Inhalt

LG Landshut, Hinweisbeschluss v. 04.06.2024 – 12 S 2680/23 e
Titel:

Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten bei der Durchsetzung von abgetretenen Fluggastrechten durch ein spezialisiertes Inkassounternehmen

Normenketten:
BGB § 280 Abs. 1, Abs. 2, § 286, § 257, § 249 Abs. 2 S. 1
ZPO § 286, § 522, § 529 Abs. 1 Nr. 1
Leitsätze:
1. Der Schädiger hat nicht schlechthin alle durch das Schadensereignis adäquat verursachten Rechtsanwaltskosten zu ersetzen, sondern nur solche, die aus Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren (ebenso BGH BeckRS 2019, 30178). Maßgeblich ist die Ex-ante-Sicht einer vernünftigen, wirtschaftlich denkenden Person, wobei keine überzogenen Anforderungen zu stellen sind. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das seinerseits Erforderliche tut der Gläubiger dadurch, dass er den Schuldner in Verzug setzt. Eine weitere Verzögerung der Erfüllung seiner Forderung muss er nicht hinnehmen. Vielmehr kann er seinem Erfüllungsverlangen durch Einschaltung eines Rechtsanwalts Nachdruck verleihen (ebenso BGH BeckRS 2022, 6224). Letzteres gilt auch dann, wenn der Gläubiger ausnahmsweise nicht auf eine Beratung über die Möglichkeiten des weiteren Vorgehens angewiesen ist, weil er – wie vorliegend – selbst über entsprechende Kenntnisse verfügt und diese auf den konkreten Fall anzuwenden weiß (ebenso BGH BeckRS 2015, 18666). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3. Auch ein spezialisierter Rechtsdienstleister – wie hier – ist ungeachtet seiner Fachkenntnisse zur eigenen Mühewaltung bei der Schadensabwicklung nicht verpflichtet (ebenso BGH BeckRS 1994, 7243). Die außergerichtliche Beauftragung eines Rechtsanwalts ist auch in einem solchen Fall nicht von vornherein aussichtslos, da für den Gläubiger nicht absehbar ist, wie der Schuldner auf eine anwaltliche Mahnung reagieren wird (ebenso BGH BeckRS 2017, 143223). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine abweichende Beurteilung ist allerdings dann veranlasst, wenn der Versuch einer außergerichtlichen Regulierung mithilfe eines Anwalts offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg bietet. Ist der Schuldner bekanntermaßen zahlungsunwillig und erscheint der Versuch einer außergerichtlichen Forderungsdurchsetzung auch nicht aus sonstigen Gründen erfolgversprechend, sind die dadurch verursachten Kosten nicht zweckmäßig (ebenso BGH BeckRS 2022, 20173). (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
5. Auch wenn der Gläubiger ausnahmsweise nicht auf eine Beratung über die Möglichkeiten des weiteren Vorgehens angewiesen ist, weil er selbst über entsprechende Kenntnisse verfügt und diese auf den konkreten Fall anzuwenden weiß, ist die Erstattungsfähigkeit der Kosten für eine außergerichtliche Vertretung durch einen Rechtsanwalt regelmäßig nicht auf eine Gebühr nach Nr. 2301 VV RVG beschränkt. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Inkassounternehmen, vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Erfüllungsverlangen, Mahnung, Fluggesellschaft, Fluggastrechte, Abtretung, Freistellung, Verzug, Zweckmäßigkeit
Vorinstanz:
AG Erding, Urteil vom 22.09.2023 – 102 C 1878/23
Fundstellen:
ReiseRFD 2024, 305
BeckRS 2024, 12101
LSK 2024, 12101

Tenor

Die Berufung ist teilweise unzulässig und insoweit zu verwerfen.
Die Kammer beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Erding vom 22.09.2023, Az. 102 C 1878/23, soweit sie zulässig ist, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil sie einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Hinweises.

