Titel:
Erstattungsfähigkeit von Kosten für ein in einem Eilverfahren eingeholtes Privatgutachten (hier bejaht)
Normenketten:
VwGO § 151, § 162 Abs. 1, § 165
BImSchG § 41
Leitsätze:
1. Die Einholung eines Privatgutachtens durch einen Beteiligten ist nur dann als notwendig anzuerkennen, wenn der Beteiligte mangels genügender eigener Sachkunde sein Begehren tragende Behauptungen nur mithilfe eines Privatgutachtens darlegen oder unter Beweis stellen kann. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Abzustellen ist aus Ex-ante-Sicht auf den Zeitpunkt der die Aufwendungen verursachenden Handlung. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kostenerinnerung, im Ausgangsverfahren erfolgloser Eilantrag gegen Straßenbaumaßnahme, Aufwendungen des Straßenbaulastträgers für immissionsschutzfachliche, im Beschwerdeverfahren auf Aufforderung des Beschwerdegerichts eingeholte Stellungnahme eines Ingenieurbüros (Erstattungsfähigkeit bejaht), Eilantrag (erfolglos), Straßenbaumaßnahme, immissionsschutzfachliches Gutachten, Aufforderung durch Gericht, Privatgutachten, fachliche Stellungnahme, Aufwendungen, Erstattungsfähigkeit
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 22.04.2024 – 8 C 24.381
Fundstelle:
BeckRS 2024, 12222
Tenor
I. Die Erinnerung der Antragsteller gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin des Verwaltungsgerichts vom 2. Mai 2022 wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
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Die Antragsteller, Grundstückseigentümer und Straßenanlieger, begehrten im Wege des Eilrechtsschutzes wegen befürchteter unzumutbarer Lärmeinwirkungen die vorläufige Untersagung der Errichtung einer Straße zur Erschließung eines (Neu-)Baugebiets, dessen zugrundeliegender Bebauungsplan Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Normenkontrollverfahrens war.
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Das Verwaltungsgericht lehnte diesen Antrag als zulässig, aber unbegründet mangels Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs ab (VG München, B.v. 10.9.2021 – M 2 E 21.4060). Eine zu hohe Lärmerwartung sei nicht glaubhaft gemacht, die Antragsteller hätten die Lärmbelastung an Hand nicht plausibler Annahmen für die erwarteten Fahrzeugbewegungen auf der Straße (704 Fahrten pro Tag; die Antragsgegnerin ging von 120 Fahrzeugbewegungen aus) mit einem Internetrechner errechnet. Im Übrigen gehe die Rechtsprechung davon aus, dass etwa 200 zusätzliche tägliche Fahrtbewegungen im Rahmen der Prüfung eines Bebauungsplans nicht abwägungsrelevant seien.
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Gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts erhoben die Antragsteller Beschwerde zum Bayer. Verwaltungsgerichthof. Zur Begründung wurde u.a. angeführt, der Beschluss des Verwaltungsgerichts sei fehlerhaft, weil er die Verkehrserzeugung auf fehlerhaften Annahmen errechne und bei der Errechnung der Lärmimmissionen nicht die Ansätze der RLS-90 bzw. der inzwischen in Kraft getretenen RLS-19 verwende. Hierzu wurde mit der Beschwerde u.a. eine einseitige „Berechnung des Straßenlärms nach RLS-90“, erstellt durch ein von einem Ingenieurbüro bereitgestelltes Rechenprogramm, vorgelegt (Anlage AS 8). Mit der Mitteilung über die Zustellung der Beschwerde an die Antragsgegnerin durch den Bayer. Verwaltungsgerichtshof wurde die Antragsgegnerin aufgefordert, sich u.a. zu der vorgelegten Anlage AS 8 zu äußern und den Bebauungsplan mit „ggf. Immissionsschutzgutachten“ vorzulegen. Im Beschwerdeverfahren legte die Antragsgegnerin u.a. eine von ihr anlässlich der Mitteilung in Auftrag gegebene schalltechnische Verträglichkeitsuntersuchung eines Ingenieurbüros vom 20. Oktober 2021 vor. Nachdem dieses Gutachten von Antragstellerseite schriftsätzlich als mängelhaft gerügt wurde, fertigte das Ingenieurbüro der Antragsgegnerin am 17. Dezember 2021 eine weitere Stellungnahme.
