Inhalt

VG Würzburg, Beschluss v. 05.06.2024 – W 8 S 24.30857
Titel:

Konversion eines iranischen Staatsangehörigen vom Islam zum Christentum

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
GG Art. 16a Abs. 4
AsylG § 30 Abs. 1 Nr. 8, § 36 Abs. 3, Abs. 4 S. 1, § 71 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 3
Leitsätze:
1. Der Ausspruch der offensichtlichen Unbegründetheit mit der Konsequenz der sofortigen Vollziehung der Abschiebungsandrohung ist die gesetzliche Folge der Ablehnung eines Asylfolgeantrags als in der Sache unbegründet (§ 30 Abs. 1 Nr. 8 Alt. 1 AsylG). (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die damit verbundene Einschränkung des Rechtsschutzes ist jedoch nur dann gerechtfertigt, wenn, wie vom BVerfG für das bisherige Recht gefordert, auch hier eine eindeutige Aussichtslosigkeit des Asylantrags gegeben ist. Daher sind an die die Entscheidung des Bundesamts tragende Begründung erhöhte Anforderungen zu stellen. (Rn. 19 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Iran, Konversion vom Islam zum Christentum, Sofortantrag, zulässiges Folgeverfahren, erfolgte Durchführung eines weiteren Asylverfahrens, Ablehnung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet, Offensichtlichkeitsausspruch kraft Gesetzes, ernstliche Zweifel an Rechtmäßigkeit, keine eindeutige Aussichtlosigkeit des Asylantrages, erhöhte Begründungsanforderungen an Ablehnung als Gewähr für materielle Richtigkeit, fehlende umfassende Würdigung des gesamten Vorbringens des Antragstellers unter Einbeziehung aller vorliegenden Erkenntnisse, Übernahme einer Patenschaft, zulässiges Asylfolgeverfahren, vorläufiger Rechtsschutz, offensichtlich unbegründeter Asylantrag kraft Gesetzes, ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit, erhöhte Begründungsanforderungen bei Ablehnung, umfassende Würdigung des gesamten Vorbringens, Einbeziehung aller vorliegenden Erkenntnisse
Fundstelle:
BeckRS 2024, 12746

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Verfahrens W 8 K 24.30856 gegen die unter Nr. 5 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 8. Mai 2024 verfügte Abschiebungsandrohung wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich gegen den Sofortvollzug der Androhung der Abschiebung in den Iran infolge der Ablehnung seines Folgeantrags als offensichtlich unbegründet.
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Der Antragsteller ist iranischer Staatsangehöriger. Ein erster Asylantrag wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 8. Dezember 2020 (AN 19 K 20.30703 – juris) unanfechtbar abgelehnt. Am 3. November 2022 stellte der Kläger einen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Folgeantrag). Zur Begründung gab er im Wesentlichen an: Er sei vom Islam zum Christentum konvertiert und habe seinen christlichen Glauben vertieft; er sei auch Taufpate seines Neffen.
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Mit Bescheid vom 10. März 2023 lehnte die Antragsgegnerin den Folgeantrag als unzulässig ab. Mit Urteil vom 12. Juni 2023 hob das Verwaltungsgericht Würzburg im Verfahren W 8 K 23.30207 den Bescheid der Antragsgegnerin vom 10. März 2023 auf.
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Am 27. Oktober 2023 hörte die Antragsgegnerin den Antragsteller informatorisch an.
