Inhalt

VGH München, Beschluss v. 13.05.2024 – 4 CE 24.553
Titel:

Feststellung des Amtsverlusts eines ehrenamtlichen Gemeinderatsmitglieds

Normenketten:
BayGO Art. 31 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 (idF bis zum 31.12.2023)
GG Art. 137 Abs. 1
KommZG § 7 Abs. 4, Abs. 5 S. 1
Leitsatz:
Die Inkompatibilitätsvorschrift des Art. 31 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GO ist verfassungskonform dahin auszulegen, dass sie nicht auf Arbeitnehmer anzuwenden ist, die zwar bei der Gemeinde angestellt sind, jedoch ausschließlich für eine andere juristische Person tätig werden. (Rn. 19)
Schlagworte:
Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Feststellung des Amtsverlusts eines ehrenamtlichen Gemeinderatsmitglieds, Unvereinbarkeit des Amtes eines ehrenamtlichen Gemeinderatsmitglieds mit der Anstellung als Arbeitnehmer einer Gemeinde, Zurverfügungstellung eines Arbeitnehmers durch eine Gemeinde für die Aufgabenwahrnehmung eines Zweckverbands, Gemeinderatsmitglied, Inkompatibilität, Arbeitnehmer, Interessenkollision, Zweckverband
Vorinstanz:
VG Ansbach, Beschluss vom 26.03.2024 – AN 4 E 24.633
Fundstellen:
BayVBl 2025, 24
DVBl 2024, 1431
BeckRS 2024, 12207
NVwZ-RR 2024, 824
DÖV 2024, 935
LSK 2024, 12207

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller beansprucht einstweiligen Rechtsschutz gegen den Vollzug eines Beschlusses des Stadtrats der Antragsgegnerin vom 7. März 2024. Im Hinblick auf die Anstellung des Antragstellers bei der Antragsgegnerin als Schiffsführer für die Personenschifffahrt auf dem A.-see wurde im Beschluss der Verlust seines Amtes als ehrenamtliches Stadtratsmitglied festgestellt.
2
Die Antragsgegnerin ist Mitglied des Zweckverbands A.-see, der u.a. eine Personenschifffahrt betreibt. Gemäß der Zweckverbandssatzung vom 1. März 1974 (RABI. Nr. 9 vom 08.03.1974), zuletzt geändert durch Satzung vom 6. Februar 2019 (Mfr.Am.BI. Nr. 4 vom 20.3.2019), ist es Ziel des Zweckverbandes, Flächen im Bereich des A.-sees der Erholung zuzuführen; er soll auf eine nachhaltige Strukturverbesserung, insbesondere durch die Entwicklung des Fremdenverkehrs im Verbandsgebiet, hinwirken (§ 4 Nr. 1. der Satzung). Jedes Verbandsmitglied entsendet einen Verbandsrat in die Verbandsversammlung (§ 9 Nr. 2 Satz 1). Von den Gesamtstimmen in der Verbandsversammlung entfallen auf die vier Mitgliedsgemeinden 55 Prozent, auf die zwei Mitgliedslandkreise 15 Prozent und auf den Bezirk Mittelfranken 30 Prozent. Die Stimmenzahl der einzelnen Mitgliedsgemeinden werden anhand mehreren Faktoren (u.a. Einwohnerzahl und Gesamtfläche) ermittelt (§ 12 Nr. 1. und 2.).
