Inhalt

VGH München, Urteil v. 10.04.2024 – 10 B 23.319
Titel:

Personenkontrolle am Flughafen durch die Bundespolizei

Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 4, § 130 Abs. 2 Nr. 2
BPolG § 23 Abs. Nr. 4
Leitsätze:
1. Ein Feststellungsinteresse wegen Wiederholungsgefahr setzt die konkret absehbare Möglichkeit voraus, dass in naher Zukunft mit der Wiederholung eines vergleichbaren behördlichen Vorgehens bzw. Wiederholung der erledigten Maßnahme unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen zu rechnen ist. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Ermessensentscheidung nach § 130 Abs. 2 VwGO sind insbesondere die Gesichtspunkte der Arbeitsentlastung des OVG, der Prozessökonomie, der Verkürzung des Rechtswegs, der Zweckmäßigkeit einer Überprüfung in zwei Instanzen und der Beschleunigung des Verfahrens zu berücksichtigen; ferner ist zu berücksichtigen, dass eine Zurückverweisung idR zu einer Verteuerung und Verzögerung des Rechtsstreits führt, was den schützenswerten Interessen der Beteiligten entgegenstehen kann. (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für eine Zurückverweisung kann insbesondere sprechen, dass das VG eine gebotene umfassende Sachaufklärung einschließlich einer Beweiserhebung nicht vorgenommen hat. (Rn. 48) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
polizeiliche Maßnahmen durch die Bundespolizei am Flughafen, Fortsetzungsfeststellungsinteresse aufgrund Wiederholungsgefahr, Zurückverweisung an das Verwaltungsgericht, Flughafen, Personenkontrolle, Bundespolizei, polizeiliche Maßnahmen, Fortsetzungsfeststellungsklage, Feststellungsinteresse, Wiederholungsgefahr, Zurückverweisung, Verwaltungsgericht
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 21.07.2021 – M 23 K 20.88
Fundstelle:
BeckRS 2024, 12134

Tenor

I.Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 21. Juli 2021 wird einschließlich des Verfahrens aufgehoben.
II.Die Streitsache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Bayerische Verwaltungsgericht München zurückverwiesen.
III.Die Revision wird nicht zugelassen.  

Tatbestand

1
Die Kläger, ein in der Bundesrepublik Deutschland lebendes Ehepaar kosovarischer Staatsangehörigkeit, wenden sich gegen verschiedene im Rahmen einer Kontrolle am Flughafen München am 6. August 2019 erfolgte bundespolizeiliche Maßnahmen.
2
Ausweislich des in der Behördenakte befindlichen „Polizeilichen Berichts“ waren die Kläger am 6. August 2019 gegen 7.05 Uhr Vollzugsbeamten der Bundespolizei bereits in der Vorfahrzone des Flughafens aufgefallen, als sie sich von ihrem Fahrer verabschiedet hätten. Das Ehepaar habe religionstypische, muslimische Kleidung getragen und sei äußerlich der salafistischen Szene zuzuordnen gewesen.
3
Nach Ansprache durch die Polizeivollzugsbeamten in einem Imbiss auf dem Flughafengelände seien die Kläger einer Personenkontrolle unterzogen worden, bei der sich der Kläger zu 2 sehr unkooperativ gezeigt habe. Er habe nur zögerlich angegeben, nach Saudi-Arabien zur Haddsch reisen zu wollen, sowie dass man mit dem Veranstalter „Bakkah Reisen“ reise und dass er die Identität des Fahrers nicht offenbaren könne, da ihm sein über den deutschen Gesetzen stehender Glaube dies verbiete.
