Inhalt

AG Regensburg, Beschluss v. 24.01.2024 – XVII 2813/10 (2)
Titel:

Zuständigkeit für die Entscheidung über den Wechsel eines Verhinderungsbetreuers

Normenketten:
BayBetrVerfAufV § 1 Nr. 1
RPflG § 3 Nr. 2 lit. b, § 15 S. 1 Nr. 1, Nr. 2, § 19 Abs. 1
BGB § 1817 Abs. 4 S. 1, § 1868 Abs. 5
Leitsätze:
1. Für die Entscheidung über den Wechsel eines Verhinderungsbetreuers nach § 1817 Abs. 4 BGB und die damit einhergehende Entscheidung über die Entlassung des Verhinderungsbetreuers ist der Rechtspfleger kraft Sachzusammenhangs funktionell zuständig. (Rn. 4 und 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Zweifel spricht in allen Betreuungsangelegenheiten nach §§ 1814 – 1881 BGB die Vermutung für die Zuständigkeit des Rechtspflegers, es sei denn, die Angelegenheit fällt nach § 15 RPflG ausnahmsweise in die Zuständigkeit des Richters (Regel-Ausnahme-Verhältnis). (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Kompetenz kraft Sachzusammenhangs setzt voraus, das eine zugewiesene Materie verständigerweise nicht geregelt werden kann, ohne dass zugleich eine nicht ausdrücklich zugewiesene andere Materie mitgeregelt wird. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
4. Wenn der Rechtspfleger für die erstmalige Bestellung eines Verhinderungsbetreuers zuständig ist, so gilt dies erst recht (argumentum a fortiori) für den Wechsel eines Verhinderungsbetreuers. (Rn. 18 – 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verhinderungsbetreuer, Zuständigkeit des Rechtspflegers, Betreuungssachen, Sachzusammenhang, Regel-Ausnahme-Verhältnis, Einheitsentscheidung
Fundstellen:
RPfleger 2024, 262
BtPrax 2024, 113
FamRZ 2024, 964
LSK 2024, 1224
BeckRS 2024, 1224

Tenor

Für die Entscheidung über den Wechsel des Verhinderungsbetreuers ist der Rechtspfleger funktionell zuständig.