3
Der Antragsteller ist seit dem 12. April 1995 bei der Antragsgegnerin als Schiffsführer beschäftigt, seit dem 1. April 2024 mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 34 Stunden; aktuell wird er nach der Entgeltgruppe 7 TVöD bezahlt. Gemäß einer zwischen der Antragsgegnerin und dem Zweckverband A.-see abgeschlossenen Zweckvereinbarung vom 21. September 1979 bedient sich der Zweckverband, soweit nicht der Verbandsvorsitzende die Geschäfte selbst führt, für die Führung seiner sämtlichen anfallenden Verwaltungs- und Kassengeschäfte des Personals der Antragsgegnerin; die Antragsgegnerin ist verpflichtet, zu diesem Zweck das notwendige Personal und ihre Einrichtungen zur Verfügung zu stellen (§ 1 der Zweckvereinbarung). Im Gegenzug erstattet der Zweckverband der Antragsgegnerin die für die Erfüllung der Verwaltungsgeschäfte tatsächlich anfallenden Personalkosten (§ 3 Abs. 1). Am 3. Juni 2008 vereinbarten die Parteien in Ergänzung zu § 3 Abs. 1 dieser Zweckvereinbarung, dass der Zweckverband der Antragsgegnerin u.a. die Personalkosten für einen Schiffsführer sowie zwei „Ersatz-Schiffsführer“ zu je 100 Prozent erstattet. In der von der Antragsgegnerin übermittelten Telefonliste ist der Antragsteller als Mitarbeiter des „Amt IV – Zweckverband A.-see“ geführt.
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Bei der Kommunalwahl im Jahr 2020 wurde der Antragsteller in den Stadtrat der Antragsgegnerin gewählt.
5
Zu einer diesbezüglichen Anfrage der Antragsgegnerin teilte das Landratsamt Weißenburg-Gunzenhausen mit E-Mail vom 29. Februar 2024 mit, im Falle des Antragstellers sei eine Inkompatibilität seiner Anstellung bei der Antragsgegnerin mit der Stadtratsmitgliedschaft gemäß Art. 31 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BayGO in der maßgeblichen bis 31. Dezember 2023 geltenden Fassung (im Folgenden: Art. 31 BayGO a.F.) zu bejahen. Bei einer regelmäßigen Wochenarbeitszeit von 34 Stunden liege eine Hauptberuflichkeit vor. Für die Frage, ob eine die Inkompatibilität ausschließende überwiegend körperliche Tätigkeit gemäß Art. 31 Abs. 3 Satz 2 GO a.F. vorliege, sei in der Regel maßgeblich, ob es sich um eine der bisherigen Rentenversicherung der Angestellten oder um eine der bisherigen Rentenversicherung der Arbeiter unterliegende Tätigkeit handele. Gemäß § 133 Abs. 2 Nr. 7 SGB VI a.F. gehörten zur Gruppe der Angestellten unter anderem Schiffsführer. Auch aus den laut Stellen- bzw. Arbeitsplatzbeschreibung übertragenen und auszuübenden Tätigkeiten sowie aus der Verteilung der tatsächlich geleisteten jährlichen Arbeitszeit ergebe sich, dass der Antragsteller als kommunaler Schiffsführer nicht überwiegend körperliche Arbeiten verrichte. Ein weiteres Indiz dafür, dass städtische Schiffsführer nicht überwiegend körperliche Arbeiten verrichteten, sei deren vergleichsweise hohe Eingruppierung in die Entgeltgruppe 7 TVöD.
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Mit Stadtratsbeschluss vom 7. März 2024 wurde ohne Mitwirkung des Antragstellers bei der Abstimmung „gemäß Art. 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GLKrWG i.V.m. Art. 31 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GO und Art. 48 Abs. 3 Satz 2 GLKrWG“ der „Amtsverlust des Stadtratsmandates“ des Antragstellers mit sofortiger Wirkung festgestellt.
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Mit Schreiben seines Bevollmächtigten an die Antragsgegnerin vom 20. März 2024 teilte der Antragsteller mit, der Beschluss vom 7. März 2024 sei rechtswidrig. Er sei bei der Antragsgegnerin als Arbeiter angestellt worden und verrichte überwiegend körperliche Arbeit. Im Übrigen bestehe zwar der Arbeitsvertrag mit der Antragsgegnerin; tatsächlich sei der Antragsteller jedoch allein für den Zweckverband A.-see tätig. Der Antragsteller sei nicht in die Verwaltungsorganisation der Antragsgegnerin eingeordnet, weshalb auch keine Gefahr von Interessenkollisionen bestehe. Der erste Bürgermeister der Antragsgegnerin werde u.a. aufgefordert, den Stadtratsbeschluss vom 7. März 2024 gemäß Art. 59 Abs. 2 GO zu beanstanden und den Vollzug auszusetzen.
