Titel:
Erfolgreiche Klage eines Iraner auf Gewährung subsidiären Schutzes
Normenkette:
AsylG § 4 Abs. 1
Leitsatz:
Eine schwerwiegende erniedrigende Behandlung hat der EGMR in Fällen angenommen, in denen bei den Opfern Gefühle von Furcht, Todesangst und Minderwertigkeit verursacht wurden, die geeignet waren, zu erniedrigen oder zu entwürdigen und möglicherweise ihren physischen oder moralischen Widerstand zu brechen, wobei die Kriterien hierfür jeweils aus den Umständen des Einzelfalls abzuleiten sind. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Herkunftsland Iran, subsidiärer Schutz gewährt, Kläger ist uneheliches Kind, alleinstehende Mutter mit weiterem Kind, gesellschaftliche Diskriminierung, keinen Kontakt zur Familie, Asylverfahren, Iran, außereheliches Kind, Minderjähriger, Halbwaise, westlicher Lebenswandel, Diskriminierung, Christentum, identitätsprägende christliche Festigung, evangelisch-methodistische Kirche, Segnung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 12747
Tenor
1. Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 23. April 2020, Gesch.Z. …, verpflichtet, dem Kläger den subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG zuzuerkennen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens zu 1/3 und die Beklagte zu 2/3. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3. Das Urteil ist bezüglich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Der Kläger ist iranischer Staatsangehöriger und aserbaidschanische Volkszugehörigkeit. Er wurde in der Bundesrepublik am … 2020 geboren. Die Mutter des Klägers und dessen älterer Bruder sind Kläger im Verfahren AN 1 K 22.30261. Sie wenden sich gegen die Ablehnung eines Folgeantrags als unzulässig.
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1. Die Mutter des Klägers stellte am 2. März 2020 für den Kläger einen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt). Zur Begründung wurde durch die Bevollmächtigte des Klägers angeführt, dass der Kläger christlich erzogen werde. Die Mutter des Klägers habe sich vom Kindsvater in Deutschland endgültig getrennt, da dieser schwerst drogenabhängig sei. Der Kindesvater sei zwischenzeitlich im April 2020 verstorben. Die Kindesmutter befürchte, dass sie bei einer Rückkehr in den Iran ihr Kind an die Familie des Kindesvaters zurückgeben müsse, da sie im Iran nach Scharia-Recht verheiratet sei. Es sei zumindest von einem Abschiebungsverbot zugunsten des Klägers auszugehen.
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Mit Bescheid vom 23. April 2020 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag des Klägers ab (Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids). Weder die Flüchtlingseigenschaft noch der subsidiäre Schutzstatus wurden zuerkannt (Ziffern 1 und 3). Es wurde festgestellt, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen (Ziffer 4). Dem Kläger wurde eine Ausreisefrist von 30 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheids bzw. im Falle der Klageerhebung von 30 Tagen nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens gesetzt. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung in den Iran angedroht (Ziffer 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 6). Auf die Begründung des Bescheids wird nach § 77 Abs. 3 AsylG Bezug genommen.
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2. Der Kläger ließ am 13. Mai 2020 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach erheben und beantragen,
- 1.
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Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 23. April 2020, zugestellt am 4. Mai 2020, Geschäftszeichen: …, wird in Ziffer 1, 3, 4, 5 und Ziffer 6 aufgehoben.
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Die beklagte Bundesrepublik Deutschland wird verpflichtet, festzustellen, dass dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist (§ 3 Abs. 4 Hs. 1 AsylG);
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die beklagte Bundesrepublik Deutschland wird verpflichtet, festzustellen, dass der Kläger subsidiär schutzberechtigt ist (§ 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG);
- 4.
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die beklagte Bundesrepublik Deutschland wird verpflichtet, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 im Hinblick in den Iran bestehen.
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Zur Begründung wurden im Wesentlichen eine Bestätigung der evangelisch-methodistische Kirche, Bezirk … vom 5. April 2022 vorgetragen, wonach der Kläger am 27. Februar 2022 im Gottesdienst gesegnet worden sei. Die Mutter des Klägers pflege den christlichen Glauben. Desweiteren wurde vorgelegt ein Gemeindebrief vom 27. März 2022, in dem von der Segnung berichtet wird. Zudem drohe dem Kläger im Iran die erzwungene Trennung von seiner Mutter durch die Familie des verstorbenen Vaters. Hierbei handele es sich um eine schwerwiegende Verletzung aus Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 6 Abs. 1 GG. Die Mutter des Klägers sei zudem psychisch stark belastet. Die Familie des Ehemannes unterstelle ihr, dass sie sich nicht ausreichend um die Kinder kümmere. Der Bruder des Klägers habe psychische Beeinträchtigungen. Es sei nicht denkbar, dass die Mutter des Klägers, mit dem Kläger und dem weiteren Bruder abseits der Familie des verstorbenen Vaters ein Leben führen könne. Der Mutter drohe aufgrund des westlichen Lebensstils eine übergriffige und drangsalierende Behandlung durch staatliche und nichtstaatliche Akteure. Auf die weiteren Ausführungen zur Klagebegründung wird Bezug genommen.
