Inhalt

LG Amberg, Beschluss v. 06.05.2024 – 11 Qs 25/24
Titel:

Voraussetzungen der Anordnung des Vermögensarrestes

Normenkette:
StPO § 111e Abs. 1
Leitsätze:
Auch nach der Neuregelung des § 111e Abs. 1 StPO und der ersatzlosen Aufhebung des § 111d Abs. 2 StPO a.F. ist eine Vermögensarrest nur zulässig sein, wenn dies zur Sicherung der Vollstreckung erforderlich ist. Die Regelung beinhaltet nach dem Wortlaut und den gesetzgeberischen Motiven, dass der allgemeine Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, das Obermaßverbot und die bisherige Rechtsprechung zum „Arrestgrund" zu beachten sind. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Auch nach der Neuregelung des § 111e Abs. 1 StPO und der ersatzlosen Aufhebung des § 111d Abs. 2 StPO a. F. ist eine Vermögensarrest nur zulässig, wenn dies zur Sicherung der Vollstreckung erforderlich ist. Die Regelung beinhaltet nach dem Wortlaut und den gesetzgeberischen Motiven, dass der allgemeine Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, das Obermaßverbot und die bisherige Rechtsprechung zum „Arrestgrund" zu beachten sind. (redaktioneller Leitsatz) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Arrest nach § 111e StPO kommt nur in Betracht, wenn zu besorgen ist, dass ohne dessen Verhängung die Vollstreckung des Urteils vereitelt oder wesentlich erschwert werde. Hierbei sind alle Umstände zu würdigen, die geeignet sind, Anhaltspunkte für oder gegen eine drohende Vereitelung oder Erschwerung der Vollstreckung zu ergeben. Dazu können die Art und die Umstände der Verfehlung, die darauf bezogene Hartnäckigkeit und Dauer sowie Maß und Mittel der Tatabsicherung Berücksichtigung finden. Allerdings wird allein das Gewicht der zugrundeliegenden Tat nur in besonderen Ausnahmefällen ausreichen (str., vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 111e Rn. 6). (Rn. 13 – 25) (red. LS Alexander Kalomiris)
Schlagworte:
Vermögensarrest, Arrest, Arrestgrund, Sicherungsbedürfnis, Erschwerung der Vollstreckung, Gewicht der zugrundeliegenden Tat
Vorinstanz:
AG Amberg, Beschluss vom 22.01.2024 – 6a Gs 111/24
Fundstellen:
LSK 2024, 11984
NZWiSt 2024, 462
wistra 2024, 526
BeckRS 2024, 11984

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Beschuldigten … wird der Beschluss des Amtsgerichts Amberg vom 22.01.2024 aufgehoben.
2. Die Kosten des Rechtsmittels und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten hat die Staatskasse zu tragen.

