Titel:
Drittanfechtung: Befreiung von Beschränkungen im Wasserschutzgebiet
Normenketten:
WHG § 47 Abs. 1 Nr. 1, § 48 Abs. 1
Grundwasserschutz-RL Art. 3 Abs. 1
Wasser-Rahmen-RL Art. 4 Abs. 1 lit. b
VwGO § 146 Abs. 4, § 147 Abs. 1, § 154 Abs. 2, Abs. 3, § 162 Abs. 3
Leitsätze:
1. Von einer vorhabenbedingten Verschlechterung des chemischen Zustands eines Grundwasserkörpers ist auszugehen, wenn mindestens eine der maßgeblichen Qualitätsnormen oder Schwellenwerte überschritten wird, als auch dann, wenn sich die Konzentration eines Schadstoffs, dessen Schwellenwert bereits überschritten ist, voraussichtlich erhöhen wird. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ob ein Schadenseintritt – hier die Verschlechterung des chemischen Zustands des Grundwassers infolge einer Verunreinigung durch Treibstoff – nach dem allgemeinen ordnungsrechtlichen Maßstab hinreichend wahrscheinlich ist, unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle; ein Beurteilungsspielraum der zuständigen Behörde besteht nicht. (Rn. 13 – 14) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ausgehend von dem Grundsatz, dass die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts umso geringer ausfallen können, je größer der möglicherweise eintretende Schaden ist, sind an die Prognose, ob durch eine Befreiung von dem Verbot zur Errichtung eines Labor-, Produktions- und Verwaltungsgebäudes im Wasserschutzgebiet die Versorgung mit Trinkwasser – und damit ein Schutzgut von überragender Bedeutung – gefährdet ist, eher geringe Anforderungen zu stellen. (Rn. 17 – 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beschwerde im vorläufigen Rechtsschutz, Befreiung vom Verbot einer Wasserschutzgebietsverordnung, Drittanfechtung eines privatrechtlich organisierten Wasserversorgers, wasserrechtliches Verschlechterungsverbot, Maßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts, Drittanfechtung, Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, Trinkwasserverunreinigung, Trinkwasser, Schadenswahrscheinlichkeit, RL 2006/118/EG, RL 2000/60/EG
Vorinstanz:
VG Bayreuth, Beschluss vom 30.11.2023 – B 7 S 23.956
Fundstelle:
BeckRS 2024, 12223
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Der Streitwert für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht – insoweit in Abänderung von dessen Streitwertfestsetzung im Beschluss vom 30. November 2023 – und für das Beschwerdeverfahren wird auf jeweils 3.750 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin, ein privatrechtlich organisiertes Wasserversorgungsunternehmen, wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine der Beigeladenen erteilte Befreiung von einer Wasserschutzgebietsverordnung.
2
Das Landratsamt B. erteilte der Beigeladenen mit Bescheid vom 28. August 2023 (Behördenakte S. 1162) eine Befreiung vom Verbot des § 3 Abs. 1 Nr. 5.1 der Verordnung des Landratsamtes Nürnberger Land über das Wasserschutzgebiet für die Wasserversorgungsanlagen R. I und R. II der Energie- und Wasserversorgungs AG N. vom 12. Januar 1979 „für die Errichtung eines Labor-, Produktions- und Verwaltungsgebäudes“. Nach dieser Vorschrift ist es in der weiteren Schutzzone – in der das Vorhabengrundstück liegt – verboten, Betriebe und Anlagen, in denen wassergefährdende Stoffe im Sinne des § 19g Abs. 5 WHG hergestellt, verarbeitet, umgesetzt oder gelagert werden, zu errichten oder zu erweitern. Die an dem Verwaltungsverfahren beteiligte Antragstellerin, nach deren Angaben die Trinkwassergewinnung in dem Wasserschutzgebiet ungefähr 40 Prozent des Trinkwasserbedarfs in der Stadt Nürnberg deckt (vgl. etwa Antragsschrift vom 13. November 2023 S. 2), hatte sich gegen die Erteilung der Befreiung ausgesprochen, ebenso das Wasserwirtschaftsamt Hof (zuletzt Stellungnahme vom 4. August 2023, Behördenakte S. 1147). Die Befreiung bezieht sich insbesondere auf ein dieselbetriebenes Notstromaggregat.
