Inhalt

VGH München, Beschluss v. 22.04.2024 – 8 C 24.381
Titel:

Erfolglose Beschwerde gegen die Zurückweisung einer Kostenerinnerung hinsichtlich der Erstattungsfähigkeit von Kosten für ein Privatgutachten

Normenkette:
VwGO § 146 Abs. 3, § 147, § 151, § 162 Abs. 1, § 165
Leitsätze:
1. An die Notwendigkeit eines erst während des Prozesses eingeholten Privatgutachtens sind im Hinblick auf den Amtsermittlungsgrundsatz nach § 86 Abs. 1 VwGO grundsätzlich strenge Anforderungen zu stellen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im einstweiligen Rechtschutzverfahren wird der entsprechend geltende Untersuchungsgrundsatz durch eine gesteigerte Mitwirkungsobliegenheit der Beteiligten ergänzt und ggf. eingeschränkt. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beschwerde gegen die Zurückweisung der Kostenerinnerung, Kostenfestsetzungsbeschluss, Erstattungsfähigkeit der Kosten für ein Privatgutachten, Beschwerde, Kostenerinnerung, Eilverfahren, Privatgutachten, Aufwendungen, Erstattungsfähigkeit, objektivierter Maßstab, Prozesssituation, Amtsermittlungsgrundsatz, Mitwirkungsobliegenheit
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 07.02.2024 – M 28 M 22.2736
Fundstellen:
BayVBl 2024, 717
LSK 2024, 12221
BeckRS 2024, 12221

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner.

