden, die Trägerin der Fraktion sei, in welche die Mandatsträger einträten. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof führte hierzu aus, dass diese Auffassung im Gesetz keine Stütze finde. Nicht ausschlaggebend sei der Eintritt in die politische Partei, sondern der Eintritt in die Fraktion. Trotzdem könne der Tatsache, dass ein Mandatsträger während der Wahlzeit nicht nur seine Fraktionszugehörigkeit gewechselt, sondern auch die Mitgliedschaft der Partei erworben habe, die Trägerin seiner neuen Fraktion sei, in aller Regel nicht eine gewisse Bedeutung abgesprochen werden. Der Parteibeitritt sei nämlich in diesem Fall ein Indiz dafür, dass der Eintritt in die Fraktion nicht zum Schein, etwa zur Herbeiführung einer nach dem Gesetz nicht zulässigen Zusammensetzung des Ausschusses, vorgenommen worden sei (vgl. BayVGH, U.v. 15.7.1955 – 97 IV 54 – VGH n.F. 8, 97/103). Für den konkreten Fall ergab sich, dass der auf dem Wahlvorschlag der F. gewählte Kreisrat noch vor der Bestellung des Kreisausschusses in die Fraktion der C. eingetreten und daher die Änderung im Stärkeverhältnis bei der Bestellung des Ausschusses zu berücksichtigen war, wobei es unerheblich gewesen sei, dass die Änderung des Stärkeverhältnisses schon vor der erstmaligen Bestellung des Kreisausschusses eingetreten war und der Kreisrat damals noch nicht Parteimitglied der C. gewesen sei (vgl. BayVGH, U.v. 15.7.1955 – 97 IV 54 – VGH n.F. 8, 97/104).
39
Die beiden zitierten grundlegenden Entscheidungen zum Recht der Bildung von Ausschüssen der Vertretungsorgane kommunaler Gebietskörperschaften hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Urteil vom 21. August 1961 – 25 IV 61 – (BayVBl 1962, 24) fortgeführt. Die Bestimmungen des Art. 33 Abs. 3 GO sind Ausdruck des Prinzips, dass der auf einen Wahlvorschlag in das Vertretungsorgan der Gebietskörperschaft gewählte Vertreter letzten Endes nur seinem Gewissen unterworfen ist (vgl. Art. 13 Abs. 2 BV) und damit während der ganzen Wahlperiode das Recht behält, ohne Mandatsverlust die Partei oder auch die Gruppe im Gemeinderat zu wechseln, der er zur Zeit der Wahl angehört, als deren Vertrauensmann er gewählt worden ist oder der er später beigetreten ist. Von einem Art. 33 Abs. 1 Satz 2 GO widersprechenden (unzulässigen) Zusammenschluss einer für sich allein nicht ausschussfähigen Gruppe mit einer ausschussfähigen Gruppe zu einer Fraktion kann nur dann gesprochen werden, wenn beide Gruppen noch nach dem Zusammenschluss gesonderte Ziele verfolgen, die Vertreter beider Gruppen sich also nach wie vor der Wählerschaft verbunden fühlen, die ihre Stimme dem Wahlvorschlag, auf dem sie gewählt worden sind, und nicht dem anderen Wahlvorschlag gegeben haben. Um einen solchen Fall handelte es sich aber nach Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof im konkreten Fall nicht. Denn die beiden Stadtratsmitglieder der U. hätten jeder für seine Person erklärt, dass sie der C. angehörten und als Mitglieder der C. sich deren Fraktion angeschlossen hätten. Durch diese Erklärung hätten sie einen zulässigen Fraktionswechsel vorgenommen, der nach dem Grundsatz des Rechts zum freien Fraktionswechsel auf die Besetzung der Ausschüsse des Stadtrats Einfluss habe. Die Klägerin hatte eingewandt, dass durch die verschiedenartige Regelung der Zusammenschlüsse zu Gruppen und Fraktionen und der Folgen eines Parteiwechsels unlauteren Machenschaften dadurch Vorschub geleistet werde, dass danach letzten Endes auf eine innere Gewissensentscheidung abgestellt sei, die zum Zwecke der Umgehung des Gesetzes nur vorgetäuscht werden könne. Nach Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs übersah dieser Einwand aber, dass das Gesetz, wenn es aus dem Wechsel der Fraktions-(Partei-)Zugehörigkeit rechtliche Folgerungen nur hinsichtlich der Zusammensetzung der Ausschüsse ziehe, aber nicht den Mandatsverlust folgere, nicht die parteipolitische Zusammensetzung des Vertretungskörpers im Auge habe, sondern dem Umstand Rechnung trage, dass das bayerische Kommunalwahlrecht eine Verbindung von Listen- und Persönlichkeitswahl darstelle, die den Gewählten nicht mehr als Exponenten einer Partei als vielmehr eine Eigenpersönlichkeit herausstelle. Dem Charakter der Wahl als Persönlichkeitswahl würde es sowohl widersprechen, wenn die Frage der Beibehaltung des Mandats von der Beibehaltung der Zugehörigkeit zu der Partei abhinge, der der Gewählte zur Zeit der Wahl angehört habe, als auch, wenn der Parteiwechsel als solcher ignoriert würde. Das politische Verhalten des Gewählten selbst, für das der Fraktionswechsel Ausdruck sein kann, steht damit außerhalb der rechtlichen Betrachtung; der Grundsatz, dass eine Handlungsweise nicht dazu dienen darf, wider Treu und Glauben einem anderen Nachteil zuzufügen, kann darauf nicht angewendet werden (vgl. hierzu insgesamt BayVGH, U.v. 21.8.1961 – 25 IV 61 – BayVBl 1962, 24/25).
40
Die anzulegenden Maßstäbe an eine zum Schein oder zum Zwecke der Gesetzesumgehung abgegebene Erklärung des Fraktionseintritts oder Übertritts hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof dann in seinem Urteil vom 2. August 1962 – 105 IV 61 – (VGH n.F. 15, 82) weiter konkretisiert. Zugrunde lag diesem ein Fall, in dem am Tag der ersten Kreistagssitzung nach der Wahl jeweils drei Kreisräte von zwei unterschiedlichen Listen die Übertritte zur dortigen Klägerin erklärt hatten, welche der Kreistag anschließend nicht als wirksam ansah und daher bei der folgenden Ausschussbesetzung nicht berücksichtigt wurde. Es habe sich nur um Scheinübertritte gehandelt, die Übergetretenen seien nach wie vor Mitglieder ihrer bisherigen politischen Parteien. Es handele sich um eine eklatante Missachtung des Wählerwillens. Die sechs Kreisräte seien nicht aus persönlich gewonnenen politischen Erkenntnissen zur Klägerin übergetreten. Bezeichnend sei auch, dass der Übertritt erst erfolgt sei, nachdem der auf der Liste F. gewählte Kreisrat einen Zusammenschluss abgelehnt habe. Während des gerichtlichen Verfahrens trat einer der Kreisräte auch der Partei bei, woraufhin der Kreistag dessen Fraktionsübertritt anerkannte. Die beiden Gruppen (der jeweils drei Kreisräte) waren in der Kreistagssitzung auch über die Möglichkeit belehrt worden, dass sie eine Ausschussgemeinschaft hätten bilden können. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof äußerte sich dabei auch nochmals grundsätzlich zur Zulässigkeit von Fraktionswechseln. Die maßgebliche Regelung – vgl. aktuell Art. 33 Abs. 3 GO – meint in erster Linie den Fall, dass ein Einzelgänger in eine Fraktion eintritt oder ein Fraktionsmitglied ausscheidet und zum Einzelgänger wird oder schließlich ein Fraktionsmitglied in eine andere Fraktion übertritt. Demgegenüber kann nicht eingewendet werden, ein Fraktionswechsel könne schon deshalb nicht rechtmäßig sein, weil er das Recht anderer Fraktionen auf eine ihrer Stärke entsprechende Vertretung in den Ausschüssen beeinträchtigen könne, mithin in die Rechte Dritter eingreife. Denn jede Fraktion hat nur Anspruch auf eine den jeweiligen Stärkeverhältnissen der Fraktionen entsprechende Besetzung der Ausschüsse. Da an einen solchen Vorgang keine besonderen formellen Anforderungen gestellt werden könnten, ging der Bayerische Verwaltungsgerichtshof von einem wirksamen Übertritt der Kreisräte in die klagende Fraktion aus. Zu der Auffassung des Beklagten, es müsse zwischen rechtswirksamen „echten Übertritten“ und rechtsunwirksamen „Scheinbeitritten“ unterschieden werden, führt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof aus, dass mangels einer positiven Regelung die Frage, ob unter gewissen Voraussetzungen eine den Anforderungen entsprechende Übertrittserklärung trotzdem unwirksam sei, nur anhand allgemeiner Rechtsgrundsätze beantwortet werden könne. Auf jeden Fall sei davon auszugehen, dass (von den Fällen eines Ausschlusses aus einer Fraktion abgesehen) die Zugehörigkeit eines Gemeinderatsmitglieds zu einer Fraktion auf dessen freiem Entschluss beruhe. Dahinter stehe die Tatsache, dass er – obwohl vielleicht von einer politischen Partei oder Wählergruppe (deren Mitglied er möglicherweise sogar sei) aufgestellt – doch als Einzelpersönlichkeit von der Gemeindebevölkerung gewählt worden sei, die als Einheit aufzufassen sei, möge sie auch nach politischen und anderen Gesichtspunkte gegliedert sein und danach ihre Wahlentscheidung treffen. Die Auffassung, dass der Gewählte im Grunde genommen lediglich im Auftrag seiner Partei (Wählergruppe) ein durch die Wahl dieser zugefallenes Amt in deren Auftrag verwalte, dass (kurz gesagt) eine Fraktion nichts anderes sei als die Exponentengruppe einer Partei in einem kommunalen Verwaltungsorgan, sei nicht gerechtfertigt. Demnach müssten besondere Umstände vorliegen, damit ein Eintritt (Übertritt) in eine Fraktion als Schein- oder Umgehungsmanöver angesehen werden könne, nicht aber umgekehrt besondere Umstände, damit dem Eintritt (Übertritt) dieser Charakter eines Schein- oder Umgehungsmanövers nicht zukomme. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof stellt hieran im Folgenden strenge Anforderungen. Ein Scheinbeitritt liegt nicht schon dann vor, wenn mit dem Beitritt (Übertritt) eine nach dem Gesetz nicht zulässige Zusammensetzung der Ausschüsse herbeigeführt wird. Denn dann dürften Einzelgänger und Mitglieder ausschussunfähiger Gruppen nur dann einer bisher ausschussfähigen Fraktion beitreten, wenn damit keine Verschiebung in der Verteilung der Ausschusssitze eintreten würde, was auch eine Verletzung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 118 Abs. 1 BV) zur Folge hätte. Weiterhin teilte der Bayerische Verwaltungsgericht auch nicht die Auffassung des Beklagten, ein Fraktionswechsel sei nur dann kein (rechtlich unbeachtliches) Schein- und Umgehungsmanöver, wenn der Übertritt auf geänderter politischer Überzeugung beruhe und zum Beweis dessen er mit einem Parteiübertritt Hand in Hand gehen, zumindest aber mit einem Austritt aus der bisherigen Partei (Wählergruppe) oder doch zu allermindest mit der Aufgabe einer führenden Position in dieser. Abgesehen davon, dass hierdurch in Umkehrung des dargelegten Grundsatzes nicht für das Vorliegen, sondern für das Nichtvorliegen eines solchen Manövers besondere Umstände gefordert würden, werde damit der Bindung an eine Partei (Wählergruppe) der Vorrang zuerkannt, was nach dem vorstehend Gesagten den Grundgedanken des bayerischen Kommunalverfassungsrechts in der Gemeinde- und Kreisstufe widerspreche. Dieser Vorrang der Bindung an eine politische Partei bestehe zwar für die Bundestagsabgeordneten, was jedoch mit der besonderen Stellung zusammenhänge, welche Art. 21 Abs. 1 GG den politischen Parteien im Staat zuspreche. Folgerungen in Richtung auf eine notwendig gleichartige Gestaltung im Kommunalverfassungsrecht könnten hieraus ebenso wenig gezogen werden wie für das Kommunalwahlrecht. Nach Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs lässt sich die Frage, ob der Eintritt (Übertritt) in eine Fraktion ausnahmsweise, weil nur zum Schein oder in Umgehungsabsicht vorgenommen, unwirksam ist, nur an Hand aller Umstände des Einzelfalls beantworten. Im konkreten Fall sah der Senat dann eine Reihe von Umständen, welche die Übertrittserklärungen der noch in Frage stehenden Kreisräte als Schein- oder Umgehungsmaßnahmen erscheinen ließen. Diese waren weiterhin unverändert Mitglieder ihrer (jedenfalls auf Landesebene) fest organisierten Parteien, einer nach wie vor Kreisvorsitzender der Partei, die Erklärungen seien jeweils gruppenweise geschlossen abgegeben worden und damit das Ergebnis gemeinsamer Überlegungen gewesen, teilweise sei nur ein Anschluss, nicht jedoch ein Übertritt in die Fraktion erklärt worden. Schließlich wären die Übertritte auch von Einfluss auf die Ausschussbesetzung gewesen und die Stellung der fünf Kreisräte zu ihren Parteien, auf deren Liste sie gewählt worden seien, habe sich nicht geändert. Beides zusammen rechtfertige die Annahme, dass es sich bei den Übertritten um ein Schein- und Umgehungsmanöver zu dem Zweck handele, Kreisräte dieser ausschussunfähigen Gruppe in die Ausschüsse zu bringen. Es werde damit auch nicht von der früheren Rechtsprechung abgewichen. In dem mit Urteil vom 15. Juli 1955 entschiedenen Fall habe es sich um den Übertritt eines Einzelgängers gehandelt, der kurz danach die Partei, auf deren Wahlvorschlag er gewählt worden sei, verlassen habe und zu der Partei übergetreten sei, in deren Fraktion er eingetreten sei (vgl. insgesamt BayVGH, U.v. 2.8.1962 – 105 IV 61 – VGH n.F. 15, 82).
41
In einer weiteren Entscheidung (U.v. 7.6.1967 – 2 IV 67 – VGH n.F. 20, 57/60) hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof nochmals bekräftigt, dass besondere Umstände gefordert werden müssen, aus denen sich ergibt, dass der Fraktionswechsel nur zum Schein oder in der Absicht der Gesetzesumgehung vorgenommen wurde. Angesichts des Prinzips der grundsätzlichen Zulässigkeit des Fraktionswechsels muss nicht etwa der Übertretende beweisen, dass sein Übertritt nicht zum Schein oder in Umgehungsabsicht erfolgt ist. Deshalb können die Umstände, dass durch den Fraktionswechsel praktisch eine – im Wege eines Zusammenschlusses nicht zulässige – Änderung des Stärkeverhältnisses erreicht wird, oder dass der Übertretende seine Mitgliedschaft oder die führende Stellung in seiner früheren Partei nicht aufgegeben und auch nicht in die Partei seiner neuen Fraktion eingetreten ist, für sich allein den Fraktionswechsel für die Anwendung des Art. 33 Abs. 1 GO nicht bedeutungslos machen. Allenfalls mag der Eintritt in die der neuen Fraktion entsprechenden Partei als Indiz für die Wirksamkeit des Fraktionswechsels gewertet werden. Eine Nachprüfung, ob der Fraktionswechsel auf einer wirklichen Änderung der politischen Überzeugung beruht, ist nicht möglich. Die Frage, ob der Fraktionswechsel nur zum Schein oder in Umgehungsabsicht vorgenommen wurde, muss aufgrund allgemeiner Rechtsgrundsätze unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls beantwortet werden. Zum konkreten Fall – die Eintritte in die Fraktion einer anderen Partei waren kurz nach der Wahl erfolgt, der Partei selbst wurde nicht beigetreten – war der Bayerische Verwaltungsgerichtshof der Auffassung, dass der Fraktionseintritt nicht deshalb als nichtig angesehen werden könnte, weil der Eintritt in die (entsprechende) Partei ausdrücklich abgelehnt worden sei und weil durch den Fraktionsbeitritt etwa Wähler der Betroffenen sich nachträglich getäuscht fühlen könnten. Von einem Zusammenschluss zweier Gruppen nach (entsprechend aktueller Regelung) Art. 33 Abs. 1 Satz 5 GO könne nur gesprochen werden, wenn beide Gruppen noch nach dem Zusammenschluss gesonderte Ziele verfolgten, wenn also die Vertreter beider Gruppen sich nach wie vor der Wählerschaft verbunden fühlten, die ihre Stimmen dem Wahlvorschlag, auf dem sie gewählt worden seien, und nicht dem anderen Wahlvorschlag gegeben hätten. Einer der Betroffenen habe in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erklärt, dem Eintritt in die (neue) Fraktion habe sein Wahlgremium zugestimmt, er wolle diesem nicht abtrünnig werden und stehe weiterhin mit ihm in Verbindung. Legten schon die behandelten Umstände erhebliche Zweifel an der Gültigkeit des Fraktionsbeitritts nahe, würden (weitere) Erklärungen der Betroffenen (darunter auch die Aussage, dass eine Parteimitgliedschaft in der Partei der aufnehmenden Fraktion damit nicht verbunden gewesen sei) eindeutig ergeben, dass die Fraktionseintritte als Schein- oder Umgehungsmaßnahmen gewertet werden müssten.
42
Eine weitere Konkretisierung hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Urteil vom 15. April 1970 – 12 IV 70 – (VGH n.F.23, 73) vorgenommen. In Abgrenzung zu der zuvor vorgenommenen Definition, wann ein bei der Ausschussbesetzung nicht zu berücksichtigter Zusammenschluss im Sinne des Art. 33 Abs. 1 Satz 5 GO anzunehmen ist (die Beteiligten verfolgen auch nach dem Zusammenschluss gesonderte Ziele, fühlen sich also nach wie vor gerade ihrer Wählerschaft verbunden) sei es dagegen für einen Fraktionswechsel, der sich auf die Ausschussbesetzung auswirke, im allgemeinen kennzeichnend, dass ein Gemeinderatsmitglied unter Abkehr von seiner ursprünglich eingenommenen Position mit dem Übertritt zu einer anderen Fraktion sich nur noch mit deren Zielsetzungen identifiziere, sodass augenscheinlich eine Änderung im Stärkeverhältnis der Fraktionen und Gruppen im Stadtrat eintrete. Bei der Beantwortung der Frage, ob ein für die Ausschussbesetzung relevanter Eintritt in eine Fraktion oder aber ein hierfür nicht beachtlicher Anschluss an eine Fraktion vorliege, könne naturgemäß nicht allein auf den Wortlaut der abgegebenen Erklärungen abgestellt werden; andernfalls könnte durch den bloßen Austausch von Worten und Begriffen („Eintritt“ statt „Anschluss“) der einem Anschluss an die Fraktion verwehrte rechtliche Erfolg herbeigeführt werden. Hierzu führt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof auch nochmals aus, dass andererseits die Frage, ob und inwieweit ein Fraktionswechsel oder Fraktionseintritt tatsächlich von einem Wandel der politischen Überzeugung getragen werde, sich weitgehend der gerichtlichen Nachprüfung entziehe. Ob ein das Stärkeverhältnis der Fraktionen und Gruppen des Gemeinderats verändernder und damit für die Ausschussbesetzung beachtlicher Fraktionsbeitritt vorliege, lasse sich daher nur anhand der äußerlich erkennbaren Gesamtumstände beurteilen. Daraus mögen sich Abgrenzungsschwierigkeiten in Fällen ergeben, in denen ein parteimäßig nicht gebundenes Stadtratsmitglied den Eintritt in eine Fraktion geltend mache. Im vorliegenden Fall sprächen die Gesamtumstände jedoch eindeutig gegen die Annahme eines für die Besetzung der Ausschüsse beachtlichen Fraktionsbeitritts. Abgestellt wurde maßgeblich auf eine Erklärung des betroffenen Stadtrats, dass er die Brücke zu seiner bisherigen Partei nicht abbrechen werde, er weiter bei dieser Partei bleibe und sich seinen Wählern verbunden fühle. Im Hinblick auf dieses eindeutige Bekenntnis zu seiner Wahlposition sei seine Erklärung, dass er zur Fraktion C. beitrete, für die Ausschussbesetzung nicht als rechtserheblich anzuerkennen. Seine Vorbehalte, mit denen er seine Verbundenheit zur Partei B. und seinen Wählern hervorgehoben habe, zeigten nämlich, dass er ungeachtet seiner bisherigen Zusammenarbeit mit der Fraktion C. nicht bereit gewesen sei, sich von seiner für die Wahl maßgeblichen politischen Position abzukehren, sondern dass er diese habe beibehalten wollen. Ein weiterer – nicht unmittelbar streitgegenständlicher aber zunächst für ein ausschusswirksames Anwachsen der Fraktion C. zahlenmäßig ausschlaggebender – Fraktionswechsel eines Stadtrats, dem bei der Wahl im März 1966 der Sitz einer (anderen) Partei und Wählergemeinschaft zugefallen war und der jeweils im Oktober 1967 zunächst als Mitglied in die Partei C. eingetreten und anschließend auch zur Fraktion der C. übergetreten war, war hingegen hinsichtlich seiner Ausschusswirksamkeit für sich nicht in Frage gestellt worden.
