Titel:
Rechtswidrigkeit der Anordnung einer häuslichen Quarantäne für die Betriebsmitarbeiter und einer Betriebsstilllegung
Normenketten:
IfSG § 28 Abs. 1 S. 1, § 30 Abs. 1 S. 2
VwGO § 113 Abs. 1 S. 4, § 124 Abs. 2 Nr. 1, 2, 5
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1
Leitsätze:
1. Mit dem Begriff der „Quarantäne wird – ebenso wie mit dem Begriff der Isolierung und dem (Ober-)Begriff der „Absonderung“ – eine räumliche Trennung von (möglicherweise) ansteckenden Personen vom Rest der Bevölkerung bezeichnet. Dieser Begriffsinhalt kann sich nicht unmittelbar auf Organisationen, Sachen und Sachgesamtheiten (wie Betriebe, Gebäude und Grundstücke) erstrecken. Die Absonderung muss sich deshalb auf sämtliche Mitarbeiter der genannten Betriebe – also ausschließlich natürliche Personen – beziehen. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Betriebe können als Organisationseinheiten und Sachgesamtheiten nicht Inhaltsadressaten einer Absonderungsanordnung sein. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein an alle „auf den o.g. Betrieben und dazugehörenden Unterkünften“ befindliche Personen gerichtetes Verbot, „das jeweilige Gelände ohne ausdrückliche Zustimmung des Gesundheitsamtes zu verlassen“ ist nicht hinreichend bestimmt iSd Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG, da sich der räumliche und/oder personelle Geltungsbereich des Verlassensverbots nicht mit hinreichender Klarheit entnehmen lässt. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
4. Dass das dem angegriffenen Bescheid zugrundeliegende tatsächliche Geschehen eines sich ausbreitenden Infektionsgeschehens unter mehreren hundert auf engem Raum untergebrachten und bei der Arbeit aufeinander treffenden Saisonarbeitskräften – noch dazu mehrerer in Austauschbeziehungen stehender Betriebe – unübersichtlich war und die zuständigen Behörden vor erhebliche Herausforderungen gestellt hat, führt für sich genommen nicht zu besonderen Schwierigkeiten der Rechtssache. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Corona-Pandemie, Antrag auf Zulassung der Berufung, Absonderungsanordnung, lebensmittelverarbeitender Betrieb, „Betriebsquarantäne“, Produktionsstillegung
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 30.01.2023 – RN 5 K 20.1355
Fundstelle:
BeckRS 2024, 12192
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
II. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 100.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung wendet sich der in erster Instanz unterlegene Beklagte gegen die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Bescheids, mit dem eine häusliche Quarantäne und eine Betriebsstilllegung angeordnet wurden.
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1. Die Klägerin stellt in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG in zwei Betrieben im Landkreis Dingolfing-Landau Gemüsekonserven her. Nachdem bei einer Reihentestung am 31. Juli 2020 zunächst bei 43 und am 1. August 2020 bei weiteren 152 Mitarbeitern eine Infektion mit SARS-CoV-2 festgestellt wurde, erließ das Landratsamt Dingolfing-Landau am 4. August 2020 einen an die Klägerin adressierten Bescheid, der – soweit in erster Instanz zuletzt noch streitbefangen – folgenden Wortlaut hatte:
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1.1 Mit sofortiger Wirkung wird für die Betriebe … … GmbH & Co. KG, den Betrieb … und den Betrieb … und die dazugehörigen Unterkünfte und den [sich] dort befindlichen Personen, einschließlich Verwaltung und Betriebsleitung eine Quarantäne angeordnet. Die Anordnung gilt bis auf weiteres. Der Zeitpunkt der Beendigung wird in Absprache mit dem Gesundheitsamt Dingolfing-Landau noch festgelegt.
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1.2 Allen auf den o.g. Betrieben und dazugehörenden Unterkünften befindlichen Personen ist in dieser Zeit untersagt, das jeweilige Gelände ohne ausdrückliche Zustimmung des Gesundheitsamtes zu verlassen (…).
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1.4 Die Produktion des Betriebes … … GmbH & Co. KG wird bis Abschluss der Ermittlung des Infektionsherdes, sowie der Erfüllung der aus infektionsschutzrechtlicher Sicht erforderlichen Maßnahmen stillgelegt. (…)“
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Die Anordnung einer häuslichen Quarantäne für den gesamten Betrieb „mit allen Mitarbeitern sowie der Betriebsleitung“ sei erforderlich, da aufgrund des „diffusen und sehr schnell ansteigenden Infektionsgeschehens, das in allen Abteilungen und Schichten des Betriebes nachzuweisen ist, (…) eine sofortige Kontaktermittlung nicht möglich“ sei. Die „Absonderung (= häusliche Quarantäne)“ sei „ein geeignetes Mittel zur Verhinderung der weiteren Verbreitung der Krankheit“. Mit der „häuslichen Durchführung der Absonderung“ werde „den Belangen der betroffenen Personen so weit wie möglich Rechnung getragen“. Die „Quarantäne des Betriebes“ diene „zur Kontaktermittlung und zur Ermittlung des Infektionsherdes“. Außerdem sei es hierzu „nötig, die Produktion des Betriebes der … … GmbH & Co. KG bis zum Abschluss der Ermittlungen bezüglich des Infektionsherdes stillzulegen“. Eine weniger einschneidende Maßnahme sei aufgrund der hohen und rasant ansteigenden Infektionszahlen nicht möglich und die getroffenen Anordnungen „das einzig wirksame Mittel, um weitere Infektionen zu verhindern“. Da bei zwei weiteren Betrieben Kontakte zu Mitarbeitern der Klägerin „nicht auszuschließen“ und die „Ergebnisse der Reihentestung noch nicht bekannt“ seien, werde die Quarantäne auch auf diese Betriebe ausgeweitet. Als Rechtsgrundlage werden in den Bescheidsgründen sowohl die §§ 28 Abs. 1 Satz 1, 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG als auch der § 16 IfSG genannt.
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2. Nachdem die Klägerin am 5. August 2020 hiergegen Anfechtungsklage erhoben und Eilantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt hatte, hob das Landratsamt mit Bescheid vom 7. August 2020 zunächst die Ziff. 1.1 für die beiden Betriebe der Klägerin und die Ziff. 1.2 des Bescheids vom 4. August 2020 wieder auf, weil die Kontaktermittlung abgeschlossen sei und alle Infizierten sowie die Kontaktpersonen der Kategorie I Bescheide erhalten hätten. Das einstweilige Rechtsschutzverfahren wurde daraufhin nur noch im Hinblick auf Ziff. 1.4 des Bescheids fortgeführt; insofern ordnete das Verwaltungsgericht durch Beschluss vom 11. August 2020 (RN 14 S 20.1389) die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziff. 1.4 des Bescheids an. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Beklagten wies der erkennende Senat mit Beschluss vom 20. August 2020 (20 CS 20.1877) zurück.
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3. Im Hauptsacheverfahren stellte die Klägerin ihren Antrag im Hinblick auf die Ziff. 1.1, 1.2 Satz 1 und 1.4 des Bescheids vom 4. August 2020 auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage um und erklärte den Rechtsstreit im Übrigen für erledigt. Der Beklagte stimmte der (Teil-)Erledigungserklärung zu und das Verfahren wurde insoweit eingestellt. Mit Urteil vom 30. Januar 2023 – den Beteiligten zugestellt am 20. März 2023 – stellte das Verwaltungsgericht außerdem fest, dass die Ziff. 1.1, 1.2 Satz 1 und 1.4 des Bescheids rechtswidrig gewesen seien. Rechtsgrundlage aller streitigen Anordnungen sei § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG; dagegen komme § 16 IfSG als Rechtsgrundlage schon deshalb nicht in Betracht, weil vor Erlass der streitigen Anordnungen bereits Infektionen mit SARS-CoV-2 aufgetreten seien. Hinsichtlich der Ziff. 1.1 des Bescheids hätten die tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 28 Abs. 1 Satz 1, 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG nicht vorgelegen. Während Betriebe und dazugehörige Unterkünfte schon nicht Gegenstand einer Quarantäneanordnung sein könnten, sei der Bescheid gegenüber den in Ziff. 1.1 genannten Personen nicht ordnungsgemäß bekanntgegeben worden und damit formell rechtswidrig. Gleiches gelte für die Anordnung in Ziff. 1.2 Satz 1 des Bescheids. Im Hinblick auf die mit Ziff. 1.4 verfügte Betriebsstilllegung habe die Behörde ihr Auswahlermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt.
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4. Mit Schriftsatz vom 6. April 2023 stellte der Beklagte einen Antrag auf Zulassung der Berufung, dem die Klägerin entgegentritt. Zur Begründung seines Antrags beruft sich der Beklagte mit Schriftsatz vom 8. Mai 2023 zunächst auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Zweifel beständen zum einen an dem tragenden Rechtssatz, dass Quarantäneanordnungen nicht gegenüber Betrieben und zugehörigen Unterkünften erlassen werden könnten. Dies sei – gestützt auf § 28 Abs. 1 Satz 1 und/oder Satz 2 IfSG – vielmehr möglich, zumal im Bescheid der Begriff der „Quarantäne“ und nicht der Begriff der „Absonderung“ i.S.d. § 30 IfSG verwendet worden sei und es sich bei einer Quarantäne für Betriebe in der Sache letztlich um eine Betriebsschließung handele. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils ergäben sich weiter daraus, dass das Verwaltungsgericht nicht näher aufgeklärt habe, in welcher Beziehung der in Ziff. 1.1 des Bescheids genannte Betrieb … zur Klägerin gestanden habe. Ernstliche Zweifel beständen auch an der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, mit der Adressierung der Ziff. 1.1 und 1.2 Satz 1 des Bescheids an die Klägerin liege ein zur Rechtswidrigkeit führender formeller Bekanntgabemangel vor. Die Klägerin sei als Inhaberin und Leiterin eines Betriebs, der Saisonarbeitskräfte beschäftige und ihnen Unterkünfte zur Verfügung stelle, lediglich Empfangsbotin für behördliche Anweisungen gegenüber diesen Saisonarbeitskräften. Zudem wäre die Klägerin aufgrund einer (unterstellt) mangelhaften Bekanntgabe des Bescheids jedenfalls nicht in ihren subjektiven Rechten verletzt. Ernstlichen Zweifel begegne schließlich auch die Annahme einer fehlerhaften Ermessensausübung im Hinblick auf die Produktionsstillegung durch Ziff. 1.4 des Bescheids. Tatsächlich sei das Ermessen des Beklagten im konkreten Fall aufgrund einer unmittelbaren Gefährdung der Gesundheit einer Vielzahl von Menschen auf Null reduziert gewesen: Bei einer Fortsetzung der Produktion hätte sich das Infektionsgeschehen absehbar weiter verschleppt; eine Grundreinigung und Desinfektion des Betriebs wären gerade nicht ausreichend gewesen, um die Ansteckungsgefahren bei der Begegnung von Arbeitskräften zu beseitigen. Entgegen dem Vortrag der Klägerin sei die Anordnung in Ziff. 1.4 des Bescheids auch nicht zu unbestimmt gewesen; vielmehr habe eine Präzisierung der erforderlichen Maßnahmen in Zusammenarbeit mit der Klägerin erfolgen sollen.
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Weiter beruft sich der Beklagte auf besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache. Solche Schwierigkeiten beständen vorliegend darin, dem Problem eines sich ausbreitenden Infektionsgeschehens unter mehreren hundert in engen Unterkünften untergebrachten Saisonarbeitskräften mit den Mitteln des Infektionsschutzrechts gerecht zu werden, zumal die Belegschaften mehrerer Betriebsstätten betroffen gewesen seien.
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Schließlich rügt der Beklagte einen Verfahrensmangel des Verwaltungsgerichts im Hinblick auf die rechtliche Würdigung von Ziff. 1.4 des Bescheids vom 4. August 2020. Läge nämlich – wie das Verwaltungsgericht angenommen habe – insofern weder eine Ermessensreduzierung auf Null noch ein Ermessensausfall vor, habe das Verwaltungsgericht dem Beklagten fehlerhaft das Recht abgeschnitten, seine Ermessenserwägungen zu ergänzen. Die Annahme, dass eine solche Ergänzung nur bis zum Zeitpunkt der Erledigung des Verwaltungsakts zulässig sei, schneide dem Beklagten eine Verteidigungsmöglichkeit ab. Die Behörde habe ihre Entscheidungen im maßgeblichen Zeitraum unter erheblichem Zeitdruck treffen müssen; insofern müsse der Behörde zugestanden werden, ihren Bescheid auch nach seiner Erledigung noch zu erläutern. Insbesondere die zur Darlegung einer Ermessensreduzierung auf Null vorgetragenen Erwägungen wären dann genannt worden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
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Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 30. Januar 2023 hat keinen Erfolg. Aus der Antragsbegründung, auf die sich nach § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO die Prüfung im Zulassungsverfahren grundsätzlich beschränkt, ergeben sich die geltend gemachten Berufungszulassungsgründe (§ 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 5 VwGO) nicht.
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1. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Solche Zweifel liegen (nur) vor, wenn der Rechtsmittelführer einen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt und sich die Urteilsformel nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig erweist (stRspr, vgl. nur BVerfG, B.v. 18.6.2019 – 1 BvR 587/17 – juris Rn. 32 m.w.N.; B.v. 16.7.2013 – 1 BvR 3057/11 – juris Rn. 40; BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4/03 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 27.9.2023 – 20 ZB 23.1043 – juris Rn. 2). Solche Gegenargumente sind der Antragsbegründung nicht zu entnehmen.
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a) Soweit die geltend gemachten Zweifel an der Richtigkeit des Urteils darauf gestützt werden, dass Quarantäneanordnungen entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts nicht nur gegenüber natürlichen Personen, sondern – auf der Grundlage von § 28 Abs. 1 Satz 1 und/oder Satz 2 IfSG – auch gegenüber Betrieben und zugehörigen Unterkünften erlassen werden könnten, werden damit ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nicht hinreichend dargelegt. Soweit sich die Quarantäneanordnung nach Ziff. 1.1 des Bescheids dem Wortlaut nach (auch) direkt an drei namentlich aufgeführte Betriebe und Unterkünfte richtet („wird für die Betriebe […] und die dazugehörigen Unterkünfte […] eine Quarantäne angeordnet“), ergibt sich schon weder aus dem Bescheid vom 4. August 2020 noch aus dem Zulassungsantrag in hinreichender Weise, welchen von § 30 IfSG unabhängigen Regelungsgehalt eine solche „Betriebsquarantäne“ haben sollte. Mit dem Begriff der „Quarantäne“ wird – ebenso wie mit dem Begriff der „Isolierung“ und dem (Ober-)Begriff der „Absonderung“ (zur Terminologie vgl. nur Sangs in Sangs/Eibenstein, IfSG, 2022, § 30 Rn. 1; Kießling in Kießling, IfSG, 3. Aufl. 2022, § 30 Rn. 4 m.w.N.) – eine räumliche Trennung von (möglicherweise) ansteckenden Personen vom Rest der Bevölkerung bezeichnet. Dass sich dieser Begriffsinhalt auf Organisationen, Sachen und Sachgesamtheiten (wie Betriebe, Gebäude und Grundstücke) nicht unmittelbar erstrecken lässt, liegt auf der Hand. Soweit der Beklagte mit seinem Zulassungsantrag vorträgt, bei einer Quarantäne für Betriebe handele es sich „letztlich [um] eine Betriebsschließung“, widerspricht eine solche Auslegung nicht nur den Bescheidsgründen, wonach die Ziff. 1.1 und 1.2 Satz 1 des Bescheids auf eine Absonderung sämtlicher Mitarbeiter der genannten Betriebe – also ausschließlich natürlicher Personen – abzielten. Sie lässt auch offen, warum mit Ziff. 1.4 des Bescheids eigens eine Betriebsstilllegung verfügt wurde, die von vornherein entbehrlich gewesen wäre, wenn es sich schon bei der „Betriebsquarantäne“ nach Ziff. 1.1 in der Sache um eine Betriebsschließung gehandelt hätte. Ist nach dem Zulassungsantrag aber schon der Regelungsgehalt einer vom Beklagten für zulässig gehaltenen „Betriebsquarantäne“ durch Ziff. 1.1 des Bescheids vom 4. August 2020 nicht eindeutig zu ermitteln, lässt sich auch nicht prüfen, auf welche Rechtsgrundlage sie ggf. zu stützen wäre und ob deren Voraussetzungen erfüllt waren.
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b) Aus der fehlenden Aufklärung der Beziehungen der Klägerin zu dem ebenfalls in Ziff. 1.1 genannten landwirtschaftlichen Betrieb … ergeben sich schon deswegen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, weil es hierauf im Hinblick auf die Ausführungen unter a) schon nicht ankommt.
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c) Soweit der Beklagte Zweifel an der Richtigkeit des Urteils damit begründen will, dass das Verwaltungsgericht rechtsfehlerhaft aus der Adressierung des Bescheids an die Klägerin einen zur Rechtswidrigkeit führenden Bekanntgabemangel hinsichtlich der an die in den genannten Betrieben beschäftigten Personen gerichteten Quarantäneanordnung abgeleitet habe, wird damit die Richtigkeit des Urteils im Ergebnis nicht in Frage gestellt. Die Anordnungen in den Ziff. 1.1 und 1.2 Satz 1 des Bescheids vom 4. August 2020 bilden in ihrer Gesamtheit eine Absonderungsanordnung i.S.d. § 30 IfSG, die dem gesetzlichen Wortlaut, dem systematischen Zusammenhang und ihrer Zweckbestimmung nach nur gegenüber natürlichen Personen ergehen kann. Die Rechtswidrigkeit der Ziff. 1.1 des Bescheids ergibt sich daher schon ohne weiteres daraus, dass die Anordnung einer Quarantäne inhaltlich auch direkt an drei Betriebe – darunter den der Klägerin (zugleich Bekanntgabeadressatin des Bescheids) – gerichtet war, die aber als Organisationseinheiten und Sachgesamtheiten nicht Inhaltsadressaten einer Absonderungsanordnung sein können (vgl. nur Sangs in Sangs/Eibenstein, IfSG, 2022, § 30 Rn. 11; Kießling in Kießling, IfSG, 3. Aufl. 2022, § 30 Rn. 15, 22; Johann/Gabriel in BeckOK Infektionsschutzrecht, Stand 8.7.2023, § 30 IfSG Rn. 15). Auf die Frage eines etwaigen Bekanntgabefehlers (im Hinblick auf die ebenfalls verpflichteten Personen) und dessen Rechtsfolgen (vgl. dazu nur Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl. 2023, § 37 Rn. 19 ff. m.w.N.) kommt es danach nicht mehr an.
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Das an alle „auf den o.g. Betrieben und dazugehörenden Unterkünften“ befindliche Personen gerichtete Verbot, „das jeweilige Gelände ohne ausdrückliche Zustimmung des Gesundheitsamtes zu verlassen“ nach Ziff. 1.2 Satz 1 des Bescheids teilt aufgrund der ausdrücklichen Bezugnahme auf Inhalt und Geltungsdauer („in dieser Zeit“) der Ziff. 1.1 des Bescheids deren rechtliches Schicksal; unabhängig davon war die Anordnung aber auch nicht hinreichend bestimmt i.S.d. Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG, da sich der räumliche und/oder personelle Geltungsbereich des Verlassensverbots dem Bescheid nicht mit hinreichender Klarheit entnehmen lässt. Die Anordnung gegenüber „allen auf den o.g. Betrieben und dazugehörenden Unterkünften befindlichen Personen“ lässt insbesondere offen, worauf sich die „Betriebe und dazugehörenden Unterkünfte“ erstrecken. Während nämlich der Tenor des Bescheids durch die Bezugnahme auf Ziff. 1.1 des Bescheids – in der die drei genannten Betriebe mit einer Postanschrift bezeichnet werden – und auf „das jeweilige Gelände“ eine grundstücksbezogene Geltung des Verbots nahelegt (auch wenn in diesem Fall Zweifel an einer hinreichend genauen Bezeichnung der betroffenen Grundstücke bestehen dürften), ergibt sich aus den Bescheidsgründen vielmehr eine organisationsbezogene Reichweite: Dass ausweislich der Begründung der „gesamte Betrieb mit allen Mitarbeitern sowie der Betriebsleitung“ einer Quarantäne unterstellt worden sei, spricht dafür, dass die Betriebszugehörigkeit – und nicht der jeweilige Aufenthaltsort – ausschlaggebend sein sollte. Daher bleibt im Ergebnis offen, wer dem Verbot nach Ziff. 1.2 Satz 1 des Bescheids unterliegt.
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Dahingestellt bleiben kann insofern, ob es – was zumindest nicht von vornherein ausgeschlossen erscheint – möglich wäre, auf der Grundlage der infektionsschutzrechtlichen Generalklausel des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG Gebäude und Grundstücke (etwa zur Durchführung von Gefahrerforschungsmaßnahmen) vorübergehend abzusperren oder auf der Grundlage von § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG Personen vorübergehend am Betreten ihrer Arbeitsstätten zu hindern.
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d) Keinen ernstlichen Zweifel begegnet schließlich auch die Annahme einer fehlerhaften Ermessensausübung im Hinblick auf die Produktionsstillegung durch Ziff. 1.4 des Bescheids. Insofern wird verwiesen auf die Ausführungen des Senats im Beschluss vom 20. August 2020 im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (20 CS 20.1877 – … Rn. 16 ff.), die mit dem Zulassungsantrag nicht durchgreifend in Frage gestellt werden. Soweit der Beklagte ausführt, das im Rahmen von § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG eröffnete behördliche Ermessen sei im Hinblick auf die Anordnung der Produktionsstillegung auf Null reduziert gewesen, hat er die Voraussetzungen einer solchen Ermessensreduzierung nicht schlüssig dargelegt. Die Ausführungen im Zulassungsantrag beruhen durchweg auf der (nicht weiter begründeten) Prämisse, dass eine Fortsetzung des Betriebs nur durch die – bereits nach den Ziff. 1.1 und 1.2 Satz 1 des Bescheids einer Quarantäne bzw. Absonderung unterworfenen – Mitarbeiter der Klägerin hätte erfolgen können und jegliche Fortsetzung der Produktion insofern den Erfolg der zugleich getroffenen Quarantäneanordnung konterkariert hätte. Warum dagegen eine – wenn auch möglicherweise nur eingeschränkte – Fortsetzung der Produktion durch nicht der Quarantäneanordnung unterliegende Personen nach einer Grundreinigung und Desinfektion der Betriebsräume entweder nicht möglich oder gleichfalls mit schlechthin nicht hinnehmbaren Infektionsgefahren verbunden gewesen wäre, geht weder aus dem Bescheid noch aus dem Zulassungsantrag hervor. Unabhängig davon war die Produktionsstillegung nach Ziff. 1.4 des Bescheids aber im Ergebnis schon deshalb rechtswidrig, weil sie an einem Bestimmtheitsmangel leidet (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG, vgl. bereits den Senatsbeschluss vom 20. August 2020 – 20 CS 20.1877 – … Rn. 25). Soweit die Produktion der Klägerin bis zur „Erfüllung der aus infektionsschutzrechtlicher Sicht erforderlichen Maßnahmen“ stillgelegt wurde, enthält der Bescheid keinerlei objektiven Anhaltspunkte dafür, welche konkreten Maßnahmen von der Klägerin (oder von Dritten) zu erfüllen waren. Dass – wie der Beklagte mit seinem Zulassungsantrag vorträgt – eine Präzisierung der erforderlichen Maßnahmen im Wege einer Abstimmung mit der Klägerin im Verlauf der auf den Bescheiderlass folgenden Tage beabsichtigt war, ändert nichts an der fehlenden Bestimmtheit der Anordnung, sondern begründet sie vielmehr: Die Beklagte hat mit Ziff. 1.4 des Bescheids einen auflösend bedingten Dauerverwaltungsakt erlassen, bei dem sich der Bedingungseintritt „Erfüllung der aus infektionsschutzrechtlicher Sicht erforderlichen Maßnahmen“ – und damit auch die Geltungsdauer des Verwaltungsakts – selbst im Wege der Auslegung nicht bestimmen ließ und der damit aus sich heraus nicht hinreichend verständlich war.
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2. Auch die zur Begründung des Zulassungsantrags geltend gemachten besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegen nicht vor.
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Solche Schwierigkeiten weist eine Rechtssache dann auf, wenn sie in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht voraussichtlich größere, d.h. überdurchschnittliche, das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursacht (stRspr, vgl. etwa BayVGH, B.v. 5.2.2024 – 6 ZB 23.1545 – juris Rn. 22; Rudisile in Schoch/Schneider, VerwR, Stand März 2023, § 124 VwGO Rn. 28). Das ist vorliegend nicht der Fall.
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Dass das dem angegriffenen Bescheid zugrundeliegende tatsächliche Geschehen eines sich ausbreitenden Infektionsgeschehens unter mehreren hundert auf engem Raum untergebrachten und bei der Arbeit aufeinander treffenden Saisonarbeitskräften – noch dazu mehrerer in Austauschbeziehungen stehender Betriebe – unübersichtlich war und die zuständigen Behörden vor erhebliche Herausforderungen gestellt hat, führt für sich genommen nicht zu besonderen Schwierigkeiten der hier allein maßgeblichen Rechtssache, die sich auf die – vom Verwaltungsgericht nachvollziehbar verneinte – Frage der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheids beschränkt.
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3. Schließlich ist die Berufung auch nicht wegen eines Verfahrensmangels i.S.d § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zuzulassen. Soweit sich der Beklagte darauf beruft, das Verwaltungsgericht habe ihm zu Unrecht das Nachschieben von Ermessenserwägungen abgeschnitten, erscheint schon zweifelhaft, ob damit in der Sache ein Verfahrensmangel gerügt wird, denn der Zulassungsantrag rügt nicht die fehlerhafte Anwendung der prozessualen Voraussetzungen des § 114 Satz 2 VwGO, sondern eine – im Anwendungsbereich des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO unbeachtliche – materiell fehlerhafte Rechtsanwendung des Verwaltungsgerichts aufgrund der unterbliebenen Berücksichtigung nachgeschobener Ermessenserwägungen (vgl. BVerwG, B.v. 19.8.2013 – 5 B 47/13 – juris Rn. 7; Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 114 Rn. 86 a.E.). Unabhängig davon fehlt es jedoch an der nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO erforderlichen Kausalität des gerügten Verfahrensmangels für die Entscheidung, denn – wie oben unter II.1.d) ausgeführt – die Ziff. 1.4 des Bescheids vom 4. August 2020 war bereits aufgrund eines Verstoßes gegen das Gebot inhaltlicher Bestimmtheit aus Art. 37 BayVwVfG rechtswidrig, so dass es im Ergebnis auf die Rechtmäßigkeit der Ermessensausübung schon nicht ankommt.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich für das Berufungszulassungsverfahren aus § 47 Abs. 3 und Abs. 1, § 52 Abs. 1 GKG.
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Mit diesem Beschluss wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).