Inhalt

VGH München, Beschluss v. 23.04.2024 – 6 ZB 23.2327
Titel:

Zur Zuordnung einer im Eigentum einer Erbengemeinschaft stehenden, landwirtschaftlichen Fläche zum Betrieb 

Normenkette:
Agrar-Direktzahlungs-VO Art. 2 lit. b, Art. 34 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 lit. a
Leitsätze:
1. Ein bestehendes oder nachzuweisendes Nutzungsrecht ist auch im Fall einer „Doppelbeantragung“ für die Zuordnung zum Betrieb des ursprünglichen Pächters nicht zu verlangen. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Zuordnung einer Fläche zu einem Betrieb ist ausreichend, wenn der Betriebsinhaber hinsichtlich der Flächen bei der Ausübung seiner landwirtschaftlichen Tätigkeit über eine hinreichende Selbstständigkeit verfügt, er mithin in der Lage ist, die Flächen mit der gebotenen Selbstständigkeit zu nutzen (Anschluss BVerwG BeckRS 2019, 37888, Fortführung BayVGH BeckRS 2020, 6706). (Rn. 11 und 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Landwirtschaftliche Subventionen, Beihilfefähige Fläche, Zuordnung von Flächen zu einem Betrieb, Doppelbeantragung, Tatsächliche Bewirtschaftung, Nutzungsberechtigung, Pachtvertrag, Erbengemeinschaft, Bewirtschaftung, Verfügungsgewalt
Vorinstanz:
VG Bayreuth, Urteil vom 11.09.2023 – B 8 K 20.1447
Fundstelle:
BeckRS 2024, 12214

Tenor

I. Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 11. September 2023 – B 8 K 20.1447 – wird abgelehnt.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 31.199,00 Euro festgesetzt.