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Mit Bescheid vom 8. Mai 2024 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), den Antrag auf Asylanerkennung (Nr. 2) und den Antrag auf subsidiären Schutz (Nr. 3) als offensichtlich unbegründet ab. Weiter stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Die Abschiebung in den Iran bzw. in einen anderen Staat wurde angeordnet. Die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und der Lauf der Ausreisefrist wurden bis zum Ablauf der einwöchigen Klagefrist und, im Falle einer fristgerechten Stellung eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt (Nr. 5). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Der Antragsteller habe angegeben, sich nun auch exilpolitisch zu betätigen und seinen christlichen Glauben gefestigt zu haben. Aufgrund der neuen Elemente könne der Vortrag des Antragstellers bei objektiver Beurteilung mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu einer günstigen Entscheidung beitragen. Die Voraussetzungen für einen Folgeantrag seien erfüllt. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes (Flüchtlingseigenschaft und subsidiärer Schutz) und die Anerkennung als Asylberechtigter lägen nicht vor. Der Vortrag des Antragstellers, er habe seinen christlichen Glauben intensiviert, nachgewiesen durch die Bestätigung über die Patenschaft bei der Taufe seines Enkelkindes, führe vorliegend nicht zur Gewährung des subsidiären Schutzes. Der Antragsteller habe sich in der Folgeantragsbegründung nur minimal auf die erfolgte Patenschaft bezogen. Die Bedeutung der Patenschaft sei nicht näher erläutert worden. Sämtliche Aussagen zur Glaubensauslebung seien knapp und oberflächlich. Der Rückschluss werde gezogen, dass es sich bei der vorgetragenen Patenschaft um einen taktischen Schritt im Folgeverfahren handele, der nicht auf einer inneren Überzeugung und einen Qualitätssprung in der Hinwendung zum Christentum hindeute, sondern ausschließlich zum Zweck diene, einen Flüchtlingsschutz zu erhalten. Ein wesentlicher Unterschied zu der bereits in dem vorangegangenen Verfahren geäußerten Hinwendung zum Christentum sei weder benannt worden noch sonst ersichtlich. Aus den vorgelegten Unterlagen sei auch ein Qualitätssprung nicht ersichtlich. Die aufgenommenen exilpolitischen Aktivitäten begründeten keine Verfolgungsgefahr. In der Gesamtschau sei die Motivation und Hinwendung zum christlichen Glauben als solches nicht in schlüssiger Form dargestellt. Gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 8 AsylG sei ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer einen Folgeantrag (§ 71 Abs. 1 AsylG) gestellt habe und ein weiteres Asylverfahren durchgeführt werde. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor.
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Mit Beschluss vom 29. Mai 2024 stellte das Verwaltungsgericht Würzburg im Verfahren W 8 K 24.30763 – nach Erlass des streitgegenständlichen Bescheides und nach übereinstimmender Erledigungserklärung – das Verfahren betreffend eine vor Bescheidserlass erhobenen Untätigkeitsklage ein.
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Am 31. Mai 2024 ließ der Antragsteller im Verfahren W 8 K 24.30856 Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid erheben und im vorliegenden Sofortverfahren b e a n t r a g e n:
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Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung wird angeordnet.
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Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Die Ausführungen bei der Bundesamtsanhörung müssten zusammen mit den Ausführungen des Antragstellers in der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 12. Juni 2023 im Verfahren W 8 K 23.30207 gesehen werden, als über die Zulässigkeit des Asylfolgeantrags entschieden worden sei. Diese Ausführungen würden von Dritten gestützt. Der Antragsteller habe nachvollziehbar und glaubhaft vorgetragen, dass er mit der Übernahme der Patenschaft seines Neffen eine neue Verantwortung übernommen und angenommen habe. Daneben habe sich der Antragsteller erfolgreich darum bemüht, dass seine muslimischen Eltern an der Taufe teilgenommen hätten, und er habe ihnen die Bedeutung der Taufe erklärt. Im Ergebnis habe der Antragsteller damit seine christliche Haltung vertieft. Es könne nicht nachvollzogen werden, wenn das Bundesamt ausführe, sämtliche Aussagen zur Glaubensauslebung seien knapp und oberflächlich. So zeigten die Ausführungen des Antragstellers in beiden Anhörungen, dass er sich tief mit dem Glauben beschäftigt habe und dies auch seine Persönlichkeit präge. Es bestehe auch eine innere Beziehung zu seinem Leben. Insofern müssten die Erfolgsaussichten der Klage zumindest als offen angesehen werden, weshalb die aufschiebende Wirkung anzuordnen sei.
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Die Antragsgegnerin b e a n t r a g t e mit Schriftsatz vom 4. Juni 2024, den Antrag abzulehnen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten (einschließlich der Akten der Verfahren W 8 K 24.30856 und W 8 K 23.30207) sowie die beigezogenen Behördenakten (einschließlich der Akten des Erstverfahrens Bezug genommen.
II.
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Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage W 8 K 24.30856 gegen die unter Nr. 5 des streitgegenständlichen Bescheides vom 8. Mai 2024 verfügte Abschiebungsandrohung hat Erfolg.
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Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist nach § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. VwGO in Verbindung mit § 30 Abs. 1 Nr. 8, § 36 Abs. 3, § 71 Abs. 5 Satz 3 AsylG statthaft und auch sonst zulässig. Die Klage entfaltet nach Maßgabe von § 75 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO keine aufschiebende Wirkung. Sofortantrag und Klage wurden innerhalb der Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG eingelegt.