4
Im Anschluss hieran sei das Ehepaar zur Durchführung weiterer Maßnahmen auf die Flughafenwache verbracht, durchsucht und getrennt voneinander befragt worden. Bei dem Kläger zu 2 seien mehr als 2.000,- Euro in bar aufgefunden worden. Die Befragung des Klägers sei wegen fehlender Kooperation schwierig gewesen; es sei der Eindruck entstanden, dass er über die tatsächlichen Reisehintergründe hinwegtäuschen bzw. diese verschleiern wolle. Erst seine Frau habe in ihrer Befragung bestätigt, dass beide Kenntnis von der Person des Reiseleiters Pierre Vogel hätten. Ferner hätten starke Ansätze einer Radikalisierung, insbesondere beim Kläger zu 2, festgestellt werden können. Beispielhaft hierfür sei seine Rechtsauffassung, dass Allah über dem deutschen Recht stehe, zu nennen. Augenscheinlich erkenne er die deutschen Institutionen, wie im vorliegenden Fall, nicht als legitime Autorität an. Durch den Antritt der Reise sei gerade durch den intensiven Umgang mit dem salafistischen Prediger Vogel auf einer zweiwöchigen Reise zum Zentrum des Islam eine zunehmende und beschleunigte Radikalisierung zu erwarten.
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Aufgrund dessen sei den beiden Personen die Ausreise bis zum 3. September 2019 in alle Staaten untersagt worden. Des Weiteren seien die Reispässe, Aufenthaltstitel sowie 2.000,- Euro sichergestellt worden. Ihnen sei eine wöchentliche Meldeauflage bis zum 3. September 2019 und eine Zwangsgeldandrohung bei Nicht-Einhaltung in Höhe von 500,- Euro auferlegt worden.
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Um 14.20 Uhr seien die beiden Personen entlassen worden.
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Im Durchsuchungsprotokoll ist als Anlass „Gefahrenabwehr“ und als Rechtsgrundlage § 43 Abs. 1 Nr. 1 BPolG angegeben, sowie „Durchsuchung einer Person, die festgehalten werden kann“.
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Nach dem Befragungsprotokoll des Klägers zu 2 gab dieser hierbei im Wesentlichen an, er akzeptiere die deutschen Gesetze, müsse sich aber auch an die Regeln Gottes halten. Im Anschluss daran gab er die Identität des Fahrers preis, nachdem er diesen über „WhatsApp“ um Erlaubnis gebeten hatte. Weiter trug er vor, den Reiseleiter von „Bakkah Reisen“ nicht zu kennen. Die Reise habe pro Person über 4.000 Euro gekostet, die er bereits überwiesen habe. Auf Vorhalt, wofür die bei der zuvor erfolgten Durchsuchung aufgefundenen und sichergestellten 2.000 Euro seien, erwiderte er, diese habe er von seinem Konto abgehoben; es handle sich um Geld für Mitbringsel und Sicherheiten für den Fall einer Erkrankung. Eine Bestätigung der Abhebung des Geldes von seinem Konto mittels Nachschau im Online-Banking gelang dem Kläger während der Befragung nicht. Zuletzt führte er auf Frage aus, grundsätzlich alle Moscheen in Bruckmühl und Rosenheim zu besuchen, aber nicht radikal zu sein.
9
Aus dem Befragungsbericht der Klägerin zu 1 ergibt sich, dass der Reiseleiter der Pilgerfahrt Pierre Vogel sei. Man habe für die Reise pro Person ca. 4.000 Euro bezahlt. Das Bargeld, das ihr Mann mit sich führe, stamme aus dessen Ersparnissen, da er in Deutschland arbeite. Diesbezüglich zeigte sie den Beamten über ihr Mobiltelefon Belege über Barabhebungen in Höhe von über 3.000 Euro. Auf den Reiseveranstalter sei man gekommen, da man sich manchmal Videos von Pierre Vogel auf „YouTube“ ansehe. Weil man nicht genügend Zeit für die Reise gehabt habe, habe man sich für die Pilgerfahrt mit Pierre Vogel entschieden. Der einzig andere Reiseveranstalter biete nur Reise über einen Zeitraum von mehr als zwei Wochen an. Pierre Vogel sei im Übrigen „ganz friedlich“ und werde in den Medien falsch dargestellt. Sie selbst sei gleichberechtigt mit ihrem Mann, habe aber wenig Kontakt zu anderen Personen und sei viel zu Hause. Über die Moscheen erzähle ihr Mann nichts weiter, „da komme auch öfter die Kriminalpolizei und so und sie stellen Fragen“.