Entscheidungsgründe

I.
1
Nachdem die Beklagte im Rahmen der Klageerwiderung vom 07.06.2023 die geltend gemachte Forderung bezüglich der Ausgleichsleistung in Höhe von 250,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit anerkannt hat, begehrt die Klägerin noch die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
2
Die Klägerin machte Ausgleichsansprüche aus abgetretenem Recht wegen Verspätung des Fluges U 2 8986 am 16.06.2022 von München nach London Gatwick Airport geltend. Der Fluggast ... trat seinen Ausgleichsanspruch an die Klägerin ab. Diese machte die Ansprüche mit Schreiben vom 02.07.2022 gegenüber der Beklagten geltend. Die Beklagte reagierte auf diese Aufforderung nicht. Die jetzigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin forderten die Beklagte mit Schreiben vom 17.01.2023 erneut zur Zahlung auf.
3
Das Amtsgericht hat die Beklagte ihrem Anerkenntnis gemäß verurteilt und der Klage auch hinsichtlich der geltend gemachten Freistellung der Klägerin von ihren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 90,96 € stattgegeben.
4
Die Klägerin habe gegen die Beklagte einen Anspruch auf Freistellung von ihren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten aus §§ 280, Abs. 1 und 2, 286, 257 BGB. Die Beklagte habe sich bei Beauftragung der klägerischen Prozessbevollmächtigten in Verzug befunden. Die Beauftragung sei erforderlich und zweckmäßig gewesen. Die Klägerin habe davon ausgehen dürfen, dass ein anwaltliches Schreiben auch unter Berücksichtigung der ausgebliebenen Reaktion der Beklagten auf die Erstmahnung der Klägerin durchaus noch geeignet sei, ihre Forderung außergerichtlich durchzusetzen. Es komme nicht darauf an, ob das vorgerichtliche Schreiben der klägerischen Prozessbevollmächtigten keinen weitergehenden Inhalt gehabt habe als das Aufforderungsschreiben der Klägerin. Es sei unerheblich, dass es sich bei der Klägerin um ein spezialisiertes Inkassounternehmen handele. Auch für den Rechtsdienstleister sei nicht absehbar, wie das Luftfahrtunternehmen auf eine anwaltliche Mahnung reagiere. Zur Überzeugung des Gerichts stehe fest, dass im Zeitpunkt des vorgerichtlichen Tätigwerdens der klägerischen Prozessbevollmächtigten noch gar kein (unbedingter) Klageauftrag erteilt worden sei. Da Freistellung beantragt werde, komme es auf die Frage der Bezahlung der Rechnung durch die Klägerin gar nicht an. Die Höhe der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sei schlüssig dargetan.
5
Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung und begehrt unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils Klageabweisung.
6
Ohne Begleichung der entsprechenden Rechnung fehle es bereits an einem ersatzfähigen Vermögensschaden. Es habe keine Notwendigkeit für die Klägerin bestanden, die Prozessbevollmächtigten im Namen der Klägerin zur außergerichtlichen Vertretung zu beauftragen. Denn jeder Fluggesellschaft sei hinlänglich bekannt, dass bei Nichtreaktion auf ein Aufforderungsschreiben oder bei Zurückweisung der geltend gemachten Ansprüche ein gerichtliches Verfahren unmittelbar bevorstehe. Das vorgerichtliche Schreiben der klägerischen Prozessbevollmächtigten habe keinen über das Aufforderungsschreiben der Klägerin selbst hinausgehenden Mehrwert. Es handele sich vielmehr um ein standardisiertes Anwaltsschreiben, welches unter Verwendung elektronischer Datensätze automatisiert erstellt und an die Beklagte versandt worden sei.
II.
7
Die Beklagte hat im Rahmen der Berufungsbegründung vom 22.12.2023 beantragt, dass das Urteil des Amtsgerichts Erding abgeändert und die Klage abgewiesen werden soll; mithin das Urteil in vollem Umfang zur Überprüfung durch das Berufungsgericht gestellt.
8
Soweit die Beklagte die Verurteilung zur Zahlung von 250,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 04.05.2023 (Ziffer 1. des Teil-Anerkenntnis- und Endurteils) angreift, ist die Berufung bereits unzulässig gemäß § 522 Abs. 1 ZPO, weil die Berufung insoweit nicht begründet wurde.
III.
9
Im Übrigen hat die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO).
10
Das Urteil beruht weder auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO), noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung, § 513 Abs. 1 ZPO.
11
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Freistellung von ihren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten i.H.v. 90,96 € gem. §§ 280 Abs. 1 und 2, 286, 257 BGB.
