Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 02.05.2024 – Au 9 K 23.30782
Titel:

Erfolglose Asylklage einer Äthiopierin

Normenketten:
GG Art. 16a
AsylG § 3d Abs. 1 Nr. 4 Hs. 4,§ 3e, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
EMRK Art. 3
Leitsatz:
Die weibliche Genitalverstümmelung ist in Äthiopien seit 2005 strafbar, es werden Kampagnen zu ihrer Abschaffung durchgeführt und schädliche traditionell oder kulturell bedingte Praktiken, wie Genitalverstümmelung oder Zwangsehen sollen bis zum Jahre 2025 endgültig abgeschafft sein. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Äthiopien, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Anerkennung als Asylberechtigte (verneint), Gefahr der weiblichen Genitalverstümmelung (FGM), innerstaatliche Fluchtalternative, subsidiärer Schutz (verneint), Abschiebungsverbote (verneint), keine Extremgefahr bei Rückkehr im Familienverbund, Asylklage, Frau, Genitalverstümmelung, Strafbarkeit, Abschaffung, Region Afar, Region Somali, interne Schutzalternative, Familienverband, Exsistenzminimum, gesundheitsbedingtes Abschiebungverbot
Fundstelle:
BeckRS 2024, 12277

Tenor

  I.    Die Klage wird abgewiesen.
 II.    Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III.    Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage zuletzt die Anerkennung als Asylberechtigte, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, die Gewährung subsidiären Schutzes bzw. hilfsweise die Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten nach Äthiopien bzw. einen anderen aufnahmebereiten Staat.
2
Die am ... 2022 in ... (Bundesrepublik Deutschland) geborene Klägerin ist äthiopische Staatsangehörige mit Volkszugehörigkeit der Amharen und muslimischem Glauben.
3
Der vom Vater der Klägerin (... ...) gestellte Asylantrag (Geschäftszeichen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge: ...) wurde mit Bescheid vom 25. Januar 2017 vollumfänglich abgelehnt. Auf die Gründe dieser Entscheidung wird Bezug genommen. Die gegen diese Entscheidung zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhobene Klage (Az. Au 1 K 17.30516) wurde mit Urteil vom 14. November 2018 abgewiesen. Der gegen das Urteil gerichtete Antrag auf Zulassung der Berufung wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 9. Januar 2019 abgelehnt (Az. 8 ZB 18.33369).
4
Der Asylantrag der Mutter der Klägerin (... ... ...) wurde mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 28. Mai 2020 (Gz. ...) abgelehnt, zu Gunsten der Klägerin aber ein Abschiebungsverbot auf der Grundlage des § 60 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) festgestellt. Auf die Gründe dieser Entscheidung wird Bezug genommen.
5
Für die Klägerin gilt der Asylantrag gemäß § 14a Abs. 2, Satz 3 Asylgesetz (AsylG) als am 25. Mai 2022 gestellt, da die Klägerin in der Bundesrepublik Deutschland geboren wurde und ihre Geburt dem Bundesamt unverzüglich angezeigt wurde. Eine Verzichtserklärung gemäß § 14a Abs. 3 AsylG wurde nicht abgegeben. Ebenfalls erfolgte keine Beschränkung des Asylantrags gemäß § 13 Abs. 2 AsylG auf die Zuerkennung internationalen Schutzes (Flüchtlingseigenschaft und subsidiärer Schutz).
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Eine Begründung des Asylantrags erfolgte seitens der Eltern der Klägerin nicht.
