Inhalt

VG München, Beschluss v. 08.02.2024 – M 19 S 23.3081
Titel:

Fahrerlaubnisentziehung wegen regelmäßig übermäßigen Gebrauchs des synthetischen Cannabinoids ADB-BINACA

Normenketten:
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV § 11 Abs. 7, § 46 Abs. 1, Anl. 4 Nr. 9.4
Leitsatz:
"Regelmäßig" iSd Nr. 9.4. der Anlage 4 zur FeV ist nicht so zu verstehen wie in Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV (tägliche oder nahezu tägliche Einnahme von Cannabis), sondern es genügt, wenn der Gebrauch häufiger als nur sporadisch vorkommt. Es kommt dem klaren Wortlaut nach auch nicht darauf an, ob der Antragsteller zwischen Fahrzeugführung und Konsum psychoaktiv wirkender Stoffe trennen kann. (Rn. 38) (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Entziehung der Fahrerlaubnis, Einnahme von psychoaktiv wirkenden Stoffen (synthetisches Cannabinoid ADB-BINACA), Nachweisbarkeit der missbräuchlichen Einnahme (bejaht), Fahrerlaubnis, Entziehung, feststehende Fahrungeeignetheit, psychoaktiv wirkenden Stoffe, regelmäßig übermäßiger Gebrauch, synthetisches Cannabinoid ADB-BINACA, keine Gutachtensanordnung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 12789

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 8.750 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen AM, B, BE, C1, C1E, D, D1, D1E, L.
2
Aufgrund mehrfacher Verstöße des Antragstellers gegen das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) und seiner Anhörung zu einer beabsichtigten Fahrerlaubnisentziehung verzichtete der Antragsteller am 28. August 2015 auf seine Fahrerlaubnis. Diese wurde ihm nach Vorlage eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens am 9. Februar 2017 wiedererteilt.
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Am 27. Oktober 2022 stellte der Antragsteller bei der Fahrerlaubnisbehörde einen Antrag auf Erteilung einer Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung.
4
Am 2. März 2023 wurde der Fahrerlaubnisbehörde des Antragsgegners durch Mitteilung der Polizeiinspektion … bekannt, dass gegen den Antragsteller ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz eingeleitet worden war. Nach den polizeilichen Feststellungen rauchte der Antragsteller am F. Bahnhof am 8. Januar 2023 einen „Joint“, welcher sich aus einer Mischung aus Tabak und einem – durch spätere Laboruntersuchungen und ein Gutachten des Kriminaltechnischen Instituts des Bayerischen Landeskriminalamts (S. 25 ff. der Behördenakte) bestätigt – synthetischen Cannabinoid (ADB-BINACA) zusammensetzte. Im Rahmen einer daran anknüpfenden, im Einverständnis des Antragstellers durchgeführten Wohnungsnachschau wurden 15,18 Gramm einer Kräutermischung desselben synthetischen Cannabinoides in der Wohnung des Antragstellers sichergestellt. Bei seiner Beschuldigtenvernehmung am 9. Januar 2023 gab der Antragsteller an, die bei ihm aufgefundene Mischung sei kein Marihuana. Rauschgift nehme er schon seit dem Jahr 2014 nicht mehr ein. Die bei ihm vorgefundenen Mischungen rauche er regelmäßig. Hiervon verspüre der Antragsteller ein kurzes „High“. Der Rausch dauere ungefähr fünf bis zehn Minuten. Er bestelle zweimal pro Monat im Internet zwei Packungen der Mischung, eine mit 5 Gramm und eine mit 6 Gramm. Diese Einkäufe tätige er seit sieben bis acht Jahren, jeden Monat in dergleichen Routine.
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Mit Schreiben vom 23. März 2023 hörte die Fahrerlaubnisbehörde den Antragsteller unter Fristsetzung bis zum 11. April 2023 zur beabsichtigten Entziehung seiner Fahrerlaubnis wegen missbräuchlicher Einnahme von „anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen“ nach Nr. 9.4 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung (FeV) an. Bei den beim Antragsteller vorgefundenen Mischungen handele es sich zwar nicht um ein Betäubungsmittel im Sinne des § 1 BtMG. Die Mischungen fielen jedoch unter § 2 Nr. 1 Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz (NpSG).