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1. Die Beklagte befand sich nach dem Schreiben der Klägerin vom 02.07.2022 in Verzug.
13
2. Die nicht zu beanstandenden Feststellungen des Amtsgerichts, dass die Klägerin ihren Prozessbevollmächtigten am 08.12.2022 den Auftrag zur vorgerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs und zu diesem Zeitpunkt noch gar kein Klageauftrag, also auch kein unbedingter Klageauftrag, erteilt worden sei, werden von der Beklagten nicht angegriffen.
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3. Die Beauftragung der klägerischen Prozessbevollmächtigten zur außergerichtlichen Eintreibung der Ausgleichsansprüche war erforderlich und zweckmäßig.
15
a) Der dem Geschädigten zustehende Schadensersatzanspruch umfasst grundsätzlich auch den Ersatz der durch das Schadensereignis erforderlich gewordenen Rechtsverfolgungskosten, § 249 Abs. 2 S. 1 BGB. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat der Schädiger allerdings nicht schlechthin alle durch das Schadensereignis adäquat verursachten Rechtsanwaltskosten zu ersetzen, sondern nur solche, die aus Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren (BGH, Urteil vom 29. Oktober 2019 – VI ZR 45/19 m.w.N.). Maßgeblich ist die ex ante-Sicht einer vernünftigen, wirtschaftlich denkenden Person, wobei keine überzogenen Anforderungen zu stellen sind. Das seinerseits Erforderliche tut der Gläubiger dadurch, dass er den Schuldner in Verzug setzt. Eine weitere Verzögerung der Erfüllung seiner Forderung muss er nicht hinnehmen. Vielmehr kann er seinem Erfüllungsverlangen durch Einschaltung eines Rechtsanwalts Nachdruck verleihen (BGH (VII. Zivilsenat), Urteil vom 24.02.2022 – VII ZR 320/21). Letzteres gilt auch dann, wenn der Gläubiger ausnahmsweise nicht auf eine Beratung über die Möglichkeiten des weiteren Vorgehens angewiesen ist, weil er – wie vorliegend – selbst über entsprechende Kenntnisse verfügt und diese auf den konkreten Fall anzuwenden weiß (BGH, Urteil vom 17.09.2015 – IX ZR 280/14). Auch ein spezialisierter Rechtsdienstleister – wie hier – ist ungeachtet seiner Fachkenntnisse zur eigenen Mühewaltung bei der Schadensabwicklung nicht verpflichtet (BGH, Urteil vom 8. November 1994 – VI ZR 3/94). Die außergerichtliche Beauftragung eines Rechtsanwalts ist auch in einem solchen Fall nicht von vornherein aussichtslos, da für den Gläubiger nicht absehbar ist, wie der Schuldner auf eine anwaltliche Mahnung reagieren wird (BGH, Versäumnisurteil vom 12.09.2017 – X ZR 102/16).
16
Eine abweichende Beurteilung ist allerdings dann veranlasst, wenn der Versuch einer außergerichtlichen Regulierung mit Hilfe eines Anwalts offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg bietet. Ist der Schuldner bekanntermaßen zahlungsunwillig und erscheint der Versuch einer außergerichtlichen Forderungsdurchsetzung auch nicht aus sonstigen Gründen erfolgversprechend, sind die dadurch verursachten Kosten nicht zweckmäßig (BGH, Beschluss vom 23. Juni 2022 – VII ZR 294/21). Der Fall einer ernsthaften und endgültige Erfüllungsverweigerung ist mithin von denjenigen Konstellationen zu unterscheiden, in denen der Schuldner auf eine Mahnung überhaupt nicht reagiert, da der Gläubiger nur in letzterem Fall nicht absehen kann, wie sich der Schuldner auf eine anwaltliche Mahnung verhalten wird.
17
b) Nach diesen Grundsätzen waren aus einer ex-ante Sicht der Klägerin die durch die Beauftragung ihrer Prozessbevollmächtigten verursachten Kosten zur Wahrnehmung ihrer Rechte erforderlich und zweckmäßig. Insbesondere war die Beklagte weder bekanntermaßen zahlungsunwillig, noch war der Versuch einer außergerichtlichen Regulierung aus sonstigen Gründen nicht erfolgversprechend.
18
Vielmehr hat sie auf die Aufforderungsschreiben der Klägerin vom 02.07.2022 überhaupt nicht reagiert.
19
Der Versuch einer außergerichtlichen Regulierung war auch nicht aus sonstigen Gründen nicht erfolgversprechend.
20
Die Beklagte kann insbesondere nicht mit dem Argument durchdringen, dass die Klägerin aufgrund des Umstands, dass die Beklagte auf ihr Aufforderungsschreiben nicht reagiert habe, darauf schließen hätte müssen, dass auch auf ein anwaltliches Schreiben hin nicht gezahlt würde. Dieser Vortrag ist viel zu pauschal und entspricht auch nicht der Lebenserfahrung. Für die Annahme, dass der Versuch einer außergerichtlichen Regulierung aus sonstigen Gründen nicht erfolgversprechend ist, bedarf es des Vortrags konkreter Anhaltspunkte im jeweiligen Einzelfall, der vorliegend fehlt.
