Inhalt

VG Ansbach, Beschluss v. 26.03.2024 – AN 4 E 24.633
Titel:

Feststellung des Amtsverlusts eines ehrenamtlichen Gemeinderatsmitglieds

Normenketten:
BayGO Art. 31 Abs. 3 (idF bis 31.12.2023)
GG Art. 137 Abs. 1
Leitsatz:
Die verfassungsrechtlich gebotene einschränkende Auslegung des Art. 31 Abs. 3 BayGO aF. kommt zu dem Ergebnis, dass jemand kein Arbeitnehmer im Sinne der Vorschrift ist, wenn er keine Möglichkeit hat, auf die Verwaltungsführung der Gemeinde inhaltlich Einfluss zu nehmen. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gemeinderatsmitglied, Inkompatibilität, Interessenskonflikt, Einschränkung des Arbeitnehmerbegriffs, Interessenkollision, Arbeitnehmer, Schiffsführer
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 13.05.2024 – 4 CE 24.553
Fundstelle:
BeckRS 2024, 12208

Tenor

1. Im Wege der einstweiligen Anordnung wird vorläufig festgestellt, dass der Antragsteller entgegen des Beschlusses des Stadtrates der Antragsgegnerin vom 7. März 2024 weiterhin Mitglied des Stadtrates der Antragsgegnerin ist.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich gegen den Ausschluss aus dem Stadtrat der Antragsgegnerin.
2
Der Antragsteller trat bei den Kommunalwahlen im Jahre 2020 für die Partei Bündnis 90 / Die Grünen an und wurde über die Liste der Grünen in den Stadtrat der Antragsgegnerin gewählt.
3
Der Antragsteller ist seit dem … 1995 bei der Antragsgegnerin als Schiffsführer beschäftigt. In den Jahren 1995 und 1996 erhielt der Antragsteller zunächst befristete Arbeitsverträge. Seit dem … 1997 ist er unbefristet als Schiffsführer für das Fahrgastschiff am … in Vollzeit beschäftigt. Ab dem 1. April 2012 wurde die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit unbefristet auf 34 Stunden reduziert. Dem folgten befristete Arbeitszeitreduzierungen auf zunächst 25 Wochenstunden sowie ab dem 1. Mai 2020 auf 20 Wochenstunden. Laut Änderungsvertrag vom 16. März 2023 endete die Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 20 Stunden zum 31. März 2024. Ab dem 1. April 2024 wird der Antragsteller wieder mit der durchschnittlichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 34 Stunden beschäftigt. Aktuell wird der Antragsteller nach der Entgeltgruppe * TVöD bezahlt.
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Ausweislich der Beschlussvorlage zum Tagesordnungspunkt 1 der Sitzung des Stadtrates der Antragsgegnerin vom 7. März 2024 „Erörterung und Feststellung hinsichtlich einer lnkompatibilität des Stadtratsmitgliedes und städtischen Mitarbeiters … gemäß Art. 31 Abs. 3 GO“ sei die Änderung der Bayerischen Gemeindeordnung zum 1. Januar 2024 sowie das Ersuchen eines Stadtratsmitgliedes im Rahmen der Sitzung des Personalausschusses vom 22. Februar 2024 zum Anlass genommen worden, eine mögliche Imkompatibilität zwischen dem Stadtratsmandat des Antragstellers sowie dessen Beschäftigung als Schiffsführer bei der Antragsgegnerin zu prüfen.