3
Die Antragstellerin hat gegen den Bescheid vom 28. August 2023 Klage erhoben und, nachdem das Landratsamt die sofortige Vollziehung der Befreiung angeordnet hatte (vgl. Gerichtsakte B 7 Sa 23.845 Bl. 38), einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt. Diesen lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 30. November 2023 ab. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der zulässige Antrag sei unbegründet. Das Interesse der Beigeladenen am sofortigen Vollzug der erteilten Befreiung überwiege (Beschlussabdruck S. 22). Denn die Hauptsacheklage werde voraussichtlich nicht erfolgreich sein. Mit der Erteilung der Befreiung gehe keine Verletzung von Normen einher, auf die sich die Antragstellerin stützen könne. Aller Voraussicht nach könne die behördliche Bewertung, dass die Befreiung nicht zu einer Verletzung des wasserrechtlichen Verschlechterungsverbots aus § 47 Abs. 1 Nr. 1 WHG i.V.m. Art. 7 Abs. 3 der Wasserrahmenrichtlinie führe, durch das Gericht nicht beanstandet werden. Die Prognose, eine Verschlechterung des Grundwasserkörpers in Form einer Überschreitung eines Qualitäts- oder Schwellenwerts für einen Schadstoff sei nicht hinreichend wahrscheinlich, gebe keinen Anlass zu einer Beanstandung durch das Gericht (Beschlussabdruck S. 24).
4
Gegen den ihr am 30. November 2023 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 7. Dezember 2023 beim Verwaltungsgericht Beschwerde erhoben. Sie hat diese mit am 21. Dezember 2023 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangenem Schriftsatz von diesem Tag begründet.
5
Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte (vgl. § 147 Abs. 1 VwGO) und begründete (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg. Die dargelegten Beschwerdegründe, auf die sich die Prüfung des Senats grundsätzlich beschränkt (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen nicht die Änderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts.
6
1. Die Antragstellerin wendet sich – zu Recht – nicht dagegen, dass das Verwaltungsgericht bei der Prüfung der Erfolgsaussichten der Klage der Antragstellerin gegen die der Beigeladenen mit Bescheid vom 28. August 2023 auf der Grundlage von § 52 Abs. 1 Satz 2 WHG erteilte Befreiung vom Verbot des § 3 Abs. 1 Nr. 5.1 der Wasserschutzgebietsverordnung vom 12. Januar 1979 – ausgehend von der Rechtsprechung des Senats (vgl. BayVGH, U.v. 20.5.2021 – 8 B 19.1590 – juris [insbesondere Rn. 31 ff.] und B.v. 3.2.2023 – 8 CS 22.2481 – juris [insbesondere Rn. 27]) – als möglicherweise verletztes Recht der Antragstellerin lediglich das wasserrechtliche Verschlechterungsverbot nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 WHG angesehen hat.
7
Das Grundwasser ist gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 1 WHG so zu bewirtschaften, dass eine Verschlechterung seines mengenmäßigen und seines chemischen Zustands vermieden wird. Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der RL 2000/60/EG vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik (Wasserrahmenrichtlinie – WRRL, ABl. L 327 S. 1) enthält „Umweltziele“ bei der Bewirtschaftung des Grundwassers, nicht zuletzt das Ziel, eine Verschlechterung des Zustands aller Grundwasserkörper zu verhindern; Art. 7 Abs. 3 WRRL ergänzt das allgemeine Verschlechterungsverbot des Art. 4 Abs. 1 WRRL (vgl. BayVGH, U.v. 20.5.2021 – 8 B 19.1590 – juris Rn. 26), indem er vorgibt, dass die Mitgliedstaaten für den erforderlichen Schutz der ermittelten Wasserkörper sorgen, um eine Verschlechterung ihrer Qualität zu verhindern und so den für die Gewinnung von Trinkwasser erforderlichen Umfang der Aufbereitung zu verringern (Satz 1).