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3. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und beantragte,
Die Klage wird abgewiesen.
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Zur Begründung bezog sie sich auf den streitgegenständlichen Bescheid.
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4. Mit Beschluss vom 23. Januar 2024 wurde der Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Durch weiteren Beschluss vom 23. Januar 2024 wurde der Antrag auf Prozesskostenhilfe abgelehnt.
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5. In der mündlichen Verhandlung am 22. April 2024 war der Kläger in Begleitung seiner Mutter und dem Bruder mit der Bevollmächtigten erschienen. Die Beklagte war nicht vertreten. Das Verfahren wurde zur gemeinsamen mündlichen Verhandlung mit dem Verfahren AN 1 K 22.30261 verbunden. Im Übrigen wird auf das Protokoll Bezug genommen.
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6. Bezüglich des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Trotz Ausbleibens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung konnte mündlich verhandelt und entschieden werden, weil auf § 102 VwGO in der Ladung hingewiesen wurde.
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Die zulässige Klage hat aus dem im Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg und war im Übrigen abzuweisen. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 23. April 2020 war insoweit aufzuheben, als er der Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG zu Gunsten des Klägers entgegenstand, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO.
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1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes nach § 3 AsylG.
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1.1. Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG. Flüchtling im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ist, wer sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung außerhalb des Lands (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Gemäß § 28 Abs. 1a AsylG kann die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Heimatland verlassen hat.
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Prognosemaßstab für die Frage einer Verfolgung im Sinne der §§ 3 ff. AsylG ist der Maßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“. Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk“) (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25.10 – und v. 1.3.2012 – 10 C 7.11 – beide juris).
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Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und sie deshalb die dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Ergeben die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ („real risk“) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen (BVerwG, EuGH-Vorlage vom 7.2.2008 – 10 C 33.07 – juris).
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Es ist Sache des Schutzsuchenden, von sich aus die näheren Umstände einer (Vor-) Verfolgung vorzutragen, § 25 Abs. 1 AsylG. Dazu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei verständiger Würdigung die Verfolgung ergibt. Das Gericht muss sich sodann im Wege freier Beweiswürdigung gemäß § 108 Abs. 1 VwGO die volle Überzeugung von der Glaubhaftigkeit einer solchen Aussage verschaffen. Hierbei gilt der allgemeine Grundsatz, dass das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen darf, sondern sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen einen brauchbaren Grad an Gewissheit verschaffen muss, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen. Die besondere Beweisnot des Schutzsuchenden, dem häufig die üblichen Beweismittel fehlen, ist zu berücksichtigen. Mit Rücksicht darauf kommt dem persönlichen Vorbringen des Schutzsuchenden und dessen Würdigung gesteigerte Bedeutung zu (vgl. BVerwG, U.v. 6.3.1990 – 9 C 14.89 – juris).
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1.2. Gemessen an diesen Maßgaben geht das Gericht zu Gunsten des Klägers nicht davon aus, dass ihm der Flüchtlingsschutz zuzuerkennen wäre. Dies gilt zunächst vor dem Hintergrund des Vortrags zu seiner Zugehörigkeit zum Christentum. Insgesamt hält das Gericht diesen zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch nicht für ausreichend, um von einer identitätsprägenden christlichen Festigung beim Kläger auszugehen. Der Kläger wurde nach den Angaben der Klägerseite bislang im Jahr 2022 lediglich gesegnet. Eine Taufe ist aktuell noch nicht erfolgt. Die Mutter, die in ihrem ersten erfolglosen Asylverfahren sich ebenfalls auf eine Konversion zum Christentum berufen hatte, hat für den selbst nach § 5 KErzG nicht reli-gionsmündigen Kläger angegeben, ihn christlich zu erziehen. Aus der Bestätigung der evangelisch-methodistischen Kirche … vom 8. April 2024 lässt sich zudem schließen, dass sie mit dem Kläger regelmäßig im Gottesdienst sei. In der mündlichen Verhandlung wurde dieser Vortrag aber nicht weiter substantiiert.
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Eine Flüchtlingszuerkennung kam auch nicht mit Blick auf § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG in Betracht. Hiernach kann sich eine Furcht vor Verfolgung auch aus der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ergeben. Dies kam nicht vor dem Hintergrund in Betracht, dass der Kläger aus einer unehelichen Beziehung stammt. Das Gericht hält diesen Verfolgungsgrund im Ergebnis nicht für einschlägig, da es an dem erforderlichen Merkmal der Erkennbarkeit für die Gesellschaft i.S.v. von § 3b Abs. 1 Nr. 4 lit. b AsylG fehlt.
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2. Der Kläger hat aber einen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 AsylG.
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2.1. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär schutzberechtigt, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AsylG), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG).
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Eine schwerwiegende erniedrigende Behandlung hat der Gerichtshof in Fällen angenommen, in denen bei den Opfern Gefühle von Furcht, Todesangst und Minderwertigkeit verursacht wurden, die geeignet waren, zu erniedrigen oder zu entwürdigen und möglicherweise ihren physischen oder moralischen Widerstand zu brechen. Die Kriterien hierfür sind jeweils aus den Umständen des Einzelfalls abzuleiten (vgl. EGMR, U.v. 7.7.1989 – 14038, 1/1989/161/217 – NJW 1990, 2183 ff.; BayVGH, U.v. 17.3.2016 – 13a B 15.30241 – juris).
