Inhalt

VGH München, Beschluss v. 02.05.2024 – 19 CE 24.303
Titel:

Chancen-Aufenthaltsrecht und kurzfristige Unterbrechung des Aufenthaltsstatus

Normenketten:
GG Art. 6 Abs. 1, Abs. 4
VwGO § 123
AufenthG § 25b Abs. 1, § 58 Abs. 1 S. 1, § 59 Abs. 1 S. 8, § 60 Abs. 5, Abs. 7, § 60a Abs. 2, § 81 Abs. 3, Abs. 4, § 104c
AsylVfG § 67 Abs. 1 S. 1 Nr. 6, § 71 Abs. 5 S. 2
BayVwVfG Art. 43 Abs. 2, Abs. 3
Leitsätze:
1. Ein Ausländer ist iSv § 25b Abs. 1 S. 1 AufenthG bzw. § 104c Abs. 1 S. 1 AufenthG "geduldet", wenn ihm eine rechtswirksame Duldung gleich welcher Art erteilt worden ist oder wenn er einen Rechtsanspruch auf Duldung hat. Im Falle einer ausdrücklich erteilten Duldung bedarf es nicht zusätzlich eines materiellen Duldungsanspruchs, weil eine Duldung als Verwaltungsakt Bindungs- und Tatbestandswirkung entfaltet und damit auch im Falle ihrer Rechtswidrigkeit zu beachten ist, solange sie weder nichtig noch zurückgenommen oder nach § 60a Abs. 5 S. 2 AufenthG widerrufen worden ist (BVerwG BeckRS 2019, 37863; vgl. Art. 43 Abs. 2 und 3 BayVwVfG). (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Wortlaut des § 104c Abs. 1 S. 1 AufenthG ist eindeutig und setzt voraus, dass die fünfjährige Voraufenthaltszeit "ununterbrochen", dh lückenlos durch eine Aufenthaltsgestattung, Duldung oder einen Aufenthaltstitel gedeckt sein muss. Es erscheint deshalb zweifelhaft, ob eine einschränkende Auslegung dieser gesetzlichen Voraussetzung entgegen dem Wortlaut dahingehend, dass "kurzfristige" Unterbrechungen des Aufenthalts im Bundesgebiet von bis zu drei Monaten unschädlich sein sollen, die keine Verlegung des Lebensmittelpunktes zur Folge hatten, in Anknüpfung an die Gesetzesbegründung zulässig sein kann (offen gelassen: VGH München BeckRS 2024, 7477 mwN). (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das Gesetz kennt keinen rechtlich erheblichen Zustand der "faktischen Duldung", aus dem weitergehende Ansprüche (etwa auf Erteilung eines tatbestandlich an die Duldung anknüpfenden Aufenthaltstitels wie der Aufenthaltserlaubnis nach § 104c Abs. 1 AufenthG) abgeleitet werden könnten. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Aussetzung der Abschiebung, Rechtsschutzbedürfnis, Anordnungsgrund, Verfahrensduldung, Kurzfristige Unterbrechung, kurzfristige Unterbrechung, faktische Duldung, ununterbrochener Voraufenthalt, Fiktionswirkung
Vorinstanz:
VG Ansbach, Beschluss vom 17.01.2024 – 5 E 23.2467
Fundstelle:
BeckRS 2024, 12173

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 3.750,00 EUR festgesetzt.

Gründe

1
Die vor Inkrafttreten des § 80 AsylG n.F. eingelegte Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts ist zulässig, bleibt in der Sache aber ohne Erfolg.
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1. Die Prüfung der für die Begründetheit der Beschwerde streitenden Gründe ist im Grundsatz auf das in der Beschwerdebegründung Dargelegte beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO). Danach ergibt sich nicht, dass dem Antragsgegner entgegen der Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Wege der einstweiligen Anordnung aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen die Antragsteller (aserbaidschanische Staatsangehörige, nach bestandskräftiger Ablehnung ihrer Asylanträge <seit 14.7.2022 hinsichtlich des Antragstellers zu 1, seit 1.7.2023 hinsichtlich des Antragstellers zu 2 und seit 6.9.2023 hinsichtlich des im Bundesgebiet nachgeborenen Antragstellers zu 3> vollziehbar ausreisepflichtig) bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu untersagen wären.
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1.1 Die Zusage einer Duldung bis zur Mitteilung des Bundesamtes gemäß § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG (n.F.) durch den Antragsgegner führt vorliegend nicht dazu, dass dem Antrag das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Da das erstrebte Rechtsschutzziel (Duldung jedenfalls bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Klageverfahren des Antragstellers zu 1 vor dem Verwaltungsgericht <Az. AN 5 K 23.938>) über die zugesagte Duldung bis zur Mitteilung des Bundesamtes nach § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG hinausreicht, ist der von den Antragstellern erstrebte Rechtsschutz insoweit nicht aus dem Grunde ersichtlich nutzlos, weil die einstweilige Anordnung zu keiner Verbesserung seiner Rechtsstellung führen könnte (vgl. zum Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO: BVerfG, B.v. 10.6.2020 – 2 BvR 297/20 – juris Rn. 14 m.w.N.).
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1.2 Offenbleiben kann, ob den Antragstellern insoweit (vgl. die Ausführungen unter 1.1) ein Anordnungsgrund zur Seite steht. Zwar steht einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer – wie den Antragstellern – nach dem Ablauf der für die freiwillige Ausreise gesetzten Frist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein Rechtsschutzbedürfnis wie auch ein Anordnungsgrund für einen Eilantrag nach § 123 Abs. 1 VwGO zu, weil er – auch in Anbetracht der Regelung des § 59 Abs. 1 Satz 8 AufenthG, dass nach Ablauf der Ausreisefrist der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden darf – jederzeit mit seiner Abschiebung rechnen muss (vgl. BVerfG, B.v. 1.7.2021 – 2 BvR 627/21 – juris Rn. 24; 10.6.2020 – 2 BvR 297/20 – juris Rn. 16; B.v. 8.11.2017 – 2 BvR 809/17 – juris Rn. 15; BayVGH, B.v. 26.11.2018 – 19 CE 17.2453 – juris Rn. 14 f.). Gerade weil der Termin der Abschiebung nicht bekanntgegeben wird, hat der jeweilige Antragsteller grundsätzlich jederzeit ein rechtliches Interesse an einer gerichtlichen Entscheidung, mit der die Abschiebung vorläufig untersagt wird (BVerfG, B.v. 8.11.2017 – 2 BvR 809/17 – juris Rn. 15). Ob dies auch dann gilt, wenn für die Gültigkeitsdauer der Duldung eine Abschiebung und deshalb eine Eilbedürftigkeit fernliegend ist (vgl. BayVGH, B.v. 21.7.2010 – 10 CE 10.176 – juris Rn. 3; Sächs.OVG, B.v. 22.5.2023 – 3 D 7/23 – juris Rn. 16), und ungeachtet des Umstandes, dass auch im Falle des Wegfalls des aktuellen Aussetzungsgrundes (Durchführung des Folgeverfahrens) der Antragsgegner vor einer Abschiebung der Antragsteller zu prüfen hätte, ob die Abschiebung (weiter) betrieben werden kann oder ob im maßgeblichen Zeitpunkt ein anderer Duldungsgrund vorliegt (vgl. BayVGH, B.v. 9.5.2023 – 19 CS 23.535 – juris Rn. 12), kann offenbleiben.
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1.3 Denn den Antragstellern steht, wie das Verwaltungsgericht – jedenfalls im Ergebnis – zu Recht entschieden hat, der erforderliche Anordnungsanspruch in der Gestalt eines Anspruchs auf Abschiebungsaussetzung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht zu. Das Verwaltungsgericht hat (im Ergebnis) zu Recht entschieden, dass die Abschiebung der Antragsteller weder aus tatsächlichen noch aus rechtlichen Gründen unmöglich ist. Insbesondere steht den Antragstellern der geltend gemachte Anspruch auf Verfahrensduldung zur Aufrechterhaltung der Erteilungsvoraussetzungen einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 104c Abs. 1 AufenthG nicht zu. Das Beschwerdevorbringen führt zu keinem anderen Ergebnis:
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1.3.1 Soweit die Antragsteller vortragen, es lägen keine Ausschlussgründe nach § 104c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder 2 AufenthG vor und der Antragsteller zu 1 habe sich zum Stichtag 31. Oktober 2022 seit fünf Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten, sei zunächst im Besitz einer Aufenthaltsgestattung und ab dem 14. August 2022 faktisch geduldet gewesen, trifft dies nicht zu.
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Außerhalb der Fälle einer gesetzlich vorgesehenen Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG kann einem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dem Aufenthaltsgesetz nur im Ausnahmefall eine dahingehende „Vorwirkung“ zukommen, für die Dauer eines Erteilungsverfahrens eine Duldung vorzusehen (vgl. BayVGH, B.v. 26.11.2018 – 19 C 18.54 – juris Rn. 24; OVG NRW, B.v. 10.10.2018 – OVG 3 S 64.18 – juris Rn. 5; B.v. 11.1.2016 – 17 B 890/15 – juris Rn. 9; B.v. 2.5.2006 – 18 B 437/06 – juris Rn. 2; Hailbronner, AuslR, Stand: 5/2017, § 81 Rn. 64). Dass für die Dauer von Verwaltungs- oder gerichtlichen Verfahren nicht stets eine sogenannte Verfahrensduldung zu erteilen ist, folgt schon im Umkehrschluss aus der in § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG getroffenen, begrenzten Regelung. Eine Verfahrensduldung kann aber ausnahmsweise zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG erteilt werden, wenn eine Aussetzung der Abschiebung notwendig ist, um die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erforderlichen und tatsächlich gegebenen tatbestandlichen Voraussetzungen für die Dauer des Verfahrens aufrechtzuerhalten und so sicherzustellen, dass eine aufenthaltsrechtliche Regelung einem möglicherweise Begünstigten zugutekommen kann (BVerwG, U.v. 18.12.2019 – 1 C 34.18 – juris Rn. 30). Eine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung und ein daraus folgender Duldungsanspruch lassen sich nicht schon daraus ableiten, dass ein Ausländer möglicherweise einen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltsrechts besitzt (vgl. Hailbronner, AuslR, § 60a AufenthG Rn. 67); vielmehr muss das zu sichernde Aufenthaltsrecht offenkundig vorliegen. Je besser insoweit die Erfolgsaussichten sind, desto eher werden die Voraussetzungen für eine Verfahrensduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG (effektiver Rechtsschutz als rechtliches Abschiebungshindernis) oder zumindest nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG (Ermessensduldung) erfüllt sein (vgl. BVerwG, U.v. 18.12.2019 – 1 C 34.18 – juris Rn. 30).
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Gemessen daran steht den Antragstellern keine Verfahrensduldung zu, weil die Voraussetzungen des § 104c Abs. 1 AufenthG zugunsten des Antragstellers zu 1 im maßgeblichen Zeitpunkt nicht vorliegen, weshalb die Antragsteller zu 2 und 3 auch nicht anspruchsberechtigt nach § 104c Abs. 2 Satz 1 AufenthG sind.
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Zwar liegt zugunsten der Antragsteller die Tatbestandsvoraussetzung „geduldeter Ausländer“ gemäß § 104c Abs. 1 AufenthG im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. BayVGH, B.v. 15.3.2024 – 19 CS 24.170, n.v., Rn. 11; B.v. 9.3.2023 – 19 CE 23.183 – juris Rn. 34; B.v. 6.3.2023 – 19 CE 22.2647 – juris Rn. 25; OVG LSA, B.v. 24.4.2023 – 2 M 16/23 – juris Rn. 31) vor, da diese bis zur Mitteilung des Bundesamtes gemäß § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG geduldet werden. Ein Ausländer ist im Sinne von § 25b Abs. 1 Satz 1 bzw. § 104c Abs. 1 Satz 1 AufenthG „geduldet“, wenn ihm eine rechtswirksame Duldung gleich welcher Art erteilt worden ist oder wenn er einen Rechtsanspruch auf Duldung hat (BVerwG, U.v. 18.12.2019 – 1 C 34.18 – juris LS 2 und Rn. 24; BayVGH, B.v. 6.3.2023 – 19 CE 22.2647 – juris Rn. 24). Im Falle einer ausdrücklich erteilten Duldung bedarf es nicht zusätzlich eines materiellen Duldungsanspruchs, weil eine Duldung als Verwaltungsakt Bindungs- und Tatbestandswirkung entfaltet und damit auch im Falle ihrer Rechtswidrigkeit zu beachten ist, solange sie weder nichtig noch zurückgenommen oder nach § 60a Abs. 5 Satz 2 AufenthG widerrufen worden ist (BVerwG, U.v. 18.12.2019 – 1 C 34.18 – juris Rn. 24; vgl. Art. 43 Abs. 2 und 3 BayVwVfG).
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1.3.2 Entgegen dem Vortrag der Antragsteller fehlt es jedoch an der weiteren Voraussetzung des § 104c Abs. 1 Satz 1 AufenthG, dass sich der Ausländer zum Stichtag 31. Oktober 2022 seit fünf Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder erlaubt im Bundesgebiet aufgehalten haben muss. Der Antragsteller zu 1 war bis zum bestandskräftigen Abschluss seines Asylverfahrens am 14. Juli 2022 im Besitz einer asylverfahrensrechtlichen Aufenthaltsgestattung (vgl. § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AsylG). Eine Duldung wurde ihm erstmalig am 4. Mai 2023 aufgrund der Schwangerschaft seiner Ehefrau bzw. Geburt des Antragstellers zu 3 erteilt. Selbst wenn zugunsten des Antragstellers zu 1 angenommen werden könnte, dass seit der Feststellung der Schwangerschaft seiner Ehefrau am 25. Oktober 2022 aufgrund von Vorwirkungen des Art. 6 Abs. 1 und 4 GG ein Duldungsanspruch gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG bestanden hätte (vgl. zu den diesbezüglichen Voraussetzungen: BayVGH, B.v. 17.10.2023 – 19 CE 23.1578 – juris Rn. 12), ergäbe sich somit eine zeitliche Lücke von mehr als drei Monaten (zwischen dem 14.7.2022 und dem 25.10.2022). Innerhalb dieses Zeitraumes war der Aufenthalt des Antragstellers zu 1 nicht, wie nach § 104c Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorausgesetzt, durch eine Aufenthaltsgestattung, Duldung oder einen Aufenthaltstitel gedeckt.
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Entgegen der Ansicht der Antragsteller ist die zeitliche Unterbrechung (von mehr als drei Monaten) auch nicht „unschädlich“. Der Wortlaut des § 104c Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist insoweit eindeutig und setzt voraus, dass die fünfjährige Voraufenthaltszeit „ununterbrochen“, d.h. lückenlos durch eine Aufenthaltsgestattung, Duldung oder einen Aufenthaltstitel gedeckt sein muss. Es erscheint deshalb zweifelhaft, ob eine einschränkende Auslegung dieser gesetzlichen Voraussetzung entgegen dem Wortlaut dahingehend, dass „kurzfristige“ Unterbrechungen des Aufenthalts im Bundesgebiet von bis zu drei Monaten unschädlich sein sollen, die keine Verlegung des Lebensmittelpunktes zur Folge hatten (so aber BT-Drs. 20/3717, S. 44), in Anknüpfung an die Gesetzesbegründung zulässig sein kann (offen gelassen: BayVGH, B.v. 25.3.2024 – 19 ZB 23.1280 – juris Rn. 6 m.w.N.). Dies kann aber dahingestellt bleiben, weil sich die Unschädlichkeit „kurzfristiger“ Unterbrechungen nach der in der Gesetzesbegründung verwendeten Formulierung nicht auf den rechtlichen Status, sondern auf den Aufenthalt im Bundesgebiet bezieht. Demnach muss nach der Gesetzesbegründung auch eine kurzfristige Abwesenheit im Bundesgebiet ohne Verlegung des Lebensmittelpunktes von einer der in § 104c Abs. 1 Satz 1 AufenthG genannten aufenthaltsrechtlichen Rechtsstellungen getragen sein. Ein „ununterbrochener Voraufenthalt“ im Sinne des § 104c Abs. 1 Satz 1 AufenthG liegt auch schon bei nur kurzfristig vollstreckbarer Ausreisepflicht nicht mehr vor (BayVGH, B.v. 25.3.2024 – 19 ZB 23.1280 – juris Rn. 7 f.). Vorliegend ist der Antragsteller zu 1 seit dem bestandskräftigen Abschluss seines Asylverfahrens am 14. Juli 2022 vollziehbar ausreisepflichtig, weshalb schon im Ansatz nicht von einer kurzfristigen Unterbrechung im Sinne der Gesetzesbegründung ausgegangen werden kann.
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1.3.3 Entgegen der Ansicht der Antragsteller ergab sich auch aus dem Umstand, dass der Antragsteller zu 1 im fraglichen Zeitraum (siehe 1.3.2) mit seiner Ehefrau und dem minderjährigen Antragsteller zu 2 im Bundesgebiet in familiärer Lebensgemeinschaft gelebt hat und die Ehefrau sowie der Antragsteller zu 2 sich noch im Asylverfahren befanden, kein rechtliches Abschiebungshindernis im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 6 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK. Denn es ist nicht ersichtlich, dass dem zu diesem Zeitpunkt bereits vollziehbar ausreisepflichtigen Antragsteller zu 1 die nur vorübergehende Trennung von den Familienangehörigen (für die Dauer deren Asylverfahren) infolge seiner Ausreise in das Herkunftsland unzumutbar gewesen wäre. Dem Vortrag des Antragsgegners, dass die Familie bereits im Zeitraum von der Einreise des Antragstellers zu 1 in das Bundesgebiet (nach seinen Angaben) am 2. April 2016 und der Einreise der Ehefrau sowie des Antragstellers zu 2 am 16. Juni 2022 bereits geraume Zeit getrennt war, setzt der Antragsteller zu 1 lediglich die Behauptung entgegen, er habe seine Angehörigen in diesem Zeitraum regelmäßig finanziell unterstützt und es habe insbesondere wegen der Pandemie keine Möglichkeit für diese bestanden, zu dem Antragsteller zu 1 in das Bundesgebiet nachzuziehen. Damit widerlegt er aber nicht den Vortrag des Antragsgegners, dass die Familienangehörigen mehr als sechs Jahre getrennt von dem Antragsteller zu 1 im Herkunftsland gelebt hätten, und den daraus gezogenen Schluss, dass der Familie eine kurzzeitige Trennung bis zum Abschluss der Asylverfahren aller Familienangehörigen zumutbar gewesen wäre. Im Übrigen vermag die Aussage, die Familienangehörigen hätten „insbesondere wegen der Corona-Pandemie“ keine Möglichkeit gehabt, früher zu dem Antragsteller in das Bundesgebiet nachzuziehen, den mehrjährigen Trennungszeitraum von April 2016 bis zu Beginn der pandemiebedingten Reisebeschränkungen nicht zu erklären.
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1.3.4 Soweit die Antragsteller vortragen, es habe auch keine Notwendigkeit zur Abschiebung des Antragstellers zu 1 bestanden, zumal dieser nach dem Abschluss seines Asylverfahrens bis Oktober 2023 durchgehend erwerbstätig gewesen sei und keine Sozialleistungen bezogen habe, folgt aus § 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, dass der Ausländer abzuschieben ist, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist und eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist sowie die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert ist bzw. aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Überwachung der Ausreise erforderlich erscheint. Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen hat die Ausländerbehörde rechtlich keine Möglichkeit, von der Abschiebung abzusehen, sofern kein Duldungsanspruch vorliegt bzw. keine Ermessensduldung aus dringenden humanitären oder persönlichen Gründen (§ 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG) erteilt wird. Derartige Gründe haben die Antragsteller nicht glaubhaft gemacht.
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1.3.5 Dem Vortrag, der Antragsteller zu 1 sei im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der Antragstellung (am 5.2.2023) „faktisch im Besitz einer Duldungsbescheinigung“ gewesen, kann nicht gefolgt werden. Der Antragsteller war zu diesem Zeitpunkt gerade nicht im Besitz einer Duldungsbescheinigung (§ 60a Abs. 4 AufenthG). Das Gesetz kennt keinen rechtlich erheblichen Zustand der „faktischen Duldung“, aus dem weitergehende Ansprüche (etwa auf Erteilung eines tatbestandlich an die Duldung anknüpfenden Aufenthaltstitels wie der Aufenthaltserlaubnis nach § 104c Abs. 1 AufenthG) abgeleitet werden könnten (BayVGH, B.v. 25.3.2024 – 19 CS 24.170 – Rn. 9, n.v.). Die Systematik des Aufenthaltsgesetzes lässt grundsätzlich keinen Raum für einen ungeregelten Aufenthalt. Vielmehr geht das Gesetz davon aus, dass ein ausreisepflichtiger Ausländer entweder abgeschoben wird oder zumindest eine Duldung erhält. Die tatsächliche Hinnahme des Aufenthalts außerhalb förmlicher Duldung, ohne dass die Vollstreckung der Ausreisepflicht betrieben wird, sieht das Gesetz nicht vor (BVerwG, U.v. 25.9.1997 – 1 C 3.97 – juris Rn. 19 bereits zur früheren Rechtslage des Ausländergesetzes). Maßgeblich ist allein, ob der Abschiebung im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG (objektiv) tatsächliche (oder rechtliche) Hindernisse entgegenstehen, die es der Ausländerbehörde unmöglich machen, ihrer gesetzlichen Abschiebeverpflichtung nachzukommen (BVerwG, U.v. 25.9.1997 – 1 C 3.97 – juris Rn. 16; U.v. 21.3.2000 – 1 C 23.99 – juris Rn. 12 m.w.N.; BayVGH, B.v. 20.1.2022 – 19 CE 21.2437 – juris Rn. 14). Dies war im fraglichen Zeitpunkt, wie ausgeführt (1.3.1), nicht der Fall.
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1.3.6 Des Weiteren kann auch dem Vortrag, der Antragsteller erfülle als „faktischer Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c Abs. 1 AufenthG“ sämtliche Voraussetzungen eines Aufenthaltstitels nach § 25b Abs. 1 AufenthG, nicht gefolgt werden. Wie ausgeführt, ist der Antragsteller im nach § 25b Abs. 1 AufenthG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung weder Inhaber einer Duldung noch eines darauf gerichteten Rechtsanspruchs (vgl. 1.3.1). Mangels Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 104c Abs. 1 AufenthG kann auch – schon im Ansatz – keine Rede davon sein, dass er „faktischer Inhaber“ (gemeint ist wohl: Berechtigter) einer solchen Aufenthaltserlaubnis wäre. Auf das Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 25b Abs. 1 AufenthG kommt es daher nicht an.
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1.3.7 Aufgrund der Bindungswirkung der bestandskräftigen asylrechtlichen Entscheidungen (§ 42 Satz 1 AsylG) kommt entgegen dem Vortrag der Antragsteller auch kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG in Betracht. Die Bindungswirkung an die negative Entscheidung des Bundesamtes über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG gemäß § 42 Satz 1 AsylG gilt ungeachtet einer eventuellen Veränderung der Verhältnisse (vgl. Bergmann in Bergmann/Dienelt, AuslR, 14. Aufl. 2022, § 42 AsylG, Rn. 2). Die Bindung der Ausländerbehörde hängt nicht davon ab, mit welchen Umständen, die als zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse in Betracht kommen, das Bundesamt sich im Einzelnen befasst hat; selbst bei nicht vorgetragenen bzw. unberücksichtigten Umständen geht die Prüfungskompetenz nicht auf die Ausländerbehörde über (vgl. BVerwG, U.v. 7.9.1999 – 1 C 6.99 – juris Rn. 14; BayVGH, B.v. 31.1.2024 – 19 CE 23.2255, n.v., Rn. 5).
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO.
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3. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 63 Abs. 2 Satz 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5, 8.3 des Streitwertkatalogs 2013.
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Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).