Gründe

1
Die Entscheidung beruht auf § 7 S. 1 RPflG.
2
In der Betreuungssache ist bereits ein Verhinderungsbetreuer i.S.d. § 1817 Abs. 4 BGB bestellt. Nunmehr beantragte die Betreuerin mit Schreiben vom 21.11.2023 ein Wechsel des Verhinderungsbetreuers, da der bisherige Verhinderungsbetreuer seine Betreuertätigkeit beendet.
3
Die Betreute erklärte sich auf demselben Schreiben mit der Neubestellung des vorgeschlagenen Verhinderungsbetreuers einverstanden.
4
Für die Entscheidung über den Wechsel eines Verhinderungsbetreuers (§ 1817 Abs. 4 BGB) und die damit einhergehende Entscheidung über die Entlassung des Verhinderungsbetreuers ist der Rechtspfleger kraft Sachzusammenhangs funktionell zuständig.
5
Gemäß § 3 Nr. 2 lit. b RPflG sind Betreuungssachen, vorbehaltlich der §§ 14-19b RPflG, von Gesetzes wegen grundsätzlich dem Rechtspfleger übertragen.
6
Von den Angelegenheiten, die dem Betreuungsgericht übertragen sind, bleiben nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 RPflG dem Richter die Verrichtungen aufgrund der §§ 1814 bis 1816, 1817 Absatz 1 bis 4, der §§ 1818, 1819, 1820 Absatz 3 bis 5 und des § 1868 Absatz 1 bis 4 und 7 des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie die anschließende Bestellung eines neuen Betreuers vorbehalten.
7
Die Zuständigkeiten stehen im Regel-Ausnahmeverhältnis zueinander (KG RPfleger 1978, 321). Im Zweifel spricht in allen Betreuungsangelegenheiten nach §§ 1814 – 1881 BGB die Vermutung für die Zuständigkeit des Rechtspflegers (BayObLG RPfleger 1982, 423), es sei denn die Angelegenheit ist in § 15 RPflG genannt (Jürgens/Kretz, 7. Aufl. 2023, § 15 RPflG Rn. 6).
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Aufgrund der Verordnungsermächtigung des § 19 Abs. 1 Nr. 1 RPflG wurde in Bayern § 1 Nr. 1 AufhRiVbV erlassen, wonach der in § 15 Satz 1 Nr. 1 RPflG (redaktioneller Fehler des Gesetzgebers, gemeint ist § 15 Abs. 1 Nr. 1 RPflG) bestimmte Richtervorbehalt für die Bestellung eines Verhinderungsbetreuers (§ 1817 Abs. 4 BGB) insoweit aufgehoben wird.
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Damit ist der Rechtspfleger für die Bestellung eines Verhindungsbetreuers i.S.d. § 1817 Abs. 4 BGB (ausdrücklich) zuständig.
10
Aus der Gesetzessystematik, dem Zweck des § 19 RPflG, der mit Erlass der AufHRiVbV erkennbar angestrebt ist, und dem dahinterstehenden gesetzgeberischen Willen ist der Rechtspfleger damit jedoch auch für den Wechsel des Verhinderungsbetreuers zuständig.
11
Im Unterschied zu dem gesetzlich ausdrücklich geregelten Fall der (Erst-)Bestellung eines Verhinderungsbetreuers gemäß §§ 3 Nr. 2 lit. b; 15 Abs. 1 Nr. 1; 19 Abs. 1 Nr. 1 RPflG, § 1 Nr. 1 AufhRiVbV ist der Rechtspfleger für den im Fall des Wechsels des Verhinderungsbetreuers mit der bei der Neubestellung einhergehenden Entlassung des bisherigen Verhinderungsbetreuers kraft Sachzusammenhangs funktionell zuständig.
12
Eine Kompetenz kraft Sachzusammenhangs setzt voraus, das eine zugewiesene Materie verständigerweise nicht geregelt werden kann, ohne dass zugleich eine nicht ausdrücklich zugewiesene andere Materie mitgeregelt wird.
13
Genau dieser Fall liegt beim Wechsel des Verhinderungsbetreuers vor, bei dem der Rechtspfleger nach §§ 3 Nr. 2 lit. b; 15 Abs. 1 Nr. 1; 19 Abs. 1 Nr. 1 RPflG, § 1 Nr. 1 AufhRiVbV für die Bestellung eines neuen Verhinderungsbetreuers und kraft Sachzusammenhangs auch für die damit zwingend einhergehende (Nebenentscheidung der) Entlassung des bisherigen Verhinderungsbetreuers zuständig ist.
14
Dafür spricht auch, dass andernfalls – sach- und zweckfremd – der Richter für die Entlassung des bisherigen Verhinderungsbetreuers und der Rechtspfleger für die Neubestellung zuständig wären. Eine derartige Zuständigkeitsspaltung war vom Gesetzgeber nicht gewollt, da sich das Prinzip der Einheitsentscheidung bewährt hat und es bei der Aufgabenverlagerung auf den Rechtspfleger nicht darauf ankommt, ihm lediglich weitere Einzelentscheidungen zu übertragen, die zu noch mehr Zuständigkeitswechseln zwischen Rechtspfleger und Richtern führen (BT-Drs. 15/2494, Seite 38). Ziel des Gesetzes ist in erster Linie die Effizienzsteigerung und Vereinfachung der Verfahrensabläufe (BT-Drs. 15/2494, Seite 39), die der Verordnungsgeber mit dem Erlass der AufhRiVbV erkennbar erreichen wollte.