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Mit Bescheid des Bundesamts vom 28. Juli 2023 (Gz. ...) wurden die Anträge der Klägerin auf Asylanerkennung bzw. auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft abgelehnt (Nrn. 1 und 2 des Bescheids). Nr. 3 des Bescheids bestimmt, dass der Klägerin auch der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt wird. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor (Nr. 4 des Bescheids). In Nr. 5 wird die Klägerin aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Folgeleistung wurde der Klägerin die Abschiebung nach Äthiopien bzw. einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde nicht festgelegt (Nr. 6 des Bescheids). Zur Begründung seiner Entscheidung führt das Bundesamt aus, dass bei der Klägerin die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigte nicht vorlägen. Die Klägerin sei kein Flüchtling im Sinne des § 3 AsylG. Für die Klägerin wurden bereits keine eigenen Gründe von den Eltern vorgetragen. Von Amts wegen sei die mögliche Gefahr einer Zwangsbeschneidung geprüft worden. Eine solche lasse sich jedoch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit feststellen. Überdies war die Mutter der Klägerin bereits bei ihrer in Äthiopien geborenen Tochter in der Lage, eine Beschneidung zu verhindern. Die Mutter der Klägerin habe angegeben, dass sie gegen die Vornahme einer FGM sei und die Eltern entscheiden würden, ob eine Beschneidung vorgenommen werde. Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus lägen nicht vor. Abschiebungsverbote seien ebenfalls nicht gegeben. Die Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse könne nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu bewerten sein und die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) erfüllen. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Äthiopien führten nicht zu der Annahme, dass bei einer Abschiebung der Klägerin eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Die hierfür vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab seien nicht erfüllt. Bei einer Rückkehr nach Äthiopien könne im Allgemeinen von der Gewährleistung des Existenzminimums ausgegangen werden. Die Mutter der Klägerin lebe laut Zentralregister mit dem Vater der Kinder in Deutschland zusammen. Bei der Ausreise werde deshalb davon ausgegangen, dass der Familienverbund weiterhin bestehen bleibe und eine gemeinsame Ausreise erfolge. Auch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände der Klägerin sei die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch eine Abschiebung nicht beachtlich. Individuell gefahrerhöhende Umstände wurden von den Eltern der Klägerin nicht vorgebracht. Auch die Verletzung anderer Menschenrechte oder Grundfreiheiten der EMRK komme nicht in Betracht. Es drohe der Klägerin auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG führe. Die Abschiebungsandrohung sei gemäß § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG zu erlassen. Die Ausreisefrist von 30 Tagen ergebe sich aus § 38 Abs. 1 AsylG.
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Auf die weiteren Ausführungen im Bescheid des Bundesamts vom 28. Juli 2023 wird ergänzend verwiesen.
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Der vorbezeichnete Bescheid wurde der Mutter der Klägerin mit Postzustellungsurkunde am 1. August 2023 bekanntgegeben.
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Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 14. August 2023 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhoben und beantragt,
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1. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 28. Juli 2023, Gz., wird aufgehoben.
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2. Die Beklagte wird verpflichtet, festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen.
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3. Die Beklagte wird verpflichtet, die Klägerin als Asylberechtigte anzuerkennen.
14
4. Die Beklagte wird verpflichtet, den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen.
15
5. Die Beklagte wird verpflichtet, festzustellen, dass die Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen.
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Mit Schreiben der Beklagten vom 22. August 2023 wurde Nr. 5 (Abschiebungsandrohung) des Bescheids vom 28. Juli 2023 aufgehoben. Im Übrigen hat die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wurde auf die mit der Klage angegriffene Entscheidung Bezug genommen.
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Mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 1. September 2023 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
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Zur Begründung der Klage ist mit Schriftsatz vom 16. Oktober 2023 ausgeführt, dass für die Klägerin die gleichen Gründe geltend gemacht werden wie für ihre Mutter. Auch der Klägerin drohe in Äthiopien die Beschneidung, wenn sie mit ihrer Familie zurückgehen müsse. Der gesellschaftliche Druck sei so groß, dass die große Gefahr bestehe, dass die Eltern einer Beschneidung zustimmen könnten. Die Mutter der Klägerin habe inzwischen in der Bundesrepublik Deutschland einen Aufenthaltstitel. Für die Klägerin bestehe zumindest ein Abschiebungsverbot.
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Am 2. Mai 2024 fand die mündliche Verhandlung statt. Für den Hergang der Sitzung, in der die Eltern der Klägerin informatorisch angehört wurden, wird auf das hierüber gefertigte Protokoll verwiesen.
22
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte, die von der Beklagten übersandte Verfahrensakte sowie die beigezogenen Verfahrensakten der Eltern der Klägerin verwiesen.