43
In einer folgenden Entscheidung (U.v. 7.10.1983 – 4 B 83 A. 1179 – VGH n.F. 37, 3; BeckRS 1983, 107334) fasst der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die bisherige Rechtsprechung (zum Fall eines Fraktionswechsels) sehr verkürzt zusammen. Er ging im konkreten Fall zunächst davon aus, dass es rechtserhebliche Bedeutung für die Ausschussbesetzung allein erlangen könnte, wenn die betroffene Bezirksrätin über eine bloße Kooperation hinaus zur Partei S. übergewechselt wäre. Dann nämlich würde sich das Stärkeverhältnis der im Bezirkstag vertretenen Parteien anders darstellen, die Partei G. wäre nicht mehr „vertreten“ und die Partei S. entsprechend stärker geworden. Von einer solchen Konstellation könne indes nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung nicht gesprochen werden. Nach der Rechtsprechung komme es für die Entscheidung, ob ein Partei- oder Fraktionswechsel vorliege, auf die Umstände an, wobei ein formaler Parteieintritt lediglich als Indiz gewertet werde, aber nicht ausschlaggebende Bedeutung habe. Voraussetzung sei eine Abkehr von der ursprünglichen Position unter Hinwendung zu der neuen. Sie sei nicht gegeben, wenn sich der Mandatsträger unverändert zu seinen Wählern bekenne. Die Bezirksrätin habe klar und eindeutig erklärt, dass sie sich nach wie vor ihren Wählern und ihrer Partei verbunden fühle. Das schließe es aus, in ihrer Zusammenarbeit mit der Fraktion S. einen bei der Ausschussbesetzung zu berücksichtigenden Partei- oder Fraktionswechsel zu erblicken (unter Hinweis auf OVG RhPf, B.v. 14.7.1982 – 7 B 29/82 – NVwZ 1983, 488/489). Dort ging es ebenfalls um einen Fall, in dem eine Verbindung (zweier vor der Wahl konkurrierend an den Wähler herangetretenen Parteien) als nicht so weitgehend angesehen wurde, als dass dadurch die Zugehörigkeit der einzelnen Kreistagsmitglieder zu ihren politischen Gruppen (den jeweiligen Parteien) in Frage gestellt würde.
44
In einer weiteren Entscheidung (U.v. 8.1.1986 – 4 B 85 A. 2700 – BayVBl 1986, 466) zu streitigen Fraktionszusammenschlüssen von Parteien/Wählergruppen führt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof aus, bei der Ausschussbesetzung müssten solche Zusammenschlüsse unberücksichtigt bleiben, die kein gemeinsames Sachprogramm hätten und nur zum Schein oder zur Gesetzesumgehung eingegangen würden, insbesondere in der (alleinigen) Absicht, zusätzliche Ausschusssitze zu gewinnen. In der darauffolgenden Entscheidung – ebenfalls zur Bildung von Fraktionsgemeinschaften durch mehrere Parteien/Wählergruppen – (vgl. U.v. 15.7.1992 – 4 B 91.3106 – juris Rn. 12 ff.) fasst der Bayerische Verwaltungsgerichtshof maßgebliche Kriterien abermals verkürzt zusammen. Nicht jede Veränderung im Hinblick auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppierung sei für die Ausschussbesetzung relevant. Es müssten vielmehr besondere Umstände hinzukommen, aus denen sich ergebe, dass der Wechsel nicht nur zum Schein oder in der Ansicht der Gesetzesumgehung vorgenommen worden sei. Eine für die Ausschussbesetzung beachtliche Änderung des Stärkeverhältnisses der Parteien und Wählergruppen liege dann vor, wenn der Eintritt oder der Übertritt eines Gemeinderats in eine aus den Mitgliedern einer anderen Partei oder Wählergruppe gebildete Fraktion eine Abkehr von bisherigen Positionen und Wählerschaften darstelle. Mit einer Abkehr von den bisherigen Positionen und Wählerschaften müsse zugleich eine Hinwendung zu der neuen Gruppierung verbunden sein. Denn nur dann werde deren Mitgliederzahl vergrößert und das Stärkeverhältnis verändert. Ob eine solche Abkehr vorliege, sei anhand aller Umstände des Einzelfalls festzustellen. Dabei gehe es weniger um eine inhaltliche Bewertung politischer Überzeugungen als um äußere Umstände, aus denen sich erkennen lasse, dass sich der Betreffende von den Personen gelöst habe, die ihm ursprünglich zu seinem Mandat im Gemeinderat verholfen hätten, also der Partei oder Wählergruppe, auf deren Wahlvorschlag er erfolgreich kandidiert habe. Im konkreten Fall seien objektive Umstände, aus denen sich mit hinreichender Klarheit eine Abwendung des Betroffenen von seiner ursprünglichen Partei bzw. Wählergruppe erschließen lasse, nicht vorhanden. Er sei sowohl im Zeitpunkt des Gemeinderatsbeschlusses über die Ausschussbesetzung als auch im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof Mitglied der F. gewesen. Er habe zwar formal am Parteileben nicht oder nur wenig teilgenommen. Gleichwohl fühle er sich nach wie vor dieser Partei verbunden, an seinen Grundvorstellungen und seinem Denken habe sich, wie er bei seiner Parteivernehmung ausdrücklich erklärt habe, nichts geändert. Er habe sich vor der konstituierenden Sitzung des Marktgemeinderats über sein Vorgehen mit den maßgeblichen Vertretern seiner Partei in abgesprochen. Zu keinem anderen Ergebnis gelange man, wenn man die Vorgänge um die Bildung der „Fraktionsgemeinschaft“ nicht unter dem Gesichtspunkt eines Fraktionsbeitritts, sondern eines Fraktionszusammenschlusses betrachte. Um im Hinblick auf die Ausschussbesetzung wirksam zu sein, bedürfe dieser Zusammenschluss genauso einer Abkehr von der bisherigen Partei und Wählergruppe wie ein Fraktionsbeitritt. Vor diesem Hintergrund sei auch die von den Beteiligten erörterte Frage eines gemeinsamen Sachprogramms zu sehen. Ein solches sei nur dann anzuerkennen, wenn es Ausdruck der Abkehr von der bisherigen Partei oder Wählergruppe sei. Keinesfalls genüge es im Hinblick auf die Ausschussbesetzung, die Wahlprogramme der zum Gemeinderat kandidierenden Parteien und Wählergruppen zu vergleichen. Auf kommunaler Ebene würden Wahlprogramme der Parteien und Wählergruppen durch die in der Amtsperiode zu erledigenden Sachfragen bestimmt. Die Programme unterschieden sich deshalb vielfach inhaltlich voneinander kaum; Wert werde vielmehr auf die Personen gelegt, die sich zutrauten, die Zukunftsprobleme zu bewältigen. Bei aller gebotenen Zurückhaltung bei der Bewertung politischer Programme zeige sich, dass das mit Schreiben vom 19. Februar 1992 dargestellte „gemeinsame Programm“ nichts Anderes sei, als eine Zusammenstellung von Schlagworten, wie sie – praktisch übereinstimmend – schon in den Wahlprospekten enthalten gewesen seien. Eine Abkehr von der bisherigen Partei oder Wählergruppe lasse sich hieraus nicht entnehmen (vgl. BayVGH, U.v. 15.7.1992 – 4 B 91.3106 – juris Rn. 17).
45
In der nachfolgenden Entscheidung vom 1. März 2000 (vgl. U.v. 1.3.2000 – 4 B 99.1172 – juris Rn. 14) betreffend einen Fraktionsbeitritt einer eigenständigen gesamten Wählergruppe mit drei Kreistagssitzen fasst der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Maßgaben schließlich wie folgt zusammen: Weil die aufgrund eines bestimmten Wahlvorschlags gewählten Vertreter einer Partei oder Wählergruppe nicht an deren Weisungen gebunden, sondern letztlich nur ihrem Gewissen verantwortlich seien (vgl. Art. 13 Abs. 2 BV), stehe es den Kreisräten grundsätzlich frei, während der Wahlzeit von einer in eine andere Fraktion oder Gruppe im Kreistag überzutreten. Eine im Sinn von Art. 27 Abs. 3 Satz 1 LKrO relevante Änderung der Stärkeverhältnisse werde mit einem solchen Schritt aber nur bewirkt, wenn er anhand der äußerlich erkennbaren Gesamtumstände als Ausdruck eines geänderten politischen Verhaltens zu werten sei. Das setze im Allgemeinen eine Abkehr von bisherigen Positionen und Wählerschaften verbunden mit einer Hinwendung zu der neuen Gruppierung voraus. Nach den Umständen des Einzelfalles könne die Hinwendung von Kreistagsmitgliedern zu einer anderen Gruppierung (auch) ohne Auswirkungen auf das Stärkeverhältnis im Sinn von Art. 27 Abs. 3 Satz 1 LKrO bleiben, vor allem dann, wenn sie nur zum Schein oder in Umgehungsabsicht etwa zu dem Zweck vorgenommen worden sei, Kreisräte einer ausschussunfähigen Gruppe in die Ausschüsse zu bringen (vgl. in dieser Form auch in der folgenden Entscheidung – BayVGH, B.v. 28.9.2009 – 4 ZB 09.858 – juris Rn. 2 – wiedergegeben als „von der Rechtsprechung entwickelte Grundsätze über einen Fraktionswechsel“ im Fall des Fraktionsbeitritts eines einzelnen Mandatsträgers“). Solche Umstände wurden im Folgenden als gegeben angesehen. Die Kreisräte seien unverändert Mitglieder ihrer Partei geblieben. Kreisrat X. sei Vorsitzender dieser Partei geblieben und habe als erster Bürgermeister der Stadt S. amtiert, zu dem er auf dem Wahlvorschlag seiner Partei gewählt worden sei. Der Übertritt sei geschlossen als das Ergebnis gemeinsamer Überlegung erklärt worden. Dieser geschlossene Übertritt habe Einfluss auf die Ausschussbesetzung gehabt. Es hätten sich nicht nur die Zahl der Ausschusssitze der aufnehmenden Fraktion erhöht, auch die „übergetretenen“ Kreisräte hätten jeweils einen Sitz erhalten. Andererseits habe sich die Stellung der betreffenden Kreisräte zu ihrer Partei und zur Partei der aufnehmenden Fraktion durch den Übertritt nichts geändert. Hinweise darauf, dass sich die betreffenden Kreisräte von den für ihre Wahl maßgebenden politischen Positionen abgekehrt hätten, fehlten. Vielmehr seien sie auf Stadtratsebene weiterhin für ihre Partei tätig, Kreisrat X. sogar als Vorsitzender (vgl. BayVGH, U.v. 1.3.2000 – 4 B 99.1172 – juris Rn. 15 f.)