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Zur Frage, ob der Antragsteller seine Tätigkeit als Schiffsführer hauptberuflich ausübt, teilte die Rechtsaufsichtbehörde beim Landratsamt … zu einer an sie gerichteten Beratungsanfrage mit E-Mail vom 29. Februar 2024 mit, dass bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 39 Wochenstunden eines Angestellten im öffentlichen Dienst die Grenze bei 19,5 Stunden liege, mithin selbst bei 20 Stunden und erst recht bei 34 Wochenstunden die Grenze zur Hauptberuflichkeit überschritten wäre. Hinsichtlich der Frage, ob eine überwiegend körperliche Tätigkeit gemäß Art. 31 Abs. 3 Satz 2 GO ausgeübt wird, wurde ausgeführt, dass sich dies in der Regel daraus ergebe, ob es sich um eine der bisherigen Rentenversicherung der Angestellten oder um eine der bisherigen Rentenversicherung der Arbeiter unterliegenden Tätigkeit handelt. Dabei komme es nicht auf den Willen des Versicherten oder des Arbeitgebers und auch nicht auf die Berufsbezeichnung oder die Entlohnung an, sondern ausschließlich auf die Art der auszuübenden Tätigkeit. Arbeiter, die der Arbeiterrentenversicherung unterliegen, würden überwiegend körperliche Arbeit sowie Angestellte, die der Angestelltenversicherung unterliegen, überwiegend geistige Arbeit verrichten. Gemäß § 133 Abs. 2 Nr. 7 SGB VI a.F. gehörten zur Gruppe der Angestellten unter anderem Schiffsführer. Auch aus der laut Stellen- bzw. Arbeitsplatzbeschreibung übertragenen und auszuübenden Tätigkeiten sowie aus der Verteilung der tatsächlich geleisteten jährlichen Arbeitszeit ergebe sich, dass der Antragsteller als kommunaler Schiffsführer nicht überwiegend körperliche Arbeiten verrichte. So entfalle deutlich mehr als die Hälfte der jährlichen Arbeitszeit auf nicht körperliche Arbeiten wie das Führen des Fahrgastschiffes, die Durchführung von Sonderfahrten mit Unterhaltungsprogramm, die Organisation und Durchführung des touristischen Schifffahrtprogrammes, die Beratung von Gästen/ Kunden inklusive Kalkulation und Organisation von Catering sowie die Planung von Veranstaltungen auf dem Schiff.
6
Ein weiteres Indiz dafür, dass Schiffsführer nicht überwiegend körperliche Arbeiten verrichten, sei die Eingruppierung aller städtischen Schiffsführer in Entgeltgruppe * TVöD. Diese vergleichsweise hohe Eingruppierung verdeutliche, dass bei Schiffsführern nicht von einer überwiegend körperlichen Arbeit ausgegangen werden könne. Das Ergebnis der rechtlichen Prüfung wurde wie folgt zusammengefasst: „Es ist daher festzustellen, dass die Inkompatibilität im Sinne des Art. 31 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BayGO noch der alten Fassung, welche im konkreten Fall allein maßgeblich ist, zu bejahen.“ [sic!] In nichtöffentlicher Sitzung vom 7. März 2024 beschloss der Stadtrat der Antragsgegnerin sodann: „Der Stadtrat stellt gemäß Art. 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GLKrWG i.V.m. Art. 31 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GO und Art. 48 Abs. 3 Satz 2 GLKrWG den Amtsverlust des Stadtratsmandates von … zum 07.03.2024 fest. … scheidet damit mit sofortiger Wirkung aus dem Stadtrat aus.“
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Der Antragsteller nahm an der Beratung und Abstimmung nicht teil.
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Auf der Internetpräsenz der Antragsgegnerin wird der Antragsteller nicht mehr als Stadtratsmitglied geführt.
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Mit Schreiben an die Antragsgegnerin vom 20. März 2024 teilte der Antragstellervertreter mit, dass der Beschluss rechtswidrig sei und verwies hierzu unter anderem auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14. Juni 2017 (10 C 2.16). Verwiesen wurde zudem auf den Arbeitsvertrag vom 15. März 1996, in welchem es unter § 1 heißt „… wird ab 18.3.1996 als Arbeiter befristet beschäftigt.“ Die Rentenversicherungsbeiträge seien bis zu deren Auflösung auch an die Landesversicherungsanstalt für Arbeiter abgeführt worden. Die Bezahlung sei nach dem Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe erfolgt. Hierüber sei vor rund 20 Jahren ein Rechtsstreit geführt worden, bei dem es lediglich um die Eingruppierung des Antragstellers in den Tarifvertrag gegangen sei, nicht jedoch um dessen Qualifizierung als Arbeiter. Die Eingruppierung in die Entgeltgruppe * TVöD lasse gerade keinen Schluss zu, dass es sich bei der Tätigkeit als Schiffsführer nicht um eine überwiegend körperliche Arbeit handele, da diese gerade auch für handwerkliche Tätigkeiten (z.B. Elektriker, Hausmeister, Bauhofmitarbeiter) gedacht sei. Falsch sei auch die Behauptung, dass der Antragsteller nicht überwiegend körperliche Arbeit verrichte. Im Übrigen bestehe zwar der Arbeitsvertrag mit der Antragsgegnerin, tatsächlich sei der Antragsteller für diese jedoch überhaupt nicht tätig, sondern allein für den Zweckverband … Es sei nicht bekannt, welche Vereinbarungen hierzu zwischen der Antragsgegnerin und dem Zweckverband bestehen würden. Jedenfalls sei der Antragsteller nicht in die Verwaltungsorganisation der Antragsgegnerin eingeordnet, weshalb auch keine Gefahr von Interessenkollisionen bestehe. Im Hinblick auf die nächste Stadtratssitzung am 27. März 2024 sei die Sache eilbedürftig. Der 1. Bürgermeister der Antragsgegnerin wurde aufgefordert, den Stadtratsbeschluss vom 7. März 2024 gemäß Art. 59 Abs. 2 GO zu beanstanden und den Vollzug auszusetzen. Weiterhin wurde der 1. Bürgermeister aufgefordert, in der nächsten Stadtratssitzung eine Aufhebung des streitgegenständlichen Stadtratsbeschlusses herbeizuführen und bis zur abschließenden Klärung der Angelegenheit keinen Nachrücker für den Antragsteller im Stadtrat zu ernennen und zu vereidigen.