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Mit Schreiben vom 22. März 2024 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, aufgrund der rechtlichen Beurteilung durch die Rechtsaufsichtsbehörde, die geteilt werde, bestehe keine Veranlassung, den Vollzug des Stadtratsbeschlusses auszusetzen. Eine Nachbesetzung des Stadtratssitzes könne in dessen nächster Sitzung am 27. März 20024 noch nicht stattfinden
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Am 25. März 2024 stellte der Antragsteller einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Mit Beschluss vom 26. März 2024 stellte das Verwaltungsgericht im Wege einer einstweiligen Anordnung vorläufig fest, dass der Antragsteller entgegen dem Beschluss des Stadtrates der Antragsgegnerin vom 7. März 2024 weiterhin dessen Mitglied ist.
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Der Anordnungsanspruch des Antragstellers ergebe sich daraus, dass dieser mangels Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 31 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Satz 2 GO a.F. weiterhin sein Stadtratsmandat beanspruchen könne. Gemäß Art. 31 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GO a.F. könnten hauptberufliche Arbeitnehmer einer Gemeinde keine ehrenamtlichen Gemeinderatsmitglieder sein. Gemäß Art. 31 Abs. 3 Satz 2 GO a.F. gelte als Arbeitnehmer im Sinne des Satzes 1 nicht, wer überwiegend körperliche Arbeit verrichte. Ob dies in Bezug auf die Schiffsführertätigkeit des Antragstellers der Fall sei, könne vorliegend dahingestellt bleiben. Im Hinblick auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Juni 2017 – 10 C 2.16 – sei wegen Sinn und Zweck des Art. 137 Abs. 1 GG eine weitergehende Einschränkung verfassungsrechtlich geboten. Die in dieser Entscheidung in Bezug auf § 24 Abs. 1 der Landkreisordnung für Baden-Württemberg entwickelten rechtlichen Maßstäbe seien auch auf die hier inmitten stehende, weitestgehend inhaltsgleiche Inkompatibilitätsregelung in Art. 31 Abs. 3 GO a.F. anzuwenden mit der Folge, dass der Antragsteller kein Arbeitnehmer im Sinne des Art. 31 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GO a.F. sei. Er habe in seiner Funktion als Schiffsführer im Bereich der Personenschifffahrt keine Möglichkeit, auf die Verwaltungsführung der Antragsgegnerin inhaltlich Einfluss zu nehmen, so dass eine Gefahr von Interessenkollisionen nicht im Ansatz bestehe. Auf die räumlichen Gegebenheiten und die damit verbundene Möglichkeit der Kontaktaufnahme zu Mitarbeitern des Rathauses sowie des Zuganges zu deren Büroräumen könne insoweit ebenso wenig wie im Falle eines Pförtners abgestellt werden. Von der Antragsgegnerin geschilderte Vorfälle würden nicht den erforderlichen berufsspezifischen Bezug zur dienstlichen Tätigkeit des Antragstellers als Schiffsführer aufweisen. Ein Anordnungsgrund liege vor, da die einstweilige Regelung als notwendig erscheine, um insbesondere wesentliche Nachteile abzuwenden. Im konkreten Fall seien diese Nachteile auch so schwerwiegend, dass eine Vorwegnahme der Hauptsache gerechtfertigt erscheine.
11
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin. Dieser ist der Antragsteller entgegengetreten.
12
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten verwiesen.
II.
13
1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig festgestellt, dass der Antragsteller weiterhin Mitglied des Stadtrates der Antragsgegnerin ist. Die gegen diese Entscheidung fristgemäß vorgebrachten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 1 und 3 VwGO), auf die sich die Prüfung im Beschwerdeverfahren gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt, rechtfertigen keine Abänderung des angefochtenen Beschlusses.