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Der Antrag ist auch begründet, weil ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheides bestehen.
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Im Rahmen des Aussetzungsverfahrens nach § 36 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO ordnet das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich der gemäß § 36 Abs. 3, § 75 Abs. 1 AsylG sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung an, wenn das persönliche Interesse des Asylsuchenden, von der sofortigen Aufenthaltsbeendigung vorerst verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an ihrer sofortigen Durchsetzung übersteigt. Dabei darf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 16a Abs. 4 Satz 1 GG, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG nur bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes erfolgen. „Ernstliche Zweifel“ im Sinne der genannten Vorschrift liegen nur dann vor, wenn erhebliche Gründe dafürsprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166, 189 ff. – juris Rn. 99).
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Bei der gerichtlichen Überprüfung der Ablehnung eines Asylantrages als offensichtlich unbegründet ist für das Eilverfahren erschöpfend zu prüfen, ob die Antragsgegnerin aufgrund einer umfassenden Würdigung der ihr vorgetragenen oder sonst erkennbaren maßgeblichen Umstände unter Ausschöpfung aller ihr vorliegenden und zugänglichen Erkenntnismittel entschieden und in der Entscheidung klar zu erkennen gegeben hat, weshalb der Antrag offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist, sowie, ob die Ablehnung als offensichtlich unbegründet auch weiterhin Bestand haben kann (vgl. BVerfG, B.v. 25.2.2019 – 2 BvR 1193/18 – juris Rn. 21).
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Ausgehend von diesen Grundsätzen fällt die vorzunehmende Interessenabwägung zugunsten des Antragstellers aus. Denn unter Würdigung des vorliegenden Akteninhalts und der sonstigen Erkenntnisse bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung und der ihr zugrundeliegenden Entscheidung der Antragsgegnerin hinsichtlich der Ablehnung des Folgeantrags als unbegründet.
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Die Ablehnung als offensichtlich unbegründet folgt aus § 30 Abs. 1 Nr. 8 1. Alt. AsylG. Sie ist in dieser Konstellation vom Gesetzgeber vorgegeben. Danach ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn – wie hier – der Ausländer gemäß § 71 AsylG einen Folgeantrag gestellt hat und ein weiteres Asylverfahren durchgeführt wurde. Da das Bundesamt vorliegend in die Prüfung eingestiegen ist und ein weiteres Asylverfahren durchgeführt hat – und damit keine Ablehnung des Folgeantrags als unzulässig ausgesprochen –, ist der Ausspruch der offensichtlichen Unbegründetheit mit der Konsequenz der sofortigen Vollziehung der Abschiebungsandrohung gesetzliche Folge einer Ablehnung des Asylfolgeantrags als in der Sache unbegründet (vgl. VG Augsburg, B.v. 11.4.2024 – Au 5 S 24.30322, Au 5 K 24.30321 – juris Rn. 23; vgl. auch VG Hamburg, B.v. 11.4.2024 – 10 AE 1473/24 – juris Rn. 14).
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Gleichwohl ist auch in der vorliegenden Fallkonstellation des vom Gesetzgeber zwingend vorgegebenen Offensichtlichkeitsausspruchs gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 8 AsylG bei Ablehnung des Asylantrags nach Durchführung eines Folgeverfahrens ist eine damit verbundene Einschränkung des Rechtsschutzes – gerade auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten – nur gerechtfertigt, wenn, wie vom Bundesverfassungsgericht für das bisherige Recht gefordert, auch hier eine eindeutige Aussichtslosigkeit des Asylantrages gegeben ist (vgl. VG Hamburg, B.v. 11.4.2024 – 10 AE 1473/24 – juris Rn. 15 mit Bezug auf BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166, 189 ff. – juris Rn. 89 f.).
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Infolgedessen sind mit Blick auf die gravierenden Folgen einer qualifizierten Ablehnung des Asylantrages an die die Entscheidung des Bundesamtes tragende Begründung erhöhte Anforderungen zu stellen. Solche erhöhten Begründungsanforderungen dienen der wirksamen Durchsetzung des materiellen Asylanspruchs in einem dafür geeigneten Verfahren und der Sicherung des von Art. 16a Abs. 1 GG grundsätzlich auch geschützten vorläufigen Bleiberechts des Asylbewerbers. Sie sollen die Gewähr für die materielle Richtigkeit der Entscheidung verstärken (Heusch in BeckOK, AuslR, Kluth/Heusch, 41. Ed. Stand 1.4.2024, § 30 AsylG Rn. 48 m.w.N.). Hat der Asylbewerber wie hier sein Asylbegehren auf ein umfassendes Vorbringen gestützt, so muss sich das Bundesamt damit intensiv auseinandersetzen. Dies muss sich auch in seiner Begründung niederschlagen, wobei es letztlich auf die konkreten Umstände des Einzelfalls ankommt, welche Begründungstiefe und -weite geboten ist (vgl. Heusch in BeckOK, AuslR, Kluth/Heusch, 41. Ed. Stand 1.4.2024, § 30 AsylG Rn. 50).