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Mit Schreiben vom 22. März 2024 verwies die Antragsgegnerin auf das Ergebnis der Prüfung durch die Rechtsaufsichtsbehörde. Eine Nachbesetzung des Stadtratssitzes könne in der nächsten Sitzung am 27. März 2024 noch nicht stattfinden, da von den angefragten Listennachfolgern der Liste der Grünen bisher niemand bereit sei, das Stadtratsmandat anzunehmen. Aufgrund der rechtlichen Beurteilung durch die Rechtsaufsichtsbehörde, die geteilt werde, bestehe keine Veranlassung, den Vollzug des in Rede stehenden Stadtratsbeschlusses auszusetzen.
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Daraufhin hat der Antragsteller mit Schriftsatz seines anwaltlichen Vertreters vom 25. März 2024 einstweiligen Rechtsschutz beantragt.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, dass die Tätigkeit für den Zweckverband … knapp vier Jahre lang zu keinen Problemen geführt habe. Ausweislich der im Einzelnen beschriebenen Tätigkeiten des Antragstellers als Schiffsführer sei dieser in der Stadtverwaltung der Antragsgegnerin überhaupt nicht tätig. Vielmehr seien ihm ausschließlich Aufgaben des Zweckverbandes … zugewiesen. Laut dessen Homepage sei der Zweckverband Eigner und Betreiber der Personenschifffahrt auf dem … (* …*). Somit bestehe allenfalls formal das Arbeitsverhältnis zwischen den Beteiligten. Hinsichtlich der Arbeitsabläufe sei der Antragsteller jedoch vollumfänglich in den Zweckverband … eingegliedert.
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Des Weiteren habe die Antragsgegnerin zu keinem Zeitpunkt für den Antragsteller Rentenversicherungsbeiträge an die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte abgeführt. Der Antragsteller sei ab Beginn seines Arbeitsverhältnisses bei der Antragsgegnerin bis zur Zusammenlegung der Versicherungsanstalten Mitglied der Landesversicherungsanstalt für Arbeiter gewesen.
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Nachdem eine Unvereinbarkeit des Stadtratsmandats mit der Tätigkeit des Antragstellers für die Antragsgegnerin gemäß Art. 31 Abs. 3 BayGO nicht vorliege, sei der vom Stadtrat am 7. März 2024 gefasste Beschluss rechtswidrig und nichtig. Der Antragsteller habe einen Anspruch auf weitere Mitgliedschaft im Stadtrat. Die von dem Antragsteller in der Sache begehrte Feststellung könne grundsätzlich im Wege einer einstweiligen Anordnung nach Maßgabe des § 123 Abs. 1 VwGO gesichert werden.
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Würde die im Beschluss vom 7. März 2024 zugrunde gelegte Rechtsauffassung zutreffen, hätte dem Antragsteller indes bereits zu Beginn der Amtsperiode der Antritt des Stadtratsmandats verwehrt werden müssen. Letztlich komme es hierauf jedoch nicht an, da zum einen Art. 31 Abs. 3 GO nicht für Arbeitnehmer gelte, die überwiegend körperliche Arbeit verrichten, und zum anderen auch nicht die Gefahr einer Interessenkollision besteht. Für den Rechtsstreit von besonderer Bedeutung sei insoweit Art. 137 Abs. 1 GG sowie die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14. Juni 2017 (10 C 2/16) betreffend einen Krankenhauspförtner, wonach die Gefahr einer Interessenkollision nicht bestehe, wenn der Arbeitnehmer einer kommunalen Gebietskörperschaft keine Möglichkeit hat, inhaltlich auf die Verwaltungsführung Einfluss zu nehmen. Nichts anderes gelte für den vorliegenden Fall. Es sei nicht ansatzweise erkennbar, wie der Antragsteller als Schiffsführer Einfluss auf die Stadtverwaltung nehmen könne.