Gründe

1
Der Antrag des Beklagten, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, bleibt ohne Erfolg. Die innerhalb der Begründungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nrn. 1, 2 und 4 VwGO liegen nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
2
1. Der Kläger begehrt eine (weitere) Betriebsprämie und Ausgleichszulage für die Förderjahre 2010 und 2011 für landwirtschaftliche Flächen, die im Eigentum der Erbengemeinschaft R. nach seinem Großvater stehen. Die Förderbehörden des beklagten Freistaats Bayern sind, nachdem ein Verwandter des Klägers die in Rede stehenden Flächen ebenfalls in einem Mehrfachantrag aufgeführt hatte, der Auffassung, die Fördervoraussetzungen lägen nicht vor, weil dem Kläger nicht das alleinige Nutzungsrecht zustehe. Es gebe keine wirksame Vereinbarung mit den Erben. Der Kläger habe zwar einen Pachtvertrag aus dem Jahr 1996 mit einer Miterbin, seiner Mutter, vorgelegt, dieser sei aber nicht gemeinschaftlich und für die Erbengemeinschaft geschlossen.
3
Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten mit dem angegriffenen Urteil – unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide des Amts für Ernährung Landwirtschaft und Forsten Münchberg (vom 19.11.2010, vom 11.11.2010, 1.12.2011 und 19.12.2011) in Gestalt des Widerspruchsbescheids (vom 16.11.2020) – verpflichtet, dem Kläger durch Erlass neuer Bescheide die Betriebsprämie durch Aktivierung von Zahlungsansprüchen und die Ausgleichszulage in benachteiligten Gebieten für das Förderjahr 2010 ohne Kürzungen und Sanktionen wegen Doppelbeantragungen betreffend die Feldstücke 25, 26, 28 und 29 sowie für das Förderjahr 2011 ohne Kürzungen und Sanktionen wegen Doppelbeantragungen betreffend die Feldstücke 25 bis 29 entsprechend den gestellten Mehrfachanträgen zu gewähren. Darüber hinaus hat es den Beklagten verpflichtet, die sich aus den zu erlassenden Bescheiden ergebenden Beträge für die Betriebsprämie in Höhe von 0,5% für jeden vollen Monat seit Rechtshängigkeit, sowie die sich ergebenden Beträge für die Ausgleichszulage in benachteiligten Gebieten in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit, höchstens jedoch 6% ab Rechtshängigkeit zu verzinsen.
4
Das Verwaltungsgericht hat es für die Zuordnung der Flächen zum landwirtschaftlichen Betrieb des Klägers als ausreichend angesehen, dass der Kläger sie nach den gerichtlichen Feststellungen in den Förderjahren tatsächlich selbstständig bewirtschaftet habe und dass das aus dem Pachtvertrag hergeleitete Nutzungsrecht nicht offensichtlich fehle.
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2. Die vom Beklagten gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil vorgebrachten Einwände rechtfertigen nicht die Zulassung der Berufung.
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a) An der Richtigkeit des angegriffenen Urteils bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
7
Dieser Zulassungsgrund läge vor, wenn vom Rechtsmittelführer ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt würde (vgl. BVerfG, B.v. 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 – NVwZ 2000, 1163/1164; B.v. 26.3.2007 – 1 BvR 2228/02 – BayVBl 2007, 624). Die Richtigkeitszweifel müssen sich auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – NVwZ-RR 2004, 542 f.; BayVGH, B.v. 15.2.2018 – 6 ZB 17.2521 – juris Rn. 4). Das ist nicht der Fall. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr zu Recht und in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung die Fördervoraussetzungen bejaht.
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Rechtsgrundlage für die Gewährung der Betriebsprämie für die Förderjahre 2010 und 2011 ist die Verordnung (EG) Nr. 73/2009 des Rates vom 19. Januar 2009 mit gemeinsamen Regeln für Direktzahlungen im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik und mit bestimmten Stützungsregelungen für Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 1290/2005, (EG) Nr. 247/2006, (EG) Nr. 378/2007 sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1782/2003.
9
Nach Art. 34 Abs. 1 Satz 1 VO (EG) Nr. 73/2009 wird eine Stützung im Rahmen der Betriebsprämienregelung den Betriebsinhabern bei Aktivierung eines Zahlungsanspruchs je beihilfefähige Hektarfläche gewährt. Beihilfefähige Hektarfläche ist (u.a.) jede landwirtschaftliche Fläche des Betriebs, die landwirtschaftlich genutzt wird (Art. 34 Abs. 2 Buchst. a VO (EG) Nr. 73/2009).
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Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts steht außer Streit, dass die fraglichen Flächen der Erbengemeinschaft R. in den Förderjahren 2010 und 2011 landwirtschaftlich genutzt worden sind und zwar – wie in den Jahren davor und danach – alleine vom Kläger im Rahmen seines landwirtschaftlichen Betriebs. Streitgig ist nur, ob sie für den Förderzeitraum dem Betrieb des Klägers zuzuordnen sind, ob es sich also um eine „Fläche des Betriebs“ im Sinn von Art. 34 Abs. 2 Buchst. a VO (EG) Nr. 73/2009 gehandelt hat.
11