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Des Weiteren ist zu Folgeverfahren in der vorliegenden Konstellation bei Durchführung eines weiteren Asylverfahrens zu beachten, dass über die Zulässigkeitsprüfung hinaus die erneute Prüfung des Asylbegehrens in der Sache insgesamt zu erfolgen hat, wobei grundsätzlich auch ein früheres Vorbringen des Asylsuchenden zu berücksichtigen ist. Die Verpflichtung zu einer erneuten Sachprüfung in vollem Umfang besteht, soweit der in zulässiger Weise geltend gemachte Grund für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens reicht, hier bezogen auf die Konversion und auf die exilpolitischen Aktivitäten (vgl. VG Würzburg, U.v. 2.1.2023 – W 8 K 22.30737 – juris Rn. 29 m.w.N.; etwa BVerwG, B.v. 5.8.1987 – 9 B 318/86 – Buchholz 402.25, § 14 AsylVfG Nr. 6; U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – BVerwGE 146, 67).
22
Das Gericht hat zudem schon im vorhergehenden Verfahren betreffend die Zulässigkeit des Folgeantrags darauf hingewiesen, dass auch die früheren Aktivitäten des Antragstellers im Zusammenhang mit der Konversion zu berücksichtigen sein könnten, weil auch Umstände, die schon während des Erstverfahrens vorhanden waren, relevant sein können und das Vorbringen des Klägers in einem neuen Licht zu bewerten sein kann (vgl. VG Würzburg, U.v. 12.6.2023 – W 8 K 23.30207 – UA S. 7 f. mit Bezug auf EuGH, U.v. 9.9.2021 – C 18/20 – juris Rn. 33 ff.). Denn die Prüfung eines Folgeantrags erfordert auch gemäß Art. 4 Abs. 3 RL 2011/95/EU europarechtlich eine individuelle Prüfung dieses Antrags anhand aller in Rede stehenden Umstände durch die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, wobei alle relevanten Tatsachen zu berücksichtigen sind. Erforderlich ist eine umfassende Prüfung aller Umstände des konkreten individuellen Falles, was jeglichen Automatismus ausschließt (EuGH, U.v. 29.2.2024 – C-222/22 – juris Rn. 34 ff. – zur Konversion Iraners vom Islam zum Christentum – m.w.N. zur EuGH-Rechtsprechung).
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Ausgehend von den vorstehend skizzierten Grundsätzen sprechen erhebliche Gründe dafür, dass der streitgegenständliche Bescheid der Antragsgegnerin einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält. Denn nach Überzeugung des Gerichts ist das Begehren des Antragstellers nicht eindeutig aussichtslos, so dass sich eine Abweisung seines Antrags nicht aufdrängt. Es fehlt schon an einer umfassenden Prüfung in einer den erhöhten Anforderungen entsprechenden Begründung in der Ablehnung der Antragsgegnerin, die eine hinreichende Richtigkeitsgewähr bietet.