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Mit Beschluss vom 10. Januar 2022 (8 CE 21.2499) wies der Bayer. Verwaltungsgerichtshof die Beschwerde zurück und legte den Antragstellern die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner auf. In den Gründen des Beschlusses heißt es u.a., die Antragsteller hätten nicht glaubhaft gemacht, durch das Vorhaben der Antragsgegnerin unzumutbarem Verkehrslärm ausgesetzt zu sein. Es sei nicht abschließend feststellbar, ob das Vorhaben dem Anwendungsbereich der 16. BImSchV unterfalle. Eine Überschreitung der maßgeblichen Immissionsgrenzwerte sei aber nicht glaubhaft gemacht. Hierzu stellte der Bayer. Verwaltungsgerichtshof maßgeblich und mit ausführlicher Würdigung auf die von der Antragsgegnerin vorgelegte Verträglichkeitsuntersuchung ab, die von den Antragstellern vorgelegte Berechnung leide dagegen, was ebenfalls im Einzelnen dargelegt wurde, an fachlichen Mängeln.
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Mit Schriftsatz vom 18. Januar 2022 beantragten die Bevollmächtigten der Antragsgegnerin, die der Antragsgegnerin entstanden Kosten des Beschwerdeverfahrens festzusetzen. Darin enthalten waren Kosten für Leistungen des Ingenieurbüros i.H.v. 3.808,00 € (Ermittlung und Beurteilung der Verkehrsgeräuschbelastung, Prüfung von Schriftsätzen, Stellungnahmen, Leistungszeitraum: 14.10. bis 20.10.2021 und 13.12. bis 17.12.2021).
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Mit Beschluss vom 2. Mai 2022 (M 2 E 21.4060, 8 CE 21.2499), den Antragstellern zugestellt am 4. Mai 2022, setzte die Urkundsbeamtin des Verwaltungsgerichts die der Antragsgegnerin im Verfahren vor dem Bayer. Verwaltungsgerichtshof entstandenen notwendigen Aufwendungen antragsgemäß und unter Einschluss der Kosten des Ingenieurbüros fest. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, die Kosten des Ingenieurbüros seien nach § 162 Abs. 1 VwGO erstattungsfähig. Mit der Erstzustellung des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs vom 1. Oktober 2021 sei der Antragsgegnerin aufgegeben worden, zu den vorgelegten Anlagen der Antragsteller (Berechnung des Straßenlärms) Stellung zu nehmen. Der Bayer. Verwaltungsgerichtshof habe das Gutachten und die Stellungnahmen in seine Entscheidung aufgenommen und mehrmals zitiert.
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Am … Mai 2022 beantragten die Antragsteller gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 2. Mai 2022
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die Entscheidung des Gerichts
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und führten zur Begründung im Kern aus: Die Kosten des Ingenieurbüros seien zu Unrecht festgesetzt worden. Die Kosten für die Beauftragung eines Sachverständigen seien nur dann erstattungsfähig, wenn eine sog. prozessuale Notlage vorliege, auf Grund derer sich die Partei zur Einholung eines Gutachtens herausgefordert sehen durfte. Diese Voraussetzungen lägen nicht vor bzw. seien von der Antragsgegnerin selbst herbeigeführt worden. Es obliege dem Straßenbaulastträger im Rahmen des Baus einer neuen Straße gemäß § 41 BImSchG sicherzustellen, dass durch die Straße keine neuen schädlichen Umwelteinwirkungen hervorgerufen werden könnten. Dieser Nachweis müsse vor Beginn der Baumaßnahmen erbracht werden, um den gesetzlichen Planungspflichten gerecht zu werden. Erfolge dies nicht, könnten nicht die Kosten im Nachhinein als Prozesskosten denjenigen auferlegt werden, die sich gegen die Maßnahme wehren, insbesondere, wenn die Einhaltung der Verpflichtung in Streit stehe. Wäre die Antragsgegnerin ihrer Planungsverantwortung nachgekommen, hätten sich die Antragsteller mit den Untersuchungsergebnissen auseinandersetzen können und ggf. keinen Eilantrag angestrengt. Es sei auch nicht Aufgabe von Bürgern, vor der gerichtlichen Überprüfung einer hoheitlichen Maßnahme Gutachten zu erholen, um die Einhaltung immissionsschutzrechtlicher Anforderungen zu verifizieren. Es würde eine Verkehrung der Planungsverantwortung bedeuten, wenn die Planungsverantwortlichen die Kosten für die Planungsgutachten dem Prozessgegner anlasten könnten. Damit würde jeder Planungsträger, der ihm obliegende Pflichten verletze, bessergestellt als derjenige, der die notwendigen Untersuchungen schon im Rahmen der Planung durchführe.