Entscheidungsgründe

23
Der Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG) konnte über die Klage der Klägerin verhandeln und entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung vom 2. Mai 2024 teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten ausweislich der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Die Beklagte ist zur mündlichen Verhandlung vom 2. Mai 2024 form- und fristgerecht geladen worden.
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Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg. Der mit der Klage angegriffene Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 28. Juli 2023 (Gz.: ...) ist rechtmäßig und nicht geeignet, die Klägerin in ihren Rechten zu verletzen. Die Klägerin besitzt keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte (Art. 16a Grundgesetz – GG), auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG), auf Gewährung subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) bzw. auf Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO). Zur Begründung wird auf die umfassenden und zutreffenden Gründe des Bescheids des Bundesamts Bezug genommen (§ 77 Abs. 3 AsylG) und ergänzend ausgeführt.
25
1. Die Klägerin besitzt keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 ff. AsylG.
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Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).
27
Die Tatsache, dass der Ausländer bereits verfolgt oder von Verfolgung unmittelbar bedroht war, ist dabei ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, wenn nicht stichhaltige Gründe dagegensprechen, dass er neuerlich von derartiger Verfolgung bedroht ist. Hat der Asylbewerber seine Heimat jedoch unverfolgt verlassen, kann sein Asylantrag nur Erfolg haben, wenn ihm auf Grund von Nachfluchttatbeständen eine Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Dabei ist es Sache des Ausländers, die Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Dabei genügt für diesen Tatsachenvortrag auf Grund der typischerweise schwierigen Beweislage in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
28
Wer bereits Verfolgung erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei der Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Als vorverfolgt gilt ein Schutzsuchender dann, wenn er aus einer durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen ist. Die Ausreise muss das objektive äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck dieser Verfolgung stattfindenden Flucht aufweisen. Das auf dem Zufluchtsgedanken beruhende Asyl- und Flüchtlingsrecht setzt daher grundsätzlich einen nahen zeitlichen (Kausal-) Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Ausreise voraus (vgl. BVerfG, B.v. 12.2.2008 – 2 BvR 2141/06 – juris Rn. 20; VG Köln, U.v. 26.2.2014 – 23 K 5187/11.A – juris Rn. 26).
29
In Anwendung dieser rechtlichen Vorgaben ist der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft nicht zuzuerkennen. Die Klägerin ist kein Flüchtling i.S.v. § 3 AsylG.
30
Der Einzelrichter ist unter Zugrundelegung der dargestellten Anforderungen der Auffassung, dass der unbeschnittenen Klägerin bei einer erstmaligen Einreise nach Äthiopien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung i.S.d. § 3d Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 4 AsylG in Gestalt der Genitalverstümmelung (FGM) droht, da für die Klägerin bei einer unterstellten Rückkehr im Familienverbund jedenfalls die Möglichkeit der Inanspruchnahme internen Schutzes nach § 3e AsylG eröffnet ist.
31
a) Im vorliegenden Fall droht der Klägerin bei einer unterstellten erstmaligen Einreise nach Äthiopien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer Genitalverstümmelung (FGM).
32
Die Erkenntnislage hinsichtlich der Gefahr einer Beschneidung in Äthiopien stellt sich wie folgt dar:
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Die weibliche Genitalverstümmelung ist in Äthiopien seit 2005 strafbar und wird mit Geldstrafe oder mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren bestraft. Die Regierung sowie äthiopische und internationale Organisationen führen Kampagnen zur Abschaffung der Genitalverstümmelung durch. Die äthiopische Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, schädliche traditionell oder kulturell bedingte Praktiken, wie etwa die Genitalverstümmelung bei Frauen oder Kinder- und Zwangsehen bis zum Jahre 2025 endgültig abzuschaffen (AA, Adhoc Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien, vom 18.01.2022, Stand Dezember 2021, Seite 16). Zur Verbreitungsrate der Genitalverstümmelung gibt es unterschiedliche Angaben. Nach dem aktuellen Bericht des Auswärtigen Amtes habe sich die Zahl der Neuverstümmelungen inzwischen auf zwischen 25 und 40% der Mädchen verringert, sei aber nach wie vor mit großen regionalen Unterschieden weit verbreitet (AA, Adhoc Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien, vom 18.01.2022, Stand Dezember 2021, Seite 16). Laut dem Länderreport des BAMF beläuft sich die Prävalenzrate der weiblichen Genitalverstümmelung in ganz Äthiopien auf 65% und sei seit zwei Jahrzehnten rückläufig (BAMF, Länderreport 51 Äthiopien, FGM, Stand 04/2022, Seite 6). Das Ausmaß des Rückgangs in der Zahl beschnittener Mädchen und Frauen ist regional unterschiedlich. Laut UNICEF verzeichnen die Region Oromia und die Hauptstadt A. Ab. den stärksten prozentuellen Rückgang, während es in den Regionen Afar, Somali, Southern Nations, Nationalities and Peoples‘ Region (SNNPR) und Gambela kaum Veränderungen gegeben habe.