46
Im mit Urteil vom 28. September 2009 (4 ZB 09.858 – juris; vorgehend VG Regensburg, U.v. 18.2.2009 – RN 3 K 08.01408 – juris) entschiedenen Fall ging der Bayerische Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass eine Abkehr des betroffenen Kreisrats von den bisherigen Positionen und Wählerschaften der Partei G. verbunden mit einer Hinwendung zur anderen Partei nicht vorliege. Allein der Umstand, dass der Kreisrat zur Pendlerpauschale eine von der Parteilinie abweichende Ansicht vertreten habe, reiche für eine Abwendung von den Positionen seiner Partei nicht aus. Dabei verkenne der Senat nicht, dass eine Abkehr von bisherigen Positionen dann nicht gefordert werden könne, wenn diese sich in wesentlichen Punkten mit denen der anderen Gruppe oder Partei deckten. Allerdings werde in diesem Fall die Abkehr von der Wählerschaft, die dem Kreistagsmitglied zu dem Sitz im Kreistag verholfen hat, umso bedeutsamer. Eine solche sei vorliegend durchaus möglich, sei jedoch offensichtlich nicht erfolgt. Der betroffene Kreisrat sei nach wie vor Mitglied der G., er sei nicht in die S. eingetreten, deren Fraktion er sich angeschlossen habe. Dieser Fraktionsbeitritt sei auch nicht etwa Ergebnis einer – nur – inneren Hinwendung zur S., sondern allein der Überlegung, dass angesichts des in vielen Punkten übereinstimmenden Sachprogramms beider Parteien eine Zusammenarbeit mit der S.-Fraktion sinnvoll erscheine, um seiner politischen Arbeit mehr Gewicht zu verleihen. Die Tatsache, dass (u.a.) der betroffene Kreisrat Mitglied der G. geblieben sei und sich für diese Partei auch für die nächste Wahlperiode habe aufstellen lassen, mache deutlich, dass die Fraktionsbeitritte nicht Ausdruck einer aus geänderter politischer Überzeugung erfolgten Hinwendung des jeweiligen Kreisrats der G. zur S. gewesen sei, sondern vielmehr auf der nachvollziehbaren Überlegung basiert habe, die eigenen Ziele im Schoße einer größeren Fraktion, die Anspruch auf Ausschusssitze habe und deren Ziele sich in großen Teilen mit den eigenen deckten, besser verfolgen zu können. Der Beitritt zur S.-Fraktion ziele danach vielmehr auf die Bildung einer Ausschussgemeinschaft zwischen der S. und den G. ab und stelle keinen Fraktionsübertritt mit der Folge aus Art. 27 Abs. 3 Satz 1 LKrO dar. Eine solche Gemeinschaft sei nach Art. 27 Abs. 2 Satz 5 LKrO nicht zulässig (vgl. BayVGH, B.v. 28.9.2009 – 4 ZB 09.858 – juris Rn. 3 ff.).
47
In der jüngsten Entscheidung (vgl. B.v. 7.12.2020 – 4 CE 20.2032 – juris Rn. 36) führt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (weiter fallangepasst verkürzt) aus, dass nach ständiger Rechtsprechung des Senats eine für die Ausschussbesetzung beachtliche Änderung des Stärkeverhältnisses der Parteien und Wählergruppen, wie sie aus der Wahl hervorgegangen sind, nur vorliege, wenn der Eintritt oder Übertritt eines Ratsmitglieds in eine aus den Mitgliedern einer anderen Partei oder Wählergruppe gebildete Fraktion eine Abkehr von bisherigen Positionen und Wählerschaften darstelle. Mit einer Abkehr von den bisherigen Positionen und Wählerschaften müsse zugleich eine Hinwendung zu der neuen Gruppierung verbunden sein. Denn nur dann werde deren Mitgliederzahl vergrößert und das Stärkeverhältnis verändert. Diese für den Fraktionswechsel einzelner Ratsmitglieder entwickelten Grundsätze gälten – mit Ausnahme von zulässigen Ausschussgemeinschaften – in gleicher Weise auch für den Zusammenschluss von Parteien oder Wählergruppen während oder zu Beginn einer neuen Wahlperiode. Erfolge der Zusammenschluss mehrerer Gruppierungen, die auf unterschiedlichen Listen gewählt worden seien, sogleich bei Beginn einer neuen Wahlperiode (wie im zu entscheidenden Fall erfolgt), so sei das Vorliegen der oben genannten Voraussetzungen, die eine Anerkennung als einheitliche Fraktion bei der Ausschussbesetzung ermöglichen würde, höchst fraglich. Dass Parteien und Wählergruppen, die soeben noch im Wahlkampf miteinander konkurriert hätten, sich kurz nach der Wahl von ihren bisherigen Positionen und Wählerschaften abwendeten und ein solches Maß an Übereinstimmung entdeckten, dass sie im Gemeinderat in einer gemeinsamen Fraktion dauerhaft zusammenarbeiten wollten, dürfte praktisch ausgeschlossen sein (vgl. BayVGH, B.v. 7.12.2020 – 4 CE 20.2032 – juris Rn. 37).
48
Ausgangspunkt der Prüfung, ob einem formell wirksamen Fraktionsbeitritt ausnahmsweise die Ausschusswirksamkeit abgesprochen werden kann, muss daher immer sein, ob dieser nur zum Schein oder in Umgehungsabsicht erfolgt ist, etwa zu dem Zweck, Mandatsträger einer ausschussunfähigen Gruppe in die Ausschüsse zu bringen bzw. eine nach dem Gesetz nicht zulässige Zusammensetzung der Ausschüsse herbeizuführen. Hierbei müssen besondere Umstände vorliegen, damit ein Eintritt oder Übertritt in eine Fraktion als Schein- oder Umgehungsmanöver angesehen werden kann, nicht aber umgekehrt besondere Umstände, damit dem Eintritt bzw. Übertritt dieser Charakter nicht zukommt (vgl. grundlegend BayVGH, U.v. 2.8.1962 – 105 IV 61 – VGH n.F. 15, 82/93). Der Auffassung, dass ein Fraktionswechsel nur dann kein Schein- oder Umgehungsmanöver sei, wenn der Übertritt auf einer geänderten politischen Überzeugung beruhe, zum Beweis dessen der Wechsel mit einem Parteiübertritt Hand in Hand gehen müsse, zumindest mit dem Austritt aus der bisherigen Partei oder allermindestens mit der Aufgabe einer führenden Position in dieser, hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in dieser Entscheidung eine klare Absage erteilt, da hierdurch – wie ausgeführt – eine unzulässige Beweislastumkehr erfolge – sonst würden für das Nichtvorliegen eines solchen Manövers besondere Umstände gefordert – und damit der Bindung an eine Partei oder Wählergruppe der Vorrang zuerkannt werde, was den Grundgedanken des bayerischen Kommunalverfassungsrechts in der Gemeinde- und Kreisstufe widerspreche. Nicht der Übertretende muss beweisen, dass sein Übertritt nicht zum Schein oder in Absicht der Gesetzesumgehung erfolgt ist (vgl. auch BayVGH, U.v. 7.6.1967 – 2 IV 67 – VGH n.F. 20, 57/60). Ob mit der verkürzten Darstellung im Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15. Juli 1992 (4 B 91.3106 – juris Rn. 12) – im gänzlichen Widerspruch hierzu – die Annahme einer Beweislastumkehr verbunden war, erscheint sehr zweifelhaft, insbesondere finden sich in der Entscheidung hierzu keine Ausführungen. Vielmehr wird diesbezüglich nur allgemein auf die (hierzu anderslautende) grundlegende Entscheidung vom 2. August 1962 (VGH n.F. 15, 82/93 f.) verwiesen. Daher dürfte – dem Grundsatz des freien Mandats folgend – weiterhin davon auszugehen sein, dass die Beweislast im materiellen Sinne dafür, dass der Fraktionswechsel nur vorgetäuscht ist, beim Gemeinderat liegt (vgl. auch Glaser in Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Stand April 2023, Art. 33 Rn. 7; Fichtner, Die Fraktion im Bayerischen Gemeinderecht, Diss. jur. Bayreuth 1997, S. 152; vgl. auch Geiger, BayVBl 1995, 71/74, wonach es unproblematisch sei, wenn ein Gemeinderatsmitglied seine Partei oder Wählergruppe förmlich verlasse und Mitglied einer anderen werde, nur wenn er Mitglied der Gruppierung bleibe, auf deren Liste er in den Gemeinderat gewählt worden sei, sei anhand der Umstände des Einzelfalls zu ermitteln, ob der Anschluss an die andere Gruppierung nicht nur zum Schein oder zur Gesetzesumgehung erfolgt sei, insbesondere in der – alleinigen – Absicht, zusätzliche Ausschusssitze zu gewinnen).