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Mit Antwortschreiben vom 5. April 2023 führte der damalige Bevollmächtigte des Antragsgegners aus, die Anforderungen der Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV seien nicht erfüllt. Vorausgesetzt sei eine regelmäßige und übermäßige Einnahme. Gerade bei der Einordnung des Konsums des Cannabinoids des Antragstellers als „übermäßig“ handele es sich um eine bloße Unterstellung.
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Der Antragsgegner erwiderte hierauf mit Schreiben vom 17. April 2023, für einen regelmäßigen Konsum sei eine tägliche oder nahezu tägliche Einnahme nicht erforderlich, vielmehr genüge es, wenn der Gebrauch häufiger als nur sporadisch vorkomme. Zum Kriterium der „Übermäßigkeit“ berief sich der Antragsgegner auf eine Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, wonach es hierfür schon ausreiche, wenn der Betroffene angebe, „manchmal“ Blüten eines psychoaktiven Stoffs zu sich zu nehmen. Es sei offenkundig, dass der vom Antragsteller eingenommene Stoff psychoaktiv wirke, da dieser angebe, dadurch „high“ zu werden.
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Am 27. April 2023 trug der Bevollmächtigte des Antragstellers gegenüber der Behörde vor, dass allein die Erkenntnis über die durch den Antragsteller eingenommene Menge der betreffenden Mischung in Höhe von 5 oder 6 Gramm keinen Schluss über deren Anteil an synthetischen Cannabinoiden zulasse. Ferner konsumiere der Antragsteller die Mischung lediglich an freien Tagen. Im Übrigen übe der Antragsteller seinen Beruf als Busfahrer verantwortungsvoll aus.
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Mit Bescheid vom 24. Mai 2023, dem Antragsteller zugestellt mittels Postzustellungsurkunde am 25. Mai 2023, entzog der Antragsgegner dem Antragsteller seine Fahrerlaubnis aller Klassen (Nr. 1), lehnte seinen Antrag auf Erteilung der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung ab (Nr. 2), gab diesem auf, seinen Führerschein innerhalb von sieben Tagen nach Zustellung dieses Bescheids dem Landratsamt zu übergeben (Nr. 3), drohte für den Fall der Nichterfüllung der Nr. 3 ein Zwangsgeld in Höhe von 500,- EUR an (Nr. 4) und ordnete die sofortige Vollziehung der Nr. 1 bis 3 an (Nr. 5).
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen Folgendes ausgeführt: Aufgrund des durch den Antragsteller selbst eingeräumten regelmäßigen Konsums des psychoaktiven Stoffs ADB-BINACA stehe seine Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen fest, sodass ihm die Fahrerlaubnis unmittelbar ohne vorherige Anordnung eines ärztlichen Gutachtens nach § 11 Abs. 7 FeV i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV zu entziehen sei. Die Äußerungen zu seinem Konsumverhalten ließen den Schluss zu, dass dieser – unabhängig von dem jeweils in der Mischung enthaltenen Wirkstoff – die Substanz so lange rauche, bis der Rausch eintrete. Auf einen Bezug zum Straßenverkehr komme es nicht an. Die unter Nr. 3 des Bescheids ergangene Aufforderung zur Ablieferung des Führerscheins ergebe sich aus § 3 Abs. 2 StVG i.V.m. § 47 Abs. 1 Satz 1 FeV. Die Androhung des Zwangsgelds in Nr. 4 des Bescheids sei ihrer Höhe nach angemessen. Wegen der schwerwiegenden Gefahren, die von ungeeigneten Kraftfahrern ausgingen, müssten die beruflichen und privaten Interessen des Antragstellers gegenüber dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug der Nr. 1 bis 3 des Bescheids zurücktreten. Auf den Bescheid im Übrigen wird ergänzend Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
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Am 31. Mai 2023 lieferte der Antragsteller seinen Führerschein bei der Fahrerlaubnisbehörde ab.