10
Dem Kläger zu 2 wurde ein „Bescheid über die Sicherstellung von Bargeld gem. § 47 Nr. 2, § 48 sowie § 14 Abs. 1 i.V.m. § 14 Abs. 2 BPolG“ ausgehändigt. Hierin wurden die „aufgefundenen Sachen/Barmittel“ (gemäß gesonderter Niederschrift) zum Schutz des Eigentümers vor Verlust gemäß § 47 Nr. 2 BPolG sichergestellt und dem Kläger verboten, „die Sachen/das Bargeld zu veräußern oder sonst darüber zu verfügen“.
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Zur Begründung wurde angegeben: die Sicherstellung sei erforderlich, da vorliegende Beweisanzeichen darauf hindeuteten, dass der Kläger nicht der rechtmäßige Besitzer sei. Durch die von ihm zu erwartende Verbringung der Sachen/Barmittel bestehe die Gefahr, dass der rechtmäßige Eigentümer gegen seinen Willen und auf Dauer von der Sachherrschaft ausgeschlossen werden würde. Zum gegenwärtigen Stand der Ermittlungen lägen folgende Beweisanzeichen vor, die Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Eigentums des Klägers an der Sache/Barmittel und seiner Sachherrschaft aufwürfen: Der Kläger und seine Frau widersprächen sich in ihren Angaben hinsichtlich Herkunft und Zweck des Bargelds. Nachvollziehbare Belege oder glaubhafte Ausführungen könne er nicht vorbringen. Seine Einkommensverhältnisse ließen Zweifel daran aufkommen, dass er lediglich aus legitimen Quellen die Reisefinanzierung und Bargeldmitnahme bestreiten könne. Damit gehe die Beweislast hinsichtlich des Nachweises über die Rechtmäßigkeit des Eigentums an der Sache/Barmittel auf den Kläger über.
12
Der Bescheid enthielt eine (falsche) Rechtsbehelfsbelehrung.
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Im Sicherstellungsprotokoll, das dem Bescheid als Anlage beigefügt war, heißt es zum Anlass: „Ausreiseuntersagung“, zur Rechtsgrundlage: „§ 47 Nr. 1 BPolG, Sicherstellung zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr“, sowie „§ 47 Nr. 2 BPolG, Sicherstellung zugunsten des Eigentümers oder rechtmäßigen Inhabers der tatsächlichen Gewalt“. Sichergestellt wurde Bargeld in Höhe von 2.000,- Euro.
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Ferner wurde den Klägern jeweils mit Bescheiden vom 6. August 2019 („Ausreiseuntersagung“) nach § 46 Abs. 2 AufenthG die Ausreise in alle Staaten bis einschließlich 3. September 2019 untersagt. Außerdem wurden sie verpflichtet, sich gemäß § 14 Abs. 1 BPolG in diesem Zeitraum einmal wöchentlich bei der Polizeiinspektion in Bad Aibling zu melden. Für den Fall, dass sie der Meldeauflage nicht nachkämen, wurde ein Zwangsgeld für jedes Nichterscheinen in Höhe von 500 Euro angedroht. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass aufgrund der erheblichen Bargeldsumme, der zum Teil verweigerten bzw. erschwerten Kooperation bei der Befragung, der Angabe des Klägers zu 2 zu seiner Einstellung zur demokratischen Grundordnung und der später offenbarten Reisedetails die Annahme bestehe, dass die Reise eine (weitere) Radikalisierung mit sich bringen könne und diesbezügliche „Seminare“ besucht werden könnten. Auch bestehe der Verdacht, dass das Bargeld zur Finanzierung nicht legitimer Zwecke oder Strukturen eingesetzt werde.