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Denn der ablehnende Bescheid befasst sich hauptsächlich auf den Seiten 6 und 7 vorwiegend mit der Würdigung der übernommenen Patenschaft des Antragstellers für seinen Neffen (nicht Enkel) und bezieht sich des Weiteren primär nur auf die letzte Anhörung vom 27. Oktober 2023, lässt aber eine umfassende Prüfung des Vorbringens des Antragstellers, die seine gesamten Darlegungen sowohl im Erstverfahren als auch im Folgeverfahren mit einbezieht, vermissen und unterlässt auch eine konkrete Prüfung, ob möglicherweise das beim VG Ansbach im Urteil zum Erstverfahren (VG Ansbach, U.v. 8.12.2020 – AN 19 K 20.30703 – juris Rn. 41 und 46 ff.) noch als unzureichend beurteilte Vorbringen des Antragstellers durch das spätere Vorbringen und die vorliegenden neuen Erkenntnisse nunmehr in einem anderen Licht erscheinen könnte. Denn der Antragsteller hat etwa schon in seiner schriftlichen Folgeantragsbegründung vom November 2022 seine Vorfluchtgeschichte erneut aufgegriffen und ergänzend vorgebracht, ihm sei zugetragen worden, dass der Freund seines Bruders, der ihnen in ihrer Hauskirche im Iran Unterricht gegeben habe, sowie ein weiterer Freund, der an dem Unterricht in der Hauskirche teilgenommen habe, zu hohen Haftstrafen verurteilt worden sei. Der Antragsteller hat überdies seit 2018 bei den verschiedenen Anhörungen wiederholt seine Vorfluchtgeschichte aufgegriffen und konsistent dargelegt, ohne sich dabei über die Jahre hinweg in Widersprüche zu verwickeln, was bei einem erfundenen Schicksal zu erwarten gewesen wäre. Hinzu kommt, dass sich die Vorfluchtgeschichte des Antragstellers teilweise mit der seiner Schwester deckt bzw. überschneidet und das Vorbringen der Schwester – wie der Antragsgegnerin bekannt ist – vom Verwaltungsgericht Würzburg als glaubhaft beurteilt wurde (vgl. VG Würzburg, U.v. 1.8.2022 – W 8 K 21.31291 – juris Rn. 18 ff.).
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Gleichermaßen schilderte der Antragsteller – wie auch in seinem Antragsschriftsatz vom 31. Mai 2024 dargelegt – seine Beweggründe für die Konversion vom Islam zum Christentum. Er brachte auch insoweit durchweg ein in sich stimmiges und konsequentes Vorbringen, ohne aufzubauschen. Er beharrte hartnäckig auf seiner neu gewonnenen Glaubensüberzeugung.
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Auch zu der von ihm übernommenen Patenschaft bei der Taufe seines Neffen, die dem Gericht zudem aus den Verfahren der Schwester (VG Würzburg, U.v. 1.8.2022 – W 8 K 21.31291 – juris) und deren Lebensgefährten, dem Vater des Neffen (VG Würzburg, U.v. 3.4.2023 – W 8 K 22.30693 – unveröffentlicht) bekannt ist, macht der Antragsteller tiefgreifende Ausführungen. Insofern erschließt sich dem Gericht nicht, wieso sämtliche Aussagen des Antragstellers knapp und oberflächlich sein sollten.
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Vielmehr hat das Gericht den Eindruck, dass die streitgegenständliche Begründung der Antragsgegnerin eher kurzgehalten ist. Wie ausgeführt war die Antragsgegnerin gehalten, eine erneute Vollprüfung des Asylantrages unter Berücksichtigung des gesamten Vorbringens vorzunehmen und sich nicht nur auf die Patenschaft und die damit verbundene Möglichkeit eines Qualitätssprungs zu beschränken, da es nicht um die mögliche Zulässigkeit des neuen Asylverfahrens geht, sondern um eine Vollprüfung des Asylantrags selbst. Abgesehen davon hat die Antragsgegnerin im streitgegenständlichen Bescheid auf Seite 4 selbst ausgeführt, dass der Vortrag des Antragstellers aufgrund der neuen Elemente bei objektiver Beurteilung „mit erheblicher Wahrscheinlichkeit“ zu einer günstigen Entscheidung beitragen kann, ohne diese Feststellung bei der weiteren Prüfung aufzugreifen und zu berücksichtigen.
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Das Gericht hatte des Weiteren schon in seinem vorhergehenden Urteil vom 12. Juni 2023 im Verfahren W 8 K 23.30207 auf Seite 10 mit Bezug auf das Vorbringen des Antragstellers ausgeführt, dass dieser glaubhaft vorgebracht habe, er habe sich nach Ablehnung des Erstantrags weiter intensiv und über lange Zeit mit dem christlichen Glauben auseinandergesetzt und dabei eine christliche Identität entwickelt, die nach außen erkennbar sei. Er habe an seinem Glauben gerade festgehalten. Verdeutlicht werde dies auch durch seine Funktion als Taufpate bei der Taufe seines Neffen, was ihm besonders wichtig gewesen sei. Er habe das Amt als Taufpate gerade übernommen, weil er Christ sei. Es sei sein Wunsch gewesen. Er werde auch in Zukunft, wenn das Kind älter sei, mit dem Kind über das Christentum sprechen. In dem betreffenden Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 12. Juni 2023 erklärte der Antragsteller weiter, dass er nicht nur die Kirche sonntäglich besuche, sondern sich auch die Bibelstellen, die es in der Kirche gebe, merke und zu Hause auf Farsi auch nachlese. Weiter erläuterte er in Bezug auf seinen Taufspruch von Jeremia die Bedeutung von Jesus Christus.