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Der Antragsteller beantragt,
Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig bis zum Ergehen einer Entscheidung in der Hauptsache untersagt, den Stadtratsbeschluss vom 07.03.2024, mit dem die Unvereinbarkeit des Stadtratsmandats des Antragstellers mit dessen Anstellung bei der Stadt … festgestellt wurde, zu vollziehen. Der Antragsgegnerist zu verpflichten, den Antragsteller im Stadtrat und seinen Ausschüssen zubelassen und keinen Nachrücker für den Antragsteller zu vereidigen.
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Es wird außerdem um Erlass eines sogenannten Hängebeschlusses gebeten, mit dem das Verwaltungsgericht der Antragsgegnerin mitteilt, dass es davon ausgeht, dass die Antragsgegnerin bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichts über den obigen Antrag den angefochtenen Stadtratsbeschluss nicht vollzieht und den Antragsteller im Stadtrat und seinen Ausschüssen belässt.
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Die Antragsgegnerin beantragt
Antragsabweisung.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen auf die Mitteilung der Rechtsaufsichtsbehörde vom 29. Februar 2024 verwiesen. Des Weiteren wird mitgeteilt, dass die Nachbesetzung des bisherigen Stadtratsmandates des Antragstellers nicht Tagesordnungspunkt in der Stadtratssitzung vom 27. März 2024 sei, sodass keine Dringlichkeit bestehe, über den inmitten stehenden Antrag bis dahin zu entscheiden.
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Nachdem das Gericht die Antragsgegnerin nochmals ausdrücklich auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14. Juni 2017 (10 C 2.16) hingewiesen hat, teilte die Antragsgegnerin mit, dass der Antragsteller in vielfältiger Weise auf die Verwaltungsführung Einfluss genommen habe und massive Interessenskollisionen bestanden hätten. Insoweit wird auf die organisatorische Verzahnung des Zweckverbandes … und der Verwaltung der Antragsgegnerin (unter anderem auf die fehlende Kämmerei des Zweckverbandes sowie dessen Mitwirkung in baulichen Angelegenheiten) sowie die sehr enge räumliche Verzahnung innerhalb des Rathauses verwiesen. Die Mitarbeiter würden quasi Tür an Tür arbeiten und seien fortwährend in Kontakt. Der Antragsteller sei von November bis April nahezu vollständig sowie von Mai bis Oktober sehr häufig in den Büroräumen des Zweckverbandes innerhalb des Rathauses zugegen und sei dabei mehrfach auf Kollegen zugegangen. Die seitens der Antragsgegnerin insoweit aufgelisteten Vorfälle betrafen Landpachtverträge über landwirtschaftliche Flächen, Grundstückspflegeverträge, die Aufhebung eines Arbeitsvertrages einer Kollegin im Standesamt, Fragen der Gewerbe- und Grundsteuer, die Verkleinerung oder Beseitigung eines Storchennestes mittels Feuerwehrdrehleiter sowie die Nutzung einer Scheune als Dorfgemeinschaftsraum. Auf die Ausführungen hierzu wird Bezug genommen.
21
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen.
II.
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Der gemäß § 88 VwGO auszulegende Antrag gemäß § 123 VwGO ist zulässig und begründet.
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1. Der Antrag ist zulässig.
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Mangels Außenwirkung ist vorläufiger Rechtsschutz gegen den mit Beschluss des Stadtrates der Antragsgegnerin vom 7. März 2024 festgestellten Ausschluss des Antragstellers aus dem Stadtrat im Wege einer einstweiligen Anordnung statthaft, nachdem vorläufiger Rechtsschutz gemäß § 80 Abs. 5 VwGO nicht in Betracht kommt (§ 123 Abs. 5 VwGO). Auch wenn der Amtsverlust kraft Gesetzes eintritt, obliegt es der Gemeinde, im Interesse der Rechtssicherheit, Rechtsklarheit und Funktionsfähigkeit der gemeindlichen Organe den Amtsverlust förmlich festzustellen. In der Hauptsache wäre der inmitten stehende Antrag mithin auf Feststellung gerichtet, dass der Antragsteller sein Stadtratsmandat nicht verloren hat (§ 43 Abs. 1 VwGO). Der inmitten stehende Antrag ist dementsprechend auszulegen (§ 88 VwGO). Das erforderliche Feststellungsinteresse des Antragstellers ist ohne Weiteres zu bejahen (vgl. hierzu VG Würzburg, U.v. 5.10.1993 – W 2 K 92.746 – NVwZ-RR 1994, 461).