Gründe

I.
1
Gegen den Beschuldigten und Beschwerdeführer sowie die Mitbeschuldigte ist ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der vorsätzlichen Geldwäsche gemäß §§ 261 Abs. 1 Nr. 1, 25 Abs. 2 StGB anhängig. Sie sollen aufgrund eines einheitlichen Tatentschlusses auf ihrem gemeinsam geführten Konto bei der … im Zeitraum vom 14.11.2023 bis 12.01.2024 eingegangene Gelder ihnen unbekannter Geschädigter in Höhe von insgesamt 111.646,59 € auf ein in Litauen geführtes Konto der … an einen unbekannten Täter weitergeleitet haben, wobei die Beschuldigten jedenfalls damit gerechnet hätten, dass die Geschädigten zuvor in der Absicht rechtswidriger Bereicherung und unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zur Überweisung der Geldbeträge veranlasst worden seien.
2
Mit Beschluss des Amtsgerichts Amberg vom 22.01.2024, auf den wegen seines Inhalts verwiesen wird, wurde gegen die Beschuldigten zur Sicherung des Anspruchs auf Einziehung von Wertersatz der Vermögensarrest in Höhe von 111.646,59 € in das gesamte Vermögen der Beschuldigten angeordnet.
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Hiergegen richtet sich der als Beschwerde ausgelegte Antrag auf Aufhebung des angeordneten Vermögensarrestes des Beschuldigten, welcher mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 27.02.2024 und 13.03.2024, auf die wegen ihres Inhalts Bezug genommen wird, begründet wurde.
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Das Amtsgericht half der Beschwerde mit Beschluss vom 18.03.2024 nicht ab.
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Die Staatsanwaltschaft Amberg beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
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Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
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1. Die materiellen Voraussetzungen der Anordnung eines Vermögensarrestes nach § 111e Abs. 1 Satz 1 StPO liegen nicht vor.
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Nach § 111e Abs. 1 Satz 1 StPO kann zur Sicherung der Vollstreckung der Vermögensarrest in das bewegliche und unbewegliche Vermögen des Betroffenen angeordnet werden, wenn die Annahme begründet ist, dass die Voraussetzungen der Einziehung von Wertersatz vorliegen. Dies erfordert den einfachen Verdacht, dass die Voraussetzungen für die spätere gerichtliche Anordnung von Wertersatzeinziehung vorliegen, mithin, dass ein einfacher Tatverdacht der Begehung einer Straftat besteht und Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass in dem Urteil die Einziehung von Wertersatz angeordnet werden wird (vgl. HansOLG Hamburg wistra 2019, 248 m.w.N.; OLG Stuttgart NJW 2017, 3731 m.w.N.; Köhler in Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O., § 111e Rnr. 4 m.w.N.). Weiter ist erforderlich, dass ein Sicherungsbedürfnis besteht (Arrestgrund) und die Anordnung verhältnismäßig ist.
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a. Gegen den Beschuldigten besteht zwar der einfache Tatverdacht der vorsätzlichen Geldwäsche.
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Auch wenn er eine erhebliche Summe aus seinem eigenen Vermögen auf das Konto der … in Litauen transferiert und es nach den bisherigen Ermittlungen nicht unwahrscheinlich ist, dass er selbst Geschädigter ist, erscheint es nach kriminalistischer Erfahrung (immer noch) möglich, dass er damit gerechnet hat, dass die Geschädigten zuvor in der Absicht rechtswidriger Bereicherung und unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zur Überweisung der Geldbeträge veranlasst worden sind und einen entsprechenden Schaden erlitten haben. Der Beschuldigte hätte sich mithin strafbar gemacht und es wäre mit einer späteren Verurteilung zu rechnen. Wie das Erstgericht ausgeführt hat, handelte es sich bei den auf das Konto des Beschuldigten eingegangen Beträgen immerhin um solche von fremden Personen, welche das Geld ohne weiteres auch direkt auf das Zielkonto hätten überweisen können. Die Geldbeträge sollten und wurden zudem anschließend ins Ausland transferiert.
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b. Es sind deswegen ferner Gründe für die Annahme vorhanden, dass in dem Urteil die Einziehung von Wertersatz angeordnet werden wird, §§ 73, 73c StGB.
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Der Beschuldigte hat durch die zwischenzeitliche (Mit-)Verfügungsgewalt an den weiter gereichten Beträgen etwas erlangt im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB.
13
c. Allerdings ist vorliegend ein Sicherungsbedürfnis (Arrestgrund) im Sinne von § 111e Abs. 1 StPO nicht gegeben.
14
Durch die Neuregelung des § 111e Abs. 1 StPO und die ersatzlose Aufhebung des § 111d Abs. 2 StPO a.F. ist der Verweis auf § 917 ZPO, mithin die Besorgnis einer Erschwerung oder wesentlichen Vereitelung der Forderungsvollstreckung, entfallen, womit jedoch das bisherige Erfordernis eines „Arrestgrundes“ und die dazu ergangene Rechtsprechung nicht tangiert werden sollten (vgl. BT-Drucks. 18/9525 S. 76, 77). Nach der Gesetzesbegründung soll auch in der ab dem 1. Juli 2017 geltenden Regelung der Vermögensarrest wie bisher nur zulässig sein, wenn dies zur Sicherung der Vollstreckung erforderlich ist.