34
Neben dem Alter lassen sich auch in den verschiedenen Regionen Unterschiede hinsichtlich der Verbreitung von FGM ausmachen. Zum Zeitpunkt der letzten Erhebung im Jahr 2016 weisen die östlichen Regionen Afar und Somali ein besonders hohes Vorkommen mit 91,2% respektive 98,5% auf. Im an diese Regionen angrenzenden Staat Somalia herrscht eine extrem hohe Verbreitungsrate von 99,2%. Richtung Osten und Westen Äthiopiens nimmt die Verbreitung mit 24,2% in Tigray (Nordäthiopien) und 33% in Gambela (Westäthiopien) stark ab. Mit Hinblick auf die ethnische Zugehörigkeit lassen sich ebenfalls Unterschiede ausmachen. Von allen weiblichen Befragten im Jahr 2016 gaben 55 an, der Ethnie der Afar anzugehören, wovon 98,4% mitteilten, einer FGM unterzogen worden zu sein. Ähnlich hohe Prozentsätze lassen sich bei den Somali (98,5% bei 220 Befragten) feststellen (BAMF, Länderreport 51 Äthiopien, FGM, Stand 04/2022, Seite 9) (vgl. zum Ganzen VG Regensburg, U.v. 24.10.2022 – RN 16 K 19.32175 – juris Rn. 41 f.). .
35
In Bezug auf die Gefahr einer Beschneidung weiblicher Nachkommen ist in den letzten Jahren ein eingeleiteter und weiter fortschreitender Einstellungswandel in nicht unbeträchtlichen Kreisen der Bevölkerung zu verzeichnen. Insbesondere in urbanen Regionen, wo sich auch die klägerische Familie niederlassen könnte, ist nach der Auskunftslage davon auszugehen, dass der Druck aus dem verwandtschaftlichen und sonstigen Umfeld in Richtung der Durchführung einer weiblichen Genitalbeschneidung deutlich weniger stark ausgeprägt ist (vgl. BayVGH, B.v. 11.8.2021 – 23 ZB 21.30740 – juris Rn. 7).
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b) Im vorliegenden Fall bedarf es letztlich keiner Entscheidung darüber, ob bei einer erstmaligen Einreise der Klägerin in die Heimatregionen ihrer Eltern – der Vater der Klägerin stammt aus der Provinz ... in der Region ... und die Mutter der Klägerin stammt aus der Provinz ... in der Region ... – die Gefahr einer Beschneidung auf Veranlassung von Mitgliedern der Großfamilie besteht, da der Einzelrichter der Auffassung ist, dass in Bezug auf die Klägerin und deren Eltern, die eine Beschneidung ihrer Tochter strikt ablehnen, die zumutbare Möglichkeit der Inanspruchnahme internen Schutzes nach § 3e AsylG besteht.
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Gemäß § 3e AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (sog. „interner Schutz“, § 3e Abs. 1 AsylG).