8
Von einer vorhabenbedingten Verschlechterung des chemischen Zustands eines Grundwasserkörpers ist auszugehen, wenn mindestens eine der Qualitätsnormen oder einer der Schwellenwerte i.S.v. Art. 3 Abs. 1 der RL 2006/118/EG vom 12. Dezember 2006 zum Schutz des Grundwassers vor Verschmutzung und Verschlechterung (Grundwasser-Richtlinie, ABl. L 372 S. 19) überschritten wird, als auch dann, wenn sich die Konzentration eines Schadstoffs, dessen Schwellenwert bereits überschritten ist, voraussichtlich erhöhen wird, wobei die an jeder Überwachungsstelle gemessenen Werte individuell zu berücksichtigen sind (BayVGH, U.v. 20.5.2021 – 8 B 19.1587 – juris Rn. 62; U.v. 20.5.2021 – 8 B 19.1590 – juris Rn. 37).
9
2. Die Antragstellerin wendet sich vielmehr in erster Linie gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Prognose des Landratsamts, eine Verschlechterung des Grundwasserkörpers in Form einer Überschreitung eines Qualitäts- oder Schwellenwerts für einen Schadstoff sei nicht hinreichend wahrscheinlich, sei gerichtlich nicht zu beanstanden (vgl. Beschlussabdruck S. 24).
10
a) Ob ein Vorhaben eine Verschlechterung des – hier in Rede stehenden chemischen – Zustands eines Gewässers bewirken kann, beurteilt sich nach der Rechtsprechung des Senats auch für das Grundwasser nach dem allgemeinen ordnungsrechtlichen Maßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts, nicht nach dem strengen Maßstab des objektivrechtlichen Besorgnisgrundsatzes des § 48 Abs. 1 Satz 1 WHG; eine Verschlechterung muss daher nicht ausgeschlossen, aber auch nicht sicher zu erwarten sein (BayVGH, U.v. 20.5.2021 – 8 B 19.1587 – juris Rn. 62; B.v. 3.2.2023 – 8 CS 22.2481 – juris Rn. 31 m.w.N.).
11
b) Das Verwaltungsgericht weist bei seiner Überprüfung der Prognoseentscheidung des Landratsamts darauf hin (s. Beschlussabdruck S. 24 f.), dass dieses die erstmalige Befüllung des dieselbetriebenen Notstromaggregats sowie etwaige weitere Betankungsvorgänge in den Blick genommen habe. Letztere müssten allerdings nur sehr selten stattfinden. Das Landratsamt habe ferner einbeziehen dürfen, dass bei der vorgesehenen Bauweise mit einer Aufkantung von 2 cm eine Menge von 14 m3 an wassergefährdenden Stoffen sicher aufgefangen werden könne. Ein zusätzlicher Reservetank sei nicht zugelassen worden, sondern lediglich das Aggregat als solches mit dem eingebauten Tank mit einem Inhalt von 240 l Diesel. Es könne auch nicht beanstandet werden, dass die Behörde bei ihrer Prognose fachliche Wertungen derjenigen bundesrechtlichen Verordnung einbeziehe, die gerade Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen zum Gegenstand habe.
12
c) Die Antragstellerin bringt in der Begründung der Beschwerde hiergegen vor (S. 2 f.; vgl. auch S. 5 oben), Dieselkraftstoffe seien selbst bei Verwendung von Additiven nicht unbegrenzt haltbar; Hersteller und Vertreiber von dieselbetriebenen Generatoren würden empfehlen, dass der Treibstoff alle drei bis sechs Monate ausgetauscht werde, um die Lauffähigkeit des Notstromaggregats im Notfall sicherzustellen. Das hier in Rede stehende Aggregat müsse also mindestens zwei bis vier Mal im Jahr geleert und betankt werden. Es sei nicht erkennbar, dass die im Antrag der Beigeladenen dargestellten Schutzmaßnahmen die bestehenden Risiken bei den regelmäßig notwendigen Betankungsvorgängen eliminieren könnten. Dass das Notstromaggregat im Inneren des Gebäudes stehen solle, reiche nicht aus. Der Treibstoff müsse auf das Gelände angeliefert und bis zum Gebäude gebracht werden; dann solle das Aggregat von außen mit Hilfe eines Schlauchs durch ein Fenster betankt werden. Gerade bei diesen Vorgängen bestehe das größte Risiko eines unbeabsichtigten Austritts von Treibstoff. Es sei kein Umschlagplatz in Form einer Anlage zum Lagern, Abfüllen, Umschlagen nach AwSV mit entsprechenden Sicherungseinrichtungen vorgesehen; eine Auffangwanne im Außenbereich sei nicht geplant.