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Mit Schreiben der Bevollmächtigten der Kläger vom 29. August 2019 wurde gegen die Ausreiseuntersagung Widerspruch erhoben und beantragt, „den sichergestellten Pass und das sichergestellte Bargeld in Höhe von 2000 Euro umgehend an die Widerspruchsführer herauszugeben“.
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Die Sicherstellung des Bargeldes wurde mit Schreiben der Bundespolizeidirektion München vom 31. Oktober 2019 aufgehoben, das sichergestellte Geld in der Folge ausbezahlt. Ein geltend gemachter Schadensersatzanspruch in Höhe von ca. 8.488 Euro wurde mit Schreiben der Beklagten vom 14. Januar 2020 abgelehnt.
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Mit Schriftsatz vom 7. Januar 2020 ließen die Kläger Fortsetzungsfeststellungklage erheben. Es wurde vorgetragen, die mittlerweile erledigten Maßnahmen seien rechtswidrig gewesen. Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse bestehe, weil in das schrankenlose Grundrecht der Religionsfreiheit und in die allgemeine Handlungsfreiheit besonders schwerwiegend eingegriffen worden sei. Ebenso liege ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot wegen „religious profiling“ vor. Daraus folge auch das Rehabilitationsinteresse der Kläger. Wiederholungsgefahr könne wegen der religiösen Pflicht, die Pilgerreise anzutreten, ebenso nicht ausgeschlossen werden, wie auch die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs.
18
Die Beklagte begründete ihren Klageabweisungsantrag damit, dass kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse der Kläger ersichtlich sei. Insbesondere sei ein Rehabilitationsinteresse zu verneinen, da die Maßnahmen überwiegend auf der Flughafenwache durchgeführt worden seien. Nach Kleidung und Habitus der Kläger – die Klägerin zu 1 habe ein bis auf das Gesicht verhüllendes Gewand getragen, der Kläger zu 2 typische Barttracht – seien beide der salafistischen Szene zugeordnet worden.
19
In der mündlichen Verhandlung am 21. Juli 2021 wurde die Streitsache hinsichtlich der Ausreiseuntersagung abgetrennt und an die für Ausländerrecht zuständige Kammer abgegeben. Die Kläger beantragten zuletzt, festzustellen, dass die Identitätsfeststellung, die Befragung, die Durchsuchung und die Sicherstellung bzw. Verwahrung des Bargeldes rechtswidrig waren.
20
Mit dem angefochtenen Urteil vom 21. Juli 2021 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Die Klage sei unzulässig, da die Kläger kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO entsprechend) hätten.
21
Präjudizialität liege nicht vor, da die Erledigung schon vor Klageerhebung eingetreten sei.
22
Aus dem Vortrag der Kläger, in Zukunft an der Pilgerfahrt teilnehmen zu müssen, folge auch keine Wiederholungsgefahr. Dies ergebe sich bereits daraus, dass seitens der Beklagten schlüssig vorgetragen worden sei, dass in Frage kommende polizeiliche Flughafenkontrollen stets lageabhängig und flexibel durchgeführt würden, was bereits gegen die hinreichende Wiederholungswahrscheinlichkeit einer ähnlichen Situation wie der hier streitigen spreche. Selbst wenn die Kläger erneut einer Identitätsfeststellung am Flughafen bei geplanter Ausreise unterzogen werden würden, hieße dies für die Bundespolizei nicht, dass – ohne Hinzutreten weiterer Umstände – erneut und gleichsam automatisch mit besagten Maßnahmen zu rechnen wäre. Unabhängig hiervon wäre die konkrete Wiederholungsgefahr letztendlich aber auch deswegen zu verneinen, weil es die Klagepartei versäumt habe, konkrete Reisepläne in der Zukunft darzulegen.