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Nach § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c AsylG muss der drohende ernsthafte Schaden ausgehen vom Staat (Nr. 1), Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2), oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nummern 1. und 2. genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, im Sinne von § 3d AsylG Schutz vor einem ernsthaften Schaden zu bieten (Nr. 3). Einem Ausländer wird der subsidiären Schutz gemäß § 4 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 3e AsylG allerdings nicht zuerkannt, wenn eine sogenannte inländische Fluchtalternative gegeben ist. Dies ist der Fall, wenn in einem anderen Teil des Herkunftsstaates keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. der Zufügung eines ernsthaften Schadens besteht und er sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Die Furcht vor Verfolgung bzw. einem ernsthaften Schaden ist begründet, wenn dem Ausländer die genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – NVwZ 2013, 936 ff.).
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2.2. Davon ausgehend, steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass dem Kläger im Falle einer Rückkehr in den Iran mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG droht. Hierfür ist aus Sicht des Einzelrichters zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung wesentlich, dass im konkreten Einzelfall der Kläger nur mit seiner alleinerziehenden Mutter und seinem älteren Bruder, die Kläger im Verfahren AN 1 K 22.30261 sind, wieder in den Iran zurückkehren würde und der Kläger aus einer unehelichen Beziehung stammt.
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Nach den vorliegenden Erkenntnismitteln wird bei einem Antrag auf Ausstellung einer Geburtsurkunde für „uneheliche“ Kinder offenbar, dass ein Kind von unverheirateten Eltern geboren wurde. Die Eltern gelten dann per Gesetz als Straftäter, die unerlaubten Geschlechtsverkehr gehabt haben, sodass ihnen auch eine entsprechende Strafverfolgung droht (vgl. VG Köln, U.v. 18.4.2023 – 12 K 3652/20.A – juris). Da bei Kindern von unverheirateten Eltern keine familiäre Abstammung angenommen wird, sind Erbansprüche grundsätzlich ausgeschlossen. Fehlt alleinstehenden Frauen der Rückhalt ihres Partners bzw. ihrer eigenen Familie, so befinden sie sich schnell am Rande der Gesellschaft und sind gezwungen, sich zum Wohle ihres Kindes mit der Gesellschaft zu arrangieren (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Iran, 13.4.2023, S.111 f.).
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Die Mutter des Klägers kann bei einer Rückkehr mit keiner Unterstützung ihrer Familie rechnen. Nach den glaubhaften Angaben im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat sie den Kontakt schon zum Zeitpunkt der Beziehung zu dem verstorbenen Partner gänzlich abgebrochen, da ihre eigene Familie gegen die uneheliche Beziehung gewesen sei. Von der Familie des verstorbenen Partners wird die Mutter nach ihren detaillierten Angaben dauerhaft unter Druck gesetzt und für den Tod des Partners verantwortlich gemacht. Sie wird offenbar auch wegen ihres westlichen Lebenswandels von der Familie beschimpft. Mit Blick auf ihre psychisch angeschlagene Situation wird sie kaum in der Lage sein, den gemeinsamen Lebensunterhalt für sich und die beiden minderjährigen und kleinen Kinder sichern zu können (vgl. auch VG Stuttgart, U.v. 20.1.2022 – A 11 K 11463/18 – juris).
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Ein ausreichender Schutz des Klägers vor einem Schaden im Sinne des § 4 AsylG im Iran ist nicht gewährleistet. Ein solcher effektiver Schutz läge nur dann vor, wenn die in § 3c Nr. 1 und 2 AsylG genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen in der Lage und willens wären, Schutz zu bieten (§ 3c Nr. 3 AsylG). Ein solcher Schutz muss wirksam und nicht nur vorübergehender Art sein (§ 3d Abs. 2 Satz 1 AsylG). Generell ist er nur gewährleistet, wenn die in § 3d Abs. 1 AsylG genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung bzw. den Schaden zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung (oder im Falle des § 4 AsylG einen ernsthaften Schaden) begründen und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat (§ 3d Abs. 2 Satz 2 AsylG). Hiervon ist gegenwärtig im Iran nicht auszugehen (vgl. VG Aachen, U.v. 15.12.2022 – 5 K 507/19.A – juris).
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Für den Kläger besteht auch keine Möglichkeit, internen Schutz nach § 3e AsylG in Anspruch zu nehmen. Die dargestellten Defizite bestehen landesweit im Iran. Ausweichmöglichkeiten gibt es nicht.
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3. Die in dem streitgegenständlichen Bescheid unter Ziffer 4 getroffenen Feststellungen, die Abschiebungsandrohung in den Iran (Ziffer 5) und die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 AufenthG (Ziffer 6) sind wegen der Verpflichtung zur Gewährung subsidiären Schutzes gegenstandslos und werden klarstellend aufgehoben.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 VwGO; das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.