13
d) Auch wenn die Antragstellerin dies nicht ausdrücklich rügt, weist der Senat für das Hauptsacheverfahren darauf hin, dass die Beurteilung, ob ein Schadenseintritt – hier eine Verschlechterung des chemischen Zustands des Grundwassers infolge einer Verunreinigung durch Dieselkraftstoff – nach dem allgemeinen ordnungsrechtlichen Maßstab hinreichend wahrscheinlich ist, gerichtlich voll überprüfbar ist (vgl. Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 12. Aufl. 2023, § 3 Rn. 54 m.w.N.). Sollte das Verwaltungsgericht etwa mit seinem Hinweis auf eine Prognoseentscheidung, die fehlerfrei erfolge, wenn sie unter Berücksichtigung aller zum Entscheidungszeitpunkt vorhandenen Daten und Erkenntnismittel in einer der Materie angemessenen und methodisch einwandfreien Weise erarbeitet worden sei (Beschlussabdruck S. 23), und seiner Annahme, die Prognose des Landratsamts gebe keinen Anlass zur Beanstandung durch das Gericht (Beschlussabdruck S. 24) von einer nur eingeschränkten gerichtlichen Prüfung ausgehen, so wäre dies rechtsfehlerhaft. Nicht jede von einer Behörde zu treffende Prognoseentscheidung unterliegt einer nur eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG (vgl. auch Art. 93 BV) verlangt vielmehr grundsätzlich, dass die (Verwaltungs-)Gerichte Verwaltungsakte in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vollständig nachprüfen (vgl. insbesondere BVerfG, B.v. 31.5.2011 – 1 BvR 857/07 – BVerfGE 129, 1 = juris Rn. 68). Das Gebot effektiven Rechtsschutzes schließt zwar nicht aus, dass durch den Gesetzgeber eröffnete Gestaltungs-, Ermessens- und Beurteilungsspielräume sowie die Tatbestandswirkung von Exekutivakten die Durchführung der Rechtskontrolle durch die Gerichte einschränken. Allerdings ist auch der Gesetzgeber nicht frei in der Einräumung behördlicher Letztentscheidungsbefugnisse (vgl. BVerfG, B.v. 31.5.2011 – 1 BvR 857/07 – BVerfGE 129, 1 = juris Rn. 73 ff.).
14
Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber im Rahmen des § 47 WHG der zuständigen Behörde hinsichtlich der Frage, ob ein Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot vorliegt, einen Prognosespielraum eingeräumt hat. Die Verwaltungsgerichte sind auch durchaus in der Lage, die Prognose, ob ein Schadenseintritt hinreichend wahrscheinlich ist, gegebenenfalls unter Heranziehung eines Sachverständigen, vollumfänglich zu überprüfen.
15
Ist die Prognoseentscheidung gerichtlich voll überprüfbar, so laufen die Angriffe der Antragstellerin hiergegen von vornherein ins Leere, soweit sie sich lediglich auf einzelne in die Entscheidung einfließende Aspekte (etwa, ob die „besondere Empfindlichkeit des vorhandenen Karstgebiets“ dem Landratsamt vor Augen gestanden hat [vgl. Beschwerdebegründung S. 5 unten]), nicht aber auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen.