49
Die Prüfung, ob der Einritt oder Übertritt in eine Fraktion ausnahmsweise, weil nur zum Schein oder in Umgehungsabsicht vorgenommen, unwirksam ist, hat unter Berücksichtigung aller äußerlich erkennbaren Umstände zu erfolgen (vgl. BayVGH, U.v. 7.6.1967 – 2 IV 67 – VGH n.F. 20, 57/60, U.v. 15.4.1970 – 12 IV 70 – VGH n.F. 23, 73/77). Eine Nachprüfung, ob der Fraktionswechsel auf einer wirklichen Änderung der politischen Überzeugung beruht, ist dabei nicht möglich (vgl. BayVGH, U.v. 7.6.1967 – 2 IV 67 – VGH n.F. 20, 57/60). Die Frage, ob und inwieweit ein Fraktionswechsel oder Fraktionseintritt tatsächlich von einem Wandel der politischen Überzeugung getragen wird, entzieht sich weitgehend der gerichtlichen Nachprüfung (vgl. BayVGH, U.v. 15.4.1970 – 12 IV 70 – VGH n.F. 23, 73/77). Maßgeblich sind daher die äußeren Umstände, aus denen sich erkennen lässt, dass sich der Betreffende von den Personen gelöst hat, die ihm ursprünglich zu seinem Mandat im Gemeinderat verholfen haben, also der Partei oder Wählergruppe, auf deren Wahlvorschlag er erfolgreich kandidiert hat (vgl. BayVGH, U.v. 15.7.1992 – 4 B 91.3106 – juris Rn. 17), hingegen ist nicht die politische Überzeugung inhaltlich zu bewerten (vgl. Geiger, BayVBl 1995, 71/74). Anhand der äußerlich erkennbaren Gesamtumstände muss der Schritt als Ausdruck eines geänderten politischen Verhaltens zu werten sein. Das setzt im Allgemeinen eine Abkehr von bisherigen Positionen und Wählerschaften verbunden mit einer Hinwendung zu der neuen Gruppierung voraus (vgl. BayVGH, U.v. 1.3.2000 – 4 B 99.1172 – juris Rn. 14). Dabei ist der Parteibeitritt ein Indiz dafür, dass der Eintritt in die Fraktion nicht zum Schein, etwa zur Herbeiführung einer nach dem Gesetz nicht zulässigen Zusammensetzung des Ausschusses, vorgenommen wurde (vgl. bereits BayVGH, U.v. 15.7.1955 – 97 IV 54 – VGH n.F. 8, 97/103; vgl. auch Prandl/Zimmermann/Büchner/Pahlke, Kommunalrecht in Bayern, Stand 10. Mai 2022, Art. 33 GO Anm. 9.1, wonach die Beibehaltung der bisherigen Parteimitgliedschaft ein wichtiges Indiz für die nur scheinbare Hinwendung zu einer anderen Fraktion sei). Auch im Falle eines Fraktionswechsels kann eine Abkehr von bisherigen Positionen dann nicht gefordert werden, wenn diese sich in wesentlichen Punkten mit denen der anderen Gruppe oder Partei decken (vgl. BayVGH, U.v. 28.9.2009 – 4 ZB 09.858 – juris Rn. 3; vgl. auch VG Regensburg, B.v. 19.9.2013 – RN 3 S 13.1463 – juris Rn. 27).
50
Eine Einschränkung dahingehend, dass insoweit nur oder maßgeblich auf eine Abkehr von kommunalpolitischen Positionen abzustellen wäre, ist der dargelegten obergerichtlichen Rechtsprechung hingegen nicht zu entnehmen. Diese dürfte bei programmatischen Übereinstimmungen auch gar nicht möglich sein. Soweit das Verwaltungsgericht Regensburg in seinem Eilbeschluss vom 19. September 2013 (RN 3 S 13.1463 – juris Rn. 28) ausführt, dass sich die Abkehr auf die jeweiligen kommunalpolitischen Positionen einer Partei oder Wählergruppe beziehen müsse, ist dies im Zusammenhang mit der dort entschiedenen konkreten Fallgestaltung zu betrachten und dürfte daher nicht als allgemeingültige Aussage zu werten sein, zumal eine nähere Begründung hierfür nicht gegeben wird. Ausgangspunkt im dortigen Fall war die Abspaltung und Fraktionsneubildung eines Teils (drei Mitglieder) der CSU-Fraktion, wobei diese jedoch weiterhin Parteimitglieder der CSU blieben. Das Verwaltungsgericht sah trotz der gegenteiligen Indizwirkung des nicht erfolgten Parteiaustritts eine Ausschusswirksamkeit als gegeben an und folgerte dies daraus, dass sich das Sachprogramm der abgespaltenen Fraktion inhaltlich zumindest in Teilen von dem der CSU-Fraktion unterscheide. In diesem Zusammenhang wurde daher maßgeblich auf die Abkehr von kommunalpolitischen Positionen abgestellt, da eine Abkehr von bundes- und landespolitischen Parteipositionen gerade nicht erkennbar war. Daher kann hieraus jedenfalls auch nicht der gegenteilige Schluss gezogen werden, dass eine Abkehr von bundes- und landespolitischen Parteipositionen nicht zu berücksichtigen wäre, insbesondere, wenn diese – wie hier – mit einem Parteiaustritt, dem maßgebliche Indizwirkung für eine tatsächliche Abwendung zukommt, einhergeht. Zudem ist zu berücksichtigen, dass bundes- und landespolitische Haltungen durchaus auch Auswirkungen auf gemeindliche (Sach-)Themen haben können. Gerade die hier angeführten Corona-Maßnahmen hatten unzweifelhaft auch Auswirkungen auf die örtliche Gemeinschaft. Weiterhin können bundes- und landespolitische Haltungen auch außerhalb der örtlichen Kommunalpolitik zweifellos Einfluss auf die Wahlentscheidung der Wähler haben, sodass mit einer Abwendung von Bundes- oder Landesparteipositionen auch eine Abwendung von der Wählerschaft verbunden sein kann (vgl. insoweit auch VG Regensburg, B.v. 20.1.2004 – RN 3 E 03.02944 – juris Rn. 42). Weiterhin war das Verwaltungsgericht Regensburg in einem früheren Urteil (vgl. U.v. 18.2.2009 – RN 3 K 08.01408 – juris Rn. 48; nachgehend BayVGH, B.v. 28.9.2009 – 4 ZB 09.858 – juris) der Auffassung, dass programmatische Übereinstimmungen (bei der „alten“ und „neuen“ Fraktion, von denen eine Abkehr daher gar nicht möglich gewesen wäre) kein maßgebliches Kriterium für die Ausschusswirksamkeit darstellen. In der Kommunalpolitik wiesen die programmatischen Unterschiede zwischen den einzelnen Parteien und Wählergruppen erfahrungsgemäß nicht dieselbe Trennschärfe auf wie in der Bundes-, Landes- und Europapolitik. Die partei- und wählergruppenübergreifende Übereinstimmung in vielen Sachfragen sei geradezu typisch für die Zusammenarbeit in kommunalen Vertretungskörperschaften. Würde man die programmatische Übereinstimmung als maßgebliches Kriterium für die Ausschusswirksamkeit ansehen, wären die Kriterien für einen ausschusswirksamen Beitritt nicht mehr greifbar. In dem dort zu entscheidenden Fall wären daher andere äußere Umstände erforderlich gewesen, um einen ausschusswirksamen Fraktionswechsel anzunehmen, welche jedoch nicht als gegeben angesehen wurden. Bei fehlender Abkehr von den Positionen der Partei (dort lediglich eine Abweichung von der Parteilinie zur Pendlerpauschale, die insoweit nicht als ausreichend gesehen wurde), wurde der Abkehr von der Wählerschaft, die dem Betroffenen zu seinem Sitz verholfen hat, maßgebliche Bedeutung beigemessen. Eine solche wäre angenommen worden, wenn der Betroffene seine frühere Partei verlassen hätte und in die Partei seiner neuen Fraktion eingetreten wäre, was jedoch nicht erfolgt war (vgl. wie bereits oben ausgeführt BayVGH, B.v. 28.9.2009 – 4 ZB 09.858 – juris Rn. 3).
51
Unter Berücksichtigung all dessen ergibt sich für den Fall der Antragstellerin, dass die Antragsgegnerin die Anforderungen an die Annahme eines ausschusswirksamen Fraktionsbeitritts der Stadträte ... überspannt haben dürfte.