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2. Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen. Nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO sind dabei sowohl der Anordnungsanspruch, mithin der materielle Anspruch, für den der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz begehrt, als auch der Anordnungsgrund, der sich insbesondere aus der Eilbedürftigkeit einer vorläufigen Anordnung ergibt, nach § 920 Abs. 2 i.V.m. § 294 Abs. 1 ZPO glaubhaft zu machen.
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2.1. Der Anordnungsanspruch ergibt sich für den Antragsteller daraus, dass er mangels Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 31 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Satz 2 GO weiterhin sein demokratisch legitimiertes Stadtratsmandat beanspruchen kann.
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Im Zuge der Änderungen der Bayerischen Gemeindeordnung (GO) zum 1. Januar 2024 wurde unter anderem die Inkompatibilitätsregelung des Art. 31 Abs. 3 GO modifiziert. Gemäß Art. 120b Abs. 2 Satz 1 GO ist Art. 31 Abs. 3 für vor dem 1. April 2024 gewählte Gemeinderatsmitglieder, die am 31. Dezember 2023 ihr Amt ausüben, bis zum Ende ihrer laufenden Amtszeit in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2023 geltenden Fassung anzuwenden.
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Gemäß Art. 31 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GO a.F. können hauptberufliche Arbeitnehmer einer Gemeinde keine ehrenamtlichen Gemeinderatsmitglieder sein. Gemäß Art. 31 Abs. 3 Satz 2 GO a.F. gilt als Arbeitnehmer im Sinne des Satzes 1 nicht, wer überwiegend körperliche Arbeit verrichtet. Ob dies in Bezug auf die Schiffsführertätigkeit des Antragstellers der Fall ist, kann vorliegend dahingestellt bleiben.
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Denn gemäß dem Sinn und Zweck des Art. 137 Abs. 1 GG ist darüber hinaus eine weitergehende Einschränkung verfassungsrechtlich geboten. Hierzu führt das Bundesverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 14. Juni 2017 (10 C 2/16) Folgendes aus:
„Allerdings dürfen jedenfalls bei kommunalen Vertretungsorganen nicht unterschiedslos alle Arbeitnehmer der Kommune, die nicht überwiegend körperliche Arbeit verrichten, von der Wählbarkeit ausgeschlossen werden. Der Ausschluss darf nicht auf solche Arbeitnehmer erstreckt werden, die keine Möglichkeit haben, inhaltlich auf die Verwaltungsführung der Kommune Einfluss zu nehmen. § 24 Abs. 1 LKrO ist für eine derart einschränkende Auslegung offen und deshalb nicht verfassungswidrig und nichtig; die einschränkende Auslegung ist aber auch geboten.