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Die Antragsgegnerin erwiderte mit Schriftsatz vom 9. Juni 2022. Sie führte im Kern aus, bei zutreffender Bewertung sei nur von 80 Fahrbewegungen pro Tag auszugehen, welche am Haus der Antragsteller vorbeigingen. Es sei in der Rechtsprechung anerkannt, dass bis zu 200 neue bzw. zusätzliche Fahrbewegungen nicht abwägungserheblich seien. Im Planaufstellungsverfahren habe deshalb kein Lärmgutachten eingeholt werden müssen. Gleiches gelte im Hinblick auf § 41 BImSchG bezüglich der Straßenbaumaßnahme. Das Lärmgutachten sei erst durch die Aufforderung des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs gegenüber der Antragsgegnerin erforderlich geworden, zur Stellungnahme zur Lärmberechnung der Antragsteller Stellung zu nehmen.
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Die Kostenbeamtin half dem Antrag auf Entscheidung des Gerichts nicht ab und legte den Vorgang der Kammer vor.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten des Erinnerungsverfahrens sowie auf die Gerichtsakten des Eilverfahrens (M 2 E 21.4060 und 8 CE 21.2499) verwiesen.
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Die zulässige Kostenerinnerung (§ 165 VwGO, § 151 VwGO) ist nicht begründet.
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Die allein streitigen Aufwendungen der Beklagten für die Leistungen eines Ingenieurbüros stellen i.S.v. § 162 Abs. 1 VwGO erstattungsfähige, weil zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendige Aufwendungen dar.
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„Aufwendungen für private, d.h. nicht vom Gericht bestellte Sachverständige, sind nach § 162 Abs. 1 VwGO nur dann erstattungsfähig, wenn sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich danach, wie eine verständige Partei, die bemüht ist, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten, in gleicher Lage ihre Interessen wahrgenommen hätte. Dabei ist zu berücksichtigen, dass in dem gemäß § 86 VwGO von der Untersuchungsmaxime beherrschten verwaltungsgerichtlichen Verfahren von Amts wegen der Sachverhalt zu erforschen und der Umfang der Beweisaufnahme zu bestimmen ist. Die Einholung eines Privatgutachtens durch eine Partei ist – aus Gründen des aus dem Rechtsstaatsgebot und dem allgemeinen Gleichheitssatz folgenden Grundsatzes der prozessualen Chancen- und Waffengleichheit zwischen den Verfahrensbeteiligten […] – ausnahmsweise nur dann als notwendig anzuerkennen, wenn die Partei mangels genügender eigener Sachkunde ihr Begehren tragende Behauptungen nur mithilfe eines Privatgutachtens darlegen oder unter Beweis stellen kann. Dies kann etwa der Fall sein, wenn das Gutachten erforderlich ist, um mit einiger Aussicht auf Erfolg das Gericht zu einer förmlichen Beweisaufnahme zu veranlassen […]. Abzustellen ist aus Ex-ante-Sicht auf den Zeitpunkt der die Aufwendungen verursachenden Handlung; ohne Belang ist dagegen, ob sich die Handlung im Nachhinein als unnötig herausstellt. Außerdem ist der jeweilige Verfahrensstand zu berücksichtigen. Die Prozesssituation muss das Gutachten herausfordern, und dessen Inhalt muss auf die Verfahrensförderung zugeschnitten sein. Offensichtlich ungeeignete Gutachten, die zu für den Rechtsstreit nicht entscheidungserheblichen Fragen Stellung nehmen oder sonst nicht geeignet sind, den Sachvortrag des Betroffenen hinreichend zu substanziieren und die Ermittlungen des Gerichts von Amts wegen zu beeinflussen, sind nicht erstattungsfähig“ (BayVGH, B.v. 3.3.2020 – 8 C 19.1826 – juris Rn. 9 m.w.N.).