21
c) Soweit das Amtsgericht eine gebührenauslösende vorgerichtliche anwaltliche Tätigkeit angenommen hat und sich insoweit maßgeblich auf die Aussage des Zeugen ... gestützt hat, ist das Urteil nicht zu beanstanden.
22
Das Berufungsgericht ist gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an die Beweiswürdigung des Amtsgerichts gebunden, wenn nicht konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen bestehen. Konkrete Anhaltspunkte für Zweifel sind objektivierbare rechtliche oder tatsächliche Einwände gegen die erstinstanzlichen Feststellungen (MüKo/Rimmelspacher, ZPO, 5. A., § 520, Rn. 52 ff.). Derartige Anhaltspunkte für Zweifel können sich unter anderem aus der Anlegung eines unrichtigen Beweismaßes und Verkennung ausnahmsweise bestehender gesetzlicher Beweisregeln, aus Verstößen gegen Denk- und Naturgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, aus Widersprüchen zwischen einer protokollierten Aussage und den Urteilsgründen sowie aus Mängeln der Darstellung des Meinungsbildungsprozesses wie Lückenhaftigkeit oder Widersprüchen ergeben (vgl. z. B. BGH, NJW 2005, 1583; BGH, VersR 2005, 945). Ein solcher konkreter Anhaltspunkt für die Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Beweiswürdigung ist von der Berufung nicht aufgezeigt worden.
23
Das Amtsgericht hat sich bei der Tatsachenfeststellung an die Grundsätze der freien Beweiswürdigung des § 286 ZPO gehalten. § 286 ZPO fordert den Richter auf, nach seiner freien Überzeugung zu entscheiden. Das bedeutet, dass er lediglich an die oben dargestellten Grundsätze (z. B. Denk- und Naturgesetze, Erfahrungssätze, gesetzliche Beweisregeln etc.) gebunden ist, ansonsten aber die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse nach seiner individuellen Einschätzung bewerten darf.
24
Ein Verstoß des Amtsgerichts gegen Denk- und Naturgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze ist vorliegend weder dargetan noch ersichtlich.
25
4. Die Höhe der geltend gemachten Gebühren ist ebenfalls nicht zu beanstanden.
26
Auch wenn der Gläubiger ausnahmsweise nicht auf eine Beratung über die Möglichkeiten des weiteren Vorgehens angewiesen ist, weil er selbst über entsprechende Kenntnisse verfügt und diese auf den konkreten Fall anzuwenden weiß, ist die Erstattungsfähigkeit der Kosten für eine außergerichtliche Vertretung durch einen Rechtsanwalt regelmäßig nicht auf eine Gebühr nach Nr. 2301 VV RVG beschränkt. Die Beauftragung eines Rechtsanwalts zur außergerichtlichen Vertretung im Sinne der Nr. 2300 VV RVG soll schnelle und einverständliche Regelungen ohne Einschaltung der Gerichte ermöglichen. Der Gläubiger ist grundsätzlich nicht gehalten, seinen Auftrag zunächst auf ein Schreiben einfacher Art zu beschränken und diesen im Bedarfsfall zu erweitern. Der Schuldner ist über den weiten Gebührenrahmen der Nr. 2300 VV RVG, der am unteren Ende nah an die 0,3 Gebühr der Nr. 2301 VV RVG heranreicht, ausreichend geschützt. Er allein hat es in der Hand, sich vertragstreu zu verhalten und auf diese Weise den materiellen Kostenerstattungsanspruch des Gläubigers gar nicht erst zur Entstehung gelangen zu lassen. (BGH, Urteil vom 17.09.2015, IX ZR 280/14 m.w.N.).
27
Umstände, die ein Abweichen von den dargestellten Grundsätzen rechtfertigen könnten, liegen hier nicht vor. Insbesondere kommt es danach auch nicht darauf an, ob das vorgerichtliche Schreiben der klägerischen Prozessbevollmächtigten einen über die Schreiben der Klägerin selbst hinausgehenden Inhalt gehabt hat.
28
Eine etwaige Freistellungsvereinbarung zwischen der Klägerin und ihren Prozessbevollmächtigten steht dem materiellen Kostenerstattungsanspruch ebensowenig entgegen.
29
Eine solche Freistellung kommt der Schuldnerin nicht zugute. Es handelt sich um einen Vorteil, der nicht ohne Weiteres mit dem Zahlungsverzug verbunden ist, sondern den sich die Klagepartei dadurch erkauft hat, dass sie sich ihrerseits verpflichtet hat, dem Rechtsdienstleister einen Teil des etwaigen Forderungserlöses zu überlassen (s. BGH, Versäumnisurteil vom 12.9.2017 – X ZR 102/16, Rdnr. 33, beck-online).