Wie gezeigt, lässt Art. 137 Abs. 1 GG gesetzliche Beschränkungen der Wählbarkeit der Angehörigen des öffentlichen Dienstes zur Verhinderung des Zusammentreffens von Amt und Mandat zu. Eine auf Art. 137 Abs. 1 GG gestützte gesetzliche Regelung darf aber nur eine Beschränkung der Wählbarkeit in Gestalt einer Unvereinbarkeitsregelung (Inkompatibilität), nicht aber den rechtlichen Ausschluss von der Wählbarkeit (Ineligibilität) anordnen. Wesentliches Merkmal einer Inkompatibilitätsvorschrift ist, dass sich der von ihr Betroffene als Wahlbewerber aufstellen lassen, gewählt werden und die Wahl annehmen kann, die Annahme der Wahl aber von einer Beendigung (oder doch vom Ruhen) des Dienstverhältnisses abhängig gemacht wird. Darüber geht § 24 Abs. 1 LKrO nicht hinaus. Weil allerdings ein kommunales Mandat herkömmlich als Ehrenamt ohne Diäten ausgestaltet ist, wird sich ein Bewerber wegen der Folgen der gesetzlichen Unvereinbarkeitsregelung auf seine beruflichen und wirtschaftlichen Lebensbedingungen regelmäßig außerstande sehen, sich für das Mandat zu entscheiden. Angesichts der besonderen Verhältnisse im kommunalen Bereich, der neben der Ehrenamtlichkeit zugleich von einer Vielzahl von Möglichkeiten ins Gewicht fallender Entscheidungskonflikte gekennzeichnet ist, ist diese faktische Einengung der Wahlmöglichkeit zwischen Amt und Mandat schon immer als zumutbare Konsequenz angesehen worden. Eine Begrenzung der Wählbarkeit mit einer so weitreichenden Folge kann aber nicht allein mit der verfassungsrechtlichen Ermächtigung aus Art. 137 Abs. 1 GG begründet werden. Sie bedarf hier jeweils eines sachlichen Grundes, der dem Sinn der verfassungsrechtlichen Ermächtigung gerecht wird. Sie ist deshalb nur gerechtfertigt, wenn ansonsten der Gefahr von Interessenkollisionen nicht wirksam zu begegnen ist (BVerfG, Beschlüsse vom 4. April 1978 – 2 BvR 1108/77 – BVerfGE 48, 64 <88 ff.> und vom 6. Oktober 1981 – 2 BvR 384/81 – BVerfGE 58, 177 <192 f.>).
Ein Gesetz, das von der Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG für den kommunalen Bereich Gebrauch macht, muss eine klare, konsequente Lösung der Unvereinbarkeiten bieten. Das gilt gerade angesichts der Vielzahl von Möglichkeiten ins Gewicht fallender Entscheidungskonflikte im kommunalen Bereich (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. April 1978 – 2 BvR 1108/77 – BVerfGE 48, 64 <89>). Das gebietet, Differenzierungen anhand bestehender Gefahren von Interessenkonflikten bereits auf der Ebene des Gesetzes zu treffen, und erlaubt insoweit generalisierende Tatbestände, die an die Wahrscheinlichkeit einer Konfliktlage anknüpfen (BVerfG, Beschluss vom 5. Juni 1998 – 2 BvL 2/97 – BVerfGE 98, 145 <161>); es verbietet, Differenzierungen erst in die Gesetzesanwendung im Einzelfall zu verlagern. Das schließt freilich nicht aus, dem Gesetz die gebotene Differenzierung erst im Wege der Auslegung zu entnehmen, wenn dies in der Regelung selbst angelegt oder – wie hier – aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten ist.
Eine solche Auslegung muss hier am Begriff des Arbeitnehmers in § 24 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a LKrO ansetzen. Dieser Begriff ist einer am Zweck der Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG orientierten einschränkenden Auslegung zugänglich. Dass eine Unvereinbarkeit von Berufstätigkeit und Mandat nicht für sämtliche Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst angeordnet werden darf, zeigt schon Art. 137 Abs. 1 GG selbst, der hierzu nur für die seinerzeitigen Angestellten ermächtigt, nicht aber für die seinerzeitigen Arbeiter. Wie gezeigt, sucht § 24 Abs. 1 Satz 2 LKrO diese Einschränkung fortzuzeichnen, indem die Unvereinbarkeitsregelung keine Anwendung auf Arbeitnehmer finden soll, die überwiegend körperliche Arbeit verrichten. Die Zusammenführung der überkommenen Gruppen der Angestellten und der Arbeiter in die einheitliche Gruppe der Arbeitnehmer war aber nicht nur terminologischer Natur; sie war auch Ausdruck der Fortentwicklung der Arbeitswelt, in welcher Berufsbilder mit überwiegend körperlicher Arbeit auch im „öffentlichen“ Dienst seltener geworden sind und Funktionen, die seinerzeit von Arbeitern wahrgenommen wurden, zwischenzeitlich – bei deutlich verändertem Gepräge – von Arbeitnehmern wahrgenommen werden, die nach seinerzeitigem Begriffsverständnis als Angestellte bezeichnet worden wären. Damit zeigt sich, dass die aus Verfassungsgründen gebotene Einschränkung des Anwendungsbereichs von § 24 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a LKrO nicht schon damit hinlänglich erreicht ist, dass aus dem dortigen Begriff des Arbeitnehmers durch § 24 Abs. 1 Satz 2 LKrO diejenigen von der Unvereinbarkeitsregelung ausgenommen werden, die auch heute noch überwiegend körperliche Arbeit verrichten. Auch wenn dieses eher äußerliche Merkmal in seinem Anwendungsbereich durchaus zu zutreffenden Ergebnissen führt, so bedarf es doch einer weitergehenden Einschränkung des Arbeitnehmerbegriffs, die sich am Sinn und Zweck der Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG ausrichtet, der Gefahr von Interessenkollisionen zu begegnen.