Gründe

I.
1
Die Antragsteller wenden sich mit der Beschwerde gegen die Zurückweisung ihres Antrags auf gerichtliche Entscheidung (Erinnerung) gegen die der Antragsgegnerin zuerkannte Erstattungsfähigkeit außergerichtlicher Kosten für ein Privatgutachten.
2
Mit ihrem vorangegangenen Eilantrag hatten die Antragsteller erfolglos ersucht, der Antragsgegnerin die Herstellung der in einem Bebauungsplan festgesetzten Erschließungsstraße für ein neues Wohngebiet untersagen zu lassen. Das Verwaltungsgericht München lehnte den Eilrechtsschutzantrag ab, weil eine Verletzung von Immissionsgrenzwerten nicht glaubhaft gemacht worden sei (B.v. 10.9.2021 – M 2 E 21.4060). Hiergegen erhoben die Antragsteller Beschwerde und legten Berechnungen zum Straßenlärm vor (Anlagen AS8 – AS10), die mithilfe eines Berechnungsportals eines Sachverständigenbüros für Lärmschutz erstellt worden waren und unter dessen Briefkopf standen. Der Senat hatte die Antragsgegnerin gebeten, zur Beschwerde Stellung zu nehmen und sich auch zu den Anlagen AS8 – AS10 zu äußern sowie „ggf. Immissionsschutzgutachten vorzulegen“. Daraufhin legte die Antragsgegnerin Stellungnahmen des Ingenieurbüros G. vom 20. Oktober 2021 und vom 17. Dezember 2021 vor. Der Senat wies die Beschwerde der Antragsteller unter Bezugnahme auf die Lärmberechnung des Ingenieurbüros G. zurück (B.v. 10.1.2022 – 8 CE 21.2499).
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Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 2. Mai 2022 setzte die Urkundsbeamtin des Verwaltungsgerichts die der Antragsgegnerin im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof entstandenen notwendigen Auslagen – einschließlich der Kosten für die o.g. Stellungnahmen des Lärmgutachters G. – auf insgesamt 4.361,11 EUR fest.
4
Das Verwaltungsgericht hat die Erinnerung der Antragsteller, die sich gegen die Erstattungsfähigkeit der Kosten der lärmgutachterlichen Stellungnahmen in Höhe von 3.808 EUR richtet, mit Beschluss vom 7. Februar 2024 zurückgewiesen.
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Mit ihrer Beschwerde verfolgen die Antragsteller ihren Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss weiter. Sie beantragen,
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den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 7. Februar 2024 aufzuheben und den Kostenfestsetzungsbeschluss des Verwaltungsgerichts vom 2. Mai 2022 dahingehend abzuändern, als lediglich der Betrag von 553,11 EUR als entstandene notwendige Auslagen festgesetzt werden, die von den Antragstellern zu erstatten sind.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
8
die Beschwerde zurückzuweisen.
II.
9
Die zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
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1. Die Beschwerde gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts über die Erinnerung der Antragsteller gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss (vgl. §§ 165, 151 VwGO) ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 147 VwGO). Der Wert des Beschwerdegegenstands übersteigt 200 EUR (§ 146 Abs. 3 VwGO).
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2. Die Beschwerde ist aber unbegründet.
12
Das Verwaltungsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Aufwendungen der Antragsgegnerin für das Privatgutachten des Ingenieurbüros G. vom 20. Oktober 2021 nebst Ergänzung vom 17. Dezember 2021 nach § 162 Abs. 1 VwGO erstattungsfähig sind.
13
Nach § 162 Abs. 1 VwGO sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen erstattungsfähig. Nach dem von der Rechtsprechung entwickelten objektivierten Maßstab ist die Notwendigkeit außergerichtlicher Aufwendungen aus der Sicht eines verständigen Beteiligten zu beurteilen, der bemüht ist, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten. Dabei ist ex ante auf den Zeitpunkt der die Aufwendungen verursachenden Handlungen abzustellen; ohne Belang ist, ob sich diese im Nachhinein als erforderlich oder unnötig herausstellen. Auch die Kosten eines Privatgutachtens können erstattungsfähig sein, wenn dessen Einholung – etwa zur Vorbereitung des Verfahrens oder zur Erlangung der erforderlichen Sachkunde – geboten war. Zudem muss die Prozesssituation die Vorlage eines Privatgutachtens herausfordern und dessen Inhalt auf Förderung des Verfahrens zugeschnitten sein (vgl. BVerwG, B.v. 2.3.2020 – GrSen 1.19 – BVerwGE 168, 39 = juris Rn. 15; B.v. 27.3.2023 – 3 KSt 1.22 – juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 3.3.2020 – 8 C 19.1826 – juris Rn. 9, jeweils m.w.N.; Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 162 Rn. 7).
14
Daran gemessen sind die vom Ingenieurbüro G. der Antragsgegnerin für die Ermittlung und Beurteilung der Verkehrsgeräuschbelastung am Anwesen der Antragsteller in Rechnung gestellten Kosten in Höhe von 3.808 EUR nach § 162 Abs. 1 VWO erstattungsfähig. Zwar hat der Senat im Beschwerdeverfahren Az. 8 CE 21.2499 keine private Begutachtung anstelle einer eigenen Beweiserhebung angefordert (vgl. dazu OVG Hamburg, B.v. 17.2.2020 – 3 So 12/19 – BauR 2020, 982 = juris Rn. 14; VGH BW, B.v. 22.12.2009 – 5 S 1904/09 – RdL 2010, 76 = juris Rn. 6; Neumann/Schaks in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 162 Rn. 39), sondern der Antragsgegnerin lediglich aufgegeben, etwaige ggf. im Verfahren zur Aufstellung des Bebauungsplans eingeholten Immissionsschutzgutachten vorzulegen (vgl. Schreiben vom 1.10.2021, Gerichtsakte Az. 8 CE 21.2499 S. 28). Gleichwohl durfte sich die Antragsgegnerin in dieser Prozesssituation herausgefordert sehen, ein Privatgutachten zur Berechnung des von der neuen Erschließungsstraße ausgehenden Verkehrslärms einzuholen, auch wenn an die Notwendigkeit eines erst während des Prozesses eingeholten Privatgutachtens im Hinblick auf den Amtsermittlungsgrundsatz nach § 86 Abs. 1 VwGO grundsätzlich strenge Anforderungen zu stellen sind (vgl. BVerwG, B.v. 27.3.2023 – 3 KSt 1.22 – juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 28.1.2010 – 8 M 09.40063 – BayVBl 2010, 477 = juris Rn. 5). Im einstweiligen Rechtschutzverfahren wird der entsprechend geltende Untersuchungsgrundsatz durch eine gesteigerte Mitwirkungsobliegenheit der Beteiligten ergänzt und ggf. eingeschränkt. Im Hinblick auf die Eilbedürftigkeit ergeht die gerichtliche Entscheidung regelmäßig ohne gerichtliche Beweiserhebung aufgrund der verfügbaren präsenten Beweismittel (vgl. BayVGH, B.v. 20.5.2020 – 8 CS 20.772 – juris Rn. 14; NdsOVG, B.v. 14.8.2018 – 12 OA 90/18 – BauR 2018, 1877 = juris Rn. 15). Die Beauftragung eines privaten Lärmschutzgutachtens als Reaktion auf das Beschwerdevorbringen der Antragsteller unter Vorlage eigener, von einem Privatgutachter unterstützter Berechnungen, lag im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nahe. Der zentrale Einwand der Antragsteller, die Antragsgegnerin missbrauche die gerichtliche Kostenfestsetzung dafür, die Kosten einer im Bauleitplanverfahren pflichtwidrig unterlassenen immissionsschutzrechtlichen Bewertung des neu entstehenden Verkehrslärms auf sie abzuwälzen (vgl. auch BayVGH, B.v. 28.1.2010 – 8 M 09.40063 – BayVBl 2010, 477 = juris Rn. 8; B.v. 11.1.2012 – 15 C 10.2937 – NVwZ-RR 2012, 779 = juris Rn. 16 f.), erweist sich als unberechtigt. Der von den Antragstellern gegen den Planvollzug angestrengte Eilrechtsschutzantrag nach § 47 Abs. 6 VwGO blieb ebenfalls erfolglos; der Verwaltungsgerichtshof stellte fest, dass die Antragsgegnerin nicht verpflichtet war, vor der Aufstellung umfangreiche gutachterliche Ermittlungen anzustellen, um die konkrete Größenordnung der planbedingten Lärmauswirkungen exakt zu bestimmen (vgl. BayVGH, B.v. 25.7.2022 – 1 NE 22.1358 – Rn. 18). Die Antragsgegnerin hat es damit nicht versäumt, die Verträglichkeit des Baus der Erschließungsstraße im Rahmen der Bauleitplanung nachzuweisen.
15
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO.
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Einer Streitwertfestsetzung bedarf es angesichts der in Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) genannten Festgebühr nicht.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).