38
Bei der Zumutbarkeit sind in einer umfassenden wertenden Gesamtbetrachtung die allgemeinen sowie individuellen Verhältnisse am Ort der Niederlassung in den Blick zu nehmen. Dies betrifft insbesondere die Gewährleistung des wirtschaftlichen Existenzminimums. Maßstab für eine Zumutbarkeit ist, dass eine Verletzung von Art. 3 EMRK nicht zu besorgen ist (vgl. BVerwG, U.v. 18.2.2021 – 1 C 4.20 – juris Rn. 27).
39
Wie bereits dargelegt besteht die Gefahr einer Beschneidung von Mädchen oder Frauen in Äthiopien nicht landesweit, sodass die Klägerin nach Auffassung des Einzelrichters der Gefahr in den Heimatregionen ihrer Eltern dadurch entgehen kann, indem sich die Familie bei einer unterstellten gemeinsamen Rückkehr in der Hauptstadt A. Ab. in der Region Shewa niederlässt.
40
Eine derartige unterstellte Wohnsitznahme in der Hauptstadt A. Ab. ist für die intakte Familie der Klägerin durchaus zumutbar. Dies ist insbesondere deshalb naheliegend, da die Ehe der Eltern und ein gemeinsamer Aufenthalt in Äthiopien noch nicht bestanden hat – die Ehe wurde erst im Jahr 2019 in der Bundesrepublik Deutschland geschlossen – und die Ehepartner aus unterschiedlichen äthiopischen Regionen stammen. Im Allgemeinen gilt in Äthiopien Niederlassungsfreiheit. Die klägerische Familie kann sich daher legal innerhalb Äthiopiens bewegen. Trotz der schwierigen Lebensbedingungen in Äthiopien ist nicht ersichtlich, dass insbesondere der Vater der Klägerin den Lebensunterhalt der Familie nicht bestreiten könne. Es ist davon auszugehen, dass der Vater der Klägerin bei einer Rückkehr nach Äthiopien in der Lage sein würde, das wirtschaftliche Existenzminimum für sich und seine Familie auch außerhalb der Heimatregionen zu sichern. Für junge arbeitsfähige Rückkehrer bietet sich die Möglichkeit, Arbeit zu suchen und zu finden, auch wenn es sich dabei um schlecht bezahlte Arbeit handeln sollte. Zu berücksichtigen ist, dass der Vater der Klägerin nach seinem eigenen Vorbringen im Asylverfahren bereits während seines 5-jährigen Aufenthalts im Sudan (Khartoum) als Bauhelfer tätig war. In Äthiopien hat er sich innerhalb der Landwirtschaft beruflich betätigt. Im Übrigen ist beim Vater der Klägerin, der sich mittlerweile seit fast acht Jahren in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, damit zu rechnen, dass die Eltern der Klägerin in dieser Zeit (die Mutter der Klägerin hält sich seit 2019 im Bundesgebiet auf) in der Lage waren, sich ein wenn auch geringes Startkapital für eine bescheidene Existenzgründung zu sichern und damit ihren eigenen Lebensunterhalt und auch den ihrer drei gemeinsamen minderjährigen Kinder bestreiten zu können (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 22.11.2018 – 8 ZB 18.32888 – juris).
41
c) Nach allem liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zugunsten der Klägerin auf der Grundlage der §§ 3 ff. AsylG nicht vor. Aus demselben Grund scheidet auch eine Asylanerkennung auf der Grundlage von Art. 16a GG aus.
42
2. Auch ein Anspruch der Klägerin auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) ist vorliegend nicht gegeben.
43
Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gelten dabei nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).
44
Gemäß § 4 Abs. 3 AsylG finden die Regelungen über den internen Schutz nach § 3e AsylG auch im Rahmen des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG Anwendung, so dass hinsichtlich einer in den Heimatdörfern der Eltern der Klägerin eventuell drohenden Beschneidung und einer sich hieraus ergebenden unmenschlichen Behandlung der Klägerin i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr.2 AsylG auf die zur Flüchtlingseigenschaft gemachten Ausführungen verwiesen werden kann.