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Die Regelung beinhaltet nach dem Wortlaut und den gesetzgeberischen Motiven, dass der allgemeine Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, das Übermaßverbot und die bisherige Rechtsprechung zum „Arrestgrund“ zu beachten sind (vgl. BT-Drucks. 18/9525 S. 49, 76 f.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 25. Oktober 2017 – 1 StR 163/17, NJW 2017, 3731 Rn. 15; KG, Beschluss vom 2. Juni 2020 – 4 Ws 21/20, juris Rn. 25; KK-StPO/Spillecke, 8. Aufl., § 111 e Rn. 4; LR/Johann, StPO, 27. Aufl., § 111e Rn. 11 ff., 38). Demnach kommt der Arrest nur in Betracht, wenn zu besorgen ist, dass ohne dessen Verhängung die Vollstreckung des Urteils vereitelt oder wesentlich erschwert werde (s. § 917 Abs. 1 ZPO; BGH, Beschluss vom 3. Juni 2014 – KRB 2/14, NJW 2014, 3258 Rn. 6). Hierbei sind alle Umstände zu würdigen, die geeignet sind, Anhaltspunkte für oder gegen eine drohende Vereitelung oder Erschwerung der Vollstreckung zu ergeben. Dazu können die Art und die Umstände der Verfehlung, die darauf bezogene Hartnäckigkeit und Dauer sowie Maß und Mittel der Tatabsicherung Berücksichtigung finden. Allerdings wird allein das Gewicht der zugrundeliegenden Tat nur in besonderen Ausnahmefällen ausreichen. Um einen Arrestgrund bejahen zu können, sind vielmehr regelmäßig Erkenntnisse auch aus dem Verhalten nach der Tat, insbesondere unter dem Eindruck des laufenden Verfahrens, erforderlich, die auf eine entsprechende Vollstreckungsvereitelungsabsicht hindeuten könnten (BGH (3. Strafsenat), Beschluss vom 19.01.2021 – StB 46/20; BGH, Beschluss vom 3. Juni 2014 – KRB 2/14, NJW 2014, 3258 Rn. 7 m.w.N.).
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Nach diesen Maßstäben ist der Arrest weder möglich noch verhältnismäßig.
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Aus der Tat selbst kann nicht ohne weiteres auf eine Vereitelungsabsicht des Beschuldigten geschlossen werden.
18
Die verfahrensgegenständlichen Beträge wurden nach eigener über seinen Verteidiger abgegebenen Einlassung des Beschuldigten auf das auf seinen Namen lautende Konto der … in Litauen transferiert. Der Beschuldigte konnte über dieses Konto jedoch nicht verfügen. Der Verteidiger selbst hat sich seinen Angaben zufolge überdies vergewissern können, dass auf diesem Konto zwar angeblich ein Bitcoin-Guthaben von 225.000,- € hinterlegt, aber als Kontostand 0,00 € verzeichnet sei.
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Vom Beschuldigten veranlasste Abbuchungen auf dieses Konto würden für diesen also keinen Sinn ergeben, die Gefahr eines verminderten Zugriffs im Falle späterer Verurteilung zur Einziehung hieraus nicht erwachsen.
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Auch zum Vor- und Nachtatverhalten des Beschuldigten, insbesondere seinem unter dem Eindruck des laufenden Verfahrens stehenden Verhalten, ist nichts Besorgniserregendes bekannt.
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Danach kann auch unter der Prämisse, dass auch bezüglich der Besorgnis, ohne die Verhängung des Vermögensarrestes werde die Vollstreckung des Urteils vereitelt oder wesentlich erschwert, ein (einfacher) Anfangsverdacht i.S.d. § 152 Abs. 2 StPO genügt, ein Sicherungsbedürfnis nicht abgeleitet werden.
22
Dies gilt nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund von Gesichtspunkten der Verhältnismäßigkeit, die dabei besonders in den Blick zu nehmen sind.
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Die angeordneten Vollziehungsmaßnahmen binden vorliegend das gesamte Vermögen des Beschuldigten, das ihm noch zur Verfügung steht und das er für ganz andere, durchaus legale Zwecke dringend benötigt. Da die Arrestsumme in solchen Fällen oft nicht erreicht wird, engt dies auch die zukünftigen wirtschaftlichen Spielräume ggf. massiv ein. Dem Betroffenen wird bereits auf relativ unsicherer Tatsachenbasis und ohne seine Position zuvor verdeutlichen zu können, mittelbar angesonnen, das Vermögen, welches mangels Vorhandenseins nicht gesichert werden kann, zukünftig zum Zwecke weiterer Vollziehung des Vermögensarrests neu zu schaffen. Belassen wird es ihm im Rahmen der Vollziehung jedoch lediglich bis zur Pfändungsfreigrenze, während diese übersteigende Beträge nur der weiteren Vollziehung des Vermögensarrests dienen. Unabhängig vom bisherigen Lebensstandard zwingt ihn eine bloß vorläufige und allein der Sicherung dienende Maßnahme, ab sofort ein Leben auf Sozialhilfeniveau zu führen. Das trifft den Adressaten viel stärker als eine Beschlagnahme und erhöht deshalb die Zulässigkeitshürden bereits vor Anordnung, weil die Belastungen aufgrund Vollziehung absehbar sind (MüKoStPO/Bittmann, 2. Aufl. 2023, StPO § 111 e Rn. 1-8).
24
Da das nahezu gesamte Vermögen der Verfügungsbefugnis des Beschuldigten entzogen ist, stellt dies für ihn eine gravierende Beeinträchtigung seiner wirtschaftlichen Handlungsfreiheit dar (vgl. BVerfG NJW 2004, 2443). Der Beschuldigte betreibt hauptberuflich einen Autohandel. Durch die vorgenannten Einschränkungen droht der Verlust seiner beruflichen Existenz.
25
Die Anordnung des Vermögensarrestes ist daher unverhältnismäßig und kann keinen Bestand haben.
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2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 467 Abs. 1 StPO analog.