52
Zunächst ist vorliegend zu beachten, dass es sich jeweils nicht um einen Fraktionswechsel handelt, sondern vielmehr im Fall von Stadträtin ... um einen Fraktionsaustritt und einen späteren Fraktionseintritt als Einzelgängerin und im Fall von Stadtrat ... um einen Fraktionseintritt eines nicht parteigebundenen Einzelgängers (vgl. zu einer insoweit ähnlichen Fallgestaltung auch VG Augsburg, U.v. 10.3.2003 – Au 8 K 02.969 – juris Rn. 44 und 51). Stadträtin ... ist bereits im Juni 2021 aus der GRÜNEN-Fraktion im Stadtrat ausgetreten und war seither fraktionslos. Im Februar 2022 trat sie dann auch aus der Partei BÜNDNIS 90/Die GRÜNEN aus. Sie begründete dies nachvollziehbar mit ihrer persönlichen Ablehnung der „Corona-Politik“ der Partei auf Bundes- und Landesebene, wobei sie mit ihrer eigenen Haltung auch klar – wie im Einzelnen von der Antragstellerseite glaubhaft vorgetragen – an die örtliche Öffentlichkeit getreten ist und sich damit von der Parteilinie deutlich ersichtlich abgesetzt hat. Nach ihrer Aussage in der Presse hat sie mit ihrem Parteiaustritt auch den Wünschen eines Großteils der grünen Mitglieder des Ortsverbands, des Vorstands sowie des Kreisverbands entsprochen und ein mögliches Parteiausschlussverfahren aufgrund ihrer Teilnahme an verschiedenen Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen vermieden. Massive Differenzen persönlicher wie inhaltlicher Art werden damit offensichtlich und im Übrigen auch nochmals mit den Aussagen des GRÜNEN-Stadtrats in der Stadtratssitzung vom 30. Januar 2024 untermauert, indem dieser in diffamierender Weise äußerte, dass die Fraktion mit den Stadträten S. (wegen ihrer vertretenen Ansichten – „Querdenker“) nicht zusammenarbeiten wolle. Der Fraktionsaustritt sowie der später erfolgte Parteiaustritt von Stadträtin ... stellen hier objektive Umstände dar, aus denen sich mit hinreichender Klarheit ihre Abwendung von ihrer ursprünglichen Partei, auf deren Liste sie kandidiert hat und für die sie in den Stadtrat gewählt wurde, schließen lässt und folglich auch ihre Abwendung von der Wählerschaft, die auf dieser Basis für sie gestimmt hat. Durchgreifende äußerliche Anhaltspunkte dafür, dass es sich lediglich um einen Austritt aus Fraktion und Partei nur zum Schein oder zum Zweck einer Gesetzesumgehung gehandelt hätte, dürften demgegenüber nicht ersichtlich sein. Solches lässt sich auch nicht aus den Presseäußerungen der Stadträtin ... im Juni 2021 und Februar 2022 schließen. Der Umstand, dass sie mit ihren früheren Fraktionskollegen trotz ihres Austritts zu grünen Themen und verschiedenen anderen Themen auch künftig im Austausch sei, stellt eine grundlegende politische Abwendung nicht nachhaltig in Frage, sondern sagt lediglich aus, dass für sie damit keine grundsätzliche Einstellung der Kommunikation mit diesen Stadtratsmitgliedern verbunden war. Zudem war sie zu diesem Zeitpunkt (Juni 2021) noch Parteimitglied und damit der Partei auch noch organisatorisch verbunden, sodass die Nennung von „grünen Themen“ auch in diesem Zusammenhang gesehen werden kann. Der Parteiaustritt erfolgte dann schließlich nach einem weiteren Zeitablauf. Hierzu erklärte Stadträtin ... in der Presse, sie stehe auf kommunalpolitischer Ebene weiterhin hinter den mit dem Ortsverband erarbeiteten Zielen für die Stadt und den Landkreis. Ihr Amt als Stadträtin werde sie weiterhin ausüben, nun fraktionslos und parteilos. Die starre Haltung der Grünen auf Bundes- und Landesebene zur Impflicht, das konsequente Unterstützen der restriktiven Maßnahmen sowie die Pauschalverurteilung der Teilnehmer von Demonstrationen und Montagsspaziergängen hätten sie nun zum Austritt bewegt. Soweit die Stadträtin ... damals erklärte, sie stehe auf kommunalpolitischer Ebene weiterhin hinter den mit dem Ortsverband erarbeiteten Zielen, steht auch dies der Ernsthaftigkeit des Fraktions- und Parteiaustritts und der Abkehr von der damaligen Wählerschaft nicht eindeutig entgegen, zumal sie mit dem Fraktionsaustritt auch in Kauf genommen hat, dass sich die Fraktionsstärke der GRÜNEN-Fraktion (zu Lasten dieser bzw. mittelbar auch der damaligen Wählerschaft) verringert, ohne dass sich ihre eigene Position im Stadtrat in irgendeiner Weise verbessert hätte. Da auf kommunaler Ebene – wie bereits ausgeführt – Wahlprogramme der Parteien und Wählergruppen durch die in der Amtsperiode zu erledigenden Sachfragen bestimmt werden und sich die Programme deshalb vielfach inhaltlich kaum voneinander unterscheiden (vgl. auch BayVGH, U.v. 15.7.1992 – 4 B 91.3106 – juris Rn. 17), kann auch aus der damaligen Aussage einer allgemeinen persönlichen weiteren Bejahung früherer – auch maßgeblich in eigener Person – erarbeiteter (sachlicher kommunaler) Ziele für die Stadt und den Landkreis allein kein gegenteiliger Schluss gezogen werden, zumal – wie von den Beteiligten vorgetragen – ein sehr großer Teil der kommunalpolitischen Entscheidungen mit sehr großen Mehrheiten oder sogar einstimmig getroffen werden. Ein Abwenden von diesen Positionen konnte von der Stadträtin ... daher nicht verlangt werden. Auch können aus dem weiteren Abstimmungsverhalten der Stadträtin ... daher keine für die Annahme eines Austritts nur zum Schein oder zur Gesetzesumgehung sprechenden äußeren Umstände abgeleitet werden. Dies würde auch dem Grundsatz des freien Mandats (vgl. Art. 13 Abs. 2 BV) widersprechen. Nach Art. 13 Abs. 2 BV sind die Landtagsabgeordneten Vertreter des Volkes, nicht nur einer Partei, nur ihrem Gewissen verantwortlich und an Aufträge nicht gebunden. Damit wird das Recht gewährleistet, das Mandat innerhalb der Schranken der Verfassung ungehindert auszuüben, insbesondere frei abzustimmen. Die Gewährleistung des freien Mandats gilt in ihrem Kernbestand auch für Gemeinderatsmitglieder (vgl. BayVerfGH, E.v. 23.7.1984 – Vf. 15-VII-83 – VerfGH 37, 119/121 f.; vgl. auch BVerwG, U.v. 27.3.1992 – 7 C 20/91 – juris Rn. 10; BayVGH, U.v. 16.2.2000 – 4 N 98.1341 – juris Rn. 26). Die Stadträtin ... war demnach seit Juni 2021 bis zu ihrem Eintritt in die Wählergruppe und Fraktion der Antragstellerin Anfang Januar 2024 und damit mehr als zweieinhalb Jahre als Einzelgängerin im Stadtrat vertreten.
53
In Bezug auf den Stadtrat ... ist festzustellen, dass dieser weder Parteimitglied von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN war, mag er auch auf der entsprechenden Liste kandidiert haben, noch der GRÜNEN-Fraktion im Stadtrat beigetreten ist und ein solcher Beitritt von der Fraktion wegen der bestehenden politischen Differenzen wohl auch nicht gewünscht war. Als Stadtrat wurde er erst am 14. November 2023 vereidigt und damit erst mehr als dreieinhalb Jahre nach der Kommunalwahl im März 2020. Er war dabei auch nicht verpflichtet, der GRÜNEN-Fraktion beizutreten. In welcher Weise die Parteien und Wählergruppen oder auch einzelnen Gemeinderatsmitglieder zusammenarbeiten, obliegt ihrer freien Entscheidung (vgl. z.B. BayVGH, U.v. 2.8.1962 – 105 IV 61 – VGH n.F. 15, 82/92; B.v. 7.12.2020 – 4 CE 20.2032 – juris Rn. 35). Wegen des Grundsatzes des freien Mandats (vgl. Art. 13 Abs. 2 BV) können sich Mitglieder kommunaler Vertretungen zur Verwirklichung ihrer politischen Ziele und Vorstellungen auch über die Grenzen der Wahlvorschläge hinweg zusammenschließen. Da das Gemeinderatsmitglied nicht an Weisungen seiner Partei oder Wählergruppe gebunden ist, steht es ihm frei, sich auch mit solchen Mitgliedern zu einer Fraktion zusammenzuschließen, die auf einem anderen Wahlvorschlag gewählt wurden (vgl. Glaser in Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Stand April 2023, Art. 33 Rn. 9). Ein Zwang zur Bildung einer Fraktion ist abzulehnen. Ein Bewerber um ein Gemeinderatsmandat kann daher auch die Partei als „bequemes Vehikel“ für die Eroberung eines Sitzes benutzen und hinterher die Unabhängigkeit der eigenen Persönlichkeit herausstellen (vgl. Fichtner, Die Fraktion im Bayerischen Gemeinderecht, Diss. jur. Bayreuth 1997, S. 92). In dem Fall des Stadtrats ... liegt also ebenfalls kein Fraktionswechsel, sondern vielmehr ein Fraktionsbeitritt eines Einzelgängers vor.
54
Somit ist weiter zu prüfen, ob den formell wirksamen Fraktionsbeitritten der Stadträte ... zur Antragstellerin ausnahmsweise die Ausschusswirksamkeit abzusprechen ist, weil diese nur zum Schein oder in Umgehungsabsicht erfolgt sind, etwa zu dem Zweck, die Stadträte – als insoweit ausschussunfähige Gruppe von zwei Einzelgängern – selbst in die Ausschüsse zu bringen bzw. eine nach dem Gesetz nicht zulässige Zusammensetzung der Ausschüsse herbeizuführen. Denn die Bildung einer Ausschussgemeinschaft der Stadträte ... mit der Antragstellerin auf der Grundlage von Art. 33 Abs. 1 Satz 5 GO wäre diesen verwehrt, da die Antragstellerin bereits aufgrund der eigenen Stärke jeweils einen Ausschusssitz in den streitgegenständlichen Ausschüssen erhält (vgl. wie ausgeführt bereits BayVGH, U.v. 26.11.1954 – 91 IV 54, VGH n.F. 8, 5/10). Die Annahme einer „Gruppe“ liegt bei den Stadträten ..., einem Ehepaar, auch deshalb nahe, weil davon auszugehen sein dürfte, dass sie sehr ähnliche Positionen vertreten, wie sich auch aus den gemeinsamen Erklärungen schließen lässt. Jedenfalls bestehen auch keine konkreten gegenteiligen Anhaltspunkte. Bei der Prüfung sind ebenfalls maßgeblich die äußerlich erkennbaren Gesamtumstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.
55
Von einem Art. 33 Abs. 1 Satz 2 GO widersprechenden (unzulässigen) Zusammenschluss einer für sich allein nicht ausschussfähigen Gruppe mit einer ausschussfähigen Gruppe zu einer Fraktion kann nur dann gesprochen werden, wenn beide Gruppen noch nach dem Zusammenschluss gesonderte Ziele verfolgen, die Vertreter beider Gruppen sich also nach wie vor der Wählerschaft verbunden fühlen, die ihre Stimme dem Wahlvorschlag, auf dem sie gewählt worden sind, und nicht dem anderen Wahlvorschlag gegeben haben (vgl. BayVGH, U.v. 21.8.1961 – 25 IV 61 – BayVBl 1962, 24). Bei der Ausschussbesetzung müssen solche Zusammenschlüsse unberücksichtigt bleiben, die kein gemeinsames Sachprogramm – politische Ziele – haben und nur zum Schein oder zur Gesetzesumgehung eingegangen werden, insbesondere in der (alleinigen) Absicht, zusätzliche Ausschusssitze zu gewinnen (vgl. BayVGH, U.v. 8.1.1986 – 4 B 85 A.2700 – BayVBl 1986, 466/467; vgl. auch BayVGH U.v. 19.10.2022 – 4 BV 22.871 – juris Rn. 36 – Zusammenschluss von politisch gleichgesinnten Mitgliedern der Volksvertretung). Ein Scheinbeitritt liegt – wie ausgeführt – nicht schon dann vor, wenn der Beitritt eine Änderung in der Ausschussbesetzung zur Folge hat. Denn dann dürften Einzelgänger und Mitglieder ausschussunfähiger Gruppen nur dann einer bisher ausschussfähigen Fraktion beitreten, wenn damit keine Verschiebung in der Verteilung der Ausschusssitze eintreten würde, was auch eine Verletzung des Gleichheitssatzes (vgl. Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 118 Abs. 1 BV) zur Folge hätte (vgl. BayVGH, U.v. 2.8.1962 – 105 IV 61, VGH n.F. 15, 82/93).