15
Ausweislich der Gesetzesbegründung wollte der Gesetzgeber mit § 19 RPflG den Ländern die Möglichkeit einräumen, die Zuständigkeiten im Bereich des Betreuungsrechts so weit zu übertragen, wie dies ohne Änderung des Verfahrensrechts verfassungsrechtlich zulässig ist (BT-Drs. 15/2494, Seite 37). Der Rechtspfleger soll mit der Aufgabenverlagerung vielmehr über alle Maßnahmen entscheiden, die nicht mit schwerwiegenden Grundrechtseingriffen verbunden sind (BT-Drs. 15/2494, Seite 39).
16
Es handelt sich bei der Entlassung des Verhinderungsbetreuers auch um keinen derart schweren Grundrechtseingriff, der durch den sofortigen Vollzug irreparabel wäre, so dass ein wirkungsvoller Rechtsschutz den Richtervorbehalt erfordern würde (BT-Drs. 15/2494, Seite 38).
17
Eine andere Sicht würde auch dem gesetzgeberischen Zweck (der weitgehenden Aufgabenverlagerung auf den Rechtspfleger, soweit keine schwerwiegenden Grundrechtseingriffe mit der Entscheidung verbunden sind), der durch den Erlass der AufhRiVbV angestrebt ist, nicht gerecht werden, da der Anwendungsbereich des § 19 Abs. 1 Nr. 1 RPflG, § 1 Nr. 1 AufhRiVbV ansonsten stark eingeschränkt wäre. In der Mehrheit der praxisrelevanten Fälle wird nämlich bereits bei Bestellung eines Betreuers bzw. im Rahmen der Betreuungsverlängerung im Wege der Einheitsentscheidung durch den Richter ein Verhinderungsbetreuer bestellt. Würde § 1 Nr. 1 AufhRiVbV nicht auch die Entlassung des bisherigen Verhinderungsbetreuers im Rahmen eines Verhinderungsbetreuerwechsels umfassen, hätte die Norm praktisch kaum einen Anwendungsbereich und würde die angestrebte Entlastung des Richters verfehlen.
18
Wenn der Rechtspfleger jedoch schon für die erstmalige Bestellung eines Verhinderungsbetreuers zuständig ist, so gilt dies erst recht (argumentum a fortiori) für den Wechsel eines Verhinderungsbetreuers, zumal der mit einem Verhinderungsbetreuerwechsel einhergehende Eingriff durch die Entlassung des bisher bestellten Verhinderungsbetreuers weniger tief als die erstmalige Bestellung eines Verhinderungsbetreuers ist, für die jedoch der Rechtspfleger zuständig ist.
19
Das ergibt sich auch aus der Gesamtschau der gesetzgeberischen Systematik für Betreuungssachen, für die nach § 3 Nr. 2 lit. b RPflG grundsätzlich der Rechtspfleger zuständig ist und nur in den in § 15 RPflG benannten Fällen die Entscheidung dem Richter vorbehalten bleibt. Mit der Verordnungsermächtigung des § 19 Abs. 1 Nr. 1 RPflG und der daraufhin in Bayern erlassenen Verordnung zur Aufhebung von Richtervorbehalten (AufhRiVbV) vom 15. März 2006 (GVBl. S. 170, BayRS 315-7-J), zuletzt geändert durch Verordnung vom 11. Januar 2023 (GVBl. S. 17), wird wiederum der Grundsatz der Zuständigkeit des Rechtspflegers nach § 3 Nr. 2 lit. b RPflG weitergehend wiederhergestellt.
20
Auch die systematische Auslegung spricht für eine Kompetenz kraft Sachzusammenhangs. So ist der Rechtspfleger auch für die Neubestellung eines Betreuers zuständig, wenn der vorherige Betreuer gestorben ist (nach §§ 3 Nr. 2 lit. b, 15 Abs. 1 Nr. 2, 19 Abs. 1 Nr. 1 RPflG, § 1 Nr. 2 AufhRiVbV, § 1869 BGB) und kraft Bundesrechts sogar für den Wechsel eines Vereinsbetreuers auf Antrag des Betreuungsvereins (§§ 3 Nr. 2 lit. b, 15 Abs. 1 Nr. 1, 19 Abs. 1 Nr. 1 RPflG i.V.m. § 1868 Abs. 6 BGB) und für die Entlassung und Neubestellung eines Betreuers, wenn der Betreute selbst einen bestimmten neuen Betreuer vorgeschlagen hat, der zur Übernahme der Betreuung bereit ist (§§ 3 Nr. 2 lit. b, 15 Abs. 1 Nr. 1 RPflG i.V.m. § 1868 Abs. 5 BGB). Mithin ist dem Rechtspfleger auch in ähnlichen Konstellationen sogar das Recht zur Betreuerentlassung im Rahmen eines Betreuerwechsels zugeschrieben.
21
Da der Rechtspfleger kraft Sachzusammenhangs funktionell auch für die Entlassung des Verhinderungsbetreuers im Falle des Wechsels des Verhinderungsbertreuers zuständig ist, führt die Regelung des § 6 RPflG zu keiner Abweichung.