23
Die Kläger könnten sich auch nicht auf ein Rehabilitierungsinteresse berufen. Schließlich vermöge die Kammer auch keinen besonders schweren Eingriff in das Grundrecht auf Freiheit des Glaubens (Art. 4 GG) zu erkennen.
24
Mit Beschluss vom 25. Februar 2023 (10 ZB 21.2957) hat der Senat die Berufung zugelassen, weil ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (Verneinung der Wiederholungsgefahr) bestünden.
25
In der Berufungsbegründung rügt die Klägerseite unter anderem die Verneinung einer Wiederholungsgefahr, weil die Beklagte schlüssig vorgetragen habe, dass Flughafenkontrollen stets lageabhängig und flexibel durchgeführt werden. Das Verwaltungsgericht habe keine weiteren Ermittlungen angestellt, um was für Lageerkenntnisse es sich hierbei handeln solle, obwohl es aufgrund seiner Aufklärungspflicht hierzu berufen gewesen wäre. Lageabhängige und flexibel durchgeführte Flughafenkontrollen beruhten auf einer gewissen Tatsachen- und Prognosebasis, die einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich seien. Im Übrigen werde bestritten, dass seitens der Bundespolizisten aufgrund von Lageerkenntnissen gehandelt worden sei; dies ergebe sich schon aus dem Umstand, dass die Kläger ausdrücklich aufgrund ihrer religionstypischen Kleidung ins Visier geraten seien. Zum anderen meine das Urteil, dass eine Wiederholungswahrscheinlichkeit ausgeschlossen sei, weil in die Ermessensentscheidung der Polizeibeamten Umstände eingeflossen seien, auf die die Kläger im Wesentlichen selbst Einfluss gehabt hätten. Dies unterliege einer unschlüssigen Denklogik, denn die genannten Umstände (unkooperatives Verhalten, Angaben zum Reiseleiter usw.) seien erst infolge der Befragung hinzugekommen. Die ursprüngliche Auswahl der Kläger zumindest zur Befragung und Identitätsfeststellung hätten mit diesen Umständen nichts zu tun. Nicht sie seien Anlass für die polizeiliche Maßnahme gewesen, sondern die Anknüpfung an verbotene Merkmale nach Art. 3 Abs. 3 GG. Vielmehr liege eine Wiederholungswahrscheinlichkeit deswegen vor, weil die Kläger ihre religiöse Kleidung und das religiöse Erscheinungsbild nicht verändern könnten und wollten.
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In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 8. April 2024 ließen die Kläger beantragen,
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in Abänderung des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 21. Juni 2021 festzustellen, dass die den Klägern gegenüber erfolgten bundespolizeilichen Maßnahmen am 6. August 2019 der Identitätsfeststellung, Befragung, Durchsuchung und Sicherstellung des Bargeldes (einschließlich dessen Verwahrung) rechtswidrig waren.
28
Die Beklagte beantragte,
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die Berufung der Kläger zurückzuweisen.
30
Die Beklagte beantragte ferner
31
die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Verwaltungsgericht.
32
Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen und der vorgelegten Behördenakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.
33
Die Berufung ist zulässig. Die Berufungsbegründung vom 27. März 2023 entspricht noch den formellen Anforderungen des § 124a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO. Eine Bezugnahme auf die Begründung des Zulassungsantrags in dem Berufungsbegründungsschriftsatz – wie hier – ist zulässig und ausreichend, wenn diese ihrerseits den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung genügt, wenn sich also daraus die „Gründe der Anfechtung“ im Einzelnen ergeben (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 99; Roth in Posser/Wolff/Decker, BeckOK VwGO, Stand 1.1.2024, § 124a Rn. 99 m. Nachw. d. Rspr.). Im vorliegenden Fall kommt durch die Bezugnahme in der Berufungsbegründung auf den Zulassungsantrag (Schriftsatz vom 31. Dezember 2021) hinreichend zum Ausdruck, dass die Klägerseite darauf abstellt, das Verwaltungsgericht habe die Klage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen.