Bei Beachtung dieser Grundsätze muss der Begriff des Arbeitnehmers in § 24 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a LKrO dahin einschränkend ausgelegt werden, dass solche Arbeitnehmer nicht umfasst sind, die nach ihrem dienstlichen Tätigkeitsbereich keine Möglichkeit haben, inhaltlich auf die Verwaltungsführung des Landkreises oder des Landratsamtes Einfluss zu nehmen. In solchen Fällen droht typischerweise kein Interessenkonflikt zwischen der Aufgabe als Mandatsträger, im Kreistag die Kreisverwaltung zu kontrollieren, und der beruflichen Tätigkeit für die Kreisverwaltung. Namentlich droht nicht die Gefahr einer zurückhaltenderen Kontrolltätigkeit im Kreistag, die bei Arbeitnehmern begründet wäre, die nach ihrer dienstlichen Tätigkeit und Funktion Einfluss auf vor dem Kreistag zu verantwortende inhaltliche Entscheidungen haben.“
30
Diese rechtlichen Maßstäbe sind auch auf die hier inmitten stehende, weitestgehend inhaltsgleiche Imkompatibilitätsregelung in Art. 31 Abs. 3 GO anzuwenden, so dass die verfassungsrechtlich gebotene einschränkende Auslegung in dem hier zu entscheidenden Fall zu dem Ergebnis kommt, dass der Antragsteller kein Arbeitnehmer im Sinne des Art. 31 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GO ist. Ganz erkennbar hat er in seiner Funktion als Schiffsführer im Bereich der Personenschifffahrt auf dem … keine Möglichkeit, auf die Verwaltungsführung der Antragsgegnerin inhaltlich Einfluss zu nehmen, so dass eine Gefahr von Interessenkollisionen nicht im Ansatz besteht.
31
Auf die räumlichen Gegebenheiten und die damit verbundene Möglichkeit der Kontaktaufnahme zu Mitarbeitern des Rathauses sowie des Zuganges zu deren Büroräumen kann insoweit – ebenso wenig wie im Falle eines Pförtners – nicht abgestellt werden. Die von der Antragsgegnerin geschilderten Vorfälle weisen erkennbar keinen Bezug zu der dienstlichen Tätigkeit des Antragstellers als Schiffsführer auf. Der insoweit erforderliche berufsspezifische Bezug ist nicht im Ansatz erkennbar.
32
Nach alledem ist das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs des Antragstellers zu bejahen.
33
2.2. Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Ein Anordnungsgrund liegt dann vor, wenn die einstweilige Regelung durch das Gericht notwendig erscheint, um insbesondere wesentliche Nachteile abzuwenden. Im konkreten Fall sind diese Nachteile auch so schwerwiegend, dass die geregelte Vorwegnahme der Hauptsache gerechtfertigt erscheint.
34
Für den Antragsteller ist das Zuwarten bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache ein wesentlicher Nachteil. Er wäre voraussichtlich zu Unrecht von der Tätigkeit als Mitglied im Stadtrat der Antragsgegnerin (bereits in der morgigen Sitzung) ausgeschlossen. Zu seiner organschaftlichen Stellung als Stadtratsmitglied gehört das mit der Teilnahmepflicht nach Art. 48 Abs. 1 Satz 1 GO korrespondierende Recht auf Sitzungsteilnahme (BayVGH, B.v. 10.12.2020 – 4 CE 20.2271 – juris Rn. 16).
35
Mithin war dem Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
36
Der Streitwert ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und Nr. 22.7 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
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Das Gericht schließt sich der vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof geäußerten Auffassung an, dass vor dem Hintergrund der laufenden Wahlperiode bis 30. April 2026 die Vorwegnahme der Hauptsache lediglich einen untergeordneten Zeitraum betreffen wird. Auf eine Wiederanhebung des Streitwerts auf den vollen Regelstreitwert war vor diesem Hintergrund abzusehen (BayVGH, B.v. 7.8.2020 – 4 CE 20.1442 – juris Rn. 34).