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Auch im Hinblick auf § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG und den bewaffneten Konflikt im Norden Äthiopiens im Bundesstaat Tigray ist keine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der Klägerin im Fall ihrer erstmaligen Einreise nach Äthiopien beachtlich wahrscheinlich. Bei einer naheliegenden Einreise der Klägerin auf dem Luftweg über den internationalen Flughafen von A. Ab. ist es ausgeschlossen, mit dem Kampfgebiet in räumlichen Kontakt zu kommen. Auch diesbezüglich ist auf die zumutbare Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative in A. Ab. zu verweisen.
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3. Des Weiteren bestehen zugunsten der Klägerin auch keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK bzw. nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
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Gründe für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG sind nicht erkennbar. Danach darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) – EMRK – ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Eine Verletzung des Art. 3 EMRK kommt in besonderen Ausnahmefällen auch bei „nichtstaatlichen“ Gefahren aufgrund prekärer Lebensbedingungen in Betracht, bei denen ein „verfolgungsmächtiger Akteur“ (§ 3c AsylG) fehlt, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend“ mit Blick auf die allgemeine wirtschaftliche Situation und die Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung sind (BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45.18 – juris Rn. 12). Das für Art. 3 EMRK erforderliche „Mindestmaß an Schwere“ (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45.18 – juris Rn. 13) kann erreicht sein, wenn die Personen ihren existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern können, kein Obdach finden oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhalten. Die Unmöglichkeit der Sicherung des Lebensunterhalts kann auf der Verhinderung eines Zugangs zum Arbeitsmarkt oder auf dem Fehlen staatlicher Unterstützungsleistungen beruhen (vgl. BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris Rn.11). In seiner jüngeren Rechtsprechung stellt der Gerichtshof der Europäischen Union darauf ab, ob sich die betroffene Person „unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not“ befindet, „die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre“ (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17 – juris Rn. 90). Im Ergebnis kommt es auf eine Würdigung aller konkreten Umstände des Einzelfalls an (EGMR, U.v. 5.11.2019 – 32218/17-, NVwZ 2020, 538 Rn. 40; BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris Rn. 11), wobei neben der Bewertung der tatsächlichen Lage in der Heimatregion des Rückkehrers zahlreiche weitere Faktoren zu berücksichtigen sind, etwa dessen Alter, Geschlecht, Bildungsstand, Gesundheitszustand, Familienanschluss und mögliche beziehungsweise zu erwartende Unterstützungsleistungen.
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Gemessen an diesen Grundsätzen besteht nach Überzeugung des Gerichts nicht die Gefahr, dass die Klägerin bei ihrer erstmaligen Einreise nach Äthiopien im Familienverbund, etwa in die Hauptstadt A. Ab., nicht in der Lage sein wird, zusammen mit ihren übrigen Familienangehörigen das Existenzminimum zu decken.
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Hierbei ist eine gemeinsame Rückkehr der Familie in ihr Heimatland zugrunde zu legen. Der Prognose, welche Gefahren einem Ausländer im Falle einer Rückkehr in den Zielstaat drohen, ist eine zwar notwendig hypothetische, aber doch realitätsnahe Rückkehrsituation zu Grunde legen (BVerwG, U.v. 8.9.1992 – 9 C 8.91 – BVerwGE 90, 364 (368 f.); BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 9 C 7.93 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 163 S. 391 f.).
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Ist der Ausländer Teil eines sich in Deutschland aufhaltenden Familienverbandes (Kernfamilie; Eltern und ihre minderjährigen Kinder), ist daher im Regelfall davon auszugehen, dass der Ausländer nur gemeinsam im Familienverbund oder – mangels freiwilliger Trennung von der Familie und Rückkehr in den Zielstaat sowie angesichts eines, einer isolierten Abschiebung entgegenstehenden inlandsbezogenen Abschiebungsverbotes – gar nicht zurückkehrt (BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 49.18 – BeckRS 2019, 19728, Rn. 15).
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Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass zwischen den einzelnen Mitgliedern eine bereits im Bundesgebiet tatsächlich gelebte familiäre Lebens- und Erziehungsgemeinschaft besteht, da nur in diesem Fall die typisierte Prognose gerechtfertigt ist, sie werde bei einer Rückkehr in das Herkunftsland dort fortgesetzt. Bloße rechtliche Beziehungen, ein gemeinsames Sorgerecht oder eine reine Begegnungsgemeinschaft hingegen rechtfertigen für sich allein noch nicht die typisierende Regelvermutung einer gemeinsamen Rückkehr als Grundlage für die Rückkehrprognose (BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 49.18 – BeckRS 2019, 19728, Rn. 18).