II.
34
Die Berufung hat mit der Maßgabe Erfolg, dass der Senat in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens von der durch § 130 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffneten Möglichkeit Gebrauch macht, die Streitsache an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen.
35
1. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts liegt ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog) bzw. ein Feststellungsinteresse (§ 43 Abs. 1 VwGO) jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr vor.
36
Dabei kommt es nicht darauf an, ob es sich bei den polizeilichen Maßnahmen, auf die sich die Klage bezieht, sämtlich jeweils um Verwaltungsakte handelt und deshalb die Klage als Fortsetzungsfeststellungsklage in entsprechender Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft ist, oder ob bestimmte Maßnahmen (wie die Befragung, § 22 Abs. 1 Satz 1 BPolG; vgl. dazu Wolf-Rüdiger Schenke in Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, BPolG § 22 Rn. 6) sich nicht als Verwaltungsakte darstellen und daher nur eine Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO in Betracht kommt. Denn die Zulässigkeit der Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO erfordert ebenso wie die der Fortsetzungsfeststellungsklage in entsprechender Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung (BayVGH, B.v. 12.5.2015 – 10 ZB 13.269 – juris Rn. 7 m.w.N.).
37
Ein Feststellungsinteresse wegen Wiederholungsgefahr setzt die konkret absehbare Möglichkeit voraus, dass in naher Zukunft mit der Wiederholung eines vergleichbaren behördlichen Vorgehens bzw. Wiederholung der erledigten Maßnahme unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen zu rechnen ist (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 12.10.2023 – 2 A 5.22 – juris Rn. 24; U.v. 24.5.2022 – 6 C 9.20 – BVerwGE 175, 346, juris Rn. 12; B.v. 14.1.2019 – 3 B 48.18 – juris Rn. 9). Dabei hat der Kläger die Umstände darzulegen, aus denen sich sein Feststellungsinteresse ergibt (vgl. BVerwG, U.v. 15.11.1990 – 3 C 49.87 – juris Rn. 25). Ist ungewiss, ob in Zukunft noch einmal die gleichen tatsächlichen Verhältnisse eintreten wie im Zeitpunkt der betreffenden Maßnahme, so kann ein Feststellungsinteresse nicht aus einer Wiederholungsgefahr hergeleitet werden (vgl. BVerwG, U.v. 12.10.2006 – 4 C 12.04 – juris Rn. 8).
38
Zur Überzeugung des Senats ist nach diesem Maßstab eine Wiederholungsgefahr hinreichend dargelegt. Die Kläger haben geltend gemacht, alsbald zu einer erneuten „Haddsch“ aufbrechen zu wollen und damit erneut in die Situation geraten zu können, aufgrund ihres Äußeren, insbesondere ihrer Kleidung, am Flughafen aufzufallen und vergleichbaren polizeilichen Maßnahmen unterzogen zu werden. Soweit sich die Beklagte darauf beruft, dass Personenkontrollen am Flughafen stets lageabhängig und flexibel vorgenommen würden und sich die Vornahme von Personenkontrollen abhängig von der konkreten polizeilichen Lageeinschätzung und vor allem vom Besucheraufkommen ständig ändere, spricht dies nicht gegen eine solche Einschätzung. Die Wiederholungsgefahr erfordert keine identischen Umstände, die in der Realität in der Tat kaum wiederholbar sind, sondern im wesentlichen unveränderte Umstände, also solche, die die Kläger erneut in eine vergleichbare Situation wie die streitgegenständliche bringen könnten. Da der vorgelegten Behördenakte auch kein konkreter Auslöser für die polizeiliche Identitätsfeststellung und die daran anschließenden Maßnahmen zu entnehmen ist außer dem Erscheinungsbild und der Kleidung der Kläger, die zu ihrer Zuordnung zur salafistischen Szene führten, sind auch keine Umstände zu erkennen, die die Gefahr erneuter vergleichbarer polizeilicher Maßnahmen wesentlich eingrenzen würden. Anhaltspunkte für einzelne Umstände, die gerade im konkreten – unwiederholbaren – Einzelfall zu den polizeilichen Maßnahmen geführt hätten, ergeben sich weder aus der Behördenakte noch aus den Begründungen der jeweiligen Maßnahmen (insbesondere auch den angeführten Rechtsgrundlagen).
