Titel:
Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Nichtbeibringung eines ärztlichen Gutachtens
Normenketten:
FeV § 11 Abs. 2, Abs. 8, Anl. 4 Nr. 6.4, Nr. 7
VwGO § 86 Abs. 1 S. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 5, § 124a Abs. 4 S. 4, Abs. 5 S. 2
Leitsätze:
1. Angaben des Betroffenen zum eigenen Gesundheitszustand sind regelmäßig, bzw. sofern sie nicht erkennbar nicht ernst gemeint sind, nicht mit bloßen Mutmaßungen und unbelegten Behauptungen gleichzusetzen, die die Anordnung eines Fahreignungsgutachtens nicht rechtfertigen könnten (vgl. VGH München BeckRS 2021, 5831). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein erhöhtes Rezidivrisiko für Schlaganfälle entspricht einem nennenswerten Rückfallrisiko, das der Annahme der Fahreignung entgegensteht (vgl. VGH München BeckRS 2016, 48812). (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Im Hinblick auf die geringe Kontrolldichte im Straßenverkehr werden konkrete Anhaltspunkte für Fahreignungszweifel nicht dadurch widerlegt, dass den Behörden keine fahreignungsrelevanten Ausfallerscheinungen, die Beteiligung an einem Verkehrsunfall oder eine unsichere Fahrweise bekannt geworden sind. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Nichtbeibringung eines ärztlichen Gutachtens, hinreichende Anhaltspunkte für eine Beibringungsanordnung, Verdacht auf Zustand nach Schlaganfall, psychische Erkrankung, Entziehung der Fahrerlaubnis, Nichtbeibringung eines ärztlichen Gutachtens, Beibringungsanordnung, Zustand nach Schlaganfall, Fahreignung, Rückfallrisiko, erhöhtes Rezidivrisiko für Schlaganfälle, Fahreignungsgutachten, fahreignungsrelevante Ausfallerscheinungen, Anlass für Ermittlungen zur Fahreignung, Anfangsverdacht
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 26.01.2024 – AN 10 K 22.1528
Fundstellen:
FDStrVR 2024, 012157
BeckRS 2024, 12157
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 15.000,- EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A79, A2, A1, AM, B, BE, CE79, C1, C1E, L und T.
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Im Jahr 2021 wurde der Fahrerlaubnisbehörde des Landratsamts ... u.a. bekannt, dass der Kläger nach einem hausärztlichen Attest vom 26. Januar 2021 an Angst- und Belastungszuständen leidet. Er sei seit 2015 berufsunfähig und nicht mehr voll belastbar. Es sei ihm nicht zumutbar, einer Gerichtsverhandlung mehr als drei Stunden zu folgen. In einer Strafverhandlung vor dem Amtsgericht Neustadt a.d. Aisch am 10. Februar 2021 äußerte der Kläger, er habe im Jahr 2014 einen Schlaganfall erlitten, sei Frührentner und leide an einer Angst- und Belastungsstörung. Im weiteren Verlauf der Verhandlung machte er seine Verhandlungsunfähigkeit geltend. Der hinzugezogene Notarzt hielt den Kläger für verhandlungsfähig. Mit Schreiben an das Amtsgericht vom 17. Februar 2021 erklärte er, es bestehe aufgrund seiner gesundheitlichen Vorgeschichte ein erhöhtes Rezidivrisiko für Schlaganfälle und andere Stresssymptome. Nach einem Attest des Hausarztes vom 18. Februar 2021 liegt beim Kläger eine chronische Belastungsstörung vor, die offensichtlich durch polizeiliches Fehlverhalten bedingt sei. Durch die jüngsten Ereignisse sei es zu einer weiteren Verschlimmerung der Beschwerden in Form von Schlafstörungen, Schreckhaftigkeit, Albträumen, Herzrasen, Schweißausbrüchen und Übererregung gekommen. Der Antragsteller sei momentan verhandlungsunfähig. Es sei eine Überweisung in eine Klinik für Psychosomatik und Innere Medizin, Sektion Psychotraumatologie, veranlasst. Nach dem weiteren Attest vom 3. März 2021 ist die Erkrankung – nach Rücksprache des Hausarztes mit der Klinik – ernsthaft. Der Kläger sei bis auf weiteres nicht verhandlungsfähig.
3
Unter Bezugnahme auf diesen Sachverhalt forderte das Landratsamt den Kläger mit Schreiben vom 13. August 2021 auf, den Entlassungsbericht der behandelnden Klinik und ein Attest des behandelnden Arztes zur Dauer der Behandlung, zu den gestellten Diagnosen und zur Medikamentation vorzulegen. Nachdem hierauf keine Reaktion erfolgt war, forderte ihn das Landratsamt mit Schreiben vom 6. Dezember 2021 auf, bis 6. Februar 2022 ein ärztliches Gutachten einer Begutachtungsstelle für Fahreignung zu den Fragen beizubringen, ob bei ihm eine Erkrankung vorliege, die nach Nr. 6 und 7 der Anlage 4 zur FeV die Kraftfahreignung infrage stelle, und ob er in der Lage sei, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppen 1 und 2 gerecht zu werden, falls ja, ob ggf. Auflagen oder Beschränkungen notwendig seien, um das sichere Führen von Kraftfahrzeugen zu gewährleisten. Es gebe Anhaltspunkte für eine kreislaufabhängige Störung der Hirntätigkeit gemäß Nr. 6.4 der Anlage 4 zur FeV und eine psychische Störung gemäß Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV (Angst- und Belastungsstörung, posttraumatische Belastungsstörung).
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In einem für das Strafverfahren nach Aktenlage erstellten Gutachten vom 17. Dezember 2021 kam ein vom Amtsgericht Neustadt a.d. Aisch bestellter forensischer Psychiater zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen des § 21 StGB, nicht jedoch die des § 20 StGB in Betracht zu ziehen seien. Der Kläger sei verhandlungsfähig. Es sei vorstellbar, dass bei ihm eine organische Persönlichkeits- und Verhaltensstörung aufgrund einer Krankheit bzw. Schädigung oder Funktionsstörung des Gehirns (hier im Sinne eines Schlaganfalls) vorliege (S. 33). Hinweise auf eine schizophrene Psychose hätten sich nicht ergeben; ebenso wenig Hinweise auf eine erhebliche Depressivität. Von einer schwerwiegenden affektiven Erkrankung sei ebenfalls zumindest vorläufig nicht auszugehen. Die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung liege nicht nahe. Es sei eine hirnorganische Schädigung in Betracht zu ziehen, die (bei entsprechenden Auswirkungen) der Kategorie der sogenannten „krankhaften seelischen Störungen“ zugeordnet werden könne (S. 37).
5
Da der Kläger kein Fahreignungsgutachten vorlegte, entzog ihm das Landratsamt gestützt auf § 11 Abs. 8 FeV mit Bescheid vom 8. März 2022 die Fahrerlaubnis und verpflichtete ihn unter Androhung eines Zwangsgelds, seinen Führerschein innerhalb von sieben Tagen nach Zustellung des Bescheids beim Landratsamt abzugeben. Ferner erklärte es diese Verfügungen für sofort vollziehbar.
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Mit Schreiben vom 15. März 2022 legte der Kläger Widerspruch ein, den die Regierung von Mittelfranken mit Bescheid vom 8. Juni 2022 zurückwies.
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Am 22. Juni 2022 ließ der Kläger durch seine Bevollmächtigten Klage zum Verwaltungsgericht Ansbach erheben und ein Attest seines Hausarztes vom 20. Mai 2022 vorlegen, wonach er mittlerweile von der damaligen akuten Belastungsstörung genesen und psychisch stabil sei. Von einem apoplektischen Insult in der Vergangenheit sei ihm nichts bekannt. Dieser werde auch in den vorliegenden Arztberichten nicht erwähnt.
8
Den zugleich gestellten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wies das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 26. September 2022 zurück. Eine Beschwerde zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof wurde mit Beschluss vom 30. November 2022 als unzulässig verworfen.
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Den Führerschein des Klägers stellte die Polizei am 27. November 2023 sicher.
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Mit Urteil vom 26. Januar 2024 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. In den Urteilsgründen ist ausgeführt, der Klageantrag werde sachgerecht dahingehend ausgelegt, dass er sich nicht gegen die erledigte Zwangsgeldandrohung richte, sondern nur gegen den Entziehungsbescheid im Übrigen. Dieser sei rechtmäßig, da der Kläger das vom Beklagten zu Recht angeordnete medizinisch-psychologische Gutachten nicht fristgemäß vorgelegt habe. Es hätten hinreichende Anknüpfungstatsachen für eine Beeinträchtigung seiner Fahreignung bestanden, die sich insbesondere aus seinen eigenen Angaben im Strafverfahren (Schlaganfall) sowie den im Rahmen dieses Verfahrens vorgelegten ärztlichen Attesten ergeben hätten. Sie würden nicht durch die ärztlichen Atteste ausgeräumt, die einen Schlaganfall nicht erwähnten. Die Fragestellung in der Gutachtensanordnung sei insoweit nicht zu beanstanden. Es reiche aus, dass die Fragestellung auf die Nr. 6 zur Anlage 4 der FeV bezogen sei, da sich der Gutachtensanordnung entnehmen lasse, welche gesundheitliche Beeinträchtigung die Eignungszweifel hervorrufe und ärztlich abzuklären sei. Auch der Fragenkomplex hinsichtlich möglicher psychischer Störungen sei durch eigene Angaben, die Aussage der Mutter und ärztliche Aussagen untermauert gewesen. Soweit der behandelnde Arzt nun attestiere, dass der Kläger mittlerweile psychisch stabil sei, und bestätige, dass bei ihm keine fahreignungsrelevanten Erkrankungen oder Störungen bestünden, verfüge er nicht über die notwendige verkehrsmedizinische Qualifikation und habe möglicherweise als behandelnder Arzt auch nicht die notwendige Distanz, um dessen Angaben kritisch zu hinterfragen (vgl. § 11 Abs. 2 Satz 5 FeV). Überdies sei die Rechtmäßigkeit der Gutachtensanordnung im Zeitpunkt ihres Ergehens zu beurteilen. Dies gelte auch für das fachpsychiatrische Gutachten vom 17. Dezember 2021, dem sich – davon abgesehen – nicht entnehmen lasse, dass der Kläger an keiner psychischen Störung leide. Weitere angeblich zu seinen Gunsten sprechende Unterlagen seien trotz ausdrücklicher gerichtlicher Nachfrage ohne Angabe von Gründen nicht vorgelegt worden. Komme der Fahrerlaubnisinhaber seiner Mitwirkungspflicht nicht nach, gehe dies zu seinen Lasten. Im Übrigen frage sich, ob die aus dem Jahr 2020 stammenden Unterlagen überhaupt geeignet wären, die im Jahr 2021 getätigten Aussagen und vorgelegten ärztlichen Atteste zu entkräften. Auch insoweit erweise sich die Fragestellung als hinreichend bestimmt. Der Beklagte habe auch ein Gutachten eines Arztes in einer Begutachtungsstelle für Fahreignung fordern dürfen, da zwei fahreignungsrelevante Erkrankungen zusammenträfen und eine Beurteilung des Zusammenwirkens beider Erkrankungen auf die Fahreignung notwendig sei. Die zusätzliche und sachgerechte Konkretisierung, ein Gutachten eines Facharztes für Neurologie bzw. Psychiatrie vorzulegen, sei dahin zu verstehen, dass in der Begutachtungsstelle ein entsprechender Facharzt die Begutachtung durchführen solle. Das Auswahlermessen sei zwar knapp, aber fehlerfrei ausgeübt worden. Soweit im Hinblick auf die herangezogenen Erkenntnisse aus dem Strafverfahren auf ein Verwertungsverbot abgestellt werde, sei nicht ersichtlich, woraus sich dieses ergeben solle.
11
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung, dem der Beklagte entgegentritt, macht der Kläger ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils und einen Aufklärungsmangel geltend. Die Zweifel ergäben sich daraus, dass das Verwaltungsgericht die bloße Aussage des Klägers über einen angeblichen Schlaganfall im Jahr 2014 zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht habe. Dabei zitiere es drei ärztliche Berichte vom 21. Januar, 18. Februar und 3. März 2021, nach denen kein Schlaganfall habe festgestellt werden können. Ferner hätte es dem Attest vom 20. Mai 2022 Indizwirkung beimessen müssen, auch wenn maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Gutachtensanordnung der 6. Dezember 2021 sei. Es gebe keine ärztlichen Bescheinigungen, die einen Schlaganfall feststellten, sondern nur die Behauptung des Klägers vor einem Strafgericht, er sei verhandlungsunfähig, weil er im Jahr 2014 einen Schlaganfall erlitten habe, was seine Mutter gegenüber dem Strafgericht bestätigt habe. Diese Behauptung habe maßgeblich auf die vom Kläger geleugnete Verhandlungsfähigkeit abgezielt, die per se jedoch kein Indiz für mangelnde Fahreignung sei. Ein entsprechendes ärztliches Attest gebe es nicht. Der Kläger habe einen nachvollziehbaren Grund gehabt, seine Verhandlungsfähigkeit zu leugnen, und keine Belege hierfür vorlegen können. Das Verwaltungsgericht zitiere sogar aus dem strafgerichtlichen Protokoll, wonach ein Arzt die Verhandlungsfähigkeit festgestellt habe. Das Urteil leide daher auch an einer Verletzung von § 86 Abs. 1 VwGO (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Bei weiterer Aufklärung wäre das Verwaltungsgericht zu der Erkenntnis gekommen, dass die klägerische Behauptung des Schlaganfalls inhaltsleer gewesen sei. Auch das Landratsamt hätte dies erkennen müssen. Unter Berücksichtigung von Art. 24 BayVwVfG wäre besondere Vorsicht gegenüber der klägerischen Behauptung angebracht gewesen. Das Gericht habe auch nicht den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs 22. Juni 2016 (11 C 16.793) berücksichtigt, wonach die Zweifel an der Fahreignung auch in zeitlicher Hinsicht zu berücksichtigen seien. Bei der grundsätzlichen Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 2 komme bei einem Schlaganfall eine Ausnahme in Betracht, wenn bei vollständiger Rückbildung der Symptome ein längerer Zeitraum ohne weitere Vorfälle verstrichen sei und kein nennenswertes Rückfallrisiko mehr bestehe. Träfe die Behauptung des Klägers im Strafverfahren zu, wäre dieser Fall hier gegeben. Unstreitig habe der Kläger in den Jahren von 2014 bis Anfang Dezember 2021 keine Ausfallerscheinungen hinsichtlich seiner Fahreignung gezeigt. Er sei in den sieben Jahren an keinem Verkehrsunfall beteiligt gewesen und der Polizei auch nicht durch unsicheres Fahren aufgefallen. Daher sei es nicht gerechtfertigt gewesen, ihn zu einer medizinisch-psychologischen Untersuchung aufzufordern, und die gesetzliche Vermutung der Nichteignung damit ausgeschlossen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da die geltend gemachten Zulassungsgründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO; BayVerfGH, E.v. 14.2.2006 – Vf. 133-VI 04 – VerfGHE 59, 47/52; E.v. 23.9.2015 – Vf. 38-VI-14 – BayVBl 2016, 49 Rn. 52; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 54), nicht hinreichend dargelegt sind (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) bzw. nicht vorliegen.
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1. Ernstliche Zweifel im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind anzunehmen, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (vgl. BVerfG, B.v. 18.6.2019 – 1 BvR 587/17 – BVerfGE 151, 173 Rn. 32 m.w.N.; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016, 1243 = juris Rn. 16 m.w.N.) und dies zugleich Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses begründet (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838 = juris Rn. 9). Schlüssige Gegenargumente liegen vor, wenn substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt werden, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546 Rn. 19).
15
Dies ist nicht der Fall. Daraus, dass die Behörden und das Verwaltungsgericht die Behauptung des Klägers, einen Schlaganfall erlitten zu haben, ernst genommen haben, ergeben sich keine Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung. Wie der Senat im Beschwerdeverfahren dargelegt hat (BayVGH, B.v. 30.11.2022 – 11 CS 22.2195 – juris Rn. 22), sind Angaben des Betroffenen zum eigenen Gesundheitszustand regelmäßig, bzw. sofern sie nicht erkennbar nicht ernst gemeint sind, nicht mit bloßen Mutmaßungen und unbelegten Behauptungen gleichzusetzen, die die Anordnung eines Fahreignungsgutachtens nicht rechtfertigen könnten (vgl. BayVGH, B.v. 16.3.2021 – 11 CS 20.2627 – juris Rn. 18; Siegmund in Freymann/Wellner, juris PK-Straßenverkehrsrecht, Stand 21.3.2024, § 11 FeV Rn. 43 f.). Selbst wenn damit zu rechnen ist, dass das Vorbringen eines Angeklagten in einem Strafverfahren prozesstaktisch und interessegeleitet sein kann, folgt daraus nicht zwangsläufig, dass es unwahr ist; insbesondere wenn wie hier eine die Verhandlungsfähigkeit ausschließende Erkrankung geltend gemacht wird und ärztliche Atteste belegen, dass der Betreffende an einer „ernsthaften“ Erkrankung leidet, die die Einweisung in ein Krankenhaus erforderlich gemacht hat. Aus der Feststellung der Verhandlungsfähigkeit eines im Strafverfahren zugezogenen Arztes lässt sich nicht ableiten, dass der Kläger im Jahr 2014 keinen Schlaganfall erlitten hat, sondern nur, dass der Zustand nach diesem Ereignis oder eine andere Ursache nicht zur Verhandlungsunfähigkeit an jenem Tag geführt haben. An der näheren Aufklärung seiner Erkrankung, insbesondere durch die geforderte Vorlage des Entlassungsberichts des behandelnden Krankenhauses, hat der Kläger nicht mitgewirkt. Dies geht zu seinen Lasten. Schließlich hat sich auch seine Mutter nicht von ihrer Aussage distanziert, der Kläger habe einen Schlaganfall erlitten.
16
Da es für die Rechtmäßigkeit der Beibringungsanordnung in zeitlicher Hinsicht auf ihren Erlass, hier den 6. Dezember 2021, und damit die Kenntnis der Fahrerlaubnisbehörde ankommt (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – BVerwGE 156, 293 Rn. 14; BayVGH, B.v. 7.2.2022 – 11 CS 21.2385 – juris Rn. 15 jeweils m.w.N.), bleibt unverständlich, auf welche Weise dem hausärztlichen Attest vom 20. Mai 2022 eine negative „Indizwirkung“ zukommen können sollte. Eine bei Erlass der Beibringungsanordnung nicht vorhandene Kenntnis des Entscheidungsträgers kann diesem nicht rückwirkend zuwachsen. Im Übrigen ist der ärztlichen Aussage vom Mai 2022 inhaltlich nicht zu entnehmen, dass der Kläger im Jahr 2014 keinen Schlaganfall erlitten hat, sondern nur, dass seinem Hausarzt – aus welchen Gründen auch immer – davon nichts bekannt war.
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Auch in zeitlicher Hinsicht hatten die Anhaltspunkte für Zweifel an der Fahreignung des Klägers nicht ihre Aussagekraft verloren. Maßgebend war nicht, dass sie u.a. für einen vor Jahren erlittenen Schlaganfall sprachen, sondern vielmehr, dass sie auf einen anhaltend krankhaften Zustand nach einem Schlaganfall hindeuteten. Sein Fall unterscheidet sich wesentlich von dem dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 22. Juni 2016 (11 C 16.793 – BeckRS 2016, 48812) zugrundeliegenden Sachverhalt. Der Kläger hat geltend gemacht, bei ihm bestehe ein erhöhtes Rezidivrisiko für Schlaganfälle, was einem nennenswerten Rückfallrisiko entspricht, das der Annahme der Fahreignung entgegensteht (vgl. BayVGH, B.v. 22.6.2016 a.a.O. Rn. 15; Nr. 3.9.4 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung vom 27.1.2014 [VkBl S. 110] in der Fassung vom 17.2.2021 [VkBl S. 198], die nach Anlage 4a zur FeV Grundlage für die Eignungsbeurteilung sind). Auch die „ernsthafte“ Erkrankung wird für den maßgeblichen aktuellen Zeitpunkt ärztlich bescheinigt.
18
Im Hinblick auf die geringe Kontrolldichte im Straßenverkehr werden konkrete Anhaltspunkte für Fahreignungszweifel nicht dadurch widerlegt, dass den Behörden keine fahreignungsrelevanten Ausfallerscheinungen, die Beteiligung an einem Verkehrsunfall oder eine unsichere Fahrweise bekannt geworden sind.
19
Wie bereits dargelegt (BayVGH, B.v. 30.11.2022 – 11 CS 22.2195 – juris Rn. 23), bietet ein „Anfangsverdacht“ (vgl. BVerwG, U.v. 5.7.2001 – 3 C 13.01 – NJW 2002, 78 = juris Rn. 20 ff.; U.v. 14.11.2013 – 3 C 32.12 – BVerwGE 148, 230 Rn. 17; BayVGH, B.v. 2.11.2022 – 11 C 22.1748 – juris Rn. 14) einen ausreichenden Anlass für Ermittlungen zur Fahreignung. Hätte bereits festgestanden, dass dem Kläger infolge eines Schlaganfalls die Fahreignung fehlt, hätte das Landratsamt ihm die Fahrerlaubnis ohne weiteres entziehen und eine Beibringungsanordnung gemäß § 11 Abs. 7 FeV unterbleiben müssen. Die Feststellung oder der Ausschluss einer fahreignungsrelevanten Erkrankung ist Sache der Begutachtung. Nachdem der Kläger an niederschwelligen Aufklärungsmaßnahmen nicht mitgewirkt hatte, blieb dem Landratsamt nichts anderes übrig, als eine förmliche Beibringungsanordnung zu erlassen.
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2. Entgegen der Auffassung des Klägers war es nicht die Aufgabe des Verwaltungsgerichts aufzuklären, ob aufgrund der vorliegenden ärztlichen Bescheinigungen und der besonderen Bedingungen im Strafverfahren davon auszugehen war, dass er tatsächlich einen Schlaganfall erlitten hatte oder welche psychischen Erkrankungen bei ihm konkret vorlagen, oder ob er diesbezüglich die Unwahrheit gesagt hat. Das Gericht hatte lediglich zu beurteilen, ob das Landratsamt am 6. Dezember 2021 beim Erlass der Beibringungsanordnung von einem hinreichenden „Anfangsverdacht“ ausgehen durfte. Dabei durfte es, wie unter 1. ausgeführt, die Angaben des Klägers gegenüber dem Strafgericht ernst nehmen.
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Die erhobene Aufklärungsrüge (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO i.V.m. § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO geht damit ins Leere und wäre im Übrigen nicht im Sinne von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO hinreichend dargelegt. Sie setzt nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung voraus, dass substantiiert dargetan wird, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären, welche tatsächlichen Feststellungen bei der Durchführung der vermissten Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern das unterstellte Ergebnis zu einer dem Kläger günstigeren Entscheidung hätte führen können. Hat der Kläger nicht bereits im Klageverfahren, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung hingewirkt, deren Unterbleiben nunmehr beanstandet wird, muss dargelegt werden, dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, B.v. 12.1.2024 – 10 BN 4.23 – juris Rn. 24; B.v. 15.5.2023 – 4 B 1.23 – juris Rn. 7).
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3. Als unterlegener Rechtsmittelführer hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO).
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4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1, 2 GKG und den Empfehlungen in Nr. 46.2, 46.3, 46.5 und 46.9 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
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5. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).