14
Die Antragsgegnerin stellt die Bewertung des Verwaltungsgerichts (BA S. 12), ein Anordnungsgrund sei glaubhaft gemacht worden (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO), nicht substantiiert in Frage gestellt. Dem Antragsteller steht auch ein Anordnungsanspruch zu, weil eine Inkompatibilität seiner Beschäftigung als Arbeitnehmer bei der Antragsgegnerin mit seinem Stadtratsmandat gemäß Art. 31 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GO a.F. nicht vorliegt und die Feststellung seines Amtsverlustes durch den Stadtrat der Antragsgegnerin deshalb rechtswidrig ist (a). Die Rüge der Antragsgegnerin, das Verwaltungsgericht haben ihren Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, stellt die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht in Frage (b).
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a) Der Antragsteller ist nicht als Arbeitnehmer der Antragsgegnerin im Sinne des Art. 31 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GO a.F. anzusehen.
16
(1) Gemäß dieser Vorschrift kann u.a. ein hauptberuflicher Arbeitnehmer der betreffenden Gemeinde kein ehrenamtliches Gemeinderatsmitglied sein. Als Arbeitnehmer im Sinn des Satzes 1 gilt gemäß Satz 2 der Vorschrift nicht, wer überwiegend körperliche Arbeit verrichtet. Art. 31 GO ist vorliegend gemäß Art. 120b Abs. 2 Satz 1 GO in der bis 31. Dezember 2023 geltenden Fassung vom 22. März 2018 anzuwenden, da der Antragsteller sein Amt am 31. Dezember 2023 ausgeübt hat.
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Diese mit der Bayerischen Verfassung vereinbare Inkompatibilitätsregelung (vgl. BayVerfGH, B.v. 25.7.1974 – Vf. 43-VII-72 – VerfGHE 27, 101) beruht auf Art. 137 Abs. 1 GG, wonach u.a. die Wählbarkeit von Angestellten des öffentlichen Dienstes in den Gemeinden gesetzlich beschränkt werden kann. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. B.v. 4.4.1978 – 2 BvR 1108/77 – BVerfGE 48, 64 juris Rn. 59) dient diese Ermächtigungsnorm allgemein der Sicherung der organisatorischen Gewaltenteilung gegen Gefahren, die durch das Zusammentreffen von Amt und Mandat entstehen können. Verhindert werden solle insbesondere, dass „öffentlich Bedienstete“ demjenigen Vertretungsorgan angehören, dem eine Kontrolle über ihre Behörde obliegt. Ein solches Schutzbedürfnis bestehe ebenso im Bereich der Kommunen. Es lasse sich mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung nicht ohne weiteres vereinbaren, wenn dieselbe Person kommunaler Bediensteter sei und zugleich dem kommunalen Vertretungsorgan angehöre, denn gerade auf lokaler Ebene sei die Gefahr gewisser Verflechtungen nicht von der Hand zu weisen (vgl. auch BayVGH, U.v. 20.10.2003 – 4 BV 02.2985 – VGH n.F. 56, 227 Rn. 15).
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Art. 137 Abs. 1 GG ermächtigt nicht zur Beschränkung der Wählbarkeit sämtlicher Arbeitnehmer, sondern nur der Angestellten des öffentlichen Dienstes. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 14. Juni 2017 – 10 C 2.16 – BVerwGE 159, 113 Rn. 22 ausgeführt, bei Erlass des Grundgesetzes habe das Arbeitsrecht zwischen Angestellten und Arbeitern unterschieden; nachdem das Arbeitsrecht diese begriffliche Unterscheidung aufgegeben und den einheitlichen Begriff des Arbeitnehmers eingeführt habe, müssten die gesetzlichen Bestimmungen über Wählbarkeitsbeschränkungen die in Art. 137 Abs. 1 GG unverändert angelegte Unterscheidung auf andere Weise fortführen. Dies könne dadurch geschehen, dass vom umfassenden Begriff des Arbeitnehmers diejenigen ausgenommen würden, die überwiegend körperliche Arbeit verrichteten. In diesem Urteil hat das Bundesverwaltungsgericht darüber hinaus die Art. 31 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 GO a.F. sinngemäß entsprechende, auf Landkreisbedienstete bezogene Vorschrift des § 24 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a und Satz 2 der Landkreisordnung für Baden-Württemberg (BWLKrO) dahin verfassungskonform einschränkend ausgelegt, dass davon solche Arbeitnehmer nicht erfasst sind, die nach ihrem dienstlichen Tätigkeitsbereich keine Möglichkeit haben, inhaltlich auf die Verwaltungsführung des Landkreises oder des Landratsamtes Einfluss zu nehmen (a.a.O. Rn. 30). Eine Begrenzung der Wählbarkeit im kommunalen Bereich bedürfe eines sachlichen Grundes, der dem Sinn der verfassungsrechtlichen Ermächtigung gerecht werde. Sie sei deshalb nur gerechtfertigt, wenn ansonsten der Gefahr von Interessenkollisionen nicht wirksam zu begegnen sei (a.a.O. Rn. 27). Differenzierungen anhand bestehender Gefahren von Interessenkonflikten müssten bereits auf der Ebene des Gesetzes getroffen werden. Das schließe freilich nicht aus, dem Gesetz die gebotene Differenzierung erst im Wege der Auslegung zu entnehmen, wenn dies in der Regelung selbst angelegt oder aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten sei (a.a.O. Rn. 28).