39
Auch soweit die Kläger durch ihr Verhalten dazu beigetragen haben sollten, dass die handelnden Polizeibeamten die (weiteren) Maßnahmen für erforderlich hielten, schließt dies eine Wiederholungsgefahr nicht aus. Ebenso überspannt das Verwaltungsgericht die Anforderungen an die Darlegungsanforderungen an die Kläger, wenn es insoweit beanstandet, dass die Kläger keine Einzelheiten bezüglich einer erneuten Haddsch-Reise in unmittelbarer Zukunft, insbesondere zu den Daten und dem Ablauf der Reise, angeben konnten. Dass die Kläger als – nach eigenen nachvollziehbaren Angaben – gläubige Muslime alsbald, nämlich soweit wieder ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, erneute eine Pilgerfahrt antreten wollen, ist ohne weiteres glaubhaft, auch wenn sie insoweit noch keinen konkreten Termin nennen konnten.
40
Da somit eine Wiederholungsgefahr im Sinn eines (Fortsetzungs-)Feststellungsinteresses nach Überzeugung des Senats zu bejahen ist, kann offen bleiben, ob ein solches Feststellungsinteresse auch noch aus anderen Gründen, insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Grundrechtseingriffs durch eine sich typischerweise kurzfristig erledigende Maßnahme, besteht.
41
2. Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, über die Berufung nicht selbst zu entscheiden, sondern die Sache an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen.
42
Nach § 130 Abs. 2 Nr. 2 VwGO darf das Oberverwaltungsgericht die Sache, soweit ihre weitere Verhandlung erforderlich ist, unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens an das Verwaltungsgericht (nur) zurückverweisen, wenn das Verwaltungsgericht noch nicht in der Sache selbst entschieden hat und ein Beteiligter die Zurückverweisung beantragt.
43
a) Die Beklagtenpartei hat in der mündlichen Verhandlung einen Antrag auf Zurückverweisung gestellt.
44
b) Das Verwaltungsgericht hat noch nicht in der Sache, also über die Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen polizeilichen Maßnahmen, entschieden, weil es – wie dargelegt – die Klage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen hat.
45
c) Auch ist die weitere Verhandlung der Sache erforderlich; die Sache ist noch nicht spruchreif. Aus den bisher vorhandenen Erkenntnismitteln, insbesondere der vorgelegten Behördenakte, lässt sich nicht hinreichend erkennen, ob die rechtlichen Voraussetzungen der getroffenen polizeilichen Maßnahmen vorgelegen haben. Bereits für die erste erfolgte Maßnahme, die Identitätsfeststellung der Kläger, ist derzeit nicht zu erkennen, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des als Rechtsgrundlage herangezogenen § 23 Abs. 1 Nr. 4 BPolG im maßgeblichen Zeitpunkt vorgelegen haben. Diese Vorschrift setzt voraus, dass Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass am Flughafen Straftaten begangen werden sollen, durch die der Flughafen oder sich dort aufhaltende Personen unmittelbar gefährdet sind, und die Identitätsfeststellung aufgrund der Gefährdungslage oder auf die Person bezogene Anhaltspunkte erforderlich sind. Aus dem „Polizeilichen Bericht“ ergibt sich insoweit lediglich, dass die Polizeibeamten auf die Kläger aufgrund deren äußerer Erscheinung aufmerksam geworden seien, nicht jedoch, worauf sich die Einschätzung einer konkreten Gefahrenlage begründete. Hierzu und ebenso zu den nachfolgend getroffenen Maßnahmen (Befragung, Durchsuchung, Sicherstellung) ist noch eine weitere Sachaufklärung (§ 86 Abs. 1 VwGO) erforderlich durch weitere Darlegungen der Beklagtenseite und insbesondere durch die Zeugeneinvernahme der beteiligten Polizeibeamten.