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e) Auf der – an sich ausschließlich – maßgeblichen Grundlage des Vorbringens der Antragstellerin, aber auch unter Berücksichtigung sonstiger dem Senat nach Aktenlage bislang bekannter Umstände dürfte eine vorhabenbedingte Verschlechterung des chemischen Zustands des Grundwassers nicht hinreichend wahrscheinlich sein.
17
Der Senat geht davon aus, dass vorliegend hinsichtlich des Grades der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts eher geringe Anforderungen zu stellen sind. Hinsichtlich des nach dem allgemeinen ordnungsrechtlichen Maßstab anzusetzenden Grades der Wahrscheinlichkeit muss zum einen danach differenziert werden, welches Schutzgut auf dem Spiel steht (vgl. schon BVerwG, U.v. 26.6.1970 – IV C 99.67 – NJW 1970, 1890 = juris Rn. 15). Ist der möglicherweise eintretende Schaden sehr groß, dann können an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts nur geringere Anforderungen gestellt werden. Zum anderen ist für die Frage der hinreichenden Wahrscheinlichkeit auch die Intensität des (Grundrechts-)Eingriffs von Bedeutung. Je weniger gewichtig der Grundrechtseingriff ist, desto geringer darf die Wahrscheinlichkeit sein, mit der auf eine drohende Verletzung des Rechtsguts geschlossen werden kann (vgl. zum Ganzen BVerwG, B.v. 14.9.2017 – 3 C 4.16 – NVwZ 2018, 504 = juris Rn. 19; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 12. Aufl. 2023, § 3 Rn. 82 m.w.N.; Schmidbauer in Schmidbauer/Steiner, PAG POG, 6. Aufl. 2023, Art. 11 Rn. 53 ff.).
18
Es liegt auf der Hand, dass im vorliegenden Fall mit dem Schutz des Grundwassers und mit der mit ihm im Zusammenhang stehenden Sicherstellung der Trinkwasserversorgung für eine beachtliche Bevölkerungsgruppe Schutzgüter von überragender Bedeutung in Rede stehen. Auch spricht nach Lage der Akten alles dafür, dass eine Gefährdung des Grundwassers ohne erhebliche Beeinträchtigung der Rechte der Beigeladenen vermeidbar wäre oder doch zumindest deutlich verringert werden könnte, wenn nicht ein dieselbetriebenes Notstromaggregat, sondern ein gasbetriebenes verwendet werden würde. Für die Rechtmäßigkeit der Befreiungsentscheidung ist indes nicht entscheidend, ob sie ein vermeidbares Risiko akzeptiert, sondern ob aufgrund der Ausnutzung dessen, was Gegenstand der Befreiung ist, ein Schadenseintritt hinreichend wahrscheinlich ist. Ebenso wenig ist von Bedeutung, wie die Beigeladene die Befreiung auszunutzen gedenkt (insbesondere ob sie „haltbareren“ Kraftstoff einsetzen wird [vgl. ihren Schriftsatz vom 23. Januar 2024 S. 2 ff.] und ob eine Befüllung mit Kanistern erfolgt [vgl. a.a.O. S. 6]); insoweit ist allerdings – auch im Hinblick auf das Hauptsacheverfahren – an eine risikominimierende Änderung der Befreiungsentscheidung zu denken.
19
Nach Auffassung des Senats ist die Annahme einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit jedenfalls auf der Grundlage des Vorbringens der Antragstellerin in der Beschwerdebegründung nicht gegeben. In der Sache dürfte nach dem Beschwerdevorbringen lediglich ein „Restrisiko“ bestehen, welches für die Annahme einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit nicht ausreichend ist (vgl. BayVGH, B.v. 3.2.2023 – 8 CS 22.2481 – juris Rn. 30). Insbesondere ist das Vorbringen, dass bei der Anlieferung des Kraftstoffs und bei dessen Austausch im Aggregat (einschließlich in diesem Zusammenhang notwendiger Reinigungsvorgänge [vgl. Beschwerdebegründung S. 5]) das größte Risiko besteht, unsubstantiiert. So benennt die Antragstellerin zwar mögliche „Risikofaktoren“ (Reißen des Schlauchs, Undichtigkeit der Anschlüsse, nicht ordnungsgemäßer Umgang [vgl. Beschwerdebegründung S. 3]). Sie verhält sich jedoch nicht dazu, wie häufig es in der Praxis bei vergleichbaren Vorgängen zu derartigen Vorfällen kommt und bei wie vielen dieser Vorfälle eine Menge von Kraftstoff in den Boden gelangt, der zu einer Verschlechterung des chemischen Zustands des Grundwassers führt. Nur wenn derartige Vorfälle – unter Berücksichtigung dessen, dass mit der Befreiung auch ein mehrmaliger Austausch des Dieselkraftstoffs im Notstromaggregat pro Jahr gedeckt wäre – mit einer gewissen Regelmäßigkeit auftreten würden, könnte dies zu einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts führen.