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In Hinblick auf diese Rechtsgrundsätze ist Art. 31 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GO a.F. verfassungskonform dahin auszulegen, dass diese Vorschrift nicht auf Arbeitnehmer wie den Antragsteller anzuwenden ist, deren Tätigkeitsbereich nicht im Bereich der Anstellungskörperschaft liegt, weil sie sowohl in rechtlicher wie auch tatsächlicher Hinsicht ausschließlich für eine andere juristische Person tätig und in deren Organisationsstruktur einbezogen sind.
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Nach dem Vortrag der Beteiligten ist der Antragsteller zwar bei der Antragsgegnerin angestellt; seine Arbeitskraft steht aber zu 100 Prozent dem Zweckverband A.-see zur Verfügung. Dies deckt sich mit der übermittelten Telefonliste, die den Antragssteller – ausschließlich – als Mitarbeiter des Amts IV (Zweckverband A.-see) führt. Gemäß der von der Antragsgegnerin vorgelegten Arbeitsplatzbeschreibung nimmt er Aufgaben im Zusammenhang mit der Personenschifffahrt auf dem A.-see wahr, deren Betrieb in der Zuständigkeit des Zweckverbands liegt. Die Zurverfügungstellung des Antragstellers erfolgt auf Grundlage der Zweckvereinbarung vom 21. September 1979. Danach bedient sich der Zweckverband für die Führung seiner sämtlichen anfallenden Verwaltungs- und Kassengeschäfte des Personals der Antragsgegnerin und erstattet die anfallenden Personalkosten; im Gegenzug ist die Antragsgegnerin verpflichtet, zu diesem Zweck das notwendige Personal und ihre Einrichtungen zur Verfügung zu stellen (§§ 1 und 3 der Zweckvereinbarung). Gemäß § 3 Abs. 1 der zusätzlichen Vereinbarung vom 3. Juni 2008 erstattet der Zweckverband der Antragsgegnerin u.a. die Personalkosten für einen Schiffsführer sowie zwei „Ersatz-Schiffsführer“ zu je 100 Prozent.
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Eine derartige Regelung kann gemäß Art. 7 Abs. 4 und Abs. 5 Satz 1 KommZG grundsätzlich Gegenstand einer Zweckvereinbarung sein. Nach Art. 7 Abs. 4 KommZG kann in einer Zweckvereinbarung geregelt werden, dass eine Gebietskörperschaft den beteiligten anderen Gebietskörperschaften Dienstkräfte zur Erfüllung ihrer Aufgaben zeitanteilig zur Verfügung stellt; gemäß Abs. 5 Satz 1 der Vorschrift kann ein Zweckverband eine Zweckvereinbarung abschließen, soweit das zur Erfüllung der ihm von seinen Mitgliedern übertragenen Aufgaben dient, vorliegend dem Betrieb der Personenschifffahrt auf dem A.-see im Rahmen der Entwicklung des dortigen Fremdenverkehrs. Zwar hat der Antragsteller die Frage aufgeworfen, ob vorliegend der Anwendungsbereich des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) eröffnet ist, und hat zu Bedenken gegeben, dass der EUGH die bei einer Personalgestellung im öffentlichen Dienst einschlägige Bereichsausnahme gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG als europarechtswidrig beanstanden könnte. Der EuGH hat jedoch bereits bestätigt, dass eine solche mitgliedstaatliche Regelung mit der RL 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit in Einklang steht (vgl. U.v. 22.6.2023 – C-427/21 – NZA 2023, 815).