56
Soweit daher (auch insoweit) eine Abkehr von der bisherigen Partei bzw. Wählerschaft verlangt wird (vgl. auch BayVGH, U.v. 15.7.1992 – 4 B 91.3106 – juris Rn. 17; Geiger, BayVBl 1995, 71/74), dürfte diese – wie dargelegt – bereits vor bzw. auch unabhängig von dem Fraktionsbeitritt erfolgt sein, allerspätestens aber mit diesem Schritt, sodass sich die früheren Erklärungen von Stadträtin ... insoweit auch zeitlich überholt haben. In Bezug auf den Stadtrat ... dürfte sich die Abkehr in dem nicht erfolgten Beitritt zur GRÜNEN-Fraktion manifestiert haben, denn aus diesem Schritt folgten für die Fraktion erhebliche nachteilige organisatorische Konsequenzen. So verlor sie ihren Fraktionsstatus sowie wohl auch ihren Ausschusssitz kraft eigener Stärke.
57
Für einen Beitritt der Stadträte ... zur Fraktion der Antragstellerin nur zum Schein oder zur Gesetzesumgehung könnte sprechen, dass dieser Schritt gerade zu dem Zeitpunkt erfolgt ist, als die Wiedereinführung der Ausschüsse beschlossen worden war und im Zusammenhang mit dem Eintritt des Stadtrats ... in den Stadtrat sich die Chance ergab, auch selbst bei der Ausschussbesetzung beteiligt zu werden. Dies wäre allerdings nur dann durchschlagend, wenn es sich dabei um das einzige (alleinige) Motiv für den Fraktionsbeitritt gehandelt hätte und davon auszugehen wäre, dass die Stadträte ... weiterhin von der Fraktion der Antragstellerin gesonderte Ziele verfolgen, mithin auch die Anforderungen nach § 6 Abs. 1 Satz 1 GeschOStR nicht erfüllt wären, wonach sich Stadtratsmitglieder (nur) zur Erreichung gemeinsamer Ziele zur Fraktionen zusammenschließen können. Denn grundsätzlich kann einem kommunalen Mandatsträger das Recht auf einen Fraktionsbeitritt auch mit dem Ziel einer (nur) damit möglichen Ausschussbeteiligung (und in der Regel auch verbesserter Mitwirkungsmöglichkeiten im Übrigen) nicht abgesprochen werden. Nur einem Beitritt lediglich zum Schein oder zur Gesetzesumgehung soll die Ausschusswirksamkeit versagt werden.
58
Vorliegend dürfte jedoch nach den äußerlichen Gesamtumständen darauf zu schließen sein, dass die Stadträte ... sich im erforderlichen Maße der Antragstellerin zugewendet haben („Hinwendung an die neue Gruppierung“ – betreffend „Fraktionseintritt“) und auch ein gemeinsames Sachprogramm (betreffend zulässiger „Gruppenzusammenschluss“) verfolgen bzw. eine übereinstimmende Grundanschauung teilen (vgl. hierzu Fichtner, Die Fraktion im Bayerischen Gemeinderecht, Diss. jur. Bayreuth 1997, S. 105). Dabei ist es nicht erforderlich, dass sich der grundsätzliche Konsens auch auf eine Übereinstimmung in allen Bereichen und einzelnen Sachfragen erstreckt (vgl. VG Stuttgart, U.v. 23.11.2021 – 7 K 4080/20 – juris Rn. 25).
59
Dies folgt zunächst daraus, dass sie sowohl der Wählergruppe als auch der Fraktion der Antragstellerin förmlich beigetreten sind und von dieser auch förmlich aufgenommen wurden. Nach der Satzung der Wählergruppe BLR (vgl. dort § 2 Abs. 1 und 2) ist deren Zweck die aktive Teilnahme an der politischen Willensbildung sowie die Mitgestaltung des kommunalen Lebens und der Kommunalpolitik in der Stadt B. R. und im Landkreis Berchtesgadener Land. Die BLR kann sich an Kommunalwahlen beteiligen, um dabei die Interessen der Bürgerschaft der Stadt B. R. und des Landkreises Berchtesgadener Land zu vertreten. Die Wählergruppe wirkt als Alternative zu politischen Parteien bei der kommunalpolitischen Willensbildung der Stadt B. R. mit. Sie vertritt dabei alle Bürger in allen kommunalen Angelegenheiten ausschließlich nach sachbezogenen, parteipolitisch unabhängigen und ideologiefreien Grundsätzen. Die Stadträte ... haben nachvollziehbar erklärt, dass sie diese Zielsetzungen teilen, insbesondere erfüllen sie die grundlegende Mitgliedschaftsanforderung, keiner politischen Partei anzugehören. Stadtrat ... gehörte bislang keiner Partei an und Stadträtin ... ist – wie dargelegt ernsthaft und nicht lediglich zum Schein oder zur Gesetzesumgehung – aus ihrer früheren Partei ausgetreten und war bereits geraume Zeit als partei- und fraktionslose Mandatsträgerin im Stadtrat tätig. Diese äußeren Umstände sprechen weiterhin dafür, dass sie die in der Satzung genannten Ziele teilen. Weiterhin hat Stadträtin ... in ihrem Presseinterview zum Beitritt ausgeführt, sie seien schon immer im Austausch gewesen und die GRÜNEN hätten auch lange mit der Bürgerliste zusammengearbeitet. Die Freiheit von parteipolitischen Vorgaben wurde betont. Weiterhin führte sie eine Reihe von Themen an, die sie inhaltlich mit der BLR verbinde. In der gemeinsamen Stellungnahme vom 15. Januar 2024 gab Stadträtin ... an, sie habe bereits nach ihrem Fraktionsaustritt Gespräche mit der Fraktion der BLR gehabt, dort sei ihr signalisiert worden, dass ein Beitritt nicht möglich sei, da sie noch Mitglied bei den GRÜNEN gewesen sei. Sie hätten bereits mit der Eintrittserklärung zur BLR betont, dass sie sich nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre auf kommunalpolitischer Ebene frei von landes- und bundespolitischen Parteivorgaben für ihre Stadt einsetzen wollten. Mittlerweile sei bei vielen Fraktionen der Umweltschutz Bestandteil der politischen Inhalte, sodass diese Themen nicht auf die grüne Partei beschränkt seien. Fast alle im Stadtrat vertretenen Fraktionen und Gruppierungen hätten Natur-, Umwelt- und Klimaschutz sowie den Ausbau des ÖPNV und von Radwegen im Programm. Somit müsse man nicht „Grüner“ sein, um sich für Umweltschutz einzusetzen. Auch die Antragstellerin führt in ihrer Stellungnahme vom 17. Januar 2024 aus, dass es Grundauffassung der Stadträte ... sei, sich für eine sachbezogene Kommunalpolitik frei von parteipolitischen Vorgaben oder Entwicklungen einzusetzen. Dabei obliegt der Fraktion die autonome Entscheidung darüber, mit wie vielen und welchen Mitgliedern sie ihre Aufgabe erfüllen und ihre politischen Ziele umsetzen will (vgl. Fichtner, Die Fraktion im Bayerischen Gemeinderecht, Diss. jur. Bayreuth 1997, S. 150).
60
Demgegenüber dürften keine durchgreifenden äußerlichen Umstände dafür ersichtlich sein, dass es sich bei dem Beitritt der Stadträte ... zur Antragstellerin um einen bloßen Beitritt zum Schein oder in Umgehungsabsicht gehandelt hat. Dass die Möglichkeit der Beteiligung an der Ausschussarbeit ebenfalls ein – auch wesentliches – Motiv für den Fraktionsbeitritt war, reicht für eine solche Annahme – wie ausgeführt – nicht aus. Dass es sich bei dem Fraktionssprecher der Antragstellerin um einen ehemaligen Generalstabsoffizier der Bundeswehr handelt, sagt für sich nichts über die politischen Ziele der Antragstellerin aus, zumal sich diese nach ihrer Satzung auch ausschließlich auf Stadt und Landkreis beschränken. Gleiches gilt hinsichtlich der von Seiten der Beigeladenen aufgeworfenen Frage, ob die Stadträte ... „glaubwürdig von der links-ökologischen Grundausrichtung der GRÜNEN zur rechtskonservativen Bürgerliste gewandert“ seien. Auch diese allgemeine Kategorisierung sagt nichts über die Inhalte der laut Satzung sachbezogenen, parteipolitisch unabhängigen und ideologiefreien Haltung der Antragstellerin und der Stadträte ... in kommunalpolitischen Themen aus. Es reicht zudem aus, dass die Betroffenen sich für ihr kommunalpolitisches Wirken auf eine Linie verständigt haben, eine ansonsten in jeder Hinsicht gegebenen politische Übereinstimmung ist nicht erforderlich. So ist es auch nicht Voraussetzung für einen Fraktionszusammenschluss, dass die Mitglieder derselben Partei oder Wählergruppe angehören (vgl. SächsOVG, B.v. 6.5.2009 – 4 A 116/09 – juris Rn. 8). Ausreichend ist es, dass sie ein außerhalb der Zugehörigkeit zur selben Partei liegendes Homogenitätserfordernis erfüllen, an dessen Nachweis keine übermäßig hohen Anforderungen gestellt werden dürfen (vgl. Fichtner, Die Fraktion im Bayerischen Gemeinderecht, Diss. jur. Bayreuth 1997, S. 106). Zudem geht es – wie ausgeführt – nicht um eine inhaltliche Überprüfung bzw. Bewertung von allgemeinen politischen Haltungen. Im Übrigen dürfte auch der Umstand, dass in der vorherigen Wahlperiode eine gemeinsame Fraktion von GRÜNEN und BLR gebildet worden war, dafürsprechen, dass sich die jeweiligen Positionen jedenfalls nicht grundsätzlich gegenseitig ausgeschlossen haben, mag diese Fraktion dann auch von der Antragstellerin aufgekündigt worden sein. Weiterhin sind auch keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Zusammenschluss nicht auf ein nachhaltiges Zusammenwirken ausgerichtet wäre (vgl. VG Stuttgart, U.v. 23.11.2021 – 7 K 4080/20 – juris Rn. 25; Fichtner, Die Fraktion im Bayerischen Gemeinderecht, Diss. jur. Bayreuth 1997, S. 105). Da sich nun auch den Aussagen des Fraktionssprechers der Beigeladenen (im zuletzt von der Antragstellerin vorgelegten Pressebericht) deutlich entnehmen lässt, dass die Stadträte ... – trotz mehrfachen Angebots – vor dem Beitritt zur Antragstellerin keine Sondierungsgespräche mit der Beigeladenen geführt haben, muss auch der Frage nicht weitergegangen werden, ob die Führung solcher Gespräche ein Indiz für einen Scheinbeitritt hätte sein können.