46
d) Der Senat übt das ihm durch § 130 Abs. 2 VwGO eingeräumte Ermessen dahin aus, dass er unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Verfahrens das Verfahren an das Verwaltungsgericht zurückverweist.
47
Bei der Ermessensentscheidung sind insbesondere die Gesichtspunkte der Arbeitsentlastung des Oberverwaltungsgerichts, der Prozessökonomie, der Verkürzung des Rechtswegs, der Zweckmäßigkeit einer Überprüfung in zwei Instanzen und der Beschleunigung des Verfahrens zu berücksichtigen; ferner ist zu berücksichtigen, dass eine Zurückverweisung in der Regel zu einer Verteuerung und Verzögerung des Rechtsstreits führt, was den schützenswerten Interessen der Beteiligten entgegenstehen kann (Roth in Posser/Wolff/Decker, BeckOK VwGO, Stand 1.1.2014, § 130 Rn. 9; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 130 Rn. 15).
48
Für eine Zurückverweisung spricht hier insbesondere, dass das Verwaltungsgericht eine gebotene umfassende Sachaufklärung einschließlich einer Beweiserhebung nicht vorgenommen hat. Die Zurückverweisung entspricht somit der grundsätzlichen Aufgabenverteilung zwischen den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit des ersten und des zweiten Rechtszuges, wie sie ihren Niederschlag in den §§ 45 ff. und §§ 124 ff. VwGO gefunden hat; diese hat insbesondere dann Bedeutung, wenn wie hier die Sachverhaltsaufklärung noch am Anfang steht und wohl nicht ohne einen gewissen Aufwand möglich ist (BayVGH, U.v. 2.8.2016 – 22 B 16.619 – juris Rn. 47). Ohne eine Zurückverweisung würde den Beteiligten eine Tatsacheninstanz genommen (BayVGH, B.v. 14.10.2014 – 12 BV 14.1629 – juris Rn. 35; BayVGH, B.v. 22.4.2013 – 11 B 12.2671 – juris Rn. 22; BayVGH, B.v. 10.3.2021 – 3 B 20.2638 – Rn. 12, n.v.). Andererseits bedeutet die Zurückverweisung für die Kläger keinen unangemessenen Nachteil, da es sich bei den streitgegenständlichen polizeilichen Maßnahmen um in der Vergangenheit liegende, abgeschlossene Sachverhalte handelt, auf die das abschließende Urteil nicht mehr (anfechtend oder verpflichtend) einwirken könnte; das Verfahren wird von den Klägern nur noch im Sinne einer Feststellung der Rechtswidrigkeit bzw. Rechtmäßigkeit der abgeschlossenen Maßnahmen betrieben.
49
3. Die Aufhebung auch des der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vorangegangenen Verfahrens erfolgt aus Gründen der Rechtsklarheit, um festzustellen, dass von dem durchgeführten Verfahren keine Rechtswirkungen mehr ausgehen (BayVGH, U.v. 6.6.2016 – 22 B 16.611 – juris Rn. 29).
50
4. Eine Entscheidung über die Kosten und zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ist bei einer Zurückverweisung nicht veranlasst. Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung des Verwaltungsgerichts vorbehalten (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 130 Rn. 19).
51
5. Die Revision war nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.