20
Mit ihrem Hinweis auf die besondere Empfindlichkeit des vorhandenen Karstgebiets spricht die Antragstellerin (Beschwerdebegründung S. 5) zwar einen Aspekt an, der bei der Wahrscheinlichkeit, dass ein Vorfall zu einer Verschlechterung des chemischen Zustands des Grundwassers führt, von Bedeutung sein dürfte. Allerdings müsste erst Klarheit über die vorausgelagerte Frage bestehen, wie wahrscheinlich überhaupt ein Eintritt von Diesel in den Boden ist.
21
Auch die von der Antragstellerin in Bezug genommene (vgl. Beschwerdebegründung S. 7 f.) Stellungnahme des Wasserwirtschaftsamts Hof vom 4. August 2023 ist insoweit unergiebig. Dass durch das Vorhaben ein zusätzliches Gefährdungspotenzial für den Grund- und Trinkwasserschutz entsteht und dass insbesondere das geplante Diesel-Aggregat ein vermeidbares Risiko darstellt (vgl. a.a.O. S. 2), liegt auf der Hand, ist aber im Hinblick auf den anzulegenden Maßstab nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Dass Stellungnahmen wasserwirtschaftlicher Fachbehörden nach der Rechtsprechung des Senats eine besondere Bedeutung zukommt (vgl. etwa BayVGH, B.v. 2.1.2020 – 8 ZB 19.47 – juris Rn. 11), ist im vorliegenden Zusammenhang ohne Bedeutung. „Besondere Bedeutung“ haben namentlich die Aussagen der Fachbehörde zu Fragen des Sachverhalts; den nach dem einschlägigen Recht anzuwendenden Maßstab haben aber die zur Entscheidung berufenen Behörden und Gerichte herauszuarbeiten und anzuwenden.
22
Die vorangegangene Stellungnahme des Wasserwirtschaftsamts vom 12. Juli 2023 enthält ebenfalls keine Ausführungen, die auf die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts schließen lassen könnten. Vielmehr spricht das Wasserwirtschaftsamt in dieser von einem „gewissen Rest-Risiko beim Transport und bei der Anlieferung wassergefährdender Stoffe“ und weist auf das „Vorsorgeprinzip“ hin (S. 2 untere Hälfte).
23
Auch aus anderem Zusammenhang ist dem Senat nicht bekannt, dass es, wenn Kraftstoff (etwa auch Heizöl) zu Firmen und Privathaushalten angeliefert wird, derzeit in nennenswertem Umfang zu Vorfällen kommt, die zu einer Grundwasserverunreinigung führen. Nicht zuletzt möglicherweise enorme Haftungsrisiken dürften zu einem besonders sorgfältigen Vorgehen bei diesen Vorgängen führen.
24
Soweit die Antragstellerin im Schriftsatz vom 8. Februar 2024 (S. 3) die Notwendigkeit von Nachbetankungen im Fall des Einsatzes des Notstromaggregats anspricht, erfolgte dies zum einen nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist. Zum anderen sind Ausfälle der Netzstromversorgung in der Bundesrepublik recht selten. Dass solche aber so lange andauern, dass eine Nachtankung zur Aufrechterhaltung des Betriebs erforderlich wird, dürfte sehr unwahrscheinlich sein.