Das Verwaltungsgericht ist mit überzeugenden Gründen und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sowie des Bundesverwaltungsgerichts zu den inhaltsgleichen Vorgängerregelungen zu dem Ergebnis gelangt, dass die fraglichen Parzellen im Eigentum der Erbengemeinschaft R. dem Betrieb des Klägers zuzuordnen waren. Ausgehend vom Begriff des Betriebs als Gesamtheit der vom Betriebsinhaber „verwalteten“ Produktionsmittel (Art. 2 Buchst. b VO (EG) Nr. 73/2009) ist für die Zuordnung erforderlich, aber auch ausreichend, dass der Betriebsinhaber hinsichtlich der Flächen bei der Ausübung seiner landwirtschaftlichen Tätigkeit über eine hinreichende Selbstständigkeit verfügt, er mithin in der Lage ist, die Flächen mit der gebotenen Selbstständigkeit zu nutzen, ohne dass die Flächen in dieser Zeit dem Betrieb anderer Landwirte zugeordnet werden können (EuGH, U.v. 14.10.2010 – C-61/09, Landkreis Bad Dürkheim – Rn. 59 bis 66). Wie das Bundesverwaltungsgericht auf dieser Grundlage in seinem Urteil vom 5. Dezember 2019 ausdrücklich hervorgehoben hat, bedarf es einer tatsächlichen, nicht zwingend einer rechtlichen Verfügungsgewalt etwa in Gestalt eines wirksamen Pachtvertrags (vgl. BVerwG, U.v. 5.12.2019 – 3 C 22.17 – juris Rn. 13, 16). Ein bestehendes oder nachzuweisendes Nutzungsrecht hat das Bundesverwaltungsgericht entgegen der Interpretation des Beklagten gerade auch im Fall einer „Doppelbeantragung“ nicht verlangt und die Zuordnung zum Betrieb des ursprünglichen Pächters bestätigt, obwohl im zugrundeliegenden Fall ein Zivilgericht nachträglich die Wirksamkeit der Kündigung des Pachtverhältnisses durch den Grundeigentümer festgestellt hatte und damit feststand, dass im Förderzeitraum kein Nutzungsrecht des ehemaligen Pächters mehr nachgewiesen werden konnte (vgl. BVerwG, a.a.O. Rn. 2). Entsprechendes gilt, wie das Verwaltungsgericht im Einzelnen ausgeführt hat, für die Ausgleichszulage.
12
Gemessen an den Kriterien für eine notwendige, aber auch hinreichende Verfügungsgewalt sind die streitigen Flächen gerade auch in Ansehung der erbrechtlichen Ausgangslage ohne Weiteres mit dem Verwaltungsgericht dem Betrieb des Klägers zuzuordnen. Zum einen hatte allein dieser im maßgeblichen Zeitraum die tatsächliche Sachherrschaft inne. Zum anderen sprechen auch die rechtlichen Verhältnisse für eine solche Zuordnung. Denn er hat sich den Besitz gegenüber der Grundstückseigentümerin, der Erbengemeinschaft R., nicht angemaßt. Er hat die Flächen vielmehr aufgrund eines Pachtvertrags genutzt, den er mit derjenigen Miterbin abgeschlossen hat, die aufgrund ihrer Erbquote über die Stimmenmehrheit in der Erbengemeinschaft R. verfügte. Unabhängig von der Wirksamkeit dieses Pachtvertrags kommt die Zuordnung zu einem anderen Betrieb nicht ernsthaft in Betracht. Es ist nicht Aufgabe der für die Agrarförderung zuständigen Stelle, die aus der Verwaltung der Erbengemeinschaft R. entstehenden Streitigkeiten zwischen den Miterben zu entscheiden.
13
b) Die Berufung ist auch nicht wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen. Die vom Beklagten aufgeworfenen Fragen lassen sich, wie dargelegt, ohne weiteres durch Auslegung und Anwendung der streitentscheidenden Normen und auf der Grundlage der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sowie des Bundesverwaltungsgerichts im Sinn des Verwaltungsgerichts beantworten, ohne dass es der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf.
14
c) Die vom Beklagten geltend gemachte Divergenz im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO liegt jedenfalls nicht vor.
15
Es kann dahinstehen, ob die im Zulassungsantrag genannten Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, B.v. 16.4.2013 – 21 B 12.1307 – juris und v. 23.1.2017 – 13a ZB 15.1753 – juris) überhaupt einen Rechtssatz mit dem vom Beklagten beigemessenen Sinn (tatsächliche Nutzung und – bei „Doppelbeantragung“ nachzuweisender – wirksamer Pachtvertrag oder vergleichbares Nutzungsrecht als zwingende Fördervoraussetzung) aufgestellt haben, von dem das Verwaltungsgericht abgewichen sein soll. Das ist deshalb zweifelhaft, weil einerseits die angeblichen Divergenzentscheidungen aufgrund der unmittelbaren bzw. mittelbaren Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs so zu verstehen sein könnten, dass eine „Nutzungsberechtigung“ im Sinn von Verfügungsgewalt genügt, und andererseits das Verwaltungsgericht die tatsächliche Nutzung keineswegs ausreichen lässt, sondern zudem eine rechtliche Zuordnung vornimmt.
16
Sollten die beiden Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs jeweils einen Rechtssatz mit dem vom Beklagten unterstellten Inhalt enthalten, so wären sie jedenfalls durch das – später ergangene – Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Dezember 2019 – 3 C 22.17 – mit der Folge überholt, dass eine Divergenzzulassung ausscheidet (vgl. Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124 Rn. 175). Das Bundesverwaltungsgericht hat in diesem Urteil nämlich, wie oben ausgeführt, gerade keinen Rechtssatz mit dem vom Zulassungsantrag behaupteten Inhalt aufgestellt. Der in der Antragsbegründung zitierte Satz „auch die rechtlichen Verhältnisse bestätigen hier die Zuordnung der Flächen zum Betrieb der Klägerin“ belegt keineswegs den Schluss des Beklagten, das Bundesverwaltungsgericht habe dort entscheidungstragend die Nutzungsberechtigung (im Sinn eines wirksamen zivilrechtlichen Nutzungsrechts) geprüft und bejaht; das ergibt sich unmissverständlich aus dem nachfolgenden Satz mit der Parenthese „ungeachtet des Nachweises beziehungsweise Fortbestehens eines Pachtverhältnisses“.
17
Das Bundesverwaltungsgericht nimmt vielmehr – im Anschluss an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs – alle tatsächlichen und rechtlichen Umstände des Falles in den Blick, ohne aber auch im Fall einer „Doppelbeantragung“ zwingend ein bestehendes oder nachgewiesenes wirksames Nutzungsrecht zu verlangen. Es sieht als für die Zuordnung einer Fläche zu einem Betrieb als ausreichend an, wenn der Betriebsinhaber hinsichtlich der Flächen bei der Ausübung seiner landwirtschaftlichen Tätigkeit über eine hinreichende Selbstständigkeit verfügt, er mithin in der Lage ist, die Flächen mit der gebotenen Selbstständigkeit zu nutzen (BVerwG, U.v. 5.12.2019 – 3 C 22.17 – juris Rn. 12 ff.). Der für das Recht der landwirtschaftlichen Subventionen inzwischen zuständige erkennende Senat hat sich dem angeschlossen (BayVGH, B.v. 27.3.2020 – 6 ZB 17.2395 – juris Rn. 15). Von diesem Rechtssatz ist auch das Verwaltungsgericht unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ausgegangen (S. 13 f. des Urteils).
18
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47, § 52 Abs. 1, 3 Satz 1 GKG.
19
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).