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Der Antragsteller ließ seinen Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom 23. Juni 2023 Klage erheben und beantragte gleichzeitig,
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die aufschiebende Wirkung der Klage einstweilen herzustellen.
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Zur Begründung wurden im Wesentlichen die Ausführungen in den Schreiben an die Fahrerlaubnisbehörde wiederholt. Die Selbstbezichtigungen des Antragstellers in der Beschuldigtenvernehmung wurden bestritten. Es handele sich bei der durch den Antragsteller bei der Polizeikontrolle am 8. Januar 2023 konsumierten Mischung um keinen verbotenen Stoff. Eine missbräuchliche, d.h. regelmäßige und übermäßige Einnahme von psychoaktiven Stoffen stehe nicht fest. Der Antragsteller könne zwischen Fahrzeugführung und Konsum psychoaktiv wirkender Stoffe trennen. Die Fahrerlaubnisentziehung stelle für ihn ein faktisches Berufsverbot dar.
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Der Antragsgegner legte daraufhin am 3. Juli 2023 auf elektronischem Weg die Behördenakte vor und beantragte,
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den Antrag abzulehnen.
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In seiner Antragserwiderung führt der Antragsgegner im Wesentlichen aus, die Angaben des Antragstellers zum regelmäßigen Erwerb und Konsum psychoaktiver Stoffe seien offenbar in dem Glauben erfolgt, keine strafrechtlichen Konsequenzen befürchten zu müssen, während fahrerlaubnisrechtliche Konsequenzen nicht in den Blick genommen worden seien. Der Widerruf seiner Äußerungen ohne Nennung von konkreten Gründen, welche gegen ihre Richtigkeit sprächen, erfolge nun lediglich unter dem Eindruck der Entziehung der Fahrerlaubnis. Hinweise auf Verfahrensfehler bei der polizeilichen Vernehmung bestünden nicht. Ein übermäßiger Gebrauch psychoaktiv wirkender Stoffe stehe vorliegend fest, weil mit der Einnahme der hierfür auch geeigneten psychoaktiv wirkenden Stoffe ausschließlich das Ziel verfolgt werde, einen Rauschzustand herbeizuführen.
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Am 18. Oktober 2023 übersendete die Behörde dem Gericht kopierte Auszüge aus der staatsanwaltlichen Ermittlungsakte des Antragstellers (Az: 506 Js 8114/23), welche der Gerichtsakte beiliegen. Diese Auszüge enthalten Fotos von den bei der Wohnungsnachschau am 8. Januar 2023 aufgefundenen „Jointstummeln“ und Utensilien zur Einnahme von Drogen sowie Fotos vom Display des beschlagnahmten Mobiltelefons des Antragstellers, auf dem entsprechend der Aussagen des Antragstellers Bestätigungen über zwei Internet-Bestellungen von Kräutermischungen im Dezember angezeigt werden. Zudem befindet sich unter den Auszügen die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Landshut vom 7. September 2023 hinsichtlich des Tatgeschehens am 8. Januar 2023. Diese wurde damit begründet, dass es sich bei den beim Antragsteller aufgefundenen Stoffen nicht um Betäubungsmittel nach dem BtMG handele, sodass eine Bestrafung nach § 29 BtMG nicht in Betracht komme. Auch eine Strafbarkeit nach § 4 NpSG scheide mangels Weitergabe der Stoffe aus.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakte im Verfahren des Antragstellers sowie auf die Gerichts- und Behördenakte in der Hauptsache ergänzend Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 VwGO).
II.
20
1. Der Antrag des Antragstellers auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage vom 23. Juni 2023 ist in interessengerechter Auslegung (vgl. § 122 Abs. 1 i.V.m. § 88 VwGO) so zu verstehen, dass nur hinsichtlich Nr. 1 und 3 des Bescheids die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 23. Juni 2023 beantragt ist (§ 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO) und hinsichtlich Nr. 4 des Bescheids die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (§ 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO). Da hinsichtlich Nr. 2 des Bescheids nicht die einstweilige Erteilung der Erlaubnis zur Fahrgastbeförderung beantragt wurde und der Antragsteller anwaltlich vertreten ist, ist davon auszugehen, dass der Eilantrag sich nicht auf die Ablehnung der Erlaubnis zur Fahrgastbeförderung erstreckt, gegen die vorläufiger Rechtsschutz nur über einen Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO erreicht werden könnte.
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2. Der so verstandene Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
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a) Der Antrag ist zulässig.
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aa) Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist statthaft, wenn die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs begehrt wird, die kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 bis 3a) oder durch Sofortvollzugsanordnung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) entfallen ist, d.h. wenn streitgegenständlich in der Hauptsacheklage die Rechtmäßigkeit eines angegriffenen Verwaltungsakts ist. Dies ist hier der Fall.
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Der Anfechtungsklage gegen die Verwaltungsakte in Nr. 1 und 3 des Bescheids kommt nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO keine aufschiebende Wirkung zu, da die Behörde in Nr. 5 des Bescheids die sofortige Vollziehbarkeit der Nr. 1 und 3 angeordnet hat. Der Klage kommt auch hinsichtlich der Nr. 4 des Bescheids nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 21a Satz 1 VwZVG keine aufschiebende Wirkung zu, sodass nach Art. 21a Satz 2 VwZVG ebenfalls ein Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO statthaft ist.
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bb) Dem Antrag fehlt auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis, da gegen den angefochtenen Bescheid vom 24. Mai 2023 rechtzeitig innerhalb der einmonatigen Klagefrist nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO am 23. Juni 2023 Klage erhoben wurde, sodass der Bescheid nicht in Bestandskraft erwachsen ist.
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b) Der Antrag ist jedoch unbegründet.
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aa) Die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung hinsichtlich Nr. 1 und 3 des Bescheids genügt den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Nach dieser Vorschrift ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen. Dabei hat die Behörde unter Würdigung des jeweiligen Einzelfalls darzulegen, warum sie abweichend vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung, die Widerspruch und Klage grundsätzlich zukommt, die sofortige Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts angeordnet hat. An den Inhalt der Begründung sind dabei allerdings keine zu hohen Anforderungen zu stellen (Schmidt in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 43).
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Die Fahrerlaubnisbehörde hat hier unter Einbeziehung der privaten Interessen des Klägers dargelegt, warum sie konkret im Fall des Antragstellers im Interesse der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs die sofortige Vollziehung angeordnet hat. Durch die missbräuchliche Einnahme psychoaktiv wirkender Stoffe könne die Leistungsfähigkeit des Antragstellers zu verantwortlichen Entscheidungen wie dem Verzicht auf motorisierte Verkehrsteilnahme jederzeit unvorhersehbar vorübergehend beeinträchtigt sein, sodass die dadurch verursachten schwerwiegenden Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer hier den Sofortvollzug rechtfertigten. Im Übrigen ergibt sich das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung im Bereich des Sicherheitsrechts regelmäßig – so auch hier – gerade aus den Gesichtspunkten, die für den Erlass des Verwaltungsakts selbst maßgebend waren (vgl. BayVGH, B.v. 9.2.2012 – 11 CS 11.2272 – juris).
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bb) Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Klage im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Das Gericht trifft dabei eine originäre Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gebotene, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer Interessenabwägung.
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Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Anfechtungsklage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (stRspr, vgl. u.a. BVerwG, U.v. 23.10.2014 – 3 C 3.13 – juris Rn. 13), hier also der Zeitpunkt des Bescheidserlasses.
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Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe erweisen sich die im streitgegenständlichen Bescheid getroffenen Entscheidungen der Entziehung der Fahrerlaubnis und der Ablieferungsverpflichtung des Führerscheins nach summarischer Prüfung zum maßgeblichen Zeitpunkt ihres Erlasses als rechtmäßig und verletzen den Antragsteller nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), sodass die Klage insoweit voraussichtlich erfolglos bleiben wird.
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(1) Der Bescheid erweist sich in Nr. 1 und 3 voraussichtlich als rechtmäßig.
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(a) Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde dem Inhaber einer Fahrerlaubnis, der sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist, die Fahrerlaubnis zu entziehen. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV gilt dies insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist, vgl. § 46 Abs. 1 Satz 2, § 11 Abs. 1 Satz 1 FeV i.V.m. § 2 Abs. 4 StVG. Nach § 11 Abs. 7 FeV unterbleibt zur Feststellung der Nichteignung die Anordnung zur Beibringung eines ärztlichen Gutachtens (§ 14 Abs. 1 Nr. 3 FeV) vor der Entziehung der Fahrerlaubnis nur dann, wenn die Nichteignung zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde feststeht.
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Nach Nummer 9.4 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV entfällt bei missbräuchlicher Einnahme (regelmäßig übermäßiger Gebrauch) von psychoaktiv wirkenden Arzneimitteln und anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen die Fahreignung. Dies gilt unabhängig von einer Teilnahme am Straßenverkehr in berauschtem Zustand und vom Vorliegen konkreter Ausfallerscheinungen beim Betroffenen.
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Dies zugrundgelegt ist die Behörde nach summarischer Prüfung hier zu Recht vom Nachweis der missbräuchlichen Einnahme psychoaktiv wirkender Stoffe durch den Antragsteller und damit von seiner Fahrungeeignetheit ausgegangen. Nach Aktenlage steht ein regelmäßig übermäßiger Gebrauch von „anderen psychoaktiv wirkenden Soffen“ i.S.d. Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV hier gemäß § 11 Abs. 7 FeV fest.
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(aa) Bei der im Rahmen der Polizeikontrolle am 8. Januar 2023 beim Antragsteller vorgefundenen Kräutermischung handelt es sich nach dem Gutachten des kriminaltechnischen Instituts des Landeskriminalamts um eine mit dem Cannabinoid ADB-BINACA versetzte Mischung. Dieser Stoff fällt dem Gutachten nach zwar nicht unter § 1 BtMG, aber unter § 2 Nr. 1 NpSG i.V.m. Nr. 2 der Anlage zum NpSG und ist damit ein „anderer psychoaktiv wirkender Stoff“ i.S.d. Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV. Bei einer missbräuchlichen Einnahme der unter § 2 Nr. 1 NpSG fallenden Stoffe können intensive psychische Wirkungen wie z.B. Halluzinationen und Panikattacken auftreten. Die Wirkung klassischer Drogen wird imitiert, die Stoffe sind jedoch (strafrechtlich) legal.
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(bb) Das Tatbestandsmerkmal der „Regelmäßigkeit“ ist nach Aktenklage zu bejahen.
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„Regelmäßig“ i.S.d. Nr. 9.4. der Anlage 4 zur FeV ist nicht so zu verstehen wie in Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV (tägliche oder nahezu tägliche Einnahme von Cannabis), sondern es genügt, wenn der Gebrauch häufiger als nur sporadisch vorkommt (BayVGH, B.v. 16.1.2020 – 11 CS 19.1535 – juris Rn. 25; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl. 2023, § 2 StVG Rn. 65).