25
Der Senat weist abschließend darauf hin, dass nicht ausgeschlossen erscheint, dass im Hauptsacheverfahren aufgrund einer belastbaren Tatsachengrundlage die Annahme der hinreichenden Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts doch gerechtfertigt ist. Auch aus diesem Grund sollte die Beigeladene, die das Vorhabengrundstück in Kenntnis der Lage in einem Wasserschutzgebiet erworben haben dürfte, nicht nur eine mit einer Änderung der Befreiungsentscheidung verbundene risikominimierende Ausgestaltung ihres Vorhabens (s. schon oben), sondern auch eine Ersetzung des Dieselaggregats durch ein gasbetriebenes (noch einmal) ernsthaft in Erwägung ziehen. Dem Senat erschließt sich jedenfalls derzeit nicht, weshalb sich die Beigeladene dieser Lösung verschließt.
26
f) Auf der Grundlage der Beschwerdebegründung (vgl. S. 6 f.) erschließt sich dem Senat zudem nicht, weshalb eine etwaige baurechtliche Unzulässigkeit des Vorhabens der Beigeladenen zu einem Verstoß gegen das wasserrechtliche Verschlechterungsverbot führen soll.
27
3. Ohne Erfolg wendet sich die Antragstellerin auch dagegen, dass das Verwaltungsgericht in seinen Ausführungen zur Interessenabwägung (vgl. Beschlussabdruck S. 27) im Zusammenhang mit dem privaten Interesse der Beigeladenen an der sofortigen Vollziehung auch auf die Dringlichkeit des Vorhabens der Beigeladenen und ihrer Mieterin abgestellt hat. Dass die Beigeladene oder ihre Mieterin das Vorhaben aufgegeben hat oder voraussichtlich aufgeben wird mit der Folge, dass ihr Interesse an der sofortigen Vollziehung der Befreiung entfallen ist, kann nicht angenommen werden. Ein Indiz für eine beabsichtigte Aufgabe des Vorhabens mag zwar in der Tat sein, dass die Beigeladene der Antragstellerin das Vorhabengrundstück zum Erwerb hat anbieten lassen. Und die Erklärung der Beigeladenen hierfür („um die Ernsthaftigkeit der Besorgnisse der Antragstellerin einem Test zu unterziehen“; vgl. Schriftsatz vom 23. Januar 2024 S. 7) ist möglicherweise nicht für jedermann überzeugend. Indes hat die Beigeladene im vorliegenden Beschwerdeverfahren bekräftigt, an dem Vorhaben festzuhalten (vgl. a.a.O.); es besteht für den Senat kein Anlass, an der Richtigkeit dieses Vortrags zu zweifeln.
28
Soweit die Antragstellerin insoweit auch auf die Möglichkeit des Einbaus und des Betriebs eines anderen Notstromaggregats hinweist (vgl. Beschwerdebegründung S. 8), versucht sie damit der Sache nach, der Beigeladenen ein geändertes Vorhaben aufzudrängen.
29
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Da die Beigeladene auch im Beschwerdeverfahren einen Antrag gestellt hat und damit ein Kostenrisiko eingegangen ist (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO), entspricht es der Billigkeit, dass der Antragstellerin auch auferlegt wird, ihre außergerichtlichen Kosten zu tragen.
30
Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren und die Änderung der Festsetzung für das erstinstanzliche Verfahren beruhen auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1, § 63 Abs. 3 GKG. Der Senat setzt den Streitwert in Verfahren, in denen ein Drittbetroffener sich gegen eine Befreiung von einer Verordnung über ein Wasserschutzgebiet wendet, unter Berücksichtigung der Empfehlung in Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt z.B. in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Band II, unter § 163 VwGO) fest (vgl. BayVGH, B.v.3.2.2023 – 8 CS 22.2481 – juris Rn. 46). Der dort genannte Betrag ist im Hinblick auf den Charakter des Verfahrens als ein solches des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren (vgl. Empfehlung in Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs 2013).
31
Der Beschluss ist unanfechtbar.