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Das Kernargument der Kostenerinnerung, die Antragsgegnerin missbrauche die gerichtliche Kostenfestsetzung dafür, die Kosten einer im Bauleitplanverfahren pflichtwidrig unterlassenen immissionsschutzfachlichen Bewertung des durch den Bebauungsplan neu entstehenden Verkehrslärms auf die Antragsteller abzuwälzen („Verkehrung der Planungsverantwortung“), überzeugt die Kammer schon deshalb nicht, weil Gegenstand des gerichtlichen Ausgangsverfahrens nicht die Rechtmäßigkeit des Bebauungsplans war, sondern ein vorläufiger Baustopp einer kommunalen Straßenbaumaßnahme. Im Übrigen teilt die Kammer auch nicht die Auffassung der Antragsteller, die ordnungsgemäße Aufstellung des Bebauungsplans sei vorliegend ohne eine immissionsschutzfachliche Bewertung des neu entstehenden Verkehrslärms nicht möglich gewesen. Gemessen am Inhalt des Bebauungsplans, insbesondere Art und Umfang der darin festgesetzten Erschließungsstraße, der vorgesehenen baulichen Nutzung sowie den konkreten örtlichen Verhältnissen, erscheint es fernliegend, dass der Belang der Lärmbetroffenheit von „Altanliegern“ wie den Antragstellern nur durch eine vertiefte immissionsschutzfachliche Stellungnahme hätte ermittelt und sachgerecht bewertet werden können. Bei objektiver und unvoreingenommener Würdigung der konkreten örtlichen Situation durfte vielmehr das auch vom Bayer. Verwaltungsgerichtshof in der Beschwerdeentscheidung ermittelte Ergebnis, dass die durch zusätzlichen Verkehr hervorgerufenen Beurteilungspegel die maßgeblichen Immissionsgrenzwerte „deutlich unterschreiten“ (BayVGH, B.v. 10.1.2022 – 8 CE 21.2499 – Rn. 26), von der Antragsgegnerin als auf der Hand liegend angesehen werden. Auf die zusätzliche – zutreffende – rechtliche Erwägung des Verwaltungsgerichts bezüglich der fehlenden Abwägungsrelevanz der objektiv zu erwartenden zusätzlichen Verkehrsbewegungen (VG München, B.v. 10.9.2021 – M 2 E 21.4060 – Rn. 25) wird im Übrigen verwiesen.
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Stellt man – richtig – auf den eigentlichen Streitgegenstand des Ausgangsverfahrens ab, war die Antragsgegnerin aus den gleichen Gründen (auch) als Straßenbaulastträgerin und auch unter Berücksichtigung von § 41 BImSchG nicht gehalten, vor dem Baubeginn eine schalltechnische Verträglichkeitsuntersuchung vergleichbar derjenigen im gerichtlichen Verfahren einzuholen. Es handelte sich offensichtlich um ein – bezüglich möglicherweise rechtlich relevanten Verkehrslärms – kleinräumiges, leicht überschau- und bewertbares Vorhaben, bei dem eine rechtlich relevante Betroffenheit von „Altanliegern“ wie den Antragstellern durch eine erhebliche Belästigung durch Verkehrslärm der neuen Erschließungsstraße für die Baulastträgerin auch ohne immissionsschutzfachliche Bewertung hinreichend sicher auszuschließen war.
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Im Übrigen hat die Antragsgegnerin zutreffend darauf hingewiesen, dass sie – erst – durch die Aufforderung des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs vom 1. Oktober 2021 veranlasst wurde, die Untersuchung durch das Ingenieurbüro in Auftrag zu geben. Die Antragsgegnerin musste nach Erhalt dieser Aufforderung davon ausgehen, dass sie mangels genügender eigener Sachkunde die Erwartungen des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs bezüglich einer vertieften immissionsschutzfachlichen Bewertung der konkreten Situation der Antragsteller nur mit Hilfe des Ingenieurbüros erfüllen konnte. Die Antragsgegnerin befand sich angesichts der Aufforderung durch das Gericht selbst mithin genau in der o.g. Lage, dass „die Prozesssituation das Gutachten herausforderte“. Angemerkt sei, dass, hätte der Bayer. Verwaltungsgerichtshof die für ihn entscheidungserheblichen Fragen im Wege der Amtsermittlung aufgeklärt und nicht die Beteiligte dazu herangezogen, also konkret selbst ein Gutachten zu diesen Fragen eingeholt, die in der Beschwerde unterlegenen Antragsteller auch dann die Kosten der Sachverständigentätigkeit als Auslagen des Gerichts hätten erstatten müssen.
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Die Erinnerung ist deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO zurückzuweisen.
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Das Erinnerungsverfahren ist gerichtsgebührenfrei (§ 66 Abs. 8 Satz 1 GKG), eine Festsetzung des Streitwerts entbehrlich.