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Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist – unter Verweis auf das Gebot einer realitätsnahen Prognose (s.o.) – die Regelvermutung einer gemeinsamen Rückkehr im Familienverbund der Gefährdungsprognose selbst dann zu Grunde zu legen, wenn – wie hier – einzelnen Mitgliedern der Kernfamilie bereits bestandskräftig ein Schutzstatus zuerkannt oder für diese ein nationales Abschiebungsverbot festgestellt worden ist (BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 49.18 – BeckRS 2019, 19728, Rn. 19; anders noch: BVerwG, U.v. 21. September 1999 - 9 C 12.99 – BVerwGE 109, 305, 308 f).
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Bei einer gemeinsamen unterstellten Rückkehr der Familie nach Äthiopien ist zu berücksichtigen, dass der Vater der Klägerin jung (...) und erwerbsfähig ist und während seines mehrjährigen Aufenthalts im Sudan als auch in Äthiopien bereits berufstätig war. Darüber hinaus ist die Familie auch auf die Inanspruchnahme staatlicher Rückkehrhilfen zu verweisen, die bei der Gefahrenprognose zu einem nationalen Abschiebungsverbot zu berücksichtigen sind (vgl. BVerwG, U.v. 21.4.2022 – 1 C 10/21 – BVerwGE 175, 227 ff.). Die Klägerin und ihr Familienverbund weisen auch keine außergewöhnlichen individuellen Umstände auf, die erwarten lassen, dass es der Familie nicht gelingen wird, zumindest in A. Ab. das Existenzminimum durch eigene Erwerbstätigkeit zumindest des Vaters der Klägerin sicherzustellen. Die Eltern der Klägerin sind in Äthiopien aufgewachsen und sind den Landessprachen mächtig. Damit liegt ein außergewöhnlicher Fall, in dem die humanitären Gründe gegen eine Abschiebung „zwingend“ sind, nicht vor. Bei einer realitätsnah unterstellten gemeinsamen Rückkehr nach Äthiopien dürfte die Familie der Klägerin aufgrund der persönlichen Situation in der Lage sein, ihre elementaren Bedürfnisse trotz der im Allgemeinen schwierigen Bedingungen sicherstellen zu können.
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Ebenso wenig besteht ein nationales Abschiebungsverbot auf der Grundlage von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
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Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Dieser Vorschrift setzt eine individuelle und konkrete zielstaatsbezogene Gefahr voraus (BVerwG, U.v. 25.11.1997 – 9 C 58.96 – juris Rn. 3 ff.). Die befürchtete Verschlechterung muss zu einer erheblichen Gesundheitsgefahr führen, also eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besondere Intensität erwarten lassen (vgl. BVerwG, B.v. 24.5.2006 – 1 B 118.05 – juris Rn. 4). Solange diese Grenzen nicht überschritten sind, ist es wiederum unerheblich, sofern die medizinische Versorgung im Zielstaat nicht mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG).
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Anhand dieser Maßstäbe lässt sich aus dem klägerischen Vortrag nicht auf ein gesundheitsbedingtes Abschiebungsverbot schließen. So wurde für die Klägerin in der mündlichen Verhandlung lediglich geltend gemacht, dass sie an einer Sehschwäche (Weitsichtigkeit, Ungleichsichtigkeit der Augen) leide, die einer augenärztlichen Abklärung und Behandlung bedürfe. Für das bei der Klägerin ebenfalls vorliegende Lungenleiden (Kurzatmigkeit) wurden im Verfahren keine aussagekräftigen ärztlichen Atteste vorgelegt.
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Damit liegen im Ergebnis aber keine Gründe vor, welche die hilfsweise beantragte Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Äthiopiens rechtfertigen.
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4. Nach allem war die Klage daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Als im Verfahren unterlegen hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO.