Titel:
Fortsetzungsfeststellungsklage betreffend versammlungsrechtliche Verfügungen
Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 4, § 124 Abs. 2 Nr. 1
GG Art. 8 Abs. 1
Leitsatz:
Ausgehend vom obergerichtlich gefestigten Maßstab einer "hinreichend bestimmte(n) Gefahr, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen erneut gleichartige Maßnahmen ergehen werden" (vgl. BVerwG BeckRS 2006, 27434; VGH München BeckRS 2024, 6184; VGH München, BeckRS 2015, 46454), kann angesichts der erheblichen Entspannung des pandemischen Geschehens und der stark veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen mit dem Auslaufen der Regelungen zu Corona-Schutzmaßnahmen nicht mehr iSv § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ernsthaft zweifelhaft sein, dass vergleichbare Beschränkungen in Zukunft nicht hinreichend wahrscheinlich sind. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Fortsetzungsfeststellungsklage, Fortsetzungsfeststellungsinteresse, Versammlungsrecht, Beschränkung der Teilnehmerzahl einer stationären Versammlung, Beschränkung der Teilnehmerzahl und Dauer einer sich fortbewegenden Versammlung einschließlich Routenänderung, Beschränkungen, Teilnehmerzahl, Routenänderung, Verfügungen, Corona-Pandemie, Wiederholungsgefahr, Rehabilitationsinteresse
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 12.10.2023 – M 10 K 21.1023
Fundstelle:
BeckRS 2024, 12143
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Fortsetzungsfeststellungsklage, mit der er die Rechtswidrigkeit versammlungsrechtlicher Beschränkungen (im wesentlichen Vorgaben hinsichtlich der Aufstellungsflächen, Abänderung des Routenverlaufs, der Teilnehmerzahlen und der Abgrenzung der Versammlungsfläche) bei einer Versammlung am 28. Februar 2021 feststellen lassen will, weiter. Das Verwaltungsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen, weil der Kläger kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse dargelegt habe.
2
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Mit dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag sind die in der Zulassungsbegründung allein vorgebrachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16; B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33). Die von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO geforderte Darlegung dieses Zulassungsgrundes erfordert innerhalb der Zulassungsbegründungsfrist von zwei Monaten eine konkret fallbezogene und hinreichend substantiierte Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung; es muss dargelegt werden, dass und weshalb das Verwaltungsgericht entscheidungstragende Rechts- und Tatsachenfragen unrichtig entschieden hat (BayVGH, B.v. 29.4.2020 – 10 ZB 20.104 – juris Rn. 3). Diese Anforderungen verfehlt das Zulassungsvorbringen.
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Das Verwaltungsgericht hat die Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO) mit Urteil vom 12. Oktober 2023 unter Bezugnahme auf den Gerichtsbescheid vom 1. Juni 2023 der Sache nach abgewiesen, weil es an einem Fortsetzungsfeststellungsinteresse fehle. Eine Wiederholungsgefahr bestehe nach Ende der Pandemie nicht. Die Hinweise des Klägers unter anderem zum „Zeitalter der Pandemie“ und neuen ansteckenderen Varianten des Coronavirus seien ungeeignet, eine Wiederholungsgefahr bei unverändert gebliebenen für die Beurteilung maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen Umständen darlegen zu können. Es fehle an jeglichen Ausführungen dazu, dass die Behörde künftig an ihrer Rechtsauffassung festhalten werde oder vergleichbare Auflagen erlassen dürfe. Der Kläger lasse außer Acht, dass die maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Umstände aktuell in keiner Weise mehr vergleichbar seien mit denen zum Zeitpunkt des Erlasses der streitbefangenen Auflagen. Er könne sich auch nicht auf ein Rehabilitationsinteresse berufen. Bei der Einleitung eines Strafverfahrens nach Art. 20 Abs. 2 Nr. 4 BayVersG und der zwischenzeitlichen Verurteilung des Klägers im Ordnungswidrigkeitenverfahren handle es sich um mittelbare Folgen der verfügten versammlungsrechtlichen Beschränkungen, sodass eine vorgetragene Diskriminierung nicht unmittelbar durch die Beschränkung eingetreten sei. Das Amtsgericht München sei als das zuständiges Strafgericht selbst gehalten, die Rechtmäßigkeit der versammlungsrechtlichen Beschränkungen, gegen die der Kläger verstoßen haben soll, zu prüfen. Da die Beschränkungen bloße Modalitäten der Versammlungsdurchführung betroffen hätten, ergebe sich ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse auch nicht aufgrund eines tiefgreifenden Grundrechtseingriffs.
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Das Vorbringen des Klägers im Zulassungsantrag zieht diese Ausführungen nicht durchgreifend in Zweifel.
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1. Der Annahme des Verwaltungsgerichts, hinsichtlich der streitgegenständlichen Modifizierungen der Versammlung bestehe nach Ende der Pandemie keine Wiederholungsgefahr, tritt der Kläger nicht nachvollziehbar entgegen. Dass vergleichbare Umstände erneut mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eintreten könnten, zeigt das Zulassungsvorbringen nicht auf.
7
Soweit der Kläger vorträgt, die Wahrscheinlichkeit, dass es in naher Zukunft wieder zu einer Pandemie in Deutschland kommen werde, sei sehr hoch und dann würden auch wieder Masken und Abstandsgebote Pflicht, legt er damit nicht ansatzweise dar, dass eine vergleichbare (Sach-)Lage, also eine Pandemie mit einem potentiell lebensbedrohlichen, durch Aerosole übertragbaren Virus, gegen das es (noch) keinen Impfstoff gibt, tatsächlich in absehbarer Zeit wieder eintreten könnte. Ausgehend vom obergerichtlich gefestigten Maßstab einer „hinreichend bestimmte(n) Gefahr, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen erneut gleichartige Maßnahmen ergehen werden“ (vgl. BVerwG, U.v. 12.10.2006 – 4 C 12.04 – juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 11.3.2024 – 10 ZB 24.219 – juris Rn. 8; B.v. 12.5.2015 – 10 ZB 13.629 – juris Rn. 8), kann angesichts der erheblichen Entspannung des pandemischen Geschehens und der stark veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen mit dem Auslaufen der Regelungen zu Corona-Schutzmaßnahmen nicht mehr im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ernsthaft zweifelhaft sein, dass vergleichbare Beschränkungen in Zukunft nicht hinreichend wahrscheinlich sind (BayVGH, B.v. 3.1.2023 – 10 ZB 22.285 juris Rn. 7; SächsOVG, U.v. 21.4.2021 – 3 C 8/20 – juris Rn. 16 für eine Ausgangssperre und OVG Saarl, U.v. 31.3.2022 – 2 C 317/20 – juris Rn. 28 für die Schließung von Fitnessstudios). Soweit der Kläger darauf hinweist, dass die WHO bei einer Gesundheitskonferenz im Mai 2024 gravierende Änderungen ihrer internationalen Gesundheitsvorschriften und einen neuen Pandemievertrag plane, der WHO-Generaldirektor dann alleine entscheiden dürfe, wann eine Pandemie vorliege und welche Maßnahmen im Falle einer Pandemie zu treffen seien, zeigt er damit vielmehr auf, dass die tatsächlichen und rechtlichen Umstände jedenfalls mit der Vergangenheit mehr vergleichbar wären. Nicht entscheidungserheblich kommt es daneben auf den Willen des Klägers an, in Zukunft Versammlungen abzuhalten, die ihrer Art nach zu den gleichen Rechtsproblemen und damit der gleichen Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit führen könnten.
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2. Der Kläger kann auch kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse unter dem Gesichtspunkt der Rehabilitierung geltend machen. Der Kläger trägt insoweit bereits nicht nachvollziehbar vor, inwieweit er in der Öffentlichkeit stigmatisiert worden sei. Soweit er darauf hinweist, dass er zwischenzeitlich im Ordnungswidrigkeitenverfahren verurteilt worden sei, legt er bereits nicht substantiiert dar, inwieweit diese Verurteilung mit dem streitgegenständlichen Bescheid zusammenhängt. Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf die einschlägige Rechtsprechung (BayVGH, U.v. 10.7.2018 – 10 BV 17.2405 – juris Rn. 30, bestätigt durch BVerwG, B.v. 25.6.2019 – 6 B 154/18 – juris Rn. 6) zurecht darauf abgestellt, dass das strafrechtliche Verfahren lediglich mittelbare Folge der streitgegenständlichen Beschränkungen war und das Amtsgericht München die Rechtmäßigkeit der versammlungsrechtlichen Beschränkungen eigenständig prüfen muss. Damit setzt sich das Zulassungsvorbringen nicht auseinander.
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3. Soweit das Verwaltungsgericht auch einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff verneint hat, enthält das Zulassungsvorbringen keine Ausführungen. Anhaltspunkte dafür sind auch nicht erkennbar, da es sich bei den Beschränkungen um bloße Modalitäten der Versammlungsdurchführung gehandelt hat.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.
11
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).