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Gemessen hieran nimmt der Antragsteller den psychoaktiv wirkenden Stoff regelmäßig ein. Der Antragssteller gab in seiner Beschuldigtenvernehmung an, die Kräutermischungen mit dem Cannabinoid über einen Zeitraum von sieben bis acht Jahren jeden Monat zweimal gekauft und bewusst konsumiert zu haben. Aus dem Umstand, dass der Antragsteller sich aus der Packung mehrere „Joints“ drehen kann, lässt sich schließen, dass allein in einem Monat ein mehrfacher Konsum stattfindet. Das nachträgliche Bestreiten seiner in der Beschuldigtenvernehmung getätigten Aussagen ist unglaubhaft. Die beiden Einkäufe der Kräutermischungen im Dezember sind nachgewiesen, da die Kaufbestätigungen auf dem beschlagnahmten Mobiltelefon des Antragstellers vorgefunden wurden. Dies entspricht den ursprünglichen Angaben des Antragstellers. Dieser ist in der Vergangenheit mehrfach polizeilich durch Drogenkonsum in Erscheinung getreten, was er selbst auch in der Beschuldigtenvernehmung einräumt („das mit dem Rauschgift habe ich schon hinter mir“). Auch die detailreiche Erklärung über die genauen zeitlichen Abstände und Mengen spricht für die Wahrheit seiner Aussagen. Die freimütigen Äußerungen des Antragstellers, der die Polizeibeamten am 8. Januar 2023 sogar freiwillig in seine Wohnung eintreten ließ, obwohl sich die mit dem Cannabinoid versetze Mischung nebst Utensilien zur Einnahme offen auf seinem Wohnzimmertisch befanden (s. hierzu die Auszüge aus der Ermittlungsakte mit den entsprechenden Beweisfotos), legen nahe, dass dieser aufgrund der (strafrechtlichen) Legalität der Droge keine Konsequenzen fürchtete und die fahrerlaubnisrechtlichen Folgen schlicht nicht im Blick hatte. Auch vor diesem Hintergrund kommt seinen Aussagen ein hoher Wahrheitsgehalt zu. Hinzu kommt, dass auch der Konsum des Cannabinoids am 8. Januar 2023 durch das Gutachten des Kriminaltechnischen Instituts des Bayerischen Landeskriminalamts nachgewiesen ist.
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(cc) Das Tatbestandsmerkmal der „Übermäßigkeit“ liegt ebenfalls vor.
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Dieses Kriterium wird maßgeblich danach beurteilt, ob der Drogenkonsument eine Substanz zu sich nimmt, um sich zu berauschen oder dazu, einem Leiden entgegenzuwirken. Bei Personen, die psychoaktiv wirkende Stoffe (Arzneimittel oder andere Stoffe) im Rahmen einer ärztlichen Behandlung zu sich nehmen (Patienten), ist – anders als bei anderen Konsumenten – häufig von einer hohen Zuverlässigkeit und Verantwortlichkeit (Compliance) und einem achtsamen Umgang mit der Medikation und den Nebenwirkungen auszugehen, der sich sogar positiv auf die Fahreignung auswirken kann (vgl. VG Würzburg, B.v. 19.10.2020 – W 6 S 20.1305 – juris Rn. 59 zu Medizinalcannabis, das nicht unter Nr. 9.2., sondern ebenfalls unter 9.4 der Anlage 4 zur FeV fällt; BT-Drs. 18/11701, S. 6). Bei diesen Personen liegt ein übermäßiger Gebrauch bei verordnungswidriger Einnahme vor (Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl. 2023, § 2 StVG Rn. 65). Werden psychoaktiv wirkende Stoffe – wie hier – ohne ärztliche Verordnung regelmäßig zu sich genommen, sind dementsprechend keine zu hohen Anforderungen an das Kriterium der Übermäßigkeit zu stellen (vgl. BayVGH, B.v. 16.1.2020 – 11 CS 19.1535 – juris Rn. 25).