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Soweit die Antragsgegnerin dem Antragsteller vorhält, dass es sich bei der vorgenommenen Taufpatenschaft um einen taktischen Schritt handele, widerspricht das nicht nur dem persönlichen Eindruck des Gerichts, auch aus den Erkenntnissen des Gerichts aus den Verfahren der Schwester des Klägers und deren Lebensgefährten (VG Würzburg, U.v. 1.8.2022 – W 8 K 21.31291 – juris bzw. U.v. 3.4.2023 – W 8 K 22.30693 – unveröffentlicht). Vielmehr ist diese Argumentation auch für sich schon fragwürdig, weil angesichts der Willkür der iranischen Behörden und der Unberechenbarkeit ihres Vorgehens die Annahme eines asyltaktischen Verhaltens für sich nicht geeignet ist, eine Verfolgungsgefahr bei einer Rückreise auszuschließen (vgl. nur VG Würzburg, U.v. 25.3.2024 – W 8 K 23.30739 – juris Rn. 70 mit Verweis auf VG Würzburg, U.v. 19.2.2024 – W 8 K 23.30832 – noch unveröffentlicht, UA S. 43 ff., 48 f.).
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In dem vorstehend zitierten, der Antragsgegnerin bekannten Urteil vom 19. Februar 2024 hat das erkennende Gericht darüber hinaus ausgeführt, dass keine aktuellen konkreten Erkenntnisse ersichtlich sind, dass die iranischen Behörden Nachfluchtaktivitäten (insbesondere Konversion vom Islam zum Christentum und/oder exilpolitische Aktivitäten) realistisch einschätzten und infolgedessen mit einer Verfolgung nicht zu rechnen sei. Soweit sich die Antragsgegnerin auf Seite 9 des streitgegenständlichen Bescheides auf „die Erkenntnislage“ bezieht, führt sie insoweit keinerlei Erkenntnisquellen an, sondern verweist nur auf eine Entscheidung des VG Würzburg (U.v. 31.1.2022 – W 8 K 21.31264 – juris Rn. 61 ff.), die jedoch insoweit überholt ist, weil sich dort die betreffenden Passagen auf 17 Jahre alte Erkenntnisse beziehen, die nicht mehr aufrechterhalten wurden (vgl. dazu ausführlich VG Würzburg, U.v. 19.2.2024 – W 8 K 23.30832 – noch unveröffentlicht, UA S. 43 ff.).
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Nach alledem sprechen unter Einbeziehung des gesamten schriftlichen und mündlichen Vorbringens des Klägers in den verschiedenen Verfahren und auch unter Berücksichtigung des Vorbringens seiner Schwester (VG Würzburg, U.v. 1.8.2022 – W 8 K 21.31291 – juris) sowie von deren Lebensgefährten (vgl. VG Würzburg, U.v. 3.4.2023 – W 8 K 22.30693 – unveröffentlicht) erhebliche Gründe dafür, dass die ablehnende und nicht in der gebotenen Weise begründete Entscheidung der Antragsgegnerin einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird, weil ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ablehnung bestehen.
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Vielmehr spricht Vieles für eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit des Antragstellers bei einer Rückkehr in den Iran infolge seiner Konversion vom Islam zum Christentum, da er den Eindruck erweckt, aufgrund einer tiefen inneren Glaubensüberzeugung lebensgeschichtlich nachvollziehbar den christlichen Glauben angenommen zu haben und dass er aufgrund seiner persönlichen religiösen Prägung entsprechend seiner neu gewonnenen Glaubens- und Moralvorstellungen das unbedingte Bedürfnis hat, seinen Glauben auch in Gemeinschaft mit anderen öffentlich auszuüben, weil bei ihm eine andauernde christliche Prägung vorliegt (vgl. im Einzelnen zu den Voraussetzungen für die Annahme einer flüchtlingsrelevanten Konversion vom Islam zum Christentum bei Iranern etwa VG Würzburg, U.v. 8.1.2024 – W 8 K 23.30461 – juris Rn. 20 f. m.w.N. zur Rspr.).
33
Angesichts der vorliegenden ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheides überwiegt das Interesse des Antragstellers, jedenfalls bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache von einer Abschiebung nach Iran verschont zu bleiben.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.