61
Demnach dürfte sich die rechtliche Bewertung durch die Stadtverwaltung in der Beschlussvorlage zur Sitzung am 30. Januar 2024 im Ergebnis als zutreffend erweisen. Der Umstand, dass Stadträtin ... in der Stadtratssitzung auf das Verlangen nach einer ausdrücklichen Erklärung einer Abkehr des von ihr mitverfassten Wahlprogramms des Ortsverbands der GRÜNEN unter den gegebenen Umständen nicht reagiert hat, vermag hieran – entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin und der Beigeladenen – nichts zu ändern. Hierzu wird auf die obigen ausführlichen Ausführungen zum Grundsatz des freien Mandats, die häufige Kongruenz kommunalpolitischer Positionen, die nicht zulässige inhaltliche Bewertung politischer Überzeugungen der Betroffenen sowie die Beweislastverteilung verwiesen.
62
Im Übrigen wird auch aus den aufgezeigten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs deutlich, dass in den zugrundeliegenden Fällen bei einem (auch) erfolgten Parteibeitritt (wie dem hier erfolgten Beitritt zur Wählergruppe der Antragstellerin) kein Scheinbeitritt oder Umgehungsmanöver angenommen wurde (vgl. BayVGH, U.v. 15.7.1955 – 97 IV 54 – VGH n.F. 8, 97; U.v. 21.8.1961 – 25 IV 61 – BayVBl 1962, 24; vgl. zu einem solchen Fall auch VG Regensburg, U.v. 24.9.2014 – RO 3 K 14.1010 – juris Rn. 31) und umgekehrt bei angenommenen Scheinbeitritten ein Parteiwechsel jeweils nicht erfolgt war und zusätzlich weitere äußere Umstände hinzukamen, wie etwa gruppenweise geschlossen abgegebene Erklärungen, bereits kurz nach der Wahl erfolgte Zusammenschlüsse oder ausdrücklich erfolgte Erklärungen der Betroffenen, der früheren Wählerschaft trotz Fraktionswechsels weiterhin verbunden zu sein (vgl. BayVGH, U.v. 2.8.1962 – 105 IV 61 – VGH n.F. 15, 82; U.v. 7.6.1967 – 2 IV 67 – VGH n.F. 20, 57; U.v. 15.4.1970 – 12 IV 70 – VGH n.F. 23,73; U.v. 7.10.1983 – 4 B 83 A. 1179 – VGH n.F. 37, 3; U.v. 15.7.1992 – 4 B 91.3106 – juris Rn. 17; U.v. 1.3.2000 – 4 B 99.1172 – juris; U.v. 28.9.2009 – 4 ZB 09.858 – juris; vgl. auch VG Regensburg, U.v. 20.1.2004 – RN 3 E 03.02944 – juris Rn. 41). Auch hieraus lässt sich schließen, dass dem erfolgten Partei- bzw. Wählergruppenwechsel eine ganz wesentliche Bedeutung zukommt – damit ändern sich die jeweiligen Stärkeverhältnisse im Gemeinderat – und umgekehrt, dass allein aus dem Fehlen eines solchen Wechsels noch nicht auf ein Schein- oder Umgehungsmanöver geschlossen wird, sondern weitere, hierfür maßgebliche äußere Umstände vorliegen (vgl. auch VG Augsburg, U.v. 10.3.2003 – Au K 02.969 – juris Rn. 44 und 46, wo bereits im Austritt aus Fraktion und Partei die Lossagung von der Wählerschaft gesehen wurde; vgl. zu Fällen nicht erfolgter Parteiwechsel auch VG Regensburg, B.v. 21.7.2000 – RO 3 E 00.1267 – juris Rn. 50; B.v. 19.9.2013 – RN 3 S 13.1463 – juris Rn. 28 ff.).
63
Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Die erforderliche Eilbedürftigkeit ist zweifellos gegeben und die einstweilige Regelung durch das Gericht erscheint notwendig, um die schwerwiegenden Nachteile abzuwenden, die die Antragstellerin im Falle eines Zuwartens bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache treffen würden. Sie wäre auch weiterhin voraussichtlich zu Unrecht in den streitgegenständlichen wesentlichen (beschließenden – vgl. § 8 und § 9 GeschOStR) Ausschüssen des Stadtrats, darunter auch der Haupt- und Tourismusausschuss, unterrepräsentiert. Aus diesem Grund ist es auch erforderlich, dass eine Neuentscheidung über die Sitzverteilung alsbald erfolgt.
64
Die Antragsgegnerin war daher zu verpflichten, vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache über die Besetzung der Ausschüsse Haupt- und Tourismusausschuss, Finanzausschuss sowie Bau- und Umweltausschuss zugunsten der Antragstellerin neu zu beschließen. Für die Umsetzung des Beschlusses hält das Gericht eine Frist bis einschließlich Dienstag, den 9. April 2024 für angemessen. Planmäßig ist die übernächste Stadtratssitzung für den 9. April 2024 vorgesehen.
65
Im Rahmen des nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 938 Abs. 1 ZPO bestehenden freien Ermessens sieht das Gericht die getroffene Anordnung zur Erreichung des Zwecks als geeignet und erforderlich an. Das Gericht ist dabei an den gestellten Antrag nicht gebunden. Auch im Rahmen einer Interessenabwägung dürfte eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung der Beigeladenen mit dem Erlass der einstweiligen Anordnung zugunsten der Antragstellerin nicht zu besorgen sein. Denn die Beigeladene verliert damit keinen von ihr aus eigener Kraft erlangten Ausschusssitz, sondern dürfte vielmehr mit der Antragstellerin (nur) um günstige Folgewirkungen konkurrieren, die sich aus dem Austritt der Stadträtin ... und dem Nichteintritt des Stadtrats ... in die GRÜNEN-Fraktion und der damit verbundenen Änderung des Stärkeverhältnisses im Stadtrat zu Lasten der GRÜNEN-Fraktion in ihrer ursprünglichen Stärke ergeben haben. Daher ist auch nicht von einer unverhältnismäßigen Verzerrung der von Art. 33 Abs. 1 Satz 2 GO geforderten Spiegelbildlichkeit auszugehen. Im Übrigen haben alle Gemeinderatsmitglieder grundsätzlich die gleichen Mitwirkungsrechte, da der Gesamtzahl der gewählten Gemeinderatsmitglieder die Volksvertretung obliegt. Deshalb dürfen die Möglichkeiten von Gemeinderatsmitgliedern, in den Ausschüssen vertreten zu sein, nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeit, insbesondere der Erforderlichkeit eingeschränkt werden (vgl. Lohner/Zieglmeier, BayVBl 2007, 481/487 im Zusammenhang mit Minderheitenschutz und Spiegelbildlichkeitsprinzip; vgl. zu dem in Art. 30 Abs. 1 Satz 1 GO und Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG enthaltenen Prinzip der grundsätzlichen Gleichbehandlung aller Mitglieder der Vertretungskörperschaft mit grundsätzlich gleicher Mitwirkungsbefugnis aller auch BayVGH, U.v. 16.2.2000 – 4 N 98.1341 – juris Rn. 28). Soweit Mitglieder der Beigeladenen Ausschusspositionen verlieren, sind sie in ihrem Vertrauen, diese auch weiterhin zu behalten, insoweit nicht schutzwürdig, da die Vergabe bereits selbst streitig erfolgt und daher auch konkret mit einer Beanstandung des Beschlusses und/oder Einlegung von Rechtsmitteln zu rechnen war. Zudem erweist sich die Zuteilung nach hiesiger Auffassung mit hoher Wahrscheinlichkeit als rechtswidrig, sodass diese bereits unrechtmäßig erlangt worden sein dürften.
66
Da die Hauptsache derzeit nicht anhängig ist, bleibt es der Antragsgegnerin unbenommen, zu beantragen, der Antragstellerin nach § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 926 Abs. 1 ZPO aufzugeben, binnen einer vom Gericht zu bestimmenden Frist Klage zu erheben (vgl. OVG NW, B.v. 18.06.2021 ‒ 13 B 331/21, juris Rn. 1; VG Sigmaringen, B.v. 17.11.2022 ‒ 4 K 2313/22 juris Rn. 15; VG München, B.v. 22.11.2023 – M 7 E 23.5047 – juris Rn. 47; vgl. auch Huber in Musielak/Voit, ZPO, 20. Aufl. 2023, § 926 Rn. 4 ff.).
67
Die Kosten des Verfahrens haben gemäß § 154 Abs. 1 und Abs. 3 VwGO die Antragsgegnerin und die Beigeladene, die ebenfalls Antragsablehnung beantragt und damit einen Sachantrag gestellt hat, jeweils zu gleichen Teilen zu tragen. Es entspricht der Billigkeit, dass im Verhältnis zwischen Beigeladener und Antragsgegnerin kein Ausgleich erfolgt, sondern dass sie ihre eigenen außergerichtlichen Kosten jeweils selbst tragen (vgl. OVG NW, U.v. 10.11.2023 – 7 A 1553/22 – juris Rn. 176).
68
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 1.5, 22.7 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. auch BayVGH, B.v. 26.10.2020 – 4 CE 20.2238 – juris Rn. 28).