42
Dies zugrundgelegt ist hier von einem übermäßigen Gebrauch psychoaktiv wirkender Stoffe durch den Antragsteller auszugehen. Zwar ist dem Antragsteller darin zuzustimmen, dass sich allein aus der Einnahme einer größeren Menge der vom Antragsteller monatlich erworbenen Kräutermischung über den Monat verteilt nicht automatisch auch die regelmäßige Einnahme einer übermäßigen Menge der Mischung und erst recht keine regelmäßige Einnahme einer übermäßigen Menge des darin enthaltenen Cannabinoids schließen lässt. Nach dem Gutachten des Kriminaltechnischen Instituts des Bayerischen Landeskriminalamts tritt bei einer Einnahme von 0,1 bis 0,3 Gramm derartiger Kräutermischungen der Rausch ein. Dem Antragsteller wurde hier jedoch nicht medizinisch nachgewiesen, dass er diese Mengen regelmäßig zu sich nimmt. Allerdings gab dieser in der Beschuldigtenvernehmung an, die Mischung mit dem Cannabinoid immer so lange zu rauchen, bis der Rausch eintrete. Ziel der Einnahme ist daher das Erreichen des Rauschzustands und nicht die Linderung etwaiger Schmerzen. Daher kommt es auf den späteren Vortrag des Bevollmächtigten des Antragstellers im Schreiben an die Behörde vom 27. April 2023, in dem er auf eine belastende familiäre Situation für den Antragsteller hingewiesen hat, da dessen Ex-Frau neu geheiratet und die Kinder mit in die neue Familie genommen habe, nicht an. Denn seiner eigenen Aussage nach kommt es dem Antragsteller gerade nicht auf eine moderate Einnahme des Wirkstoffs, sondern auf das Erreichen des Rauschzustands an. Der spätere Widerruf dieser Äußerungen ist nicht glaubhaft (s.o.).
43
(dd) Anders als der Antragsteller meint, kommt es hinsichtlich Nr. 9.4 der Anlage 4 der FeV – im Gegensatz zu Nr. 9.2.2 der Anlage – dem klaren Wortlaut nach auch nicht darauf an, ob der Antragsteller zwischen Fahrzeugführung und Konsum psychoaktiv wirkender Stoffe trennen kann (vgl. VG Würzburg, B.v. 19.10.2020 – W 6 S 20.1305 – juris Rn. 59).
44
(ee) Anhaltspunkte dafür, dass im vorliegenden Fall der Konsum psychoaktiv wirkender Stoffe ausnahmsweise i.S.d. Vorbemerkung 3 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV nicht zur Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen nach deren Nummer 9.4 hätten führen können, sind nicht ersichtlich.
45
(b) Damit durfte die Fahrerlaubnisbehörde nach Aktenlage zu Recht davon ausgehen, dass die Fahrungeeignetheit des Antragstellers zum maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheidserlasses feststeht, sodass diesem nach § 11 Abs. 7 FeV die Fahrerlaubnis unmittelbar zu entziehen war. Ein Ermessen steht der Behörde hierbei nicht zu (BayVGH, B.v. 30.8.2021 – 11 CS 21.1933 – juris Rn. 9). Der Gesetzgeber hat die typischerweise mit der Fahrerlaubnisentziehung einhergehenden negativen Folgen in privater und beruflicher Hinsicht bei Erlass der Regelungen zur Fahrerlaubnisentziehung berücksichtigt und als zumutbar eingestuft. Auch im Fall des Antragstellers, für den die Fahrerlaubnisentziehung ein (vorübergehendes) faktisches Berufsverbot im Hinblick auf seine Tätigkeit als Busfahrer darstellt, ist in der Fahrerlaubnisentziehung mit Blick auf die schwerwiegenden Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer durch ungeeignete Kraftfahrer kein Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz zu sehen.
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(2) Da somit die sofortige Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis der summarischen gerichtlichen Überprüfung standhält, ist auch die Abgabeverpflichtung als begleitende Anordnung (Nr. 2 des Bescheids), die ebenfalls für sofort vollziehbar erklärt wurde, geboten, um die Ablieferungspflicht nach § 47 Abs. 1 FeV durchzusetzen. Die Anordnung zur Abgabe des Führerscheins hat sich insbesondere nicht durch die zwischenzeitlich erfolgte Abgabe an den Antragsgegner erledigt, sondern stellt eine Rechtsgrundlage für das Einbehalten des Dokuments dar (BayVGH, B.v. 6.10.2017 – 11 CS 17.953 – juris Rn. 9; B.v. 12.2.2014 – 11 CS 13.2281 – juris Rn. 22).
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(3) Auch die Zwangsgeldandrohung in Nr. 4 des Bescheids erweist sich vor diesem Hintergrund voraussichtlich als rechtmäßig, sodass der diesbezüglich gestellte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 23. Juni 2023 nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO ebenso wenig Erfolg hat.
48
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Nrn. 1.5 und 46 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.