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Der Antragsteller hat nach seinem dienstlichen Tätigkeitsbereich beim Zweckverband keine Möglichkeit, inhaltlich auf die Verwaltungsführung der Anstellungskörperschaft Einfluss zu nehmen. Inwieweit er rein tatsächlich außerhalb seines Tätigkeitsbereichs versucht hat, Dienstgeschäfte der Antragsgegnerin zu beeinflussen, wie diese vorträgt, ist insoweit nicht entscheidungserheblich. In diesem Zusammenhang ist auch unbeachtlich, dass die räumliche Nähe der Geschäftsräume des Zweckverbands zur Stadtverwaltung es dem Antragsteller erleichtern mag, seine außerdienstlichen Anliegen an Mitarbeiter der Antragsgegnerin heranzutragen.
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Die Gefahr von Interessenkollisionen, der die Regelung des Art. 31 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GO a.F. entgegenwirken soll, besteht damit nicht; die Anwendung des Grundsatzes, wonach ehrenamtliche Gemeinderatsmitglieder nicht Angestellte dieser Gemeinde sein können, ist daher in diesem Ausnahmefall sachlich nicht gerechtfertigt. Für diese verfassungskonforme Auslegung des Art. 31 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GO a.F. spricht zudem, dass die Vorschrift gemäß Satz 3 u.a. dann nicht anzuwenden ist, wenn der Arbeitnehmer während der Dauer des Ehrenamts ohne Dienstbezüge beurlaubt ist oder wenn die Rechte und Pflichten aus dem Dienstverhältnis wegen der Wahl in eine gesetzgebende Körperschaft ruhen. Solange die ausschließliche Tätigkeit des Antragstellers für den Zweckverband fortdauert, ist dieser in vergleichbarer Weise nicht in die Verwaltungsorganisation der Antragsgegnerin als Anstellungskörperschaft integriert und hat in Ausübung seiner dienstlichen Tätigkeit keine Möglichkeit der Einflussnahme auf die Verwaltungsführung.
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Erfüllt ein Arbeitnehmer nicht Aufgaben der Anstellungskörperschaft, sondern einer anderen juristischen Person, der er als Dienstkraft zur Verfügung gestellt wurde, ist allerdings Art. 31 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GO a.F. entsprechend anzuwenden. Danach können u.a. leitende Beamte und leitende Arbeitnehmer von juristischen Personen oder sonstigen Organisationen des öffentlichen oder privaten Rechts, an denen die Gemeinde mit mehr als 50% beteiligt ist, nicht ehrenamtliche Gemeinderatsmitglieder sein; eine Beteiligung am Stimmrecht genügt. Unter diesen Voraussetzungen bestünde nach der Wertung des Gesetzgebers die Gefahr eines Interessenkonflikts, der durch die Inkompatibilitätsregelung vorgebeugt werden soll.
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Vorliegend entfallen allerdings auf die Antragsgegnerin 35 von insgesamt 88 Stimmen in der Verbandsversammlung, d.h. ihr Stimmenanteil beträgt lediglich rund 40 Prozent. Im Übrigen ist der Antragsteller auch kein leitender Arbeitnehmer des Zweckverbands. Dies würde voraussetzen, dass er die Möglichkeit wesentlicher Einflussnahme auf bzw. maßgeblicher Mitwirkung bei tragenden Entscheidungen und Planungen der Geschäftsführung sowohl bei der Bestimmung der Grundlinien der Unternehmenspolitik als auch der Geschäftspraxis hätte. Demgegenüber bekleiden einfache Angestellte eine nicht herausgehobene Stellung ohne Führungskompetenzen (vgl. BayVGH, U.v. 20.10.2003 – 4 BV 02.2985 – VGH n.F. 56, 227 Rn. 17 m.w.N.). Unter Anwendung dieser Kriterien handelt es sich beim Antragsteller nicht um einen leitenden Arbeitnehmer. Er wirkt am Betrieb der Personenschifffahrt auf dem A.-see mit, die nur eine von zahlreichen Aufgaben des Zweckverbands betrifft. Er nimmt keine Aufgaben in Bezug auf den Zweckverband insgesamt wahr. Insbesondere wirkt er nicht an dessen strategischen Entscheidungen mit.
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Dass die Verbandsversammlung des Zweckverbands nach dem Vortrag der Antragsgegnerin in einer Sitzung am 8. Mai 2024 die Feststellung des Amtsverlusts des Antragstellers bestätigt hat, ist rechtlich ohne Bedeutung; es ändert nichts daran, dass die Voraussetzungen des Art. 31 Abs. 3 Satz 1 Nrn. 1 und 3 GO a.F. nicht vorliegen.
27
b) Die Rüge der Antragsgegnerin, im Antragsverfahren vor dem Verwaltungsgericht sei ihr Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden, stellt die Richtigkeit der angefochtenen Eilentscheidung nicht in Frage. Aus dem Vortrag ergibt sich bereits nicht, dass eine solche Rechtsverletzung vorliegen könnte.
28
Das Verwaltungsgericht hat der Antragsgegnerin zwar knapp bemessene Äußerungsfristen gestellt. Dies war jedoch dem Umstand geschuldet, dass das Verwaltungsgericht in nachvollziehbarer Weise eine besondere Dringlichkeit des streitgegenständlichen Eilantrags angenommen hat. Der Antragsgegnerin wurde mit Schreiben des Verwaltungsgerichts vom 25. März 2024 bis zum Folgetag um 10 Uhr Gelegenheit zur Stellungnahme zur Frage gegeben, ob bis zur Entscheidung über das Eilverfahren zur Vermeidung von vollendeten Tatsachen vom Ausschluss des Antragstellers abgesehen werde. Nach Kenntnisstand des Gerichts finde die nächste Stadtratssitzung am Abend des 27. März 2024 statt. Andernfalls werde das Gericht am Folgetag über den Erlass eines Hängebeschlusses entscheiden. Hierzu werde ferner Gelegenheit zur rechtlichen Stellungnahme bis zum Folgetag, 12 Uhr gegeben. Die Antragsgegnerin teilte mit Schreiben vom 26. März 2024 hierzu mit, in der Sitzung des Stadtrates vom 27. März 2024 stehe die Nachbesetzung des bisher von dem Antragsteller wahrgenommen Stadtratsmandats nicht auf der Tagesordnung; weitere Sitzungen seien erst wieder in der Woche ab dem 15. April 2024 anberaumt. Aufgrund dieser Erklärung konnte das Verwaltungsgericht nicht davon ausgehen, dass der Antragsteller an der Stadtratssitzung am 27. März 2024 würde teilnehmen können. Für einen Ausschluss des Antragstellers von weiteren Sitzungen sprach insbesondere, dass mit dem Stadtratsbeschluss vom 7. März 2024 dessen Amtsverlust mit sofortiger Wirkung festgestellt wurde. Es liegt demnach in der Natur der Sache, dass der Antragsgegnerin lediglich eine kurze Äußerungsfrist gesetzt werden konnte. Im Übrigen zeigt die Antragsgegnerin nicht auf und es ist auch sonst nicht ersichtlich, inwieweit sie zu einem umfassenden Vortrag innerhalb der gesetzten Äußerungsfrist außerstande gewesen wäre. Hiergegen spricht auch der umfangreiche Vortrag in der Antragserwiderung vom 26. März 2024 mitsamt umfangreichen Anlagen.
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Unabhängig davon würde ein etwaiger Verfahrensfehler im erstinstanzlichen Verfahren nicht in Frage stellen, dass, wie vorstehend ausgeführt, die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung in der Sache vorliegen.
30
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung zum Streitwert aus § 47 i. V. m. § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und Nr. 22.7 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